Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 15

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Toronto ahnte natürlich nichts davon, dass wir zum letzten Mal zusammen joggten. Es war wieder etwas kühler geworden, und am Himmel zogen sich dunkle Wolken zusammen. Als ich mir zu Hause die Turnschuhe zugeschnürt hatte, war ich entschlossen gewesen, ihm endlich die Wahrheit über mich zu sagen und ihm zu erklären, warum ich in der nächsten Zeit nicht mehr zum Joggen kommen würde. Ich wollte ihm vorschlagen, unsere Namen und Telefonnummern auszutauschen, damit wir uns gelegentlich auf ein Bier hätten verabreden können. Doch als er dann im Schlosspark neben mir auftauchte und nach meinem Roman fragte, erzählte ich ihm die letzten zwei Kapitel vom GROSSEN GATSBY und freute mich wie ein kleines Kind, als er mich lobte für diesen wirklich originellen Schluss. Den Frauengeschichten und seinen Millionen, mit denen Toronto mich beeindruckte, hatte ich halt nichts anderes entgegenzusetzen als diesen geklauten Roman.

Während wir am Rhein entlangliefen, erzählte mir Toronto von seiner letzten Orgie.

“Eigentlich ist es nichts anderes als Stress, mit drei Frauen gleichzeitig ins Bett zu gehen“, beklagte er sich. “Das war vielleicht eine anstrengende Nacht!“

Ich empfand so viel Mitleid wie für einen Milliardär, der gerade sechs Richtige auf seinem Lottoschein entdeckt hat.

“Überall Beine und Brüste und Hintern und . . .“ Er stieß einen Seufzer aus. “Da weiß man gar nicht, wo man zuerst anfassen soll. Sie wissen ja sicher, wie das ist.“

Klar! Schließlich hatte ich mindestens einmal in der Woche Gruppensex.

Toronto verlor sich in sämtlichen Einzelheiten. Ich redete mir ein, dass ich im Grunde froh sein sollte, diesem angeberischen Deckhengst zum letzten Mal zuhören zu müssen. Doch nur seinem Geschwätz hatte ich es in den letzten Wochen zu verdanken, dass ich täglich eine Stunde lang meinen Frust völlig vergessen konnte. Ja, ich mochte diesen dekadenten Geldsack, der am liebsten alle Hunde in Düsseldorf mit einem Maschinengewehr erledigt hätte. Konnte ich nicht doch in Verbindung mit ihm bleiben, ohne ihm die Wahrheit über mich sagen zu müssen?

Der Kontakt mit anderen Menschen machte mir Probleme. Ellen behauptete manchmal, verglichen mit mir sei Molières Menschenfeind ein Partylöwe. Außer meiner Familie stand mir nur mein alter Freund Oliver wirklich nahe. Mit Knut und zwei, drei anderen verabredete ich mich nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Auf Ellens und Vanessas Witze über mein Einsiedlerleben reagierte ich meist mit dem Spruch, meine Bücher seien meine besten Freunde. Allerdings blieben die selbst nach dem zehnten Bier so stumm wie ein Fisch.

Mit Toronto hatte ich endlich jemanden, den ich länger als drei Stunden im Jahr ertragen konnte, aber durch die Angst, mich bloßzustellen, würde ich ihn an diesem Vormittag wahrscheinlich zum letzten Mal sehen. Ich ballte beim Laufen die Fäuste, so wütend war ich auf mich selbst, auf Timo, auf Gatsby und auf die ganze verlorene Zeit seit meiner letzten Fernsehserie vor zwei Jahren.

Mitten im Bericht über seinen fünften Orgasmus unterbrach sich Toronto und schimpfte: “Mist! Es fängt an zu regnen. Bis Montag!“

Er nickte mir zu, hob kurz eine Hand und bog in die Kurve. Ich blieb stehen und schaute ihm nach, bis er zwischen den Bäumen verschwunden war. Ich hätte heulen können vor Enttäuschung. Der Regen wurde immer stärker. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich zu einem Entschluss durchgerungen hatte. Ich presste die Lippen zusammen und rannte Toronto hinterher. Kurz darauf sah ich ihn etwa fünfzig Meter vor mir auftauchen. Ich lief noch schneller, um ihn einzuholen. Plötzlich drehte er sich um und machte ein erstauntes Gesicht.

“Was ist los?“

Ich verlangsamte mein Tempo, hob die rechte Hand und rief: “Bis Montag!“

Und dann bog ich in den nächsten Seitenweg ein.

Kopf hoch, Kleiner!

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