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I. Einleitung

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Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers diejenigen „Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht)“. Ähnlich formuliert das Gemeinschaftsrecht: Danach gilt als Lieferung von Gegenständen „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“ (Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL).

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Gegenstände i. S. d. Liefertatbestandes (§ 3 Abs. 1 UStG) sind zunächst körperliche Gegenstände, also bewegliche und unbewegliche Sachen (§ 90 BGB) und Tiere (§ 90a BGB).[1] Lieferfähiger Gegenstand ist weiter eine Sachgesamtheit, also die Zusammenfassung mehrerer selbstständiger Gegenstände zu einem einheitlichen Ganzen, das wirtschaftlich als ein anderes Verkehrsgut angesehen wird als die Summe der einzelnen Gegenstände.[2] Lieferfähige Gegenstände i. S. d. Umsatzsteuerrechts sind schließlich solche Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, z. B. Elektrizität und Wärme (s. ausdrücklich Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL).

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Rechte sind dagegen keine Gegenstände, die im Rahmen einer Lieferung übertragen werden können. Die Übertragung von Rechten, z. B. von Ansprüchen gegen Dritte, Patenten und Marken, stellt vielmehr eine sonstige Leistung dar (arg. § 3a Abs. 4 S. 2 Nr 1 UStG).[3] Auch die Übertragung von Gesellschaftsanteilen (Anteilen an Personen- oder Kapitalgesellschaften) ist nicht als Lieferung zu beurteilen, sondern als (häufig nicht steuerbare oder steuerfreie) sonstige Leistung.[4] Dies gilt auch bei verbrieften Anteilen (etwa Aktien, die in Einzel- oder Sammelurkunden verbrieft sind), obwohl hier die Mitgliedschaft durch Übertragung der Urkunde nach sachen- und wertpapierrechtlichen Grundsätzen[5] übertragen wird. Sonstige Leistung (nicht Lieferung) ist auch die Übertragung von Wertpapieren anderer Art.[6]

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Bei der Übertragung von Miteigentumsanteilen bejaht der BFH seit einer Änderung der Rechtsprechung im Jahr 2016 (mit der h.M. im Schrifttum) eine Lieferung; zuvor war der BFH von einer sonstigen Leistung ausgegangen.[7]

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Die Verschaffung der Verfügungsmacht an Gegenständen geschieht in der Regel durch Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums, bei beweglichen Sachen also nach §§ 929 ff BGB und bei Immobilien nach §§ 873, 925 BGB. Beim Verkauf einer Sache ist der Abschluss des Kaufvertrages (§ 433 BGB) – des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäftes – also noch nicht steuerbar. Steuerbar ist vielmehr erst das Verfügungsgeschäft, durch das der Verkäufer seine Pflichten aus dem Kaufvertrag erfüllt.

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Regelmäßig liegt die Verschaffung der Verfügungsmacht danach darin, dass zivilrechtliches Eigentum übertragen wird. Abweichungen können sich allerdings ergeben, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise gilt (s. bereits Rn 188 f). Eine Lieferung im Sinne der Umsatzsteuer geht danach regelmäßig mit dem zivilrechtlichen Eigentumsübergang einher, ist damit aber nicht zwingend verknüpft. Dafür spricht neben § 39 Abs. 2 Nr 1 AO die Formulierung des Richtlinienrechts, wonach es ausreicht, dass der Erwerber in die Lage versetzt wird, „wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“ (Art. 14 Abs. 1 MwStSystRL).[8]

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Aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise kann eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung schon zu einem früheren Zeitpunkt zu bejahen sein als der zivilrechtliche Eigentumsübergang.

Übereignung von Immobilien: Das Eigentum an Immobilien geht zivilrechtlich nicht vor Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch über (§ 873 Abs. 1 BGB). Nach den Bestimmungen des Kaufvertrages gehen Nutzen und Lasten dagegen regelmäßig schon zu einem früheren Zeitpunkt (meist unmittelbar nach Zahlung des Kaufpreises) über. Eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung liegt bereits in diesem früheren Zeitpunkt vor. Zu beachten ist, dass eine Umsatzsteuerpflicht beim Grundstücksverkauf häufig ausscheidet, weil entweder der Veräußerer nicht als Unternehmer handelt oder die Steuerbefreiung für Grundstücksumsätze nach § 4 Nr 9 lit. a) UStG greift (s. dazu noch Rn 496 f).
Eigentumsvorbehalt: Wird eine Kaufsache unter Eigentumsvorbehalt geliefert (§ 449 BGB), ist eine umsatzsteuerbare Lieferung schon bei Übergabe und aufschiebend bedingter Einigung über den Eigentumsübergang zu bejahen, nicht erst bei Bedingungseintritt (Kaufpreiszahlung).[9]
Versandlieferungen: Wird der Gegenstand einer Lieferung befördert oder versendet, regelt § 3 Abs. 6 S. 1 UStG, dass die Lieferung dort als ausgeführt gilt, wo die Beförderung oder Versendung beginnt. Die Vorschrift bestimmt ihrem Wortlaut nach nur den Ort der Lieferung (s. insoweit noch Rn 300 ff). Nach Rechtsprechung und Finanzverwaltung legt sie aber auch den Zeitpunkt der Lieferung auf den Beginn der Beförderung oder Versendung fest.[10] Versendet etwa ein Lieferer die Ware am 31. Januar durch Übergabe an ein Versandunternehmen, geht die Ware dem Erwerber aber erst am 2. Februar zu (erst damit geht zivilrechtlich das Eigentum über), ist die Lieferung nach dieser Auffassung bereits in der USt-Voranmeldung für Januar zu berücksichtigen. Auch gehen Finanzverwaltung und Rechtsprechung davon aus, dass eine Lieferung auch dann zu bejahen ist, wenn der Gegenstand der Lieferung auf dem Versandweg untergeht (z. B.: das transportierende Schiff sinkt). Tatsächlich dürfte sich diese Rechtsfolge nicht auf § 3 Abs. 6 S. 1 UStG stützen lassen, weil die Vorschrift eine reine Ortsregelung enthält.[11] Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung dürfte der Lieferbeginn aber jedenfalls dann als Verschaffung der Verfügungsmacht i. S. d. Liefertatbestandes zu qualifizieren sein, wenn damit zivilrechtlich die Preisgefahr auf den Käufer übergeht (§ 447 Abs. 1 BGB; dies ist beim Verbrauchsgüterkauf allerdings regelmäßig nicht der Fall, § 474 Abs. 4 BGB).[12]

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Aufgrund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (s. dazu bereits Rn 188 f) liegt eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung im Einzelfall auch ganz ohne zivilrechtlichen Eigentumsübergang vor:

Unwirksamer Vertrag: Sofern tatsächlich ein Leistungsaustausch stattfindet, steht es der Steuerbarkeit nicht entgegen, wenn die zugrunde liegenden Verträge unwirksam sind (etwa nach §§ 104 ff BGB wegen Beteiligung eines Minderjährigen).[13]
Hehlerei und ähnliche Sachverhalte: Wer eine Sache verliert oder wem etwas gestohlen wird, der liefert nicht an den Finder oder Dieb. Verfügungsmacht wird in diesen Fällen nicht „verschafft“ (§ 3 Abs. 1 UStG), sondern genommen. Eine steuerbare Leistung ist dagegen zu bejahen, wenn der Finder oder Dieb (oder ein Hehler) die Sache an einen Dritten veräußert. Der Steuerbarkeit steht nicht entgegen, dass zivilrechtlich nach § 935 BGB ein (gutgläubiger) Erwerb des Eigentums zu verneinen ist.
Lieferkommission: Bei der Lieferkommission (§ 3 Abs. 3 UStG) erwirbt der Kommissionär vom Kommittenten regemäßig kein Eigentum. Dennoch ist umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung (auch) zwischen diesen Unternehmern zu bejahen, s. u. Rn 243 f.
Leasing: Das Leasing ist eine der Miete ähnliche Gebrauchsüberlassung, bei der (jedenfalls zunächst) der Leasingnehmer kein Eigentum am Leasinggegenstand erwirbt. Dennoch kann – abhängig von der Ausgestaltung des Leasingvertrages – im Einzelfall umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung zu bejahen sein. Ist dies nicht der Fall, liegt eine sonstige Leistung vor (zur Abgrenzung s. u. Rn 270 ff).

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Umgekehrt kann eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung im Einzelfall trotz Übergangs des zivilrechtlichen Eigentums ausscheiden:

Sicherungsübereignung: Bei der Sicherungsübereignung erwirbt der Sicherungsnehmer zwar zivilrechtliches Eigentum. Dem wirtschaftlichen Gehalt nach wird aber ein Pfandrecht bestellt. Eine umsatzsteuerrechtliche Lieferung bei Begründung der Sicherungsübereignung ist daher abzulehnen.[14] Eine Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer ist erst bei Verwertung der Sicherheit zu bejahen.[15]
Ähnlich wie bei der Sicherungsübereignung kann die Übereignung der Mietsache an den Leasinggeber im Rahmen eines Sale and Lease Back-Geschäfts lediglich eine Sicherungsfunktion für den Leasinggeber haben. Der wirtschaftliche Gehalt der Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien beschränkt sich dann auf die Finanzierung der Mietsache. In diesem Fall ist eine sonstige Leistung zu bejahen, und zwar eine nach § 4 Nr 8 lit. a) UStG steuerfreie Kreditgewährung[16] (zum Leasing s. noch Rn 270 ff).

§ 5 Lieferung und sonstige Leistung › A. Lieferung › II. Lieferkommission

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