Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 17
ОглавлениеDRITTES KAPITEL
1
Mein erster Arbeitstag begann damit, dass Jansen mich meinen neuen Kollegen vorstellte, allerdings nur denen, die auf derselben Etage wie ich ihre Büros hatten. Mit jeder Hand, die ich schüttelte, kam ich mir zehn Jahre älter vor, denn fast alle Redakteure waren Mitte bis Ende Zwanzig. Nur Herr Aumüller schien immerhin schon Mitte Dreißig zu sein, und das war vielleicht der Grund, weshalb er mir auf Anhieb sympathisch war und ich mir seinen Namen merkte.
Jansen ließ mich kurz in meinem Büro alleine und kam dann mit einem Stapel Manuskripte zurück.
“Die sind uns in den letzten vierzehn Tagen angeboten worden“, erklärte er und ließ den Stapel auf meinen Schreibtisch fallen. “Schauen Sie mal nach, ob was Brauchbares dabei ist. Am meisten sind wir an Comedy-Stoffen interessiert. Wo bleibt denn Frau Heise?“
“Die ist zum Arzt“, rief Aumüller im Vorbeigehen herein.
“Schon wieder?“ Jansen verzog das Gesicht. “Also, wenn Sie etwas Geniales entdecken, dann schreien Sie“, forderte er mich auf und ging zur Tür.
Jetzt war der richtige Zeitpunkt für meinen Satz. Er klang genauso beiläufig, wie ich es im Zug geprobt hatte. “Meine Frau hat mir übrigens verraten, warum Sie mir den Job angeboten haben.“
Alles andere als verunsichert lächelte Jansen mich an. Er wollte etwas sagen, steckte sich dann aber die Pfeife in den Mund und ging hinaus. Ich wartete eine Minute, dann stand ich auf und machte die Tür zu.
Ich schaute mich um.
Ja, mein Büro gefiel mir. Es war zwar klein und spärlich möbliert, das Bild an der Wand hatte ein Blinder gemalt, und das Tapetenmuster durfte man nicht zu lange betrachten, wenn man keine Kopfschmerzen kriegen wollte. Aber das Wichtigste war, in diesem Raum musste ich mir meine Arbeit nicht selbst ausdenken, sondern bekam gesagt, was ich zu tun hatte. Dieses völlig neue Gefühl beschwingte mich so sehr, dass ich mich allen Ernstes fragte, warum ich meine Schreiberei nicht schon viel früher aufgegeben hatte.
Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Bei der Lektüre des zweiten Drehbuchs fragte ich mich bereits, was ich hier eigentlich zu suchen hatte. Ich blätterte schnell die anderen Manuskripte durch. Fast alles waren Comedy-Serien, doch komisch an ihnen waren nur die Grammatikfehler. Gegen eine solche Konkurrenz sollte ich keine Chance mehr haben? Warum verschwand ich nicht sofort aus diesem Büro und verbarrikadierte mich in meinem Arbeitszimmer, um all diesen Möchtegern-Drehbuchautoren zu zeigen, welches Minimalniveau eine Fernsehserie haben sollte?
Meine Sekretärin kam herein. Sie ließ die Tür offen, stellte die Handtasche auf ihren Schreibtisch, zog ihren roten Anorak aus und hängte ihn an einen Haken. Erst dann schenkte sie mir Beachtung. Sie war Mitte Zwanzig, schlank, hatte kurze braune Haare, keck geschnitten, und trug eine weiße Bluse über einer schwarzen Jeans. Vor allem war sie groß. Um auf sie hinabsehen zu können, hätte ich auf den Schreibtisch klettern müssen. Distanziert und doch neugierig musterten mich ihre blauen Augen. Dabei hatte sie einen Blick, dem Männer nicht lange standhalten konnten. Männer wie ich jedenfalls.
Ich erhob mich und gab ihr die Hand.
“Conrady“, stellte ich mich vor. “Frau Heise, nehme ich an?“
“Erraten. Und Sie sind also das Herrchen von Timo.“
Ich lachte gezwungen.
“Jansen hat Sie uns so angekündigt“, erklärte sie und holte ein Taschentuch aus ihrem Anorak. “Hier wissen alle Bescheid, dass Ihre Frau Jansen erpresst hat mit den TIMO- Rechten. Ich sag‘ Ihnen das, damit Sie den Witz verstehen, wenn Sie nachher auf der Toilette einen Ihrer neuen Kollegen knurren oder winseln hören.“
Sie putzte sich die Nase.
“Rauchen Sie?“
Ich verneinte.
“Ein Glück. Sonst wären Sie vielleicht geknickt gewesen, wenn ich Ihnen das Rauchen hier verboten hätte.“
Ganz schön frech für eine Sekretärin, dachte ich. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, der meinem gegenüberstand, und zeigte auf den Stapel Manuskripte vor mir.
“Irgendwas Vernünftiges dabei?“ wollte sie wissen.
