Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 11

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Bei Knut und Hanna gab es als Hauptgericht einen ausgezeichneten Gemüseauflauf und zum Nachtisch Knuts zähe Anekdoten über seine Kunden - er arbeitete in der Kreditabteilung einer großen Bank - und Hannas Klagen über die Zerstörung der Umwelt. je nachdem, wer von beiden gerade sprach, musste ich entweder lächelnd den Kopf schütteln oder mit düsterer Miene vor mich hin nicken. Knut und Hanna waren eigentlich sehr nett, aber außer Ellen, Vanessa, Steve Martin und Dostojewski konnte mich kaum jemand auf der Welt länger als zehn Minuten unterhalten.

Natürlich erkundigten sie sich auch nach Ellens Fortschritten mit ihrem neuen TIMO-Buch. Sie wollten unbedingt wissen, wovon die neuen Geschichten handeln. Aber nicht einmal mir hatte Ellen bisher etwas darüber verraten. Sie vertröstete die beiden auf das Freiexemplar, das sie in vier, fünf Monaten in den Händen halten würden. Dann erzählte sie ihnen von Jansens Anruf und von dem Angebot, das er mir gemacht hatte.

“Und da zögerst du noch?“ rief Knut verwundert aus.

“Greif ja zu, Achim! Dann hast du einen sicheren Job für deine alten Tage. Oder willst du für den Rest deines Lebens so einen Mist schreiben wie deine Vorabendserien?“

Ich wäre froh gewesen, wenn ich noch einmal auch nur drei Seiten von einem solchen Mist hätte zustande bringen können. Aber das verriet ich ihm natürlich nicht. Die beiden hatten keine Ahnung, dass mir schon länger nichts mehr eingefallen war, und ich hoffte, dass Ellen es ihnenauch jetzt nicht erzählen würde.

Nach dem dritten Glas Wein musste ich Knut in seinen Hobbykeller begleiten, wo er mir das Buddelschiff zeigte, an dem er gerade bastelte.

“Wird bestimmt toll“, meinte ich und unterdrückte dabei ein Gähnen.

“Genauso toll wie die andern zwanzig Schiffe!“ fuhr mich Knut so unerwartet barsch an, dass ich erschrocken zusammenzuckte. “In jeder freien Minute habe ich mich mit diesem Mist beschäftigt. Wieso hat mir nie jemand gesagt, was das für ein Quatsch ist? lm Sommer werde ich fünfundvierzig, verdammt noch mal! Und was hab' ich geschaffen? Buddelschiffe!“

Er sah mich so traurig an, dass ich aufhörte zu grinsen. Dann drehte er mir den Rücken zu. Ich sah mir die Buddelschiffe auf den Regalen an und fragte mich, was mit Knut geschehen war, dass er plötzlich zu solch existentiellen Erkenntnissen gelangen konnte. Der einzige Philosoph, mit dem er sich je beschäftigt hatte, war Captain Cook.

Eigentlich war mir Knut so gleichgültig wie die Farbe unserer Badezimmerkacheln. Er hörte einem nie zu, nervte jeden mit seinen endlosen Geschichten ohne irgendwelche Pointen und hatte so viel Feingefühl wie eine Handgranate. An dem Abend, als ich vom plötzlichen Tod meiner Mutter erfuhr, erzählte er mir zum Trost, wie miserabel er sich gefühlt hatte, nachdem er einmal auf der Autobahn einen Hasen überfahren hatte. Ich schmiss ihn damals raus, weil ich diese Art von Feingefühl nicht ertragen konnte.

Und jetzt stand er da wie ein Häufchen Elend und tat mir Leid. Seit fast zwei Minuten hatte er nichts gesagt - so lange hintereinander hatte ich ihn bis dahin noch nie schweigen gehört. Es musste also tatsächlich irgendwas Schlimmes passiert sein.

“Was ist denn los, Alter?“ fragte ich ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. Er schüttelte sie ab.

