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UTOPISMUS UND SOZIALE FRAGE

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Die begrenzte Rolle von Frauen lässt sich nicht von der Zögerlichkeit der Kommune gegenüber der sozialen Frage trennen. Tonangebend waren in ihr bekanntlich republikanische, jakobinische und reformistische Strömungen. Das erklärt unter anderem, warum sie auf sozialem Gebiet so wenig Tatkraft zeigte. Besonders deutlich illustrieren dies der Unwille, das Privateigentum anzugreifen – seien es Unternehmen, Privatkapitalisten oder die Banken21 –, und die Respektierung einer gewissen Lohnhierarchie, die bis zu Versuchen reichte, die Löhne in den Kooperativen zu kürzen. Kann man darüber hinwegsehen, dass der Arbeitstag weiterhin zehn Stunden betrug? Wie Marx einräumte: »Die wichtigsten Maßregeln, die die Kommune ergriffen hat, sind für die Rettung der Mittelklasse ergriffen worden«.22 Léo Frankel, ein ungarischer Arbeiter, Vertreter der Internationale und Mitglied im Rat der Kommune, meinte empört: »Die Revolution des 18. März wurde ausschließlich von der Arbeiterklasse durchgeführt. Wenn wir nichts für diese Klasse tun, sehe ich keine Existenzberechtigung für die Kommune.«23 Im Protest dieses engen Weggefährten von Marx drückte sich die Machtlosigkeit der revolutionären Abgeordneten gegenüber der generellen Ausrichtung der Kommune aus. Frankel konnte zwar einige wenige sozialistische Maßnahmen wie die Beschränkung der Nachtarbeit durchsetzen und rief die Arbeiter dazu auf, selbstverwaltete Kooperativen zu gründen und sich direkt für die eigenen Interessen einzusetzen. Demgegenüber stand allerdings die Haltung eines Jules Andrieu, der für die Presse der Internationale schrieb, ebenfalls im Rat der Kommune saß und Delegierter des öffentlichen Dienstes war. Er war der Überzeugung, die Kommune müsse zuallererst ihre Effizienz unter Beweis stellen, und zeigte kaum oder gar kein Interesse daran, etwas an den Hierarchien und der Gehaltsstruktur im öffentlichen Dienst zu ändern. Als langjähriger Beamter dachte Andrieu wie ein Verwaltungsexperte; weit davon entfernt, eine neue Art von Staat anzuvisieren, sah er die Kommune in einer Kontinuität zum alten.24

Wie Prosper Olivier Lissagaray in seinem klassischen Bericht bemerkte, sollte man das revolutionäre Programm der Kommune allerdings nicht in den Sälen des Pariser Rathauses, sondern auf der Straße, im Kampf für eine andere Gesellschaft suchen.25 Nichts anderes meinte Élisée Reclus, als er emphatisch erklärte, das überlegene Ideal der Kommune »sei nicht von ihren Regierenden, sondern von ihren Verteidigern für die Zukunft aufgerichtet worden«.26 Der Kommune Platz zu geben, heiße dem Volk Platz geben, lautete eine Formulierung von Jules Vallès, in dessen Zeitung L’Insurgé ihr Geist von Autonomie und Emanzipation ungeschmälert Ausdruck fand.27 Und wie Robert Tombs am Ende seiner beeindruckenden Studie schreibt: »Die Mystik der Kommune beruht zu einem entscheidenden Teil auf der unverdorbenen Reinheit eines Utopismus, der nicht verwirklicht wurde.«28

Der wilde Sozialismus

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