Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 16
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Am Sonntag lernte ich endlich David kennen. Ich saß in meinem Arbeitszimmer, um Abschied zu nehmen. Ab Morgen war ich kein freier Schriftsteller mehr. Im Zweikampf zwischen Melancholie und Erleichterung behielt die Erleichterung die Oberhand.
Vanessa klopfte an, ehe sie Hand in Hand mit David hereinkam.
“Hallo, Paps. Das ist David. Und das ist mein Vater.“
Nach Vanessas Erzählungen hatte ich ihn mir ganz anders vorgestellt: blass, schüchtern, mit einer schlauen Nickelbrille und ganz viel Akne. David war jedoch groß und sportlich, hatte ein Gebiss wie der Kerl auf meiner Zahnpastatube und durchbohrte mich beim Händeschütteln mit einem so intensiven Blick, dass mein Blick irritiert zu seiner Baseballmütze wanderte.
“Ich helfe Mutti, das Abendessen vorzubereiten“, sagte Vanessa, wobei sie sich anhörte, als hatte sie gerade ihre Stimmbänder auswechseln lassen. Sie klang zwei Oktaven höher als sonst. “Du hast doch nichts dagegen, dass David mit uns isst, oder?“
“Macht aber bloß nichts Besonderes meinetwegen“, meinte David herablassend, schlang seine Arme um Vanessa und küsste sie. Ich las die Aufschrift auf der Rückseite seines Sweatshirts ungefähr zwanzigmal, dann waren die beiden endlich fertig mit ihrer Küsserei.
“Kann er bis zum Essen hierbleiben?“ flötete Vanessa, “oder wolltest du noch etwas arbeiten?“
“Sicher.“
Ich war allein mit David und bot ihm den Stuhl am Fenster an. Er wollte sich erst die Bücher ansehen und ging langsam mit schräg gehaltenem Kopf die Regale entlang. Entweder er kannte oder er mochte die Bücher nicht, jedenfalls verlor er kein Wort über meine Bibliothek. Er setzte sich auf den Stuhl und starrte mich durchdringend an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und fragte ihn nach seinem Alter.
“Ja, ich weiß, ich seh‘ älter aus“, meinte er lächelnd.
“Aber ich bin wirklich erst sechzehn. Ist bestimmt ein komisches Gefühl für Sie.“
“Dass du aussiehst wie fünfunddreißig?“
“Nein, dass Ihre Tochter einen Freund hat. Soweit ich weiß, bin ich der erste. Das heißt, der erste richtige. Vanessa ist eigentlich auch meine erste richtige Freundin. Im Ernst. Klar, ich bin gut drauf und seh‘ nicht gerade schlecht aus, aber irgendwie - o.k., ich will ganz offen sein, eine Zeitlang hab‘ ich das Gefühl gehabt, ich wär schwul.“
Ich machte ein ungläubiges Gesicht.
“Doch, ehrlich. Mein bester Freund Thomas und ich, wir beide sind ziemlich lange - na ja, erst haben wir uns immer so angetatscht und dann damit angefangen, uns gegenseitig zu befriedigen. Sie kennen so was bestimmt auch von früher, hab‘ ich Recht?“
Hatte er. Ich schüttelte dennoch leicht den Kopf.
“Wirklich nicht?“ stutzte er. “Es ist doch statistisch erwiesen, dass achtzig Prozent aller Jungs - na ja, egal. Jedenfalls hat Thomas den Kochlöffeltest erfunden, um rauszukriegen, ob wir nun schwul sind oder nicht. Ist natürlich total naiv gewesen, aber da waren wir noch dreizehn, also Kids. Wir haben den Stiel vom Kochlöffel mit Butter beschmiert und ihn uns gegenseitig in den Hintern gesteckt. - Schockiert Sie das jetzt? Wir wollten bloß sehen, ob uns das Spaß macht. Danach haben wir beschlossen, dass wir nicht schwul sind. Obwohl es uns doch irgendwie Spaß gemacht hat. Es war völlig idiotisch. Thomas hat jetzt auch ‘ne Freundin.“
Immerhin konnte ich nicht behaupten, dass David mir kein Vertrauen schenkte. Wir kannten uns seit fünf Minuten. Vanessa kannte ich seit vierzehn Jahren, und sie verriet mir nicht mal den Namen ihres Shampoos.
“Keine Angst“, beruhigte ich David. “Vanessa erzähl‘ ich natürlich kein Wort davon.“
Er winkte ab. “Das weiß sie längst.“
“Im Ernst?“
“Kennen Sie William Blake?“
“Nein.“
“Dachte ich mir.“ Er ließ einen spöttischen Blick über meine Bücher schweifen. “Ein Autor aus dem 18. Jahrhundert. Es gibt da eine Stelle in seiner VERMÄHLUNG VON HIMMEL UND HÖLLE. Hören Sie zu: ‘Eher morde ein Kind in der Wiege, als zu nähren ungelebtes Begehren.‘ Und da halte ich mich dran, egal, ob die Leute damit klarkommen oder nicht. Natürlich bringe ich kein Kind um. Das heißt ja auch nur, dass man seine Wünsche entweder ausleben oder besser sofort drangeben soll. Meinen Eltern hab‘ ich die Geschichte mit Thomas natürlich auch erzählt.“
“Und was haben die dazu gesagt?“
“Meine Mutter hat sofort alle Kochlöffel weggeschmissen und neue gekauft.“
“Du siehst wirklich nicht aus wie sechzehn“, schweifte ich ab.
“Wenn Sie es nicht ertragen können, dass ich Vanessa vor Ihren Augen küsse, dann rühr‘ ich sie nicht mehr an, wenn Sie dabei sind, o.k.? Und jetzt lassen Sie uns mal darüber reden, warum Sie nicht mehr schreiben können.
Nein, Sie brauchen sich nicht aufs Sofa zu legen. Solche Methoden sind echt überholt. Also, womit wollen Sie anfangen? Mit Ihrer Mutter? Was war sie für ein Mensch?“
“Eine Frau.“