“Alles nur Schrott.“
“Gut erkannt“, lobte sie mich mit einem spitzbübischen Lächeln. “Den Stapel bekommt jeder, der hier anfängt. Und wenn er dann behauptet, er hätte darunter was ganz Tolles entdeckt, darf er gleich wieder gehen. Eine Art Einstellungstest von Jansen. Sie kennen ihn von früher? Ach ja, Sie haben ja diese DOPPELT-GEMOPPELT-Serie geschrieben, stimmt‘s?“
“Unter anderem.“
“Sie müssen nicht den ganzen Tag am Fenster stehen. Warum setzen Sie sich nicht wieder in Ihren Sessel?“
Weil es von diesem Platz aus weit schwieriger sein würde, ihren Blicken auszuweichen.
“Wie ist das denn so, mit einer Bestsellerautorin verheiratet zu sein?“
“Ist das hier ein Kreuzverhör?“
Sie zog lachend eine Schublade auf, holte ein Manuskript heraus und warf es auf meinen Schreibtisch.
Hier, bis heute Abend muss das drehfertig sein“, befahl sie mir in einem Ton, als hätte sie mich gerade auf einem Sklavenmarkt im Sonderangebot gekauft. “Gehen Sie es Seite für Seite sorgfältig durch. Wenn Sie fertig sind, muss es hoch zu Jansen. Viel Spaß!“
Ich drehte ihr den Rücken zu, steckte die Hände in die Hosentaschen und schaute hinaus. Es war ein stürmischer grauer Apriltag. Ellen hatte mir am Morgen geraten, den Schirm mitzunehmen. Beim Aussteigen hatte ich ihn im Zug liegengelassen. Was würde Ellen dazu sagen, dass Timos Herrchen eine Sekretärin hatte, die ihn wie einen Hund behandelte? Diese Frau war unmöglich! Wo hatte sie ihre Ausbildung gemacht? Im Vorzimmer von Saddam Hussein?
“Werden Sie hier dafür bezahlt, dass Sie die Aussicht genießen?“
Ich ballte die Fäuste in den Taschen und drehte mich langsam um. Sie saß zurückgelehnt mit verschränkten Armen da und grinste mich herausfordernd an. Sogar im Sitzen sah sie groß aus. Ich musste ihr schnellstens klarmachen, wer von uns beiden die Sekretärin war.
“Ich brauch‘ einen Kaffee“, sagte ich barsch und ließ mich betont lässig auf meinem Sessel nieder.
“Den Flur entlang, eine Treppe runter, drei Meter links, und schon stehen Sie vor einem großen schwarzen Kasten mit der Aufschrift KAFFEEAUTOMAT. Wissen Sie, wie man einen Becher unter den Strahl hält? Es funktioniert ungefähr so wie bei einer Urinprobe. Übrigens schmeckt der Kaffee auch so ähnlich.“
Ich sah sie kurz an. Dann stand ich auf, ging zur Tür, die immer noch offenstand, und knallte sie zu. Das heißt, ich wollte sie zuknallen, aber im letzten Moment wurde mir bewusst, wie albern das aussehen würde. So leise hatte ich noch nie eine Tür geschlossen.
Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und schob das Manuskript, das sie mir rübergeworfen hatte, ganz weit von mir weg.
“Verbinden Sie mich bitte mit meiner Frau.“
So hatten die Chefs in meinen Serien immer mit ihren Sekretärinnen gesprochen. Ich wunderte mich, wie fest meine Stimme klang. Ich gab ihr unsere Nummer und sah sie dabei entschlossen an. Das wirkte. Ohne zu zögern griff sie zum Hörer und wählte. Ich nickte zufrieden.
“Heise am Apparat.“
Ich streckte die Hand nach dem Hörer aus.
“Kommen Sie bitte mal runter? Danke.“
Und schon legte sie wieder auf, lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und zielte mit ihren blauen Pfeilen auf mich.
“Was soll das?“ fragte ich sie unsicher. Meine Hand schwebte immer noch in der Luft. In Zeitlupe ließ ich sie unter meinem Schreibtisch verschwinden.
Kurz darauf erschien Jansen in unserem Büro.
“Was gibt‘s denn?“ fragte er Frau Heise.
“Könnten Sie bitte Herrn Timo fragen, wofür er mich eigentlich hält?“
Jansen sah mich gereizt an.
“Ist sie denn nicht meine Sekretärin?“ erkundigte ich mich bei ihm.
Jansen stöhnte auf und eilte zur Tür. “Leute, ich ersticke da oben in Arbeit. Verschont mich bloß mit so einem Quatsch!“
Der Blick, den er mir beim Hinausgehen zuwarf, war so eisig, dass man damit ein Kilo Möhren hätte einfrieren können.
“Ich muss ihn irgendwie falsch verstanden haben“, versuchte ich Frau Heise zu erklären. “Er hat mir nämlich gesagt . . .“
Sie stand auf.
“Ich brauch‘ jetzt einen Kaffee. Soll ich Ihnen auch einen mitbringen?“
Ich nickte.
“Milch? Zucker? Süßstoff? Schwarz?“
Ich nickte wieder. Sie war so unheimlich groß. Und ich war so wahnsinnig blöd.