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13 - Blut
ОглавлениеBrugger hatte alle Hände voll zu tun. Er wusste gar nicht, was passiert war. Eigentlich hatte er doch nur den „Sarah-Connor-Vergleich“ an Erik zurückgegeben, aber der war plötzlich erstarrt. Die Augen waren weit aufgerissen, die Lippen bewegten sich leicht und Brugger glaubte das Wort „Stolz“ leise heraus gehört zu haben. Er hatte den Arm um Erik gelegt, als er leicht zu Wanken begann und dann lief schon das Blut.
Brugger blickte sich um und sah eine Box mit Kosmetiktüchern auf einer kleinen Kommode. Er musste Erik kurz loslassen, um die Box zu schnappen und schnell drei der kleinen Tüchlein rauszuziehen, doch er hörte ihn schon stöhnen: „Meine Nase!“
Und dann sah er, wie Erik nach vorne kippte. Brugger bekam ihn irgendwie am Arm zu fassen und konnte verhindern, dass er mit dem Gesicht auf den Tisch aufschlug. Der Professor erschrak, denn Erik sah aus, als hätte ihm einer der Klitschkows einen Volltreffer auf die Nase gesetzt.
Wo kam das ganze Blut her? Brugger riss gleich alle Tücher auf einmal aus der Box und drückte sie ihm ins Gesicht. Erik lag mittlerweile seitlich neben dem Tisch und Brugger ging die Düse. Erste Hilfe war nicht seine Stärke. Tochter und Ex-Frau waren Ärzte, aber seine medizinischen Fähigkeiten erstreckten sich darauf, Emma ein Pflaster auf ein aufgeschürftes Knie zu kleben und selbst dann hatte Karina meist gesagt, er hätte das nicht richtig gemacht. Abgesehen davon, dass das schon eine Weile her war. Zum Glück war der Boden gefliest!
Ja toll, das hilft uns jetzt auch weiter! Brugger, konzentrier' dich!
Die Tücher waren durchtränkt. Was nun? Brugger zog sich sein T-Shirt aus und ersetzte das rot-klebende Knäuel mit seinem Textil. Erik lag mit offenen Augen da, so dass es ihm einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter laufen ließ. Nicht liegen lassen! Das Blut rinnt sonst in den Hals runter!
Er packte Eriks Arm und hievte ihn auf die Couch, in sitzende Stellung, den Oberkörper vorgebeugt. Brugger selbst saß daneben, um ihn zu stützen. Lange würde er nicht warten können, bevor er einen Arzt rufen musste. Das sah nicht nach einem normalen Nasenbluten aus. Brugger sah sich um, ob er ans Telefon käme, ohne Erik loszulassen, aber das würde nicht leicht werden.
Er versuchte Eriks Position zu stabilisieren, Arme auf die Oberschenkel, vielleicht das blutige Shirt irgendwie zwischen den Beinen auf den Boden legen. Ihm kam der Gedanke an einen nassen, kalten Wickel.
Wo gehörte der gleich wieder hin? In den Nacken? Was zuerst? Den Wickel oder gleich den Notarzt rufen?
Zehn Sekunden später hätte der Professor selbst fast den Notarzt gebraucht. Aus dem Nichts schreckte Erik mit einem lauten Grunzen in die Senkrechte hoch. Brugger machte einen Satz von der Couch und spürte sein Herz fast stehenbleiben.
„Ja, spinnst du? Mir so einen Schreck einzujagen?“
Erik blickte ihn benommen an. Die Blutung hatte wohl aufgehört, aber beim Schnaufen durch die Nase blubberte es gruselig.
„Sag was! Geht‘s wieder?“, wollte er von Erik wissen und der antwortete nur: „Ich weiß es jetzt!“
Dann grinste er breit und dadurch wurde sein Anblick noch gruseliger. Sein Gesicht war blass und blutverschmiert. Er sah aus wie ein Zombie, der gerade Beute gemacht hatte.
