Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 9

Оглавление

ZWEITES KAPITEL

1

Als ich vier Tage später vom Joggen nach Hause kam, rief Paul Jansen an. Er war als Redakteur für meine letzte Fernsehserie verantwortlich gewesen und hatte mittlerweile die Fronten gewechselt, wie er sich ausdrückte. Seit zwei Monaten arbeitete er für eine Kölner TV-Produktionsfirma. Ich erwartete jeden Augenblick, dass Jansen mich bitten würde, Ellen ans Telefon zu holen, aber nein: Er schien tatsächlich mit mir sprechen zu wollen. Dann fragte er mich plötzlich doch nach Ellen.

“Wie geht‘s denn Ihrer Frau?“

“Gut“, antwortete ich knapp.

“Freut mich.“

Pause. War das etwa alles?

“Wissen Sie denn nichts von ihrem Riesenerfolg mit dem Hundebuch?“ erkundigte ich mich sicherheitshalber.

“Was für ein Hundebuch?“

“Kennen Sie nicht TIMO?“

“Muss man den kennen?“

Vor Freude hätte ich beinahe den Hörer geküsst.

Wir plauderten über dies und jenes, so auch über den Niveauverfall der aktuellen Fernsehunterhaltung. Das gehörte seit mindestens fünfzehn Jahren zum Pflichtprogramm aller Gespräche zwischen Fernsehleuten. Wann würde er endlich fragen, ob ich ihm eine neue Serie anzubieten hätte? Und was würde ich darauf antworten? Aber er wollte etwas ganz anderes von mir, und als wir mit dem Smalltalk fertig waren, rückte er endlich damit raus.

“Haben Sie keine Lust, für uns zu arbeiten?“

“Sie meinen schreiben?“

“Nein, als Redakteur. Also Manuskripte lesen, mit uns zusammen neue Konzepte erarbeiten, Kontakte zu Autoren und Sendern halten und so weiter. Wir haben hier ein sehr schönes Büro für Sie mit Blick auf den Rhein. Von Düsseldorf nach Köln ist es nur eine halbe Stunde mit der Bahn. Na? Was halten Sie davon?“

“Wissen Sie, warum ich Schriftsteller geworden bin? Weil ich nie in meinem Leben von acht bis vier in einem Büro sitzen wollte.“

Jansen lachte. “Dann sind Sie bei uns genau richtig. Wir arbeiten nämlich von neun bis fünf. Sie müssen sich nicht sofort entscheiden. Reden Sie erst mit Ihrer Frau und Ihrem Sohn darüber.“

“Tochter“, berichtigte ich ihn.

“Und dann kommen Sie einfach mal vorbei und sehen sich unsern Laden an. Ich könnte Sie hier gut gebrauchen. Obwohl Sie eigentlich schon zehn Jahre zu alt sind für den Job“, fügte er hinzu.

Ich war dreiundvierzig und Jansen Mitte Fünfzig. Der letzte Satz hatte sich trotzdem nicht scherzhaft angehört.

Er gab mir seine Büro- und Privatnummer, und ich musste ihm versprechen, mich zu melden, sobald ich zu einem Entschluss gekommen war. Dann verabschiedeten wir uns.

“War das Hanna wegen des Essens morgen?“ rief Ellen aus der Küche, wo sie an ihrem neuen Bestseller schrieb.

“Nein, es war geschäftlich.“

“Warum hast du mich denn nicht gerufen?“

“Es war geschäftlich für mich.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ein bisschen Stolz in meiner Stimme mitschwang. Aber wenn ich geglaubt hatte, dass Ellen sofort sterbend vor Neugier ins Wohnzimmer stürzen würde, war das ein Irrtum gewesen. Sie blieb in der Küche und arbeitete weiter.

Erst beim Mittagessen sahen wir uns wieder. Es gab zwei Fertigmenüs aus der Tiefkühltruhe. Wenn ich mir vor dem Essen nicht die Zutatenliste durchgelesen hätte, dann hätte es mir vielleicht sogar geschmeckt.

“Wo hast du das Zeug gekauft?“ fragte ich Ellen nach dem zweiten Bissen. “In einem Chemielabor?“

“Nun erzähl schon, wer vorhin angerufen hat. Wird etwas von dir wiederholt?“

Ich schüttelte den Kopf und kaute weiter. Ellen sah mich ungeduldig an. Ich fragte nach Vanessa und erfuhr, dass sie gerade eine Radtour mit David machte. Es war ihr erster Ferientag. David hatten wir bisher immer noch nicht zu Gesicht bekommen.

Ellen fragte mich wieder nach dem Anruf, und ich fing an zu erzählen. Mein Bericht über das Gespräch mit Jansen entsprach nicht ganz der Wahrheit. Ich verriet Ellen nichts von der Hochstimmung, in die mich Jansens Angebot kurzzeitig versetzt hatte, und übertrieb ein wenig sein Interesse an mir. Was das Aufgabengebiet betraf, für das ich in der Produktionsfirma zuständig sein sollte, so grenzte ich es weniger eng ein als Jansen vorhin am Telefon. Es hörte sich für Ellen so an, als ob ohne mich künftig nichts mehr laufen würde in der deutschen Fernsehunterhaltung. Zudem deutete ich noch etwas an von einer eigenen Sekretärin und einem großen, luxuriösen Büro hoch über dem Rhein mit direktem Blick auf den Drachenfels. Ich hatte keine Skrupel, die Wahrheit auszuschmücken. Ellen kannte mich so gut, dass sie mir sowieso nie etwas richtig glaubte.

Als ich ausgeredet hatte, fragte Ellen erstaunt: “Du nimmst Jansens Angebot also an?“

“Sonst noch was?“

Es war tatsächlich mein erster Impuls gewesen, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte. Doch dann hatte ich darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass das eine Kapitulation gewesen wäre, eine Flucht vor meinem Computer, meinem Arbeitszimmer und meiner Ideenlosigkeit. Genauso pathetisch schilderte ich Ellen diese Überlegungen, und sie stimmte mir zu.

“Aber vielleicht solltest du es trotzdem mal versuchen“, riet sie mir dann. “Du kämst hier raus, würdest neue Gesichter sehen und auf andere Gedanken kommen. Schreiben kannst du ja abends oder am Wochenende, wenn dir was einfällt.“

Ich verzog das Gesicht. Jansens Angebot hatte mir deutlich gemacht, wie ich einmal enden würde, wenn ich nicht so bald wie möglich wieder etwas Brauchbares zustande brachte. So wie bisher konnte es einfach nicht weitergehen. Und darum hatte ich auch kurz nach dem Anruf bereits am Computer gesessen und in Windeseile eine Ausgangssituation mit dem dazugehörigen Personal für eine Serie entworfen. Hinterher zwang ich mich dazu, die Qualität dieses Entwurfs nicht allzu gewissenhaft nachzuprüfen. Das war sicher mein Hauptfehler gewesen im letzten halben Jahr: Ich war zu kritisch mit meinen Ideen umgegangen. Waren die Serien, die ich bisher verkauft hatte, nicht alles in allem totaler Schrott gewesen? Genau an diesen Punkt musste ich wieder gelangen: Ich musste meine Ideen als schwachsinnig akzeptieren und dennoch versuchen, Fernsehserien daraus zu entwickeln.

Ellen hörte mich kommentarlos an. lm Gegensatz zu mir liebte sie das Schreiben und konnte es nicht leiden, wenn ich so zynisch darüber redete. Und sie schien enttäuscht darüber zu sein, dass ich Jansens Angebot nicht annehmen wollte. Ob sie mir nicht mehr zutraute, jemals wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können? Ich wäre ihr deswegen nicht böse gewesen, denn im Grunde traute ich es mir selbst nicht mehr zu.

Ellen schlug mir vor, an einem der nächsten Tage nach Köln zu fahren und mir die Firma unverbindlich anzuschauen. Um ihr einen Gefallen zu tun, versprach ich es ihr.

Wir würgten die letzten Bissen hinunter.

“Ja, ich weiß, das Zeug war ekelhaft“, gab Ellen zu. “Wegen der Schreiberei komme ich einfach nicht mehr dazu, was Frisches zu kochen.“

“Dann müsste die Familie von Rosamunde Pilcher ja längst an Vitaminmangel gestorben sein.“

Kopf hoch, Kleiner!

Подняться наверх