Nach einer Weile stieß er einen Seufzer aus und fragte leise: “Hast du Ellen schon mal betrogen?“

“Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Er drehte sich langsam um und sah mich kopfschüttelnd an. “Ist das nicht furchtbar? Ich hab' Hanna auch noch nie betrogen. Seit fünfzehn Jahren sind wir jetzt verheiratet, und ich Idiot war ihr die ganze Zeit treu.“

“Und die Nacht in diesem Frankfurter Puff mit deinen Kollegen?“

“Da war ich besoffen.“

“Und was war mit der Urlaubsvertretung deiner Sekretärin?“

Er winkte ab. “Das ging ja nur zwei Wochen. Aber ich hab‘ mich seit fünfzehn Jahren in keine andere Frau mehr verliebt. Richtig verliebt, verstehst du? Mit Herzklopfen, Schlaflosigkeit und Bauchschmerzen.“

Plötzlich strahlte er übers ganze Gesicht. Ich verstand sofort.

“Wie heißt sie denn?“

Und schon sprudelte es aus ihm heraus. Sie hieß Tanja, war

Friseurin und hatte Knut vor einer Woche die Haare geschnitten. Zehn Minuten lang schwärmte er von ihrer Figur, um dann anschließend zu beteuern: “Aber glaub mir, Achim, eigentlich spielt ihr Aussehen gar keine Rolle.“

Ich runzelte die Stirn.

“Na schön, ich geb‘s zu. Ich kann nicht mehr einschlafen, weil ich dauernd an sie denken muss. An ihre Lippen, ihren Körper. In jeder Mittagspause renne ich zehnmal an ihrem Salon vorbei. Und wenn sie einen Minirock anhat oder ein enges T-Shirt . . .“ Seine Augen glänzten, als hätte er gerade eine Ladung Koks geschnupft. “Aber es geht um mehr. Ehrlich! Tanja ist irgendwie - wie soll ich sagen? Sie kann so gut zuhören, obwohl sie erst Anfang Zwanzig ist. Ich habe das Gefühl, als könnte ich über alles mit ihr reden.“

Wenn ich ihn darauf hingewiesen hätte, dass Friseurinnen genau wie Gastwirte ihre Ohren abschalten, wenn die Kunden anfangen ihre privaten Geschichten zu erzählen, hätte er mich mit seinem größten Buddelschiff erschlagen.

“Ich muss mich einfach mit ihr treffen, Achim, sonst werde ich wahnsinnig. Aber wie soll ich das bloß anstellen? Sie ist so verdammt jung. Und ich? Sieh mich an!“

Halbglatze, Tränensäcke, Bierbauch und mit Sicherheit Krampfadern. Er besaß so viel Charme wie ein kaputter Rasenmäher. Die Sache war absolut hoffnungslos.

“Schick ihr jeden Tag Blumen“, schlug ich vor, weil mir nichts Besseres einfiel.

Knut hämmerte mir vor Begeisterung beide Fäuste auf die Schultern. “Na klar, Blumen! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das ist die Idee, Achim! Eine Woche lang werde ich sie überschütten mit Blumen. Und dann lass ich mir wieder die Haare von ihr schneiden und verrate ihr, dass die Blumen von mir waren. Und dann schlage ich einfach eine Verabredung vor. Was meinst du, wie sie darauf reagieren wird?“

Mit einem Lachkrampf, dachte ich.

“Sie wird bestimmt nicht nein sagen.“

So glücklich hatte mich Knut noch nie angelächelt. Hatte er denn keine Schuldgefühle wegen Hanna?

“Und was ist mit Hanna?“

Er verstand meine Frage ganz anders.

“Kein Problem“, meinte er locker. “Die hat natürlich keinen Schimmer, was mit mir los ist. Du kennst sie doch. Sie ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Außerdem würde sie mir so was nie im Leben zutrauen. Ist das nicht wahnsinnig komisch? Seit fünfzehn Jahren verheiratet – und meine Frau versteht so viel von mir wie ich von Molekularbiologie!“

Kopf hoch, Kleiner!

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