Читать книгу »Action!« im Traunsee-Märchenland - Christa Mühl - Страница 7
1. Es regnet viel im Salzkammergut. Auch bei Dreharbeiten …
Оглавление„Scheißwedda elendigs!“, rief der Darsteller des Portiers Schimek mit seiner kräftigen Stimme. „Heit kaun se’s wieda, da Nöwi hengt tiaf owa, und d Sunn is auf Urlaub.“
Auf diese Bemerkung kam ebenso laut die Frage: „Wat hatter jesaacht, eh?“ Keine Antwort.
„Eh – kann det eena übasetzen?! Ick hab nur Urlaub vaschtanden“, brüllte ein mittelalterlicher Mensch, der langes, schütteres Haar hatte, das ihm klatschnass am Kopf klebte. Er konnte keine Mützen leiden, gab dies natürlich nicht zu, sondern behauptete, dass er jeglichem Wetter etwas abgewinnen könne. „Man tut jut, det Beste draus su machen.“
Er war sicher der Einzige im Team, der gute Laune zu haben schien. Gerade versuchte er vergeblich, die Kamera, die mit Plastikplanen verhüllt war, zusätzlich durch einen Schirm zu schützen.
Wie der Mann richtig hieß, wusste wohl niemand. Er wurde nur Bingo genannt, war Kamera-Assistent und kam aus Potsdam. Dort spricht man den schlimmsten Berliner Dialekt, das können Sie mir glauben.
Bingo rief: „Eh, ick hab wat jefragt! Hört mia keena?!“
Nun mussten einige doch lachen, trotz des andauernden, gleichmäßig heftigen Regens. Eine andere Antwort bekam Bingo nicht. Wenn im Moment geredet wurde, dann über dieses fürchterliche Sauwetter. Wie ging das noch: Im Salzkammergut, da kammer gut lustig sein! Aber doch nicht, wenn man ständig durchnässt ist. Und das mitten im Hochsommer.
Nicht nur die vielen herrlichen Blumen ringsum ließen seit Tagen die Köpfe hängen. Die Touristen saßen in ihren Hotels oder Pensionen herum und malten sich voller Sehnsucht aus, wie wunderbar jetzt eine Bergwanderung wäre oder eine Bootsfahrt.
Wir befinden uns nämlich in einer der schönsten Gegenden der Welt. Märchenerzähler müssen es wissen, denn sie sind weit herumgekommen. Sogar ich, die ich zu den Newcomern als Märchenerzählerin gehöre.
Also: Sie können es mir ruhig glauben!
Dieses Fleckchen Erde hier ist von faszinierender Schönheit. Viele berühmte Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart haben sich darüber ausgelassen. Solche Beschreibungen können nachgelesen werden. Doch man muss selbst hin, um diese Schönheit zu erleben.
Fliegen Sie hin, fahren Sie hin, radeln Sie oder machen Sie sich sonst wie auf die Socken!
Dann werden Sie eine Stadt kennenlernen, in der man sich gleich zu Hause fühlt. Eine Stadt, die in hellem Licht erscheint, pastellfarben aus der Ferne: Gmunden. Gelegen an einem klaren, sehr tiefen See, dem Traunsee. Die alten Römer nannten ihn „lacus felix“, den glücklichen See. Ich verstehe, dass sie guten Grund dazu hatten.
Aus dem glücklichen See steigt ein mächtiger Berg auf. Der Traunstein. Er ist schon fast eine Stunde lang in der Ferne zu sehen, wenn man sich auf der Autobahn von Wien aus nähert. Auch durchs Zugfenster kann man ihn immer wieder erblicken. Kommt man von der anderen Seite, also aus Richtung Salzburg, hat man bereits den malerischen Mondsee und andere liebliche Gegenden hinter sich gelassen. Sicher, es ist überall schön hier. Doch wenn man den mächtigen Traunstein vor Augen hat, möchte man gar nicht mehr wegschauen!
Dieser Berg wird Wächter des Salzkammergutes genannt. Er ist jedoch viel mehr. Aus ihm fließt ein klares, reines Wasser, das die Stadt und ihre Umgebung versorgt.
Aber auch ein großes, bisher streng gehütetes Geheimnis, verbirgt sich in seinem Inneren. Davon werden Sie bald Genaueres hören.
Angekommen in Gmunden, kann man die ersten hohen Gebirgszüge der Alpen mit ihren schneebedeckten Gipfeln bestaunen. Das Dachsteinmassiv und das Höllengebirge. Es gibt große Eishöhlen in den Bergen, und viele verborgene Schätze.
Wir werden noch manches über die wunderbare Landschaft, über diese schöne Stadt und ihre freundlichen Bewohner erfahren. Doch erinnern wir uns weiter an jenen Tag, der Anfang einer ganz und gar unglaublichen Geschichte sein sollte, die sich am Traunsee in Gmunden zutrug …
Wie manch einer vielleicht weiß, drehte man hier seit Jahren die bekannte Fernsehserie „Schlosshotel Orth“.
In eben dieser spielte den Portier Schimek der aus Oberösterreich stammende, höchste beliebte Volksschauspieler Paul Händler. Man nannte ihn aber nur Schimek, was er zuerst überhaupt nicht leiden konnte. Denn er war natürlich ein ganz anderer Typ als der bauernschlaue, etwas behäbige Portier. Er war ein Genussmensch und, obwohl er nicht ganz schlank war, sehr beweglich.
Aber er saß auch gern bei einem Glaserl Wein und interessierte sich für Literatur und Sprachen. Ein Fable, um das ihn viele beneideten: Er las englische Krimis im Original.
Inzwischen hatte er längst aufgegeben, sich gegen „Schimek“ zu wehren. Denn ihn kannte jedes Kind, und er war durch diese Rolle zu einer wirklich sagenhaften Popularität gekommen.
Jetzt machte er, sonst ziemlich geduldig, seinem Herzen Luft. „Do hob i amoi an Außendrah! Amoi darf i aus meina Portierslosch auße – und da schütts aus Schaffen!“
Wieder verstand Bingo kein Wort. Er sah sich suchend nach Charly Schilling um. Das war eine flotte Person aus Gmunden, die für den Film die Komparsen vermittelte. Nebenbei bemühte sie sich, dem Team, aus vielen Regionen Österreichs und Deutschlands zusammengesetzt, als eine Art Dolmetscherin behilflich zu sein. Aber Charly war heute nicht anwesend, weil keine Komparsen gebraucht wurden.
Bingo, nun um eine halbwegs verständliche Aussprache bemüht, stöhnte. „Der jrößte Unterschied zwischen die Österreicher und die Deutschen is de jemeinsame Sprache!“
Schimek sah ihn erstaunt an. „Ist aber nicht auf deinem Mist gewachsen, der Spruch“, sagte er ganz und gar dialektfrei und schmunzelte.
Bingo lachte. „Hat ma irjend een oller Dichter abjelassen. Könnte aber ooch jenausogut von mir sein!“ Dann trat er wieder den Kampf gegen den Regenschirm zum Schutz der Kamera an. Das Ding bog sich mit allen Streben nach außen und lief sofort voll Wasser. Bingo schüttete es in den See und hatte Mühe, dem Wind irgendwie Paroli zu bieten.
Schimek überlegte, von wem der Spruch stammen könnte. Es fiel ihm nicht ein, und so begann er wieder, sich über diese Art von „Sommer“ aufzuregen.
„Was wetterst du denn ständig vor dich hin?“, fragte Mariella Lagl, die Darstellerin der Küchenchefin Anna und seine Partnerin in der Serie.
„Ich wetter’ schlecht!“, grinste Schimek. Dann lief er plötzlich los und zerrte Mariella entschlossen mit sich.
Sie rannten über den völlig durchnässten roten Teppich, der auf der Holzbrücke jedes Mal zu den Dreharbeiten ausgerollt wurde, vorbei am Standbild des Heiligen Nepomuk, der mit dem Regen zu heulen schien, Richtung Schlosstor.
„De kennan do net einfach do geh, ohne das’s frong!“, stöhnte der Aufnahmeleiter. Er kam aus dem Burgenland und hatte es ebenfalls schwer, verstanden zu werden. Denn dort spricht man in einigen Gegenden einen ziemlich besonderen Slang. Der Mann wurde kurz nur der Burger genannt, ein bisschen englisch, was mehr an Fastfood als ans schöne Burgenland erinnerte. Nebenbei war er übrigens Hobbypilot und Mitbesitzer eines kleinen, knallroten Flugzeuges.
Gerade kam der Regisseur zurück, der beim Catering in der Einfahrt einen heißen Tee getrunken hatte. „Wir wärmen uns a bissel auf!“, murmelte Schimek und stürzte mit Mariella vorbei.
Der Regisseur nickte nur und zog den Regenhut ein wenig tiefer ins Gesicht. Man sagte Chef zu ihm. Seine österreichische Herkunft war an der Sprache kaum noch auszumachen Allerdings legte er auch wenig Wert darauf. Er fühlte sich als Europäer und konnte eine beachtliche Anzahl von Arbeiten im Ausland nachweisen. So hatte er unter anderem lange in Frankreich an verschiedenen Theatern gewirkt. Das erwähnte er bei jeder passenden und nichtpassenden Gelegenheit. Dann lobte er die französische Küche und die französischen Schauspieler, was bei den hiesigen nicht besonders gut ankam. Bis irgendjemand herausfand, dass es ziemlich kleine Theater in der Provence waren, in denen der Chef zu tun hatte. (Bingo würde sie „Provinzklitschen“ nennen …)
Von da an jedenfalls nahm man die Sache nicht mehr so ernst.
Nach dem Theater in Frankreich zog es den Mann zum Film. Und nun war er also beim Fernsehen gelandet. Der Chef war ein ganz schneller Denker und konnte seine Gedanken ebenso schnell umsetzen. Leider war er völlig humorlos und ziemlich eitel. Aber ansonsten ein netter Kerl, mit dem man auskommen konnte. Kopfschüttelnd betrachtete er nun die Hosenbeine seines Maßanzugs, die unter dem Regenmantel kein erfreuliches Bild boten, und ging zu den anderen. Gerade riss der Wind Bingo den Schirm aus der Hand und fegte ihn in den Traunsee, der heute dunkel und undurchsichtig war.
Am anderen Ende der Brücke kam ein Wagen vorgefahren. Zwei Männer in Wetterjacken stiegen aus und hasteten auf die Wartenden zu. Alle atmeten auf. Das waren der Herstellungsleiter und der Produktionsleiter. Sie sahen beide noch einmal zum Himmel. Aber ringsum konnte man nur schwere Regenwolken erblicken. „Wir brechen hier ab!“, sagte der Herstellungsleiter. „Und drehen drinnen im Schloss weiter!“, ergänzte der Produktionsleiter. Jeder war froh über diese Entscheidung.
Im Filmteam hießen die beiden Chefetage, weil sie sich ein Büro teilten und meist gemeinsam auftauchten. Sie waren dafür zuständig, dass so eine Fernsehserie ganz genau geplant wird und dann auch genauso zustande kommt. Dass alles möglichst nicht mehr kostet, als vorher festgelegt wurde. Oder besser noch ein bisschen weniger. Also Menschen mit eher trockenen und buchhalterischen Filmberufen, die im Hintergrund agierten und mit denen die anderen zwangsläufig öfter einmal in Streit gerieten. Aber bei unserer Chefetage handelte es sich um zwei liebenswürdige Herren aus Wien, die zwar streng, aber nicht unbeliebt waren. Besonders der Produktionsleiter, weil er jeden Montag in der Mittagspause die Spesen verteilte. Die Schauspieler nannten ihn gern „Diätenhansi“, was er freundlich grinsend überhörte.
Jetzt begrüßten sie Schimek und Mariella, die in der Toreinfahrt standen und Tee tranken. Für die beiden Schauspieler war Drehschluss angesagt, denn sie wurden bei den Szenen im Schloss nicht gebraucht.
„Auch gut!“, meinte Schimek. „Trinken wir einen Rotwein, oder besser einen Glühwein, ich lad euch ein!“ Sie gingen zum Restaurant Orther Stub’n hinüber.
Die anderen räumten die Brücke. Jeder griff zu, damit das Equipment so schnell wie möglich ins Trockene kam. Bepackt eilten die Filmleute auf den Eingang des Schlosses zu, da erschütterte ein wahnsinniges Geräusch die Szenerie. Es wurde immer lauter und lauter, zum Gänsehautkriegen. Viele blieben stehen, sahen sich um. Woher kam das? Das Geräusch schien von oben, vom Gipfel des mächtigen Berges herunter zu schallen. Aber was sollte dort oben sein?
Es gibt zwei Schutzhütten und das größte Gipfelkreuz der Alpen. Der Traunstein ist 1691 Meter hoch. Wie konnte man sich da die Lautstärke dieses Geräusches erklären? Es wurde immer unerträglicher, klang wie ein dumpfes Heulen und schwoll an zu einem jammernden Dauerton. Und plötzlich wurde auch der Regen immer stärker. Der Tonassistent ließ seinen Klappstuhl fallen und setzte die Kopfhörer als Ohrenschützer auf. Wer eine Hand frei hatte, hielt sich wenigstens ein Ohr zu und rannte, so schnell er konnte, ins Schloss.