Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 13

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Am übernächsten Vormittag saß ich im Zug nach Köln. Abends zuvor hatte ich einsehen müssen, dass es sich bei der Serienidee, die mir unmittelbar nach Jansens Anruf eingefallen war, um Schrott handelte. Nach einer unruhigen Nacht und einem sehr einsamen Frühstück hatte ich in einem Anfall von Panik Jansens Privatnummer gewählt und mich mit ihm um elf Uhr in seinem Büro verabredet. Von großer Freude über mein plötzlich erwachtes Interesse an dem Job hatte sich Jansen nichts anmerken lassen, weshalb ich sofort nach dem Auflegen meinen Anruf bereute. Aber dann machte ich mir klar, dass sich ein erledigter Autor - und dafür hielt ich mich nun endgültig - auf der Suche nach einem neuen Job keine Überempfindlichkeit leisten konnte. Sicher, TIMO brachte eine Menge Geld ein, aber ich wollte mir meinen Lebensunterhalt nicht von einem Hund bestreiten lassen, den ich nicht einmal selbst erfunden hatte.

Das Wetter in Köln passte nicht unbedingt zu der seelischen Verfassung, in der ich mich beim Verlassen des Bahnhofs befand. Es war überaus mild und der Himmel strahlend blau.

Mit Hilfe eines Stadtplans machte ich mich auf die Suche nach der Straße, in der sich die Produktionsfirma befand. Sie lag südlich der Altstadt, und es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis ich vor einer großen schwarzen Tafel mit den drei winzigen goldenen Buchstaben FIT stand, der Abkürzung für Fun International Television. Ein Architekt und ein Steuerberater residierten ebenfalls in dem sechsstöckigen Bürohaus, in dem FIT die vier oberen Etagen gemietet hatte.

Es war ein Spiegel im Lift, aber ich schaute nicht hinein. Ich wollte nicht wissen, wie ein dreiundvierzigjähriger Mann aussieht, der in wenigen Minuten das erste Vorstellungsgespräch seines Lebens führen sollte.

Die Empfangsdame schenkte mir ein strahlendes Lächeln, das mich meine Niedergeschlagenheit für einen Augenblick vergessen ließ. Ich verriet ihr meinen Namen und mit wem ich verabredet war. Sie rief Jansen an, legte auf und bat mich, einen Moment Platz zu nehmen.

Es war kein Sessel vom Sperrmüll, in dem ich langsam versank. Ich schaute mich um. Vom Empfangsraum führte ein Flur mit vier Türen auf jeder Seite zu einer Treppe mit rotem Geländer, die das Stockwerk mit den drei oberen Etagen verband. Möbel, Lampen, Teppiche, alles sah neu und teuer aus. Die Geschäfte von FIT schienen ganz gut zu laufen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass Jansen mich nun schon fünf Minuten hatte warten lassen.

In den kommenden zwanzig Minuten verschwendete die Empfangsdame ihr Lächeln an zwei gutgekleidete Frauen, die anscheinend hier arbeiteten, an einen Kurier, einen Pizzaboten, an ihren Taschenspiegel und zweimal an mich. Ich wurde immer gespannter auf die Ausrede, mit der Jansen mir hoffentlich bald seine Verspätung erklären würde. Eine Herzattacke war das mindeste, was ich als Entschuldigung zu akzeptieren bereit war.

“Hat leider etwas gedauert“, lautete dann sein lahmer Kommentar. Er hatte mich eine halbe Stunde warten lassen. Ich folgte ihm in sein Büro im obersten Stock. Vor seinem Schreibtisch sah ich Jansen zum ersten Mal richtig an. Er war grauer, faltiger und dicker geworden in den knapp drei Jahren seit unserm letzten Treffen. Verjüngt hatte sich hingegen sein Outfit - buntes Hemd und verwaschene Jeans; und seine Brille - schmale Balken statt Tropfenform.

Im Verlauf unseres Gesprächs wartete ich vergeblich auf die Frage danach, warum schon länger keine neue Serie von mir im Fernsehen gelaufen war. Ich hatte eine Auswahl von Antworten darauf parat, von denen eigentlich keine der Wahrheit besonders nahekam, doch Jansen erwähnte meine Schreiberei mit keinem Wort. Er erzählte mir, wem FIT gehörte und welche Produktionen die Firma in letzter Zeit verkauft hatte. Zumindest dem Namen nach kannte ich die Gameshow, die drei Unterhaltungsserien und die Reality-TV-Reihe, deren Titel er mir nannte. Es war nichts darunter, was riesigen Erfolg gehabt hatte, aber auch kein ausgesprochener Flop.

“Solide Durchschnittsware für solide Einschaltquoten – so würde wohl der Wappenspruch von FIT lauten, wenn wir ein Wappen hätten“, erklärte mir Jansen, während er seine Pfeife stopfte. “Also genau das, was wir beide mit DOPPELT GEMOPPELT abgeliefert haben.“

So hieß die sechsundzwanzigteilige Serie - meine bisher letzte -, für die Jansen als Redakteur verantwortlich gewesen war. Er verriet mir nicht, warum er seinen alten ARD Sender verlassen hatte und zu FIT gewechselt war, und ich fragte ihn auch nicht danach. Unsere Beziehung war nie besonders persönlich gewesen. Wenn wir uns getroffen oder miteinander telefoniert hatten, war es nur um die Serie gegangen. Ich dachte an die simple Ausgangsidee von DOPPELT GEMOPPELT. In der einen Hälfte eines Doppelhauses lebte die chaotische Familie eines Bildhauers, in der anderen die ordentliche Familie eines Beamten. Klischeehafte Charaktere, vorhersehbare Konflikte – aber fast acht Millionen Zuschauer pro Woche. Was hatte ich seitdem verlernt, verdammt nochmal?

Jansen erläuterte mir ausführlich, was alles zu meinem Job gehören sollte - Drehbücher lesen, Manuskripte für bereits verkaufte Serien drehfertig überarbeiten, bei der Entwicklung neuer Unterhaltungskonzepte mitarbeiten, bestehende Kontakte zu Autoren, Regisseuren und Sendern pflegen und neue aufbauen und so weiter.

“Klingt nach ziemlich viel Arbeit“, sagte Jansen lächelnd und zog an seiner Pfeife. “Aber für 25.000 Mark im Monat können wir wohl einiges verlangen, oder?“

25.000 Mark? lm Monat? Dafür hätte ich sogar als Putzfrau für FIT gearbeitet. Als er mich fragte, ob er mir mein Büro zeigen sollte, sprang ich sofort auf.

Ich folgte ihm eine Etage tiefer. Fast alle Türen standen offen, ich hörte Stimmengewirr und Telefongeklingel, Leute gingen von einem Büro ins andere, zwei Fernseher liefen mit lautem Ton. Jansen wurde von einem langhaarigen, jungen Mann angehalten, der sich darüber aufregte, dass ein Schlagersänger, den ich für längst gestorben gehalten hatte, nicht zu der kurz bevorstehenden Aufzeichnung einer Musikshow erscheinen konnte.

“Das wundert mich“, meinte Jansen gelassen. “Um mal wieder ins Fernsehen zu kommen, würde der doch sogar aus einer Intensivstation abhauen.“

Dann sagte er dem Langhaarigen, wo er anrufen solle, um schnellstens Ersatz auftreiben zu können. Der Mann verschwand, und Jansen ging mit mir zum Ende des Flurs und öffnete die rechte Tür.

Es war ein ziemlich kleines Zimmer mit zwei gegenüberstehenden Schreibtischen.

“Frau Heise, Ihre Mitarbeiterin, ist heute leider nicht da. Ich denke, Sie werden gut mit ihr klarkommen.“

Ich hatte also doch nicht geschwindelt, als ich Ellen gegenüber damit geprahlt hatte, Jansen würde mir eine eigene Sekretärin zur Verfügung stellen. Allerdings war ich ein bisschen enttäuscht, dass sie nicht in einem Vorzimmer untergebracht war, sondern mir gegenübersaß.

Ich ging zum Fenster und prüfte den Ausblick.

“Wie war das noch mit dem Blick auf den Rhein?“ fragte ich Jansen.

Er lachte, steckte die Pfeife in den Mund und machte das Fenster auf. “Sehen Sie da hinten links?“

Ich musste mich lebensgefährlich weit hinausbeugen, um zwischen zwei Häuserwänden ein winziges Stück Rhein entdecken zu können. Jansen amüsierte sich über meinen Gesichtsausdruck.

“Also, was meinen Sie? Wenn Sie Lust haben, können Sie am Montag hier anfangen.“

Ich schloss das Fenster und schaute mich um. Jeden Tag acht Stunden in diesem Büro sitzen - unvorstellbar! Aber ich hatte keine Wahl, schon gar nicht bei dem Geld.

“Am Montag um neun bin ich hier.“

Er sah mich nachdenklich an. Dann legte er mir eine Hand auf die Schulter. “Wenn Sie nicht mit der Arbeit zurechtkommen, können Sie gerne sofort wieder gehen.“

Ich nickte. Das hörte sich nicht so an, als sei Jansens Vertrauen in mich übermäßig groß. Warum hatte er mir den Job überhaupt angeboten?

Er ging zur Tür, blieb stehen und zeigte auf den Kalender. “Sie wissen doch, was heute für ein Tag ist, oder?“

Ich sah ihn fragend an. Er grinste.

“Haben Sie das wirklich geglaubt mit den 15.000 im Monat? 3.500, mein Lieber, mehr bekommt hier niemand am Anfang. In drei Monaten sehen wir dann weiter.“

Ich schaute auf den Kalender. Es war der 1. April.

Kopf hoch, Kleiner!

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