Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 13
3 - Ein kleiner Schubs
ОглавлениеEmma war noch in Gedanken versunken, da kam bereits das Essen. Sie machte sich schnell frisch und als sie aus dem Bad kam, hatte ihr Vater schon alles großzügig über den Tisch verteilt. Es war eine Freude mit ihm so die verschiedenen indischen Gerichte zu teilen. In solchen Dingen war er herrlich unkompliziert.
Wenn der Mund zu sehr brannte, wurde mit Milch und Joghurt gelöscht und dann wieder drauf auf die Zunge mit Vindaloo und Masala. Viel Zeit für Privates war diesmal nicht. Das Problem schwebte zu sehr über allem, aber zumindest während des Essens konnten sie es gut verdrängen.
Er bot ihr einen Grappa an und sie akzeptierte dankend. Das konnte der Magen jetzt ebenso brauchen, wie die Nerven. Und Alkohol konnte auch die Denkprozesse anregen, solange man es nicht übertrieb. Interessanterweise verlief die Diskussion, die nun folgte, ähnlich wie das Essen. Statt Reis und Soßen wurden nun Statistiken und Grafiken über den Tisch gereicht. Aber mit zunehmender Zeit fehlten Emma wirklich nützliche Argumente. Das größere Fachwissen ihres Vaters erdrückte sie mehr und mehr in ihrer Absicht, doch nach anderen Erklärungen zu suchen.
Nach ein paar Stunden hob sie die Arme. „Ich gebe auf!“, keuchte sie.
Sie hatte selbst Ideen und Sichtweisen vertreten, die sie gar nicht teilte, um ihrem Vater noch etwas entgegenstemmen zu können, aber nun war sie am Ende ihres Lateins angekommen. „Gib mir deine drei wahrscheinlichsten Erklärungen und ich schlafe nochmal drüber. Mehr geht nicht. Ich bin kaputt.“
Er streichelte über ihren Kopf, gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Verzeih, aber ich kann es mit niemand anders diskutieren. Ich sollte dich da nicht mit reinziehen, aber wenn ich das für mich behalte, frisst es mich auf.“
Er öffnete eine kleine Präsentation, so als hätte er schon gewusst, dass sie zwangsläufig hier enden würden. „An der Zeitkomponente kommen wir nicht vorbei. Da sind wir uns doch einig?“, fragte er und Emma nickte nur mit einem verlegenen Lächeln.
ER hatte sich doch immer an Zeitreisen gestört! Warum soll ICH jetzt plötzlich dagegen sein?
Sie mochte „Marty McFly“ und „Doc Brown“, sogar den „Terminator“ auf gewisse Weise. Andererseits war das für sie bisher Unterhaltung gewesen, Spaß und Spannung mit Zeitreisen, warum nicht? Das Ganze jetzt aber als Fakt zu akzeptieren, fiel ihr nun doch schwer.
Ihr Vater fuhr fort: „Somit haben wir in meinen Augen drei mögliche Verursacher! Erstens Außerirdische, zweitens Menschen aus einer hochentwickelten Zukunft oder drittens ...“ Die Pause gefiel Emma nicht. „Drittens, eine höhere Macht.“
„Eine höhere Macht? Gott? Hast du das gerade gemeint?“ Emma konnte nicht fassen, was sie da gerade von ihrem Vater gehört hatte.
„Emma, du weißt, ich bin kein Atheist. Ich kann nur mit Religion nichts anfangen. Aber wenn dieses Material in die falschen Hände gerät, könnte man es als Beweis für die Existenz eines omnipräsenten Wesens deuten. Jemand, der überall und zu jeder Zeit sein kann, weil eben allmächtig. Und da, wo ich noch Tonnen an wissenschaftlichen Daten und Beweisen nachliefern müsste, für die Theorie über zeitreisende Aliens oder Menschen, da sagt ein religiöser Fanatiker einfach, dass das ein Zeichen sei! Oder was auch immer!“
„Also packst du jetzt alles schön wieder weg und wir reden nie wieder darüber?“ Der Vorschlag war entwaffnend einfach, aber Emma wusste, dass ihr Vater so nicht ruhig zu stellen war. Aber sie wollte jetzt am Drücker bleiben, bevor er noch mehr Theorien auf den Tisch legen konnte.
„Entweder das, Dad, oder du holst dir Magnussens Aufzeichnungen. Irgendwo muss er doch etwas dokumentiert haben! An seiner Uni oder zu Hause, da liegt vielleicht irgendwo ein Hinweis, der dir weiterhilft. Schau! Auch wenn seine Assistenten und sein Nachfolger alles durchforstet haben, den Hinweis auf dieses seltsame, künstliche Cytoplasma und die C-14-Methode hat niemand erkannt. Wer weiß, ob da nicht noch etwas mehr übersehen wurde, was vielleicht erst Sinn ergibt, wenn man den anderen Zusammenhang bereits erkannt hat?“
„Die Uni Oslo hat mir versichert, dass ich alles habe, was Magnussen zu der Studie niedergeschrieben hat. Das sieht aus, als habe er da selbst noch versucht, sich einen Reim drauf zu machen. Schau dir diese Dokumente doch an! Nicht nur, dass er völlig Old-School war und fast alles auf Papier festgehalten hat. Er hat es auch spärlich gemacht. Hier dieser Übergang, wo er von einem Testergebnis zum anderen plötzlich Magnasse schreibt, statt die einzelnen Komponenten aufzulisten. Da ist nicht mal eine Fußnote angefügt, wie sich das gehören würde.“
Während ihr Vater weiter herummoserte, hatte Emma das Personalblatt des norwegischen Professors gefunden. Dort stand eine Adresse, zwei Telefonnummern, eine Faxnummer, E-Mail-Adresse, Geburtsdatum und Familienstand: Verheiratet!
Emma kramte ihr Handy aus der Tasche, stand auf und ging ans Fenster. Nach nur zweimal Klingeln kam die Antwort: „Marit Magnussen! God Dag!“
„Hei! God Dag! Frau Professor Magnussen? Do you speak english? Sprechen Sie Deutsch?“ Emma stammelte in der Hoffnung, dass eine Verständigung möglich war.
„Ja! Deutsch! Ein Wenig!“
„Wunderbar! Ich bin die Assistentin von Professor Arno Brugger. Der Professor untersucht gerade das letzte Projekt ihres Mannes. Unser aufrichtiges Beileid, Frau Professor! Ihr Mann war ein großartiger Wissenschaftler!“
Marit Magnussen dankte ihr in leicht holprigem Deutsch und erklärte Emma, dass sie keine „Frau Professor“ wäre, sondern einfach nur „Frau Magnussen“.
Nach ein paar weiteren Freundlichkeiten, fragte Emma dann, ob ihr Mann vielleicht noch mehr Unterlagen zu seinem Projekt besaß, vor allem solche, die nicht an der Uni gelagert hatten. Frau Magnussen erzählte von einem Arbeitszimmer und einer Kiste voller Unterlagen.
Emma musste ihren Vater nebenher immer wieder abwehren, weil er entweder hineinreden oder ihr Gespräch abwürgen wollte. Letztendlich hatte sie genug von seinen Störungen und sperrte sich im Badezimmer ein. Ihr war schon klar, dass es ihrem Vater peinlich war, die Dame so zu überrumpeln, aber die Witwe Magnussen war sehr aufgeschlossen: „Der Professor kann gerne einen Blick auf alles werfen!“
Emma hakte nach und fragte frech, ob es im Laufe der kommenden Woche eine Möglichkeit gäbe. Die Semesterferien stünden an, der Professor müsse wissen, ob das Projekt weiter verfolgte werden könnte und hier wären alle fasziniert von diesem...
„Mittwoch?“ Emma konnte kaum glauben, was sie da gehört hatte. „Ja, Mittwoch ist großartig!“
Sie einigten sich auf 13 Uhr. Frau Magnussen erklärte in kurzen Worten den Weg zu ihrem Haus am Vestvannet. Emma war es ziemlich egal, wie ihr Vater sich diesen Termin freischaufeln würde. Es war schließlich SEIN großes wissenschaftliches Dilemma! Er würde ihr am Ende schon dankbar sein.
Als sie aus dem Bad kam, starrte ihr Vater sie nur verdutzt an. Emma schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und stellte ihn vor vollendete Tatsachen: „Du hast am Mittwoch um 13 Uhr ein Rendezvous mit Frau Magnussen. Sie mag es übrigens nicht, wenn man sie Frau Professor nennt. Ihre Adresse steht hier auf dem Personalblatt; ist eine knappe halbe Stunde vom Flughafen Oslo entfernt. Sie hat ein komplettes Arbeitszimmer voller Papiere ihres Mannes, eine Kiste voller Unterlagen, die man an der Uni nicht mehr brauchen konnte. Da hast du was zu stöbern.“
Ihr Vater war noch immer zu keiner Antwort fähig, was sie freute. Überrumpeln konnte man ihn nur selten, schon gar nicht, wenn es um seine Arbeit ging. „Ich kann nicht nach Oslo fliegen! Sag mal, spinnst du? Und was soll ich ihr sagen, wenn sie wissen will, was ich schon herausgefunden habe?“
Emma grinste nur. Ihr Vater war in der Defensive. Wann gab es das schon mal? Und gleich würde sie zum Todesstoß ansetzen! Nein, das war zu martialisch gedacht, aber ihr war klar geworden, dass ihr Vater dieses Abenteuer nicht alleine bestehen würde. Nur konnte sie ihren Plan nicht auf den Tisch legen, solange ihr Vater Herr der Lage war.
„Keine Angst! Du musst nicht alleine gehen. Du wirst einen Assistenten mitnehmen.“
„Ich dachte, du kommst mit! Was will ich mit Steffen? Ich hab ihn doch gerade erst mühsam abgewimmelt.“
Emma sah ihm tief in die Augen. Sie zog nun alle Register ihrer Überredungskunst als Tochter. „Ich habe nächste Woche sieben Operationen, die ich nicht verschieben kann. Und ich meinte auch nicht Steffen! Du brauchst jemand, der ganz anders denkt als du oder ich oder Steffen. Eine andere Sichtweise und ein wenig detektivisches Feingefühl. Ich habe einen Bekannten, besser gesagt einen ehemaligen Patienten, der mir noch einen Gefallen schuldet. Der wird dich begleiten. Er heißt Erik. Du wirst ihn mögen!“
Ob der Teufel sie zu dieser Idee getrieben hatte oder ihre Hormone oder doch eher ihr Verstand, das vermochte sie nicht zu beurteilen. Sie hatte seit Wochen nicht an Erik gedacht und heute bereits zweimal! Er war während der gesamten Diskussion irgendwie präsent geblieben, weil das hier genau sein Metier war, auf die eine oder andere Weise. Konnte sie ihm trauen? Er schuldete ihr sein Leben oder zumindest sein funktionierendes Gehirn. Er hatte ihr Einiges gebeichtet, was es ihr schwer machte, ihm zu vertrauen, aber im Kern war Erik trotz allem kein schlechter Mensch.
Sie wusste, dass das alles etwas wacklig war. Sie hatte keine Ahnung, ob sie Erik so kurzfristig erreichen konnte. Sie hatte eine E-Mail-Adresse von ihm, mehr nicht, allerdings eine, von der er behauptet hatte, dass nur wenige sie kannten. Und er hatte gesagt, wenn sie ihn dort anschrieb, würde er sich innerhalb von zwei Stunden melden, wo auch immer auf der Welt er sich gerade aufhielt.
„Ich kann das doch keinem Fremden anvertrauen“, unterbrach ihr Vater sie in ihren Gedanken. „Was macht der überhaupt beruflich?“
Emma schenkte ihm die liebsten Kulleraugen, zu denen sie mit dreißig noch in der Lage war und dazu die Wahrheit: „Streng genommen, ist er ein Dieb.“