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DAS NEGATIVE UND DAS POSITIVE ELEMENT

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Wie häufig hervorgehoben worden ist, arbeitete Marx eher die allgemeinen Züge und neuen Regierungsprinzipien der Kommune heraus, als dass er ihre konkrete Funktionsweise und Realität im Einzelnen untersucht hätte; der Blick auf die großen Tendenzen und Prinzipien einer Bewegung entsprach eher seiner Methode der Analyse. Aber auch mit der Tatsache, dass die Ideen der Kommunarden aus unterschiedlichen Quellen – darunter Proudhon und Bakunin – geschöpft waren, hielt Marx sich nicht lange auf und versuchte sogar, die föderalistischen Tendenzen der Kommune mit seiner eigenen Vorstellung des revolutionären Staats zu versöhnen. Was er in den Vordergrund rückte, war das negative Element der Kommune: die Zerstörung des bürgerlichen Staates. In seinen noch während der Ereignisse angefertigten Notizen, aus denen Der Bürgerkrieg in Frankreich hervorging, schrieb er deutlich: »Daher war die Kommune nicht eine Revolution gegen diese oder jene […] Form der Staatsmacht. Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war eine Rücknahme des eignen gesellschaftlichen Lebens des Volkes durch das Volk und für das Volk. Sie war nicht eine Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zerbrechen.«5 Sechzig Jahre später betonte der kritische Marxist Karl Korsch, dass Marx gerade damit aber das positive, konstruktive Element der Kommune in den Hintergrund gedrängt habe: ihren föderativen, anti-zentralistischen Charakter.6

Bereits 1850, zwanzig Jahre vor der Kommune, hatte Marx in der »Ansprache der Zentralbehörde an den Bund der Kommunisten« den Gedanken einer Repräsentation vertreten, die eher einer direkten Ausübung von Souveränität entsprach: Die Arbeiter sollten »neben den neuen offiziellen Regierungen zugleich eigene revolutionäre Arbeiterregierungen, sei es in der Form von Gemeindevorständen, Gemeinderäten, sei es durch Arbeiterklubs oder Arbeiterkomitees, errichten«; sie hätten sich »mit selbstgewählten Chefs und eigenem selbstgewählten Generalstabe zu organisieren und unter den Befehl, nicht der Staatsgewalt, sondern der von den Arbeitern durchgesetzten revolutionären Gemeinderäte zu treten«.7

Solche Räte, Klubs oder Komitees sollten nach Marx die Macht des bürgerlichen Staates einschränken und so eine revolutionäre Doppelherrschaft herbeiführen. Als Organe der Selbstregierung betrachtete er diese Ausdrucksformen direkter Demokratie dagegen offenbar nicht. In gewisser Weise waren sie für Marx eher provisorische, vorübergehende Organisationen, die der neue revolutionäre Staat sich zunutze machen konnte – ein Staat, der seinerseits dem Modell einer zentralisierten, hierarchischen Institution folgen musste. Die direkte Ausübung der Souveränität blieb eine Ausnahme, ein Übergangsmoment beim Aufbau der zentralisierten Führungsorganisation. So schrieb Marx 1864, noch immer unter dem Eindruck des Scheiterns der Revolutionen von 1848: »Politische Macht zu erobern ist […] jetzt die große Pflicht der Arbeiterklassen.«8 Und auch noch 1872 schien Marx die »Konstituierung des Proletariats als politische Partei […] unerläßlich, um den Triumph der sozialen Revolution und ihres höchsten Zieles, der Aufhebung der Klassen, zu sichern«.9 Doch mit Blick auf den Gedanken der politischen Machteroberung bewirkte die Kommune langfristig eine Klärung.

Auch wenn Marx nach den gescheiterten Revolutionen von 1848 Basiskomitees in seine Theorie des Umsturzes des bürgerlichen Staates integriert hatte, sprach er erst eine Weile nach der Erfahrung der Kommune von 1871 ausdrücklich von der Notwendigkeit, den alten Staatsapparat zu zerstören: »die Arbeiterklasse kann nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen«.10 Im Vorwort zu einer neuen Ausgabe des Manifests der Kommunistischen Partei präsentierten 1872 Marx und Engels diese Formulierung als ein bloßes Beispiel dafür, dass »Einzelnes« am Manifest »hier und da zu bessern«11 wäre, dabei handelte es sich um eine gewichtige Veränderung der politischen Perspektive, die sie und die von ihnen beeinflusste Strömung vertraten. Denn nun war es »die endlich entdeckte politische Form« der Kommune, die zum Modell für eine Regierung der Arbeiterklasse avancierte. Sie sollte »nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit«12 – eine einheitliche Konzeption, die eine direkte Ausübung von Souveränität zuließ.

Von einer »Diktatur der Arbeiterklasse« sprach Marx erstmals im Gefolge der Revolution von 1848.13 Was er laut Maximilien Rubel darunter verstand, war grob gesagt eine revolutionäre Macht der »ungeheuren Mehrzahl« der Proletarier, womit er sich von dirigistischen Organisationsmodellen kommunistischer Minderheiten abgrenzte, wie sie besonders Babeuf und Blanqui vertraten. Für Marx bezeichnete die Formel zugleich die »Antithese« zur Diktatur der bürgerlichen Klasse und die umfassendste Demokratie eines organisierten und vom Staat emanzipierten Volkes.14 Nach Marx’ Tod legte Engels den Akzent darauf, dass die Erfahrung der Kommune ein Modell für die Diktatur des Proletariats biete. Damit wich er von Marx’ Auffassung nicht wirklich ab, und Engels verstand das Wort Diktatur auch nicht in dem totalitären Sinn, den es später annahm. Zum anderen hatte der Konflikt zwischen Bakunin und Marx seine Spuren hinterlassen; auch Marx selbst hatte es nicht versäumt, die Niederlage der Kommune rückblickend mit einem Mangel an Zentralismus und einheitlicher Führung zu erklären.

Die sozialdemokratischen Parteien und die Bolschewiki als ihr extremer russischer Flügel gaben dieser Orientierung auf einen »zentralisierten sozialistischen Staat« später lediglich eine rigidere Form. Lenin griff sie in Staat und Revolution dahingehend auf, dass er einen »Staat der Sowjets« entwarf: Die Räte sollten sich in den neuen Staat eingliedern und ihm zu Diensten sein. Damit wurde die Erfahrung der Kommune auf ein politisches Faktum, ihr »negatives Element« reduziert: auf die Zerstörung des alten Staates, an dessen Stelle ein neuer, zentralistischer und von der Avantgardepartei beherrschter treten sollte. In diesem Sinne lieferte Trotzki 1921, mittlerweile leninistischer als Lenin und zu einem Führer des bolschewistischen Staates geworden, eine dem autoritären Zentralismus durchaus entgegenkommende Erklärung für das Scheitern der Kommune: »Die Feindschaft gegenüber der zentralistischen Organisation […] ist zweifellos die Schwäche einer gewissen Fraktion des französischen Proletariats. Die Autonomie […] gilt gewissen Revolutionären als höchste Gewähr für die wahre individuelle Tätigkeit und Unabhängigkeit. Doch darin besteht ein großer Fehler, für den das französische Proletariat teuer bezahlt hat.«15 Gescheitert war die Kommune demnach nicht an der Schwäche der Demokratie, dem Erlahmen der direkten Ausübung von Souveränität durch die Arbeiter, sondern am Mangel einer »starken Parteiführung«, eines »zentralisierten und durch eiserne Disziplin zusammengeschweißten Apparats«.

Damit wird bereits deutlich, in welchen Begriffen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in einer Ära der Revolutionen, ein Konflikt zwischen zwei Konzeptionen revolutionären Handelns herauskristallisierte.

Der wilde Sozialismus

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