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Das Pilotenbrillen-Gen

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Seit Beginn der 80er Jahre bewegt sich das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Einen wichtigen Anstoß dafür lieferte – natürlich, ist man geneigt zu sagen – wieder ein Zwillingsforscher. Der amerikanische Psychologe Thomas Bouchard startete 1979 die bisher umfangreichste und zeitlich längste Untersuchung an Zwillingen.7 Rund 7000 getrennt aufgewachsene Zwillingspaare wurden und werden bis heute von Bouchard und dessen Kollegen beobachtet und mit dicken Fragebögen ausgeforscht. Wie von Zwillingsforschern kaum anders zu erwarten, lieferten sie nach den ersten Auswertungen dieser Fragen wieder einmal starke Indizien für die Vererbungs-Hypothese und kaum zu glaubende, aber wissenschaftlich dokumentierte Geschichten, die um die Welt gingen: Getrennt aufgewachsene Zwillinge hatten fast stets dieselben Berufe gewählt, hatten ähnliche Ansichten und ähnliche Marotten. Selbst in religiösen Fragen und politischen Ansichten wollen die Forscher aus Minnesota statistisch signifikante Übereinstimmungen gefunden haben.

Ein Paradebeispiel sind die «Jim Twins», die als Babys getrennt wurden und sich erst nach 39 Jahren als Jim Lewis und Jim Springer wieder trafen. Beide waren zweimal verheiratet, beider erste Frau hieß Linda, die zweite Betty. Der eine nannte seinen ersten Sohn James Alan, der andere James Allen. Beide waren Heimwerker, Kettenraucher und Nägelkauer. Beide hatten in einer Tankstelle gearbeitet und später als Hilfssheriff gedient.8

Noch verblüffender, weil in nahezu konträren Milieus aufgewachsen, waren die Übereinstimmungen bei Jack Yufe und Oskar Stöhr. Jack war bei seinem jüdisch-orthodoxen Vater in Trinidad aufgewachsen, Oskar bei seiner katholischen Mutter in Deutschland. Als sie sich im Alter von 46 Jahren an der Universität von Minnesota wieder begegneten, trugen beide das gleiche blaue Sporthemd mit Schulterklappen, Pilotenbrillen und ein paar Gummibänder am Handgelenk. Beide plagten ihre Umgebung mit eigentümlichen Marotten, etwa der Gewohnheit, in Aufzügen laut zu niesen.

Leicht indigniert fragte der Spiegel: «Gibt es ein Pilotenbrillen-Gen? Eines, das seinen Träger zwingt, im Fahrstuhl zu niesen? Ist auf den Chromosomen festgeschrieben, welchen Beruf ein Mensch ergreifen wird?»9

Ja, würde möglicherweise Dean Hamer halb im Spaß, aber auch halb im Ernst darauf antworten, denn Hamer, Molekularbiologe am National Cancer Institute in Washington, gehört zu den Gen-Extremisten und behauptet: «Wir kommen größtenteils vorgefertigt aus der Fabrik.» Für die Bildung unserer Persönlichkeit, so Hamer, hätten wir etwa so viel Spielraum wie bei der Wahl unserer Schuhgröße.10

Der Familienforscher David Rowe von der Universität von Arizona will herausgefunden haben, dass Adoptivkinder mit fortschreitendem Alter ihren abwesenden leiblichen Eltern immer mehr gleichen und ihren anwesenden, erziehenden Adoptiveltern immer weniger. Das Erbe setze sich eben langfristig gegen jede Umwelt durch. Gene dominierten den Intellekt und die Persönlichkeit, behauptet Rowe.

Die Vertreter dieser überwiegend US-amerikanischen Vererbungsthese haben die Diskussion während der ganzen 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts beherrscht. Jetzt, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, scheint sich die Wissenschaft wieder zu korrigieren. Den Anstoß dazu liefert die Hirnforschung.

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