Читать книгу Kopf hoch, Kleiner! - Christian Bieniek - Страница 7

Оглавление

2

Vielleicht lag es an diesem verdammten Computer, dass mir nichts mehr einfiel. Vor zwei Jahren hatte ich mir das Ding zugelegt und seitdem keinen Pfennig mehr verdient. Die drei oder vier Serienexposés, die ich auf dem Computer geschrieben hatte, waren völlig daneben. Ich bekam einen Ablehnungsbrief nach dem anderen. Alle waren so freundlich formuliert, dass ich zunächst gar nicht registrierte, wie sie mich zunehmend entmutigten. So tüftelte ich weiter an neuen Exposés herum, bis ich dann vor etwa einem halben Jahr entdeckte, dass ich keine Lust oder keine Kraft mehr zum Schreiben hatte. jeden Morgen versuchte ich es zwar aufs Neue, aber ich brachte einfach nichts zustande, was ich für Wert gehalten hätte, mir vom Computer ausdrucken zu lassen. Hatte sich meine Kreativität nur ein paar Monate Urlaub genommen? Oder war sie etwa endgültig in Rente gegangen?

Das fragte ich mich auch jetzt, als ich - immer noch im Kimono - am Fenster meines Arbeitszimmers stand und in unsern Garten hinaussah. Vanessa hatte vor zehn Minuten das Haus verlassen, Ellen lag noch im Bett. Ich war allein mit dem Computer, den ich erst anmachen wollte, wenn etwas in meinem Gehirn auftauchte, was ich ohne jede Selbsttäuschung als Einfall bezeichnen konnte. Oder sollte ich auf den Speicher gehen und meine alte Schreibmaschine suchen? Ich beschloss, es erst einmal mit dem Tigergang zu versuchen. Also stieg ich aus den Hausschuhen, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging zwischen dem Fenster und der Tür hin und her. Nach fünf Minuten hatte ich tatsächlich eine Idee: die Hausschuhe wieder anzuziehen, weil ich an den Füßen fror.

Und jetzt? Keine Ahnung. Ich hatte in den letzten Monaten schon alles ausprobiert: Alkohol, Tabletten, Räucherstäbchen, Bach-Kantaten, Yoga und eine Überdosis Bananen. Ich hatte mich mit einer dicken Kladde auf dem Schoß in Parks, Cafés, Kneipen, Museen, Kirchen und Tiefgaragen gesetzt - ohne Erfolg. Was brauchte Ellen zum Schreiben? Den Küchentisch, einen Block und einen Kuli.

Ich stellte den Schreibtischsessel ans Fenster, ließ mich reinfallen und legte die Füße auf die Heizung. Der Bernhardiner von Herrn Freese, der die andere Hälfte unseres Doppelhauses bewohnte, bellte im Garten nebenan. Ich bin kein Hundefreund, seit Timo hasse ich Hunde.

Timo! Ich hatte mir doch geschworen, zumindest in meinem Arbeitszimmer keinen Gedanken mehr an ihn zu verschwenden. Vielleicht sollte ich einfach meine Koffer packen und mich für einige Wochen auf die Insel Baltrum zurückziehen. Dort schien das richtige Klima für gute Einfälle zu herrschen. im vorletzten Sommer hatte Ellen mit ihrer Freundin Hanna zwei Wochen auf Baltrum verbracht. Braungebrannt und mit einer seltsamen Idee im Kopf war sie wiedergekommen: Sie wollte ein Buch mit Geschichten über einen kleinen Hund schreiben. Ich bekam fast einen Lachkrampf, als sie mir davon erzählte, doch einen Monat später lachte ich schon etwas leiser, nachdem ich ihre ersten Hundestories gelesen hatte. Und dann kam Ende letzten Jahres der Tag, an dem ich das Lachen fast verlernte TIMO - EIN HUNDELEBEN tauchte an der Spitze der Bestsellerliste auf.

Timo sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Terrier und einer zerquetschten Bierdose und philosophierte wie eine Mischung aus La Rochefoucauld und Peter Frankenfeld.

Ellen gab in einer Woche mehr Interviews als ich in meinem ganzen Leben. Und fast jedes Mal wurde sie gefragt, was ihr Mann beruflich machen würde. Anscheinend konnte sich kein Mensch mehr daran erinnern, dass Achim Conrady der Autor von drei Fernsehserien war, die vor gar nicht allzu langer Zeit ganz passable Einschaltquoten erzielt hatten (und sogar zwei gute Kritiken).

Der Witz an Ellens Erfolg war, dass sie vor ihrem Hundebuch noch nie etwas geschrieben hatte, abgesehen von den regelmäßigen Briefen an ihre Mutter. Wie konnte sie einfach so einen Bestseller schreiben? Und noch dazu, ohne mich ein einziges Mal um Rat gefragt zu haben? Sie hatte doch gar keine Ahnung vom Schreiben. Mit einundzwanzig hatte sie ihr Soziologiestudium abgebrochen, um nach Indien auszuwandern. Sie kam bis kurz vor Turin und blieb dort ein Jahr in einem Dorf hängen, wo sie mit einem jungen Bäcker zusammenlebte, der ihr jeden Tag einen Heiratsantrag machte. Aber sie kehrte ledig zurück, landete nach einigen Umwegen in unserer Münchner Wohngemeinschaft, heiratete mich und brachte Vanessa auf die Welt. Sie hatte als Kellnerin gejobbt, als Putzfrau und als Kassiererin. Wieso kam sie plötzlich auf die Idee, ein Buch schreiben zu können? Und warum konnte sie es tatsächlich?

Natürlich gönnte ich ihr den Erfolg, zumal wir das Geld gut gebrauchen konnten. Die letzte Wiederholung einer meiner Serien lag tatsächlich schon etwas länger zurück. Und die Hoffnung, dass jemals wieder eins meiner alten Theaterstücke aus den Siebzigern aufgeführt werden könnte, hatte ich auch längst aufgegeben. Meine Stücke waren damals so aktuell gewesen, dass sie schon wenige Wochen nach der Uraufführung überholt waren. Oder möchte vielleicht noch irgendjemand eine dreistündige Tragikomödie über den Radikalenerlass sehen? Jedenfalls kam es zwischen Ellen und mir nicht zu Szenen, in denen ich ihr mit weinerlicher Stimme und einer halbleeren Whiskyflasche in der Hand vorwarf, mit ihrem Erfolg mein Talent kaputtgemacht zu haben. Solch dämliche Klischees gab es nur in meinen Serien. Auch ohne TIMO wäre ich wahrscheinlich in das kreative Loch gefallen, aus dem ich nun schon seit einem halben Jahr zu klettern versuchte.

“Morgen, Schatz“, sagte eine müde Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um und sah die verschlafene Bestsellerautorin im Bademantel auf mich zukommen.

“Schon wach?“

Ellen küsste mich flüchtig auf den Mund. Dann gähnte sie und fragte: “Und? Ist dir was eingefallen?“

“Nur drei Serien, eine Filmkomödie und zwei Theaterstücke.“

“Mehr nicht?“

Sie legte eine Hand auf meine Schulter. Mit dieser Hand würde sie gleich nach dem Frühstück an ihrem neuen Buch weiterschreiben, das den genialen Titel TIMO – EIN HUNDELEBEN II tragen würde. Der Verlag wartete schon ungeduldig auf das Manuskript. Ellen hatte nur ein einziges Schreibproblem: Wenn sie zehn Seiten hintereinander geschrieben hatte, tat ihr der rechte Unterarm weh.

Ich erzählte ihr von David.

“Du meinst, Vanessa hat jetzt einen richtigen Freund? Hoffentlich ist dieser David auch in Ordnung.“

“Glaub‘ ich kaum“, meinte ich kopfschüttelnd. “Der Junge hat ein ganz widerliches Hobby.“

“Rauschgift?“

“Nein, Sigmund Freud.“

Im Garten nebenan bellte Freeses Hund. Ellen machte plötzlich ein ernstes Gesicht und sagte leise: “Heute vor einem Jahr war der Unfall von Frau Freese.“

“Du hast dir das Datum gemerkt?“

Sie warf mir einen seltsamen Blick zu und schaute dann aus dem Fenster.

“Sollen wir Freese nicht endlich mal einladen? Das haben wir schon seit der Beerdigung vor.“

“Ich seh‘ ihn doch jeden Tag“, meinte Ellen.

“Ich nicht.“

“Wie würdest du eigentlich damit fertig werden, wenn ich plötzlich nicht mehr da wäre?“

“Ich würde durchdrehen, und zwar vor Freude. Vielleicht könnte ich dann nämlich wieder schreiben.“

Mit einem schwachen Lächeln ging Ellen zur Tür.

“Ich hol‘ gleich meine alte Schreibmaschine vom Speicher“, verkündete ich und war gespannt, ob Ellen darauf mit einem spöttischen Grinsen reagierte.

“Die hast du letztes Jahr weggeschmissen.“

Ich riss die Augen auf. “Was?“

“Warum schreibst du denn nicht mit der Hand? Das ist wirklich am besten.“

Sie ging hinaus und schloss die Tür.

Meine alte Schreibmaschine! Meine alte Schreibmaschine mit dem abgesplitterten Lack und dem S, das dauernd klemmte - für immer verschwunden! Meine Hände begannen leicht zu zittern. Meine Kehle war völlig ausgetrocknet. Ich wollte schlucken, aber es ging nicht. Was war mit mir los? Zusammengesunken hing ich im Sessel und starrte meine Hausschuhe an. Ich konnte nur dasitzen und mir beim Atmen zuhören und immer wieder denken: Ich höre mich atmen. Es war soweit.

“Ich hab‘ Depressionen!“ schrie ich so laut, dass ich selbst erschrocken zusammenzuckte.

Ellen stürmte ins Zimmer.

“Was ist passiert?“ fragte sie besorgt.

Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, erhob mich mühsam aus dem Sessel und schaute sie hilflos an. Sie war nackt. Sofort erwachten meine Augen zu neuem Leben und irrten auf Ellens Körper herum.

“Ich wollte gerade unter die Dusche“, erklärte sie. “Was hast du denn?“

“Depressionen.“

“Das sehe ich.“

Sie zeigte auf eine Stelle meines Kimonos, wo sich eine deutliche Wölbung abzeichnete. Ich streckte die Arme nach ihr aus.

“Du bist unmöglich!“ knurrte sie gereizt und ging hinaus.

Langsam ließ ich alles sinken, erst meine Arme und dann das, was meinen Kimono ausgebeult hatte. Ich stand nicht mehr in meinem Arbeitszimmer, sondern auf einer Eisscholle mitten in der Antarktis, so alleine fühlte ich mich auf der Welt. Und weil ich von diesem Gefühl nur alle zehn Jahre heimgesucht wurde, kostete ich es so richtig aus - bis ich grinsen musste, weil mir meine Pose so kitschig vorkam. Dann hörte ich, wie Ellen im Bad das Wasser aufdrehte, und dachte plötzlich an die Duschszene in PSYCHO. Nein, das waren keine Depressionen, an denen ich litt. Das war nur der ganz normale Wahnsinn.

Kopf hoch, Kleiner!

Подняться наверх