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A. Teil A: Problemaufriss

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Eine effektive Gefahrenabwehr vor Produktrisiken setzt grundsätzlich beim Hersteller an. Er bringt vorrangig ein potenziell gefährliches Produkt in den Verkehr und besitzt das ergiebigste Wissen darüber. Daher ist es unerlässlich, dass der Hersteller als wesentlicher Wirtschaftsakteur1 des Produktsicherheitsrechts identifizierbar ist, um eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten.

Der Begriff „Hersteller“ ist trotz seiner Legaldefinition im Produktsicherheitsgesetz (ProdSG)2 und in den europäischen produktsicherheitsrechtlichen Normen unscharf. In der Legaldefinition des § 2 Nr. 14 ProdSG werden fünf verschiedene Fälle beschrieben,3 in denen ein Wirtschaftsteilnehmer4 als Hersteller anzusehen ist. Durch das Vorliegen mehrerer paralleler Fallgruppen, die mehrere Wirtschaftsteilnehmer gleichzeitig erfüllen können, entsteht eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Dies ergibt sich unter anderem aus der Sachlage, dass sich die Fallgruppen zum einen nach dem jeweiligen Wortlaut nicht trennscharf abgrenzen lassen und zum anderen jede einzelne Fallgruppe aufgrund der mangelnden Bestimmtheit des Wortlauts einer umfassenden Auslegung zugänglich ist.

In der vorliegenden Arbeit wird das Ziel verfolgt, diese Rechtsunsicherheit durch eine Konkretisierung des Begriffs „Hersteller“ zu beseitigen. Das Bedürfnis zu dieser Konkretisierung ergibt sich zum einen aus dem mangelnden Kenntnisstand der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer. Das Produktsicherheitsrecht ist in den Rechtsabteilungen vieler Unternehmen regelmäßig allenfalls ein in Grundzügen beherrschtes Terrain. Zum anderen findet eine rechtswissenschaftliche Begleitung allenfalls punktuell und aus Praktikersicht statt. Bislang besteht keine allgemeine, aus dem Produktsicherheitsrecht hervorgehende Annäherung. Somit spiegelt sich die beträchtliche praktische Bedeutung des europäischen Produktsicherheitsrechts nicht in der Aufarbeitung in der Rechtswissenschaft wider. Ferner hat im Gegensatz zum Produkthaftungsrecht das Produktsicherheitsrecht in der Rechtsprechung5 und der Literatur bisher wenig Resonanz gefunden.

Des Weiteren hat die dieser Ausarbeitung zugrunde liegende Forschungsfrage nach der Auslegung des Herstellerbegriffs im Produktsicherheitsrecht sowohl für die Wirtschaftsteilnehmer im europäischen Binnenmarkt als auch für die Marktüberwachungsbehörden eine erhebliche praktische und rechtliche Bedeutung. Erst mit der Konkretisierung beziehungsweise der begrifflichen Schärfung des Herstellerbegriffs lässt sich die erforderliche Rechtssicherheit im Produktsicherheitsrecht hinreichend gewährleisten. Denn jede Unsicherheit über die eigene Rolle als Wirtschaftsteilnehmer im Wirtschaftsverkehr führt dazu, dass die abverlangten Vorkehrungen und Verpflichtungen – etwa als Hersteller – nicht oder nur unzureichend erfüllt werden und weitere Maßnahmen nach sich ziehen, zum Beispiel die Anordnung von Produktrückrufen oder das Auslösen zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche.

Bei der Konkretisierung des Herstellerbegriffs ist zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsquellen im Produktsicherheitsrecht vorliegt und die Ausgestaltung der Rechtsnormen selbst für Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, nicht leicht zu handhaben ist. Aufgrund der aufgezeigten Handhabungsschwierigkeiten und mangelnder Kenntnisse im allgemeinen Produktsicherheitsrecht ist eine grundlegende Konkretisierung des Herstellerbegriffs anhand des deutschen Produktsicherheitsgesetzes und der europäischen Harmonisierungsvorschriften geboten.

Das Ziel ist es, jede Fallgruppe der Legaldefinition so weit zu konkretisieren, dass Wirtschaftsteilnehmer und Marktüberwachungsbehörden ohne erhebliche Hindernisse den hauptverantwortlichen Hersteller im Sinne des ProdSG für ein Produkt identifizieren können. Im Fokus steht die Herausarbeitung konkreter Kriterien, anhand derer eine Identifikation des Herstellers im produktsicherheitsrechtlichen Sinne möglich ist. Allerdings darf das allgemeine Sprachverständnis für den Herstellerbegriff nicht zu einer unzutreffenden Auslegung führen, die insbesondere für den Wirtschaftsteilnehmer, der seine Herstellereigenschaft verkennt, erhebliche negative Folgen haben kann.

Diese Untersuchung erfordert indes methodische Vorüberlegungen: Angesichts der praktischen Handhabbarkeit führt eine allein rechtsaktbezogene Untersuchung nicht weiter. Vielmehr muss ein Ansatz nach dem Sinn und Zweck der Regelungsmaterie verfolgt werden, der auf folgender Frage basiert: Wie lässt sich das Steuerungsziel „Produktsicherheit“ am effektivsten verwirklichen?

1 Wirtschaftsakteure sind nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 29 ProdSG Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler im Sinne des ProdSG. 2 Produktsicherheitsgesetz vom 8. November 2011 (BGBl. I S. 2178, 2179; 2012 I S. 131), das durch Art. 435 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert wurde. 3 Siehe dazu instruktiv Teil F II. 4 Als Wirtschaftsteilnehmer werden in der vorliegenden Arbeit sämtliche natürlichen und juristischen Personen bezeichnet, die am Wirtschaftsleben teilhaben wie Wirtschaftsakteure und Personen, die nicht unter die Definition des Wirtschaftsakteurs fallen. 5 Bezeichnenderweise besteht die größte Anzahl der nationalen Rechtsprechung zum Produktsicherheitsrecht aus Urteilen zum Wettbewerbsrecht, unter anderem im Rahmen des § 3a UWG.

Der Hersteller im europäischen Produktsicherheitsrecht

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