Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 17
7 - Tokaier
ОглавлениеBrugger räumte den Tisch ab, als er erkannte, dass die Diskussion aus dem Ruder lief. Es war für ihn immer gut, irgendetwas mit den Händen zu machen, wenn sich sein Temperament in einer Debatte zu Wort gemeldet hatte und er wollte nicht durch unbedachte Äußerungen ein zweites Mal wie ein Idiot dastehen. Er brachte dann die etwas kleineren Gläser für den süßen Tokaier und schenkte den beiden und sich ein.
„Gut! Dann erzählen Sie mir mal, wie weit die Amis oder die Chinesen mit dem phasischen Zustand sind“, gab er sich ganz gelassen. Zsolt hatte schon Recht. Man kann nicht über Zeitreisen reden und andere Science-Fiction-Themen ausschließen.
„Da gibt es nicht so viel zu sagen. Die Amis arbeiten nachweislich daran. In einem geheimen Memorandum wurde mal niedergelegt, dass man die Entwicklung an unbemannten Kampfflugzeugen forcieren wolle, um die Phasen-Technologie nutzen zu können, sobald sie ausgereift wäre.“
Zsolt nahm einen Schluck vom Tokaier und rümpfte ganz kurz die Nase. Brugger bemerkte das sofort und wunderte sich. Ein Ungar der keinen Tokaier mag? Bizarr!
Zsolt überlegte kurz und fuhr dann fort: „Also die Amis sind in der Lage feste, metallische Gegenstände in eine Art molekulare Schwingung zu versetzen. Das sieht dann aus, als vibriere alles und man wartet darauf, dass das Ding sich kurz in Luft auflöst. Passiert aber nicht, weil sie eben noch nicht soweit sind. Organische Materie geht gar nicht. Zumindest finden sie da keinen Ansatz. Deswegen eben unbemannte Flugzeuge. Wenn sie es erreichen könnten, dass sich der Jet für vielleicht eine halbe Sekunde entmaterialisiert, könnte ihn keine gegnerische Abfangrakete mehr treffen. Flutscht dann einfach durch!“
Brugger konnte in Zsolts Augen die Faszination über eine solche Technologie deutlich sehen und auch, dass dieser Mann alles daran setzen würde, sich so eine Entwicklung unter den Nagel zu reißen und meistbietend zu verkaufen. Die beiden Männer blickten sich an und Brugger konnte förmlich spüren, dass sein Gegenüber versuchte, seinen Blick zu deuten. Leicht würde das nicht werden mit ihm. Woher sollte das Vertrauen kommen, das Brugger brauchte, um mit Zsolt in Norwegen nach weiteren Hinweisen zu suchen?
Er musste ihm weiter auf den Zahn fühlen. „Sie haben sicher schon einiges gesehen, was für uns hier nur Science Fiction ist! Ich glaube allein in Ihrem Laptop sind schon einige Bausteine, die normalerweise in keinem Rechner vorkommen.“
Brugger versuchte, einfach von ihm ein paar ehrliche Aussagen zu bekommen, um vielleicht erkennen zu können, wann er log und wann nicht. Ob das möglich sein könnte, wusste er nicht, schon gar nicht bei der kurzen Kennenlern-Zeit, aber einen Versuch war es wert.
„Science Fiction würde ich es nicht nennen. Wir verwenden gern den Begriff Next Level Technology, also alles, was bald auf den Markt kommt, aber noch nicht ganz machbar ist. Da liegen der größte Profit und eben auch die Möglichkeit, es von Mega-Konzernen oder staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen zu stehlen. Wir schauen uns aber gern so Sachen, wie experimentelle Phasen-Modulatoren an, weil wir gern auf dem Laufenden sind und gern wissen, wann es in die machbare Phase übergeht.“
Zsolt grinste kurz. „Machbare Phase! Das war jetzt nicht als Wortspiel gedacht, klingt aber gut. Gerade bei so etwas Kritischem, weiß ich nicht, wie wir vorgehen würden. Nach Möglichkeit würden wir es sabotieren und hinauszögern oder publik machen, weil eine solche Technologie nicht in den Händen einer einzelnen Supermacht gehört. Fragen Sie mich was Leichteres! Wir können es kaum stehlen und dann im Elektromarkt anbieten.“
Brugger fand die Offenheit ermutigend, allerdings hatte er auch bemerkt, dass Zsolt sehr vage in den Ausführungen war. Er wusste, dass er nicht fragen brauchte, wer genau das „Wir“ in seinen Ausführungen war, aber wenigstens nannte er das Kind beim Namen: „Stehlen!“
Das war erfrischend offen, könnte aber auch bedeuten, dass er keine Angst davor zu haben brauchte, dass Brugger vielleicht über ihn redete. Und falls doch, würde er schnell den „Houdini“ machen und war nicht mehr gesehen. Aber ein paar Pluspunkte hatte er gesammelt.
„Wie soll das morgen ablaufen? Ich meine, ich habe ja keine Ahnung von Spionage oder anderen Nachforschungen.“
„Haben Sie denn eine Geschichte parat, die sie Frau Magnussen erzählen wollen? Also, Sie müssen ihr schließlich irgendwas sagen, was Sie gefunden haben oder was Sie vermuten.“
Brugger nickte. Er war froh, dass er sich hierzu schon eine Geschichte zurechtgelegt hatte. Er hatte immerhin drei Tage Zeit gehabt und sie in der Hinsicht sinnvoll genutzt.
„Ich sage ihr, dass wir Spuren verschiedener Verbindungen gefunden haben, in ganz geringen Mengen, die uns keine weiteren Aufschlüsse erlauben. Wir vermuten, das Ganze hätte mit dem Magnetfeld und vielleicht der Sonnenstrahlung zu tun und dass unter gewissen Umständen Veränderungen der Luft auftreten. Aber wir stecken in einer Sackgasse.
Falls es in Magnussens Unterlagen vielleicht doch Hinweise gäbe, zu den Zusammenhängen, dann bräuchten wir die Versuchsanordnung nicht komplett neu ansetzen. Die alten Proben können schließlich nicht mehr verwendet werden, weil sie zu alt sind, aber vielleicht hat mein Kollege dazu Notizen gemacht, die erst jetzt Sinn ergeben, mit den Ergebnissen, die wir erzielt haben.“
Zsolt nickte. Applaus war es nicht gerade, aber das musste auch nicht sein. „Die erste Hälfte ist sehr gut, aber versuchen Sie nicht zu sehr ins Detail zu gehen, das wirkt dann gerne mal überzogen. Die Frau wird sicher eh nachfragen und je mehr Sie an Erklärungen einsparen können, desto besser, aber das klingt sehr schlüssig. Ich nehme an, die Witwe hat keinen wissenschaftlichen Hintergrund?“
„Habe ich geprüft!“, warf Emma sichtlich stolz ein. „Als sie sagte, sie mag es nicht, wenn man sie Frau Professor nennt, habe ich mich schlau gemacht. Die ist gut zwanzig Jahre jünger als ihr Mann war und hat früher als Model und Fernsehmoderatorin gearbeitet. Und ich dachte am Telefon, ich sprech' mit einer netten, alten Dame!
Wie und wo sie sich kennengelernt haben, weiß ich nicht, aber mit Naturwissenschaften hat sie nix am Hut! Arbeitet heute ehrenamtlich für eine norwegische Kinderschutzinitiative. Das klingt alles nach einer sehr engagierten Dame.“
Sie blickte die beiden eine Weile an. „Gern geschehen!“, sagte sie und grinste. Ein bisschen mitspielen würde sie wohl schon gerne, dachte Brugger, aber als Spiel empfand er selbst das so gar nicht. Aber vielleicht würde ihm ein wenig der Leichtigkeit seiner Tochter gut tun.
„Ich beschäftige also die Witwe und Sie durchsuchen die Unterlagen?“, schlug Brugger vor.
„Prinzipiell ja. Ich hoffe aber, die Dame gibt uns ein paar Freiheiten, so dass Sie mir helfen können. Sie kennen die Untersuchungsberichte sicher besser als ich.“
Brugger bezweifelte, dass er Zsolt eine große Hilfe wäre, schließlich ging es sicher um versteckte Hinweise, codierte Fußnoten und dergleichen. Das war nun wirklich eher die Spielwiese von diesem jungen Mann, den seine Tochter angeschleppt hatte.
Brugger konnte nur hoffen, dass hinter ihrer Verliebtheit doch noch ein wenig Menschenkenntnis steckte. An dieser hatte er bisher nie gezweifelt, aber hier war sein Vertrauen echt gefordert. Schlecht geschlagen hatte sich Zsolt nicht. Aufrichtigkeit hatte bei Brugger schon immer punkten können.
Eines hatte er aber nicht erwartet. Dass es bei ihm kribbelte, wenn er daran dachte, morgen spionieren zu gehen. Die Geheimniskrämerei hatte Brugger nun fast fünf Tage lang regelrecht zermürbt. Mit niemand reden zu können, außer mit Emma, war furchtbar und sie hatte selbst gesagt, dass sie da nicht wirklich mithalten konnte. Sie war Ärztin und keine theoretische Physikerin.
Aber dieser Zsolt war vielleicht ein Genie, vielleicht ein Freak; ein wenig Wissenschaftler, ein wenig Spion und Dieb. Jedenfalls nicht der schlechteste Diskussionspartner für den vorliegenden Fall. Und wenn Brugger ganz ehrlich war, konnte er nun auch verstehen, warum seine Tochter diesen Mann mochte. Nach einer Weile „wollte“ man ihm einfach glauben, dass er ein moderner Robin Hood war.
Oder war es doch nur der süße Tokaier, der ihm zu Kopf stieg? Er würde skeptisch bleiben, das versprach er sich, aber es war trotzdem schön, endlich über seine Entdeckung reden zu können. Brugger war einfach gespannt auf den morgigen Tag und stellte sich schon vor, wie sie gemeinsam nach geheimen Fächern suchten oder wie gar ein Buch im Regal nach vorne kippte, sich die Tür zu Magnussens finsterem Labor öffnete und sie im Keller die Zeitmaschine fänden.
„In welche Zeit würden Sie gern reisen, Erik?“, fragte er so überraschend, dass Erik und Emma sich erst mal sprachlos anblickten.
„Ich würde nie durch die Zeit reisen!“, kam es dann doch recht spontan zurück.
„Aber gerade Zeitreisen wären doch in Ihrem Beruf eine wahre Goldmine oder täusche ich mich da?“
„Ich denke, dass jeder, der durch die Zeit reist, mit seinem Leben und dem anderer Menschen spielen würde. Reist man in die Vergangenheit, kann jede Aktion dazu führen, dass man selbst oder jemand, der einem etwas bedeutet, gar nicht existiert. Reist man in die Zukunft und wieder zurück, um aus dem Wissen Profit zu schlagen, verändert man die Zukunft, die man dort gesehen oder erlebt hat. Damit ist der Blick in die Zukunft dann auch nichts mehr wert.“
„Also haben Sie sich mit der Thematik schon beschäftigt?“
„Nicht sonderlich! Aber ich kann Ihnen eins versprechen: Sollten wir eine Zeitmaschine finden, werde ich alles daran setzen, sie zu zerstören. Aber wie gesagt, ich glaube nicht an Zeitreisen.“
Brugger nickte zufrieden. Eriks Antwort kam ihm nicht einstudiert vor, und Brugger mochte den Respekt, den er der Thematik zollte. Vielleicht war er doch kein so schlechter Kerl? Wenn es nach ihm ginge, würden die „Eloi“ also weiterhin von den „Morlocks“ gefressen werden, aber das war eben der Lauf der Dinge, in den auch Brugger nie eingreifen würde.
Zumindest nicht wissentlich oder absichtlich!