„Ist mir egal, was du weißt, wir gehen ins Bad! Du siehst furchtbar aus!“
Brugger packte ihn am Arm und zog ihn in Richtung Bad. Erik wollte erst nicht gestützt werden, schien dann aber doch zu merken, dass ihm seine Beine nicht richtig gehorchten.
„Wo kommt das ganze Blut her?“, fragte Erik noch halb benommen, als sein Blick auf den roten Kleenex-Batzen und das blutige Hemd fielen. Er tastete sich selbst ab und wunderte sich offensichtlich, dass er selbst noch ein Hemd anhatte.
„D ... Danke!“, stammelte er noch geschwächt. „Stell dir vor, ich heiße gar nicht Zsolt!“
Brugger rollte mit den Augen. Eine Beichte wollte er jetzt nicht hören. Außerdem war es kein Wunder, dass er einen falschen Namen benutzt hatte. Bei seiner Vergangenheit!
Er stellte ihn ans Waschbecken und sagte ihm, er solle sich festhalten, nicht dass er noch umfiel und die Nase wieder zu bluten anfing. Erik lachte wieder grunzend, merkte aber dabei, wie verstopft seine Nase war und blickte in den Spiegel.
„Heilige Scheiße!“, stöhnte er. „Wie schau ICH denn aus?“
Brugger reichte ihm einen Waschlappen und Erik übernahm nun seine eigene Reinigung, während der Professor sich sein altes Shirt aus der Schmutzwäsche fischte. Er hatte nur für zwei Tage gepackt und brauchte für Luxemburg noch ein sauberes.
Trotz allem atmete er jetzt fürs Erste tief durch. Er war sichtlich erleichtert, dass Erik in Ordnung zu sein schien. Wäre doch ein toller Ausflug geworden, wenn er Emma hätte sagen müssen: „Ja, schön war es in Norwegen! Übrigens ist dein Freund verblutet!“
Brugger war gerade wieder in sein altes Shirt geschlüpft, da hörte er Erik plötzlich lachen. Er hatte sich das Gesicht sauber gewischt und betrachtete sich im Spiegel. Er war ziemlich blass, aber das fiel gar nicht auf, weil ihm das herzhafte Lachen etwas Sympathisches gab, das Brugger an ihm so noch nicht kannte. Andererseits war der Lachanfall ein wenig verstörend.
„Ich hab Ungarisch völlig umsonst gelernt. Weißt du, wie schwer der Mist ist?“
Woher sollte Brugger das wissen? Ungarisch brauchte man als Wissenschaftler so dringend, wie ein Fisch ein Fahrrad brauchte, aber natürlich steckte hinter dieser rhetorischen Frage etwas ganz anderes.
Brugger begann plötzlich zu verstehen, was Erik ihm hatte sagen wollen. Das vorhin mit dem Namen war keine Beichte. Nur war der Groschen noch nicht gleich gefallen oder er wollte nicht fallen, weil der Schreck noch zu tief saß, den Erik ihm verpasst hatte.
Er wartete erst mal ab, bis sich Erik beruhigt hatte. Das Lachen ging dann in einen Schrei über und er ließ seine geballten Fäuste so fest auf dem Waschbecken nieder, dass man die Verankerung knirschen hören konnte. Dann blickte er Brugger über den Spiegel an und sagte: „Komm, Brugger! Ich muss mich einloggen! Bringen wir es hinter uns!“
Diese Version von Erik war Brugger lieber als die weinerliche Version zuvor. Trotzdem war ihm noch nicht alles klar. Hatte er irgendeinen Geistesblitz gehabt, der ihn physisch niedergestreckt hatte?
Er folgte ihm zurück zum Pad, das immer noch auf dem Tisch lag und auf sie wartete. Auf den Fliesen breitete ein Blutfleck von der Größe eines Pizza-Tellers aus, aber Erik wischte bereits forsch über die Oberfläche und sagte dann: „Erik Stolz!“
Es folgte das bekannte „Calibrating“ und „Kalibrierung abgeschlossen“, wobei sich Brugger nur kurz über die deutsche Sprach-Kalibrierung wunderte, denn schon stand da „Vorname des Vaters“. Erik antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Hermann!“
Hermann Stolz? Nie gehört!
Brugger würde gleich einige Erklärungen einfordern, aber zunächst wollte er die weiteren Fragen abwarten. Sicher gab es da gleich noch einiges Interessantes zu erfahren.
„Temporale Relevanz 99,2 Prozent! Bitte warten!“
„Das ist doch ...“, begann Brugger und musste dann doch noch Luft holen, bevor er weiter schimpfen konnte. „Da fragt mich das Drecksding die unmöglichsten Sachen und mir geht die Düse, dass ich nicht versehentlich was Falsches sage und bei dir reicht ein lausiger Vorname?“
Erik zuckte nur mit den Achseln, schaute aber schon gebannt auf das Pad, in nervöser Erwartung, was nun passieren würde. Brugger war auch neugierig, aber er hasste es, so im Dunkel stehengelassen zu werden.
„Und was ist jetzt los mit Erik Zsolt oder Erik Stolz? Und Papa Hermann? Würdest du mich endlich aufklären, was das soll?“
Auf dem Pad leuchtete es grün. Vielmehr sah es aus, als würde im Innersten eine kleine grüne Kugel so grell glühen, dass die Strahlen das Gehäuse durchdrangen. Auch Brugger war nun still und blickte gebannt auf das Gerät. Kurz überlegte er, ob es überhaupt vernünftig war, anwesend zu sein. Gut möglich, dass Erik Zugang bekam, aber IHN hatte man ja schon abgelehnt. Kam der Todeslaser vielleicht jetzt?
Andererseits ließ es seine Neugier nicht zu, nun schnell aus dem Zimmer zu rennen, um sich in Sicherheit zu bringen. Das war ein historischer Moment in der Geschichte der Wissenschaften, so viel war sicher. Nur erzählen konnten sie es, außer vielleicht Emma, vorerst niemandem und möglicherweise auch nie!
Die grüne Kugel breitete sich nun aus und beide wichen ein wenig zurück. Es waren nur Strahlen ohne jegliche Substanz, wie eine Kugel aus grünem Laserlicht, die sich schnell ausbreitete, und immer, wenn das Licht etwas berührte, verlangsamte sich die Ausdehnung.
Brugger vermutete, dass das eine Art Scan war, aber er war so betäubt von dem Ereignis, dass er nicht in der Lage war, seine Erkenntnis mit Erik zu teilen. Nun berührte die Lichtkugel Erik. Der grüne Schimmer legte sich über seine Konturen, durchdrang ihn und wanderte weiter. Brugger sah ihm an, dass er sie gespürt hatte, also war das keine reine Lichterscheinung. Aber bevor er ihn fragen konnte, was er gespürt hatte, berührte der Scan nun auch ihn.
Brugger hatte mit beiden Händen recht verkrampft die Lehne eines Stuhls vor ihm gegriffen und dort berührte die grüne Kugel ihn zuerst. Allerdings bemerkte er auch, dass es bereits keine echte Kugel mehr war. Wo sich kein Widerstand bot, breitete sich das Phänomen schneller aus, als dort wo es Mobiliar oder Mensch abzutasten hatte und am Boden stoppte es gänzlich und lag wie grüner Bodennebel auf den Fliesen.
Bruggers Finger zuckten. Das kitzelte leicht, aber nicht unangenehm. Es war als krabbelte das Licht durch seinen Körper. Brugger hatte etwas annähernd Elektrisches erwartet, aber bei ihm gab es kein Kribbeln und kein Aufstellen von Härchen, wie das bei elektrischen Ladungen zu erwarten gewesen wäre.
Fast schon konnte man es als angenehm bezeichnen und nun spürte Brugger, wie die grüne Schicht auf seinem Gesicht, seinem Hals, seiner Brust und eben auch tiefer lag. Es war ihm etwas peinlich, an diesen Stellen berührt zu werden, zumal er auch auf diese Berührung ein wenig reagierte. Aber dann floss diese grüne Welle durch ihn hindurch und er traute sich wieder zu atmen.
Bin ich gerade betatscht worden?
Zumindest hoffte er, dass am anderen Ende des Scanners eine Frau saß. Wenn sie noch dazu hübsch war, würde er über die sexuelle Belästigung hinweg sehen. Brugger drehte sich um, um dieser Welle oder Kugel oder diesem Laser oder „Was-auch-immer“ hinterher zu sehen.
Der grüne Schimmer hatte nun alle Wände, den Boden und die Zimmerdecke erreicht, hielt kurz inne und zog sich dann im Bruchteil einer Sekunde wieder zusammen. Das Licht verschwand in dem Pad, verweilte dort für einige Sekunden als grüner Punkt und erlosch dann.
„Ich glaube, das hat die letzten Zweifel beseitigt, ob das Ding aus der Zukunft ist, oder?“, fragte Brugger mit leicht zittriger Stimme.
Erik nickte und wollte gerade Brugger über seine Erleuchtung aufzuklären, da erschien aus dem Nichts auf dem Stuhl, der Erik gegenüber stand, ein Mann.
Nein, kein Mann, sondern die Projektion eines Mannes! Ein Hologramm, so lebensecht, dass man schon zweimal hinschauen musste. Und es war auch nicht irgendein Mann; es war Professor Thorwald Magnussen.
Das Hologramm war so perfekt angepasst, dass es die Ellbogen der leicht verschränkten Arme direkt auf der Tischplatte positionierte, die Schuhsohlen den Boden berühren ließ und den Allerwertesten des Professors mittig auf der Sitzfläche platzierte. Magnussens Abbild machte einige Bewegungen, die so aussahen, als würde er sich vergewissern, dass die Aufnahme lief und räusperte sich dann.
Brugger umkreiste die Projektion langsam und bestaunte sie fasziniert. Er holte kurz aus, um mit der Hand durch das Hologramm zu fahren, aber hielt dann doch inne. Das war zu realistisch, als dass er da einfach mit der bloßen Hand hätte hindurch wischen wollen.
Außerdem dachte er an das grüne Abtastverfahren. Das war auch nicht völlig materielos gewesen und Brugger hatte den Verdacht, dass er etwas spüren würde, wenn er das Hologramm berührte. Oder schlimmer noch: Das Hologramm könnte spüren, dass es berührt wurde! Nein, danke! Er konnte vorerst darauf verzichten, diese These zu überprüfen.
„Guten Tag! Es ist etwas seltsam hier ins Leere zu sprechen, während meine Worte aufgezeichnet werden, aber wenn alles so eintrifft, wie es mir versprochen wurde, dann spreche ich nun zu einem Herrn Erik Stolz. Ich möchte Ihnen erklären, wie es dazu kam, dass Sie mich nun sehen können, während ich aller Voraussicht nach nicht mehr unter den Lebenden weile.“
Man konnte erkennen, dass Magnussen während der Aufzeichnung angeschlagen war. Etwas belastete ihn sichtlich und machte ihm das Reden schwer.
„Mein Sohn Leif wurde ermordet, als er noch keine vier Jahre alt war. Ich habe eines Nachts einen Mann in seinem Zimmer gesehen, der mit irgendeinem Gerät sein Leben ausgelöscht hat. Später sagten die Pathologen etwas von einem Gendefekt, aber das war Unfug. Mein Sohn war gesund bis zu dieser Nacht. Die Tür zu Leifs Zimmer schlug vor meiner Nase zu, und als ich in das Zimmer kam, war der Mann weg und mein Sohn war tot. Meiner Frau sagte ich später, dass ich mir das alles wohl eingebildet haben muss, aber ich weiß noch heute genau, was ich da gesehen habe.“
Brugger hatte sich an die lange Seite des Tisches gesetzt, auf halber Höhe zwischen Erik und dem Hologramm. Magnussens Lippen bewegten sich leicht asynchron zu den Worten, und Brugger vermutete, dass der Professor bei der Aufzeichnung auf Norwegisch gesprochen hatte und das Pad nun nicht nur die Übersetzung ins Deutsche lieferte, sondern auch versuchte, die Lippen des Professors an die neue Sprache anzupassen.
Das war ein faszinierend unwichtiges Detail, das sicher jede Menge Rechenpower benötigte, aber anscheinend musste man sich in der Zukunft, aus der dieses Gerät kam, keine Gedanken über die Auslastung eines Arbeitsspeichers machen.
Magnussen fuhr fort: „Ich habe dann begonnen, neben meiner Arbeit nach unerklärten Phänomenen zu suchen. Das meiste waren Spinnereien von irgendwelchen Wichtigtuern, aber ab und zu ... Nun ja, anfangs dachte ich an Außerirdische, aber dann lernte ich einen Kollegen kennen, der die Theorie hatte, dass eine Organisation aus der Zukunft Korrekturen an der Zeitlinie durchführte. In dem Moment, als dieser Kontakt zufällig entstand, wurde ich wohl temporal relevant.“
Brugger schmunzelte, als Holo-Thorwald dabei Anführungszeichen in die Luft malte. Die beiden hatten offensichtlich mehr gemeinsam, als stahlblaue Augen und die Leidenschaft zur Physik.
„Jedenfalls bekam ich daraufhin Besuch aus der Zukunft.“ Magnussen blickte eine Weile in die Kamera oder besser gesagt, zu der Stelle, an der damals wohl das Pad vor ihm aufgebaut war. Er verzog das Gesicht, als wäre es ihm peinlich über etwas wie Zeitreisen oder gar Besucher aus der Zukunft zu reden.
Brugger konnte dies gut nachvollziehen. Oder interpretierte er diese Gefühle einfach in Magnussens Mimik hinein? Jedenfalls war zu erkennen, dass der alte Norweger sich sehr gut überlegte, was er sagen würde und auch wie.
„Es ist schon komisch, über so ein Thema mit dieser Selbstverständlichkeit zu reden. Noch vor einem Jahr hätte ich schallend über mich selbst gelacht oder mich gleich einweisen lassen, aber ich habe unwiderlegbare Beweise und Technik aus der Zukunft gesehen. Sie haben das Neuro ja vor sich! Keine Angst, es beginnt gerade erst, sich mit Ihnen zu verbinden. Anfangs sind die Fähigkeiten und vor allem die Kommunikation noch beschränkt, aber wenn Sie es eine Weile regelmäßig benutzen, werden Sie damit eine Einheit bilden.“
Brugger blickte zu Erik. Dessen Augen wurden gerade sehr groß und er lehnte sich nun in seinem Stuhl weiter nach hinten, so als wolle er den Abstand zu dem Pad vergrößern. Nein, zu dem „Neuro“, um damit diese Verschmelzung zu verhindern.
Brugger hingegen war durchaus neugierig, wie diese Bildung einer Einheit aussehen würde. Neugierig zu sein, war als Wissenschaftler auch seine verdammte Pflicht und hatte nichts mit Schaulustigkeit zu tun, aber mittlerweile hielt sich die Enttäuschung über seine relativ geringe temporale Relevanz auch in Grenzen.
Das Hologramm erklärte weiter: „Vieles wird Ihnen klarer werden, sobald Sie sich mit Ihrem Neuro besser verstehen. Ich hatte gelinde gesagt Schwierigkeiten mit dieser Verbindung, aber selbst mit meinen begrenzten Möglichkeiten, waren die Erkenntnisse für mich augenöffnend. Sie hingegen haben nach meinem Informationsