Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 10
Оглавление2
Am Abend darauf gingen wir zu Knut und Hanna.
“Wir haben die beiden doch erst letzte Woche gesehen“, maulte ich, als ich im Flur meinen Trenchcoat anzog.
“Irrtum, es ist fast einen Monat her. Mach ja nicht den ganzen Abend so ein Gesicht. Hanna ist meine beste Freundin.“
“Aber Knut ist nicht mein bester Freund.“
Seit Ellens Bestsellererfolg wurde sie natürlich mit Einladungen überschüttet, aber zum Glück konnte ich mich meistens davor drücken, sie zu begleiten. Der Smalltalk der Werbeleute, Schönheitschirurgen, Anlageberater und Waschmittelhersteller, die sich für die feine Düsseldorfer Gesellschaft hielten, war für mich nicht ohne Walkman mit Heavy Metal zu ertragen. Ellen fand es ganz amüsant, ein wenig im Mittelpunkt zu stehen, und sie freute sich kindisch, wenn sie ein Bild von sich in den Gesellschaftsrubriken entdeckte. Wie sich das für einen treuen Hund gehört, wich TIMO auch dort seinem Frauchen nicht von der Seite: Hinter Ellens Name tauchte in Klammern und Anführungszeichen immer der von TIMO auf.
“Bist du bald fertig?“ fragte ich Ellen, die vor dem Garderobenspiegel verschiedene Haarspangen ausprobierte.
Vanessa kam die Treppe herunter. Als sie hörte, wo wir hinwollten, meinte sie ironisch: “Viel Spaß!“ Dann verriet sie uns, dass sie noch Besuch bekommen würde.
“Von David?“ fragte Ellen.
Ein breites Lächeln erschien auf Vanessas Gesicht.
“Wann lernen wir ihn denn endlich kennen?“ wollte ich wissen. “Oder hat der Junge Angst vor uns?“
“David kommt mit seinen Ängsten besser zurecht als du“, antwortete sie schnippisch.
“Hat der Herr Professor noch einen Termin für mich frei? Was verlangt er denn für eine Analyse? Eine Tüte Chips?“
“Haarspangen finde ich bescheuert“, sagte Vanessa zu Ellen. “Wehe, ihr schenkt mir noch mal eine zu Weihnachten. Was krieg‘ ich eigentlich zu Ostern?“
“Wie wär‘s mit einem Scheck über 10.000 Mark?“ fragte ich.
“Warum bist du denn heute so blöd?“ giftete sie mich an.
“Weil er zu Knut und Hanna muss“, antwortete Ellen fürmich. Sie hatte sich für eine schwarze Spange entschieden. “Wir müssen los. Es ist schon halb acht.“
Sie gab Vanessa einen Kuss. Ich holte fünf Mark aus meinem Portemonnaie und drückte sie Vanessa in die Hand. Sie sah mich erstaunt an.
“Für den Kondomautomaten im Schlosspark“, erklärte ich.
Sie schleuderte mir den Fünfer vor die Füße, stürmte die Treppe hinauf und knallte ihre Tür zu. Ellen warf mir einen empörten Blick zu, als ich den Geldschein aufhob.
“Muss ich jetzt zur Strafe hierbleiben?“ fragte ich hoffnungsvoll.
Ellen öffnete die Haustür und ging hinaus. Ich folgte ihr. Unser Nachbar, Herr Freese, machte gerade sein Garagentor zu. Ich grüßte kurz, ging zu unserem Wagen, der am Straßenrand parkte, schloss ihn auf und stieg ein. Ellen wechselte ein paar Sätze mit Herrn Freese. Obwohl sie nur übers Wetter redeten, legte Ellen so viel Wärme und Zärtlichkeit in ihre Stimme, dass ich gerührt war. Wir fanden Herrn Freese außerordentlich sympathisch. Er war höflich und zurückhaltend und verlor kaum jemals ein Wort über sich selbst. Wie schwer er den Tod seiner Frau verwinden konnte, merkten wir lediglich daran, dass seitdem ausschließlich ihre Lieblingsblumen in seinem Garten wuchsen - weiße Rosen.
Ich ließ den Motor an. Ellen wünschte Freese einen schönen Abend und stieg ein. Er winkte uns lächelnd zu, als wir losfuhren.
Ellen hatte einen Minirock an, was meine Konzentration auf den Straßenverkehr erheblich beeinträchtigte. Schließlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und musste meine rechte Hand auf ihre Oberschenkel legen. Sie schob sie unsanft weg und brummte: “Wie alt bist du eigentlich?“
“Zu Rentner Freese warst du eben viel netter“, protestierte ich. “Weißt du übrigens, was mich als einziges an ihm stört?“
“Was denn?“
“Dass er mich immer an meinen Vater erinnert. Ich muss dauernd daran denken, dass ich diesen alten Herrn, der zufällig neben uns wohnt, tausendmal öfter sehe als den alten Herrn, der zufällig mein Vater ist.“
“Dein Vater hätte ja nicht in dieses Heim in der Eifel ziehen müssen.“
“Stimmt“, gab ich zu. “Wahrscheinlich hat er unser Angebot, zu uns zu ziehen, nicht richtig ernstgenommen.“
“Wir auch nicht.“
Wir wechselten einen schuldigen Blick und das Thema.
“Wenn mit mir eine Frau so reden würde wie du vorhin mit Freese, würde ich mich sofort in sie verlieben.“
Ellen stöhnte auf. “Wenn mir einer im Auto Schwachsinn erzählt, würde ich am liebsten das Radio anmachen.“
“Warum hat sich Vanessa eigentlich so aufgeregt, als ich ihr das Geld für Kondome gegeben habe?“
Ellen machte das Radio an.