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DIE ERSCHÖPFUNG DER REVOLUTION UND DER VERENGTE WEG DES AVANTGARDISMUS
ОглавлениеAlle radikalen Strömungen in der Französischen Revolution haben gerade für die von den Jakobinern abgelehnte Verknüpfung gekämpft: Keine Ausübung der politischen Souveränität ohne wirtschaftliche und soziale Gleichheit. Nach den Enragés und den Hébertisten war es an Babeuf und seinen Freunden, die Revolutionsregierung anzuklagen, sie habe dem Volk seine Souveränität »geraubt«. Babeuf mahnte: »Wo es keine Rechte mehr gibt, gibt es auch keine Pflichten mehr.«40 Über den Feind bemerkte er: »Arbeite viel und iss wenig, sonst wirst du keine Arbeit mehr haben und gar nicht mehr essen. So lautet das barbarische Gesetz, das die Kapitale diktieren.«41
Die babouvistische Strömung wird häufig als unversöhnlicher Gegner des Privateigentums und Vertreter eines Kommunismus in der Verteilung dargestellt. Ihr Programm schließt allerdings eher an die Forderungen an, die die Enragés – oftmals unorganisiert und individuell – dem Nationalkonvent vorgelegt hatten: Erfassung und Beschlagnahmung von Grundnahrungsmitteln, Kampf gegen die Wucherer und Spekulanten, Verstaatlichung des Handels, Terror gegen die Klassen des Ancien Régime, uneingeschränkte Ausübung der Souveränität und der direkten Demokratie sowie Frauenrechte. Die Babouvisten betraten nach der Unterdrückung der Radikalen durch die Jakobiner und nach dem Thermidor die Bühne der Revolution. Sie organisierten sich als unabhängige und abgeschirmte, ja klandestine Strömung. Zitieren wir nochmals Kropotkin, der ihre politischen Vorstellungen in den Gesamtverlauf der Revolution einordnet. Er attestiert Babeuf eine »enge« Auffassung des Kommunismus, die Gestalt annahm, als die Reaktion des Thermidor der aufsteigenden Bewegung der Großen Revolution ein Ende bereitet hatte: »Die Idee, durch die Verschwörung, vermittels einer geheimen Gesellschaft, die sich der Macht bemächtigen sollte, zum Kommunismus zu gelangen […] ist ein Produkt der Erschöpfung – nicht eine Wirkung des aufsteigenden Saftes der Jahre 1789 bis 1793.«42 Babeufs »Aktionsmittel […] brachten die Ideen des Kommunismus auf ein niedrigeres Niveau herunter. Während viele Geister der Zeit einsahen, daß eine Bewegung in der Richtung des Kommunismus das einzige Mittel war, die Errungenschaften der Demokratie zu sichern«.43 Tatsächlich kennzeichnete das politische Projekt der babouvistischen »Gleichen« ein erheblicher Widerspruch, der den Beschränkungen der Epoche geschuldet war. Während sie klar aufzeigten, warum das repräsentative System des Parlamentarismus falsch war und die formelle Gleichheit eine Täuschung bleiben musste, solange es keine wirtschaftliche gab, sahen sich die Babouvisten als eine elitäre Führung, die imstande war, »zum Wohle des Volkes« von oben eine neue Form von Repräsentation durchzusetzen, gestützt auf die Sektionen, Klubs und Volksversammlungen, die sie »Versammlungen der Souveränität« nannten. Ihr Organisationsmodell beruhte insofern gerade auf der Aufgabe der Forderung nach Souveränität und direkter Demokratie: Der Aufstand sollte das Werk der Verschwörung einer kleinen bewussten Minderheit sein, bei dem die Führer sicherstellen, dass die Souveränität des Volkes respektiert wird – eine ausgesprochen dirigistische Vorstellung. Wie Babeufs Gefährte Philippe Buonarroti später erläuterte, sollte ein »Aufstandskomitee die Grundlagen zur sozialen Einteilung« legen, um »die Gleichheit aufrechtzuerhalten«; es sollte »die Dinge so […] leiten, daß das Prinzip der Volkssouveränität niemals verletzt werde«, dass dem Volk »keinerlei Verpflichtung […] ohne seine wirkliche Einwilligung« auferlegt werden könne und »es in seinen Beratungen alle wünschenswerte Reife« mitbringe.44
Das Unternehmen erforderte somit eine provisorische revolutionäre Diktatur, um die Volkssouveränität zu erweitern und »die wahre Demokratie« der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft aufzubauen – eine widersprüchliche Konstruktion, in der sich spätere totalitäre Modelle andeuteten. Für die Babouvisten hing die direkte Demokratie zwar unmittelbar mit der Verwirklichung wirtschaftlicher Gleichheit zusammen, beides war aber dem verschwörerischen Handeln einer entschlossenen revolutionären Elite untergeordnet. Das sozialistisch-jakobinische Denken der nachrevolutionären Zeit konnte dieses Projekt mühelos integrieren, und wie gezeigt worden ist, weisen die Vorstellungen von Blanqui, Barbès und später der Ersten Internationale eine direkte Verwandtschaft mit denen von Babeuf und Buonarroti auf.45 Der Form, nicht aber dem Inhalt nach verändert, kehrt diese dirigistische Konzeption später auch in der Staatstheorie der Sozialdemokratie und ihrer radikalen Spielart, des Bolschewismus, wieder. Die Basisorgane sozialer Bewegungen, die Räte oder Sowjets, blieben für solche Strömungen eine »souveräne Ausnahme«, eine Kraft, die die Partei der Wissenden für das Ziel instrumentalisieren konnte, den für den Aufbau des Sozialismus notwendigen Staatsapparat zu übernehmen und umzumodeln.
Im Kern war dies ein jakobinisch-avantgardistisches Programm, das eine »Verkoppelung der ›Verfassung von 1793‹ mit den ökonomischen und sozialen Forderungen der Arbeiterklasse« vornahm, wie Korsch 1929 notierte. Nach dieser für die weitere Entwicklung der sozialistischen Bewegung prägenden Konzeption setzt der auf der sozioökonomischen Ebene angesiedelte Kommunismus zunächst die Einführung einer »radikalen Demokratie« jakobinischen Typs voraus – den revolutionären Staat.46 Das Führungsorgan des Aufstands muss die Form der Avantgardepartei annehmen, der revolutionäre Staat einheitlich, zentralisiert, also antiföderalistisch organisiert sein.