Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 9

03:23 AM

Оглавление

Brugger schreckte hoch, als die Schneemassen über ihn hereinbrachen. Er war den ganzen Abhang hinuntergerast, aber der Lawine konnte er nicht entkommen. Das riesige Maul aus Schnee hatte förmlich nach ihm geschnappt, ihn wie ein denkendes Wesen verfolgt. Brugger hatte Haken geschlagen wie ein Schneehase, aber am Ende war alles vergeblich.

Aber das passte jetzt alles nicht zusammen. Ihm war warm, der Raum war dunkel und nur von der vertrauten, orangefarbenen Anzeige seines LED-Weckers erleuchtet. Sein Puls war deutlich erhöht. Das war nur ein Traum gewesen! Er durfte seit über zwanzig Jahren schon nicht mehr Ski fahren, weil er Probleme mit seinen Knien hatte, und jenseits der Sechzig war es sicher auch nicht angebracht, abseits der Pisten über Schneebretter zu wedeln.

Es war auch nicht sein eigener Traum oder besser gesagt, sein eigenes Schicksal. Vielmehr hatte er gestern den Lebenslauf eines Kollegen aus Oslo studiert, der ein tragisches Ende bei einem Lawinenunglück gefunden hatte. Professor Arno Brugger war Professor Thorwald Magnussen nie persönlich begegnet, aber die Ergebnisse der letzten Arbeit des Norwegers lagen seit einigen Monaten in Bruggers Lehrstuhl herum, ohne große Beachtung zu finden. Aber da Brugger bei seinem eigenen Projekt mehr und mehr Rückschläge einstecken musste, wollte er nochmal neue Wege gehen und auch Daten durchforsten, die er und sein Team eigentlich schon als irrelevant abgeschrieben hatten.

Aber jetzt war es erst mal mitten in der Nacht. Kurz nach halb vier mittlerweile und damit zu spät, um dem vergangenen Tag noch Sinnvolles hinzufügen zu können und zu früh, um den neuen Tag schon zu beginnen. Andererseits war es keine Option, sich jetzt einfach wieder hinzulegen, da Brugger das Adrenalin in seinen Adern spürte, als wäre er wirklich in den Bergen verunglückt. Es war ein sehr intensiver Traum gewesen und das Mindeste zur Beruhigung war nun ein Tee oder eine warme Milch. Er stand auf und tapste nackt in Richtung Herd.

Der Schrank, in dem er seine Teesortensammlung aufbewahrte, hatte eine verglaste Front und so sah er sich selbst und zuckte leicht zusammen. Das Gesicht, das er dort erblickte, schien nicht sein eigenes zu sein, aber es verwandelte sich langsam wieder dazu. Die weißen Haare wurden grau, der Vollbart verwandelte sich in den gewohnten Dreitagebart, die tiefen Furchen, die von seinen Nasenflügeln an den Mundwinkeln vorbei bis fast ans Kinn verliefen und somit sein Gesicht markant machten, zeigten sich wieder. „Früher waren das mal Grübchen!“, erinnerte sich Brugger.

Es war ein Nachhall des Traumes. Zunächst hatte er tatsächlich kurz Magnussen gesehen, den er nur von Bildern kannte. Respekt, Herr Professor Magnussen, Sie haben einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen! Er strich sich ein wenig über seine wie immer zerzauste Naturkrause; ohne größeren Erfolg. Dann strich er mit beiden Händen über sein Gesicht, so als wolle er die Sorgenfalten glätten, aber auch das gelang nicht.

Sein Äußeres war Brugger nicht wirklich wichtig, aber er hatte das große Glück, dass er über eine starke natürliche Ausstrahlung verfügte. Steckte man ihn für einen Galaempfang in einen feinen Anzug, machte er durchaus etwas her, sogar, wenn er das Rasieren mal wieder vergessen hatte. In Jeans oder Ledersachen wirkte er wie ein leicht ergrauter Rockstar. Im Laborkittel, in einem Raum mit fünfzig anderen Wissenschaftlern, wusste jeder Fremde sofort, dass er dort der Chef sein musste.

Brugger schüttelte sich kurz, um auch die letzten Nachwirkungen seines Alptraums zu verscheuchen und kratzte sich an seinem blanken Hintern. Das war einer der Vorteile, die er als geschiedener Mann hatte. Niemand störte sich daran, dass er im Adamskostüm Tee zubereitete.

Nein, sicherlich hatte er sich nicht scheiden lassen, um diese Momente genießen zu können. Zwischen ihm und seiner Frau gab es gravierende Probleme, die diesen Schritt nötig gemacht hatten und es war auch alles kein Drama, weil sie beide sehr vernünftig damit umgegangen waren.

Die fünfundzwanzig Jahre Ehe hatten sie noch geschafft, nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Tochter Emma, auf die beide Eltern unglaublich stolz waren. Sie war mit Beginn des Medizinstudiums den Fußstapfen der Mutter gefolgt, aber deswegen war Brugger nicht eifersüchtig. Dass ihre Eignung dort lag, hatte er immer gewusst.

Die Scheidung war einfach nötig geworden, weil Brugger und seine Frau sich gegenseitig auf die Nerven gingen. Beide Eheleute waren in ihren Fachbereichen Koryphäen und in den frühen Ehejahren waren sie auch immer gegenseitig mit Begeisterung an den Fortschritten des Partners interessiert, aber mit zunehmender Zeit bemerkten sie die Unterschiede ihrer Interessen. Bruggers Forschung war immer auf das große Ganze gerichtet, das im Idealfall die Menschheit vor der zwangsläufigen Selbstzerstörung retten könnte. Seiner Frau Karina reichte die Rettung eines einzelnen Menschen.

Nun, das war Bruggers Zusammenfassung ihrer Differenzen. Er brauchte immer eine klare Definition der Probleme, und auch das war der Beziehung meist nicht zuträglich. Karina wusste, dass Arno bei all seiner professionellen Kälte ein sehr warmherziger Mensch sein konnte. Vor allem war er Emma immer ein guter Vater und für sie stellte er seine Arbeit auch mal hinten an. In diesen Genuss war Karina selbst nur höchst selten gekommen.

An seine Arbeit dachte Brugger auch in diesem Moment. Er warf sich seinen Morgenmantel um und schlüpfte in seine Tiger-Plüsch-Schlappen, die ihm seine Tochter geschenkt hatte. Sie hatte ihm gesagt, wenn er wieder einmal zu verbissen in seinen Forschungen versunken wäre, sollte er einfach auf die Puschen runterschauen. Und tatsächlich, als er ihren Rat das erste Mal befolgt hatte, sah es wirklich so aus, als zwinkerten die Tiger ihm zu. Er hatte furchtbar lachen müssen und kurz darauf war ihm ein erfolgreicher Lösungsansatz für sein damaliges Problem eingefallen.

Bei seinem derzeitigen Projekt allerdings hatte er dies bislang vergeblich versucht. Wenn überhaupt, dann schauten ihn die Tiger mitleidsvoll an. Er war sich von Beginn an sicher, dass es sein letztes großes Projekt sein würde, auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, überhaupt zu Ergebnissen zu gelangen.

Seine Universität bot ihm großen Spielraum, schließlich war er in den vergangenen knapp dreißig Jahren maßgeblich daran beteiligt, dass die Goethe-Universität Frankfurt zu einer der weltweit führenden Hochschulen für theoretische und angewandte Physik geworden war.

Bei der einen oder anderen Gelegenheit hatte man seitens der Universitätsleitung auch schon das böse Wort „Nachfolgeregelung“ fallenlassen, aber niemand wagte es, auf Brugger in dieser Hinsicht Druck auszuüben. Und so hatte er sich entschieden, sich als letztes Hurra einem alten Steckenpferd zu widmen: Kollegen bloßstellen!

Das war zumindest die Sichtweise der Außenstehenden oder gar der Betroffenen. Für Brugger stand einfach fest, dass zu oft fahrlässig oder gar schlampig geforscht wurde und damit vielleicht wichtige Erkenntnisse verloren gingen.

Nun konnte man das schlecht an einzelnen Forschungen festmachen, schließlich war man nicht persönlich dabei und so war es schwer, über ein Projekt oder gar einen Kollegen zu urteilen. Aber immer schon hatte sich der Professor die Einzelmesswerte der Projekte angesehen und mit großer Neugier die Anzahl der „Black-Spots“ gezählt. Diesen Namen hat Brugger sich für Messwerte ausgedacht, die nicht den Erwartungen entsprachen oder gar offensichtlich falsch sein mussten, aus welchen Gründen auch immer, und die deshalb aus den abschließenden Gesamtbewertungen entfernt worden waren.

Um diese Logik verstehen zu können, greifen wir auf ein Beispiel zurück: Ein Meteorologe möchte wissen, wie hoch die durchschnittliche Mittagstemperatur auf einer einsamen Südseeinsel im Januar ist. Zu diesem Zweck stellt er dort ein Thermometer fachgerecht auf und versieht es mit einem Gerät, das ihm die Daten zurück ins kalte Deutschland funkt. Jeden Tag um Punkt zwölf Uhr Inselzeit erhält er die Temperaturmessung.

Vier Wochen lang sind alle Werte zwischen 32 und 40 Grad Celsius, doch dann eines Tages meldet das Gerät minus 273,15 Grad Celsius, was gleichzeitig der absolute Temperatur-Nullpunkt wäre. Nun, ganz offensichtlich ist da etwas passiert und der Meteorologe streicht das Ergebnis aus seiner Analyse und erhält dann eine Durchschnittstemperatur von 35,8 Grad. Ohne Streichung läge die durchschnittliche Mittagstemperatur des malerischen Eilands plötzlich bei nur noch 25,8 Grad. Es war also nötig, das eine, offensichtlich irreguläre Ergebnis zu streichen.

Diesen Vorgang bezeichnen Wissenschaftler auch als „Entfernung von Fehlwerten“, „Messfehlerkorrektur“ oder einfach „Schwärzen“. Aber nicht immer sind diese Streichungen so eindeutig, wie bei unserem Beispiel aus der Südsee.

Brugger gefiel die Benennung „Black-Spot“ und er markierte, sofern er einen solchen in der Arbeit eines Kollegen fand, diesen mit einem kleinen „BS“ am Rand seiner Ausgabe.

Im schmunzelnden Wissen, dass bei seinen englischsprachigen Kollegen „BS“ für Bullshit stand, verbreitete er seine Kritik gerne, wenn er feststellen musste, dass in einem Forschungsbericht dermaßen häufig „BS“ auftauchte, dass man den Eindruck gewinnen konnte, der Kollege habe solange geschwärzt, bis seine ursprüngliche Theorie durch Zahlen auch endlich belegt werden konnte.

Für manchen galt es als kleiner Adelsschlag, für andere als blanke wissenschaftliche Ohrfeige, wenn man in Bruggers vierteljährlichem „Bullshit-Report“ erwähnt wurde. Selbstverständlich veröffentlichte Brugger die Papiere immer wieder unter anderen, deutlich neutraler klingenden Namen, aber die wissenschaftliche Gemeinde hatte sich längst auf den Spitznamen seiner Artikel geeinigt und Brugger mochte ihn sehr, obwohl er das nie zugeben würde.

So entstand die Idee, aus all diesen geschwärzten Werten, diesen ungeliebten Kindern der Wissenschaften, letztlich doch noch etwas Großes zu machen. Seine Sammlung aus Forschungsergebnissen war bereits riesig, aber er hatte alle größeren Universitäten weltweit dennoch angeschrieben, mit der Bitte, man möge ihm alles zukommen lassen, was entbehrlich sei, sofern der jeweilige Kollege auch zugestimmt hatte.

Die Berichte trudelten in regelmäßigen Abständen ein. Auch von Kollegen, bei denen er sich sicher gewesen war, dass sie nicht zustimmen würden. Und so saßen er und sein Team plötzlich vor über fünfzigtausend wissenschaftlichen Untersuchungsreihen mit Einzelergebnissen im hohen dreistelligen Millionenbereich und fast einer Million seiner geliebten „Black-Spots“.

Um der Masse an Daten Herr zu werden, verbannte Brugger zunächst alle Untersuchungen, bei denen nicht mindestens zwei Messwerte geschwärzt worden waren. Man wollte schließlich Gemeinsamkeiten finden, Parallelen die sie letztendlich auf die Spur von etwas Neuem stoßen sollten. Dabei war es grundsätzlich egal, ob die „Black-Spots“ von den jeweiligen Forschern begründet oder kommentarlos gestrichen worden waren. Er hatte bei seinem Stab auch immer Geduld gepredigt. Man suche nicht die Nadel im Heuhaufen, sondern eher einen hypothetisch vorhandenen Metallsplitter dieser Nadel.

Und diese Geduld war bitter nötig, denn nach nun fast acht Monaten war sein Lehrstuhl immer noch praktisch ergebnislos. Man hatte lediglich die Gründe für etliche Fehlmessungen dokumentieren können, insbesondere bei den Untersuchungen, in denen man sowieso wenig Wert auf diese Schwärzungs-Begründungen gelegt hatte. Aber das war nicht wirklich das Ziel der Arbeit gewesen.

Letztendlich konnten nur solche „Black-Spots“ zur Ergebnisfindung beitragen, die ungeklärt und mysteriös blieben. Was fehlte, war der Hebel, das Konzept, welches die einzelnen „Black-Spots“ irgendwie miteinander in Verbindung bringen würde, damit am Ende eine Entdeckung gemacht werden konnte.

In der vergangenen Woche hatte Brugger seinem Team erklärt, dass der erste Ansatz gescheitert war. Man hatte schlicht und ergreifend keine Übereinstimmungen gefunden. Da Brugger aber selbst nicht wusste, wie er weitermachen würde, rief er eine kreative Woche aus. Keine Regeln! Keine Forschungen sollten ausgeschlossen werden, nur weil die nötigen beiden „Black-Spots“ nicht vorhanden waren. Es gab keine Tabus bei den Vorgehensweisen.

Es dauerte eine Weile bis seine Leute ausschwärmten und sich individuell mit dem Datenfundus beschäftigten. Brugger war kein Diktator, aber so viele Freiheiten waren seine Assistenten einfach nicht gewöhnt. Er beobachtete das Geschehen und sinnierte vor sich hin. Es war nach einer Weile ganz witzig mitanzusehen, wie sein Team begann, ganz im Stile der jungen Generation von Wissenschaftlern, Daten auf ihre Tablet-PCs herunterzuladen. Ab und an war ein richtiges Notebook dazwischen oder einfach nur ein Speicherstick, aber es war ein hochmoderner Datentransfermarkt, der Brugger zum Schmunzeln brachte.

Zu seiner Zeit wäre das sehr einfach gewesen. Man hätte in der Mitte des Labors alle vorhandenen Akten auf einem Tisch auf einen Stapel gelegt und dann wäre jeder an diesem Aufbau vorbeigegangen und hätte sich die oberste Mappe geschnappt.

Brugger wusste, dass seine Leute versorgt und selbstständig genug waren, um eine Woche für sich allein wursteln zu können. Er wandte sich dem kleinen Stapel an Akten zu, den er sichergestellt hatte; den klassischen Papierakten von Kollegen, die nichts von elektronischer Datenverarbeitung hielten. Von all den vorhandenen Forschungsberichten waren gerade einmal fünf übrig geblieben, die in reiner Papierform vorlagen.

Der kleine Stapel war schnell durchforstet, weil sich allein drei der Projekte mit anthropologischen Untersuchungen befassten. Anscheinend waren gerade die Menschenkundler keine Freunde der modernen Medien. Brugger war versucht, den Mist gleich wegzuwerfen, aber er räumte die Projektunterlagen dann doch wieder brav in einen Aktenschrank.

Somit blieben ihm nur noch zwei Forschungsberichte zum persönlichen Studium übrig. Darunter befand sich ein riesiges Werk eines Biologen aus China, der weltweit Untersuchungen über die Entwicklung von Würmern aller Art durchgeführt hatte, um mit ihrer Hilfe Aussagen machen zu können, wohin die Evolution diese faszinierenden Spezies noch bringen würde.

Entweder war der Mann so sehr von Regenwürmern fasziniert, dass er wissen wollte, wann sie die Weltherrschaft erringen würden oder aber, und das war eine Theorie, die Brugger mit niemandem teilte, der nette Chinese war in Wirklichkeit ein Spion wie James Bond, der diese Forschung nur als Tarnung verwendet hatte, um jedes beliebige Land der Welt bereisen zu können, ohne Verdacht zu erregen. Gestatten? Li, Wang Li! Pflaumenwein, geschüttelt, nicht gerührt!

Nein, das war natürlich auch nichts, was erfolgversprechend aussah, aber alleine die Agententheorie verhalf der Studie dazu, nicht direkt in den Aktenschrank zu wandern, sondern in Reserve auf dem Schreibtisch zu verbleiben. Und somit machte Professor Arno Brugger Bekanntschaft mit Professor Thorwald Magnussen oder besser gesagt, mit dessen Arbeit.

Auf dem Deckblatt des Forschungsberichts war eine Notiz von Magnussens Nachfolger angeheftet. In fast perfektem Deutsch teilte dieser mit, dass das Projekt nie beendet werden konnte, weil der Professor beim Skifahren unter einer Lawine ein vorzeitiges, unglückliches Ende gefunden hatte.

Das Projekt wurde abgebrochen, weil es sehr kostspielig war und niemand wusste, wonach Magnussen eigentlich gesucht hatte. Als er diese Notiz las, war Brugger bereits Feuer und Flamme für den Norweger. Diese Parallele zu seinem eigenen Projekt war zu markant, als dass er sie nicht als Wink des Schicksals betrachten konnte. Keine Theorie! Nur Daten! Und die Hoffnung irgendetwas zu finden?

Es war möglich, dass Magnussen eine Theorie hatte und diese, aus welchen Gründen auch immer, für sich behalten hatte. Durch den tragischen Tod war keinerlei Struktur in den Papieren. Es waren einfach immer wieder Daten und Diagramme ausgedruckt und abgeheftet worden.

Zum Glück war auf den ersten Seiten die Versuchsanordnung aufgeführt. Und diese war ganz nach Bruggers Geschmack. Magnussen hatte in einer Forschungsstation am Nordpol eine Unterdruckpumpe mit einem Gas-Chromatographen verbunden. Die Pumpe saugte immer für fünf Minuten Luft an und anschließend wurde das Gas-Luft-Gemisch analysiert. Sinnvolle Anwendungen für solche Geräte bestanden darin, Umweltgifte nachzuweisen und Aussagen über deren Konzentration zu treffen.

Aber ausgerechnet am Nordpol dürfte das kaum von Belang gewesen sein. Diese Studie hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die knapp achtzigtausend saubersten Proben aller Zeiten von Luft untersucht.

Für Brugger war es auch schwer, die Daten schnell zu deuten, immerhin war er Physiker und kein Chemiker, aber da auch Magnussen kein Chemiker war, sollte das Geheimnis, falls es denn existierte, irgendwo im physikalischen Spektrum zu finden sein. Das hoffte Brugger zumindest!

Er überlegte in seinem Büro gerade, wie er den unfassbaren Wust an Daten in seinen Rechner übertragen konnte, da klopfte Dr. Steffen an seine Glastür. Brugger öffnete die Tür und Steffen teilte ihm mit, dass die meisten der ursprünglich aussortierten Projekte an das Team verteilt worden waren und wollte wissen, ob er wirklich keinerlei Regeln für das Vorgehen aufstellen sollte. Brugger verneinte und bemerkte dabei, dass Steffen mit großem Interesse immer wieder auf die Aktenmappe auf seinem Tisch schielte.

„Sie kennen Professor Magnussens Arbeit?“, fragte Brugger seine rechte Hand.

Dr. Jonathan Steffen war kein Künstler der Wissenschaften wie sein Chef. Er war ein idealer Zuarbeiter, der oft vorher wusste, was Brugger gleich von ihm einfordern würde. Damit konnte er seinen Chef immer wieder verblüffen. Allerdings wusste dieser Chef auch, dass die Universität seinen besten Mann nicht als Nachfolger akzeptieren würde. Dazu war er ihnen nicht spektakulär genug, und auch wenn Brugger es immer wieder versuchen würde, sie hier eines Besseren zu belehren, so schien dies ein aussichtsloses Unterfangen. Steffen selbst hatte er mit dieser Prognose noch nicht konfrontiert, aber so wie er ihn kannte, war klar, dass Steffen den Braten bereits gerochen hatte. Anmerken ließ er sich dies aber nie.

„Ja, Chef, ich habe den Schuss-Ins-Blaue ein paarmal angeschaut!“, sagte Steffen leicht grinsend.

Brugger zog die Augenbrauen hoch. Einen Schuss ins Blaue hatte man sein eigenes Projekt auch genannt und er mochte die Bezeichnung nicht. Sie unterstellte, dass man, statt auf ernste Arbeit, eher auf das Glück baute oder gar hoffte, dass einfach etwas vom Himmel fiel, direkt auf den eigenen Schoß. Das war weder bei ihm so, noch sah es so aus, als habe der Norweger es sich leichtgemacht.

Ein Kollege der mathematischen Fakultät hatte von Bruggers Heuhaufen-Ansprache gehört und daraufhin in der Universitätszeitung einen Artikel verfasst, in dem er das Projekt der Physiker als die Suche nach einer hypothetischen Nadel, in einem hypothetischen Heuhaufen, in einem noch viel hypothetischeren Universum bezeichnet hatte. Das war wenigstens geistreich und hatte Brugger schmunzeln lassen.

Steffen schien zu erkennen, dass sein Kommentar nicht gut angekommen war, aber er hatte noch ein Ass im Ärmel und spielte es sofort aus. „Ich schicke Ihnen gleich einen Link, wo Sie sich das Datenpaket herunterladen können.“

Der strenge Blick des Chefs verflog. „Sie haben das bereits verarbeitet? Ich dachte, diese Arbeit war nicht gesichtet worden, wegen der fehlenden Black-Spots?“

Ein wenig Kritik packte er dann doch in seine Frage. Gemäß seiner Doktrin, hätte Steffen diese Daten gar nicht anfassen sollen und nun wollte er von ihm eine Begründung hören.

„Chef, ich habe das Projekt überflogen, nachdem ich gesehen habe, dass es nie beendet wurde. Ich bin mir sicher, dass Magnussen da drin herumgeschwärzt hätte, dass es für Sie eine wahre Freude gewesen wäre. Ich wollte es Ihnen eh schon vorschlagen, aber ich habe gesehen, dass Sie es sich auf den Tisch gelegt hatten, neben den Wurm-Report und die Volkszählungen.“

Brugger sah Steffens Blick über den Tisch streifen. Dort fand er die Akte des chinesischen Wurm-Agenten, aber er suchte vergeblich nach den Berichten der Anthropologen. Steffen schielte dann zum Mülleimer und zum Reißwolf.

Brugger schmunzelte, weil Steffen ihn so gut kannte. „Keine Sorge, ich habe die Volkszählungen wieder in den Aktenschrank gepackt. Haben Sie die Würmer auch zum Runterladen?“

„Nein, das war mir zu viel Sauerei! Aber mit dem alten Norweger werden Sie Ihre Freude haben. Googeln Sie Professor Magnussen ruhig auch mal, falls Sie es nicht schon gemacht haben! Wird Ihnen gefallen. Tragischer Tod, leider! Hätte gern seine finale Abhandlung gelesen.“

Damit war Steffen auch schon wieder zur Tür hinaus.

CYTO-X

Подняться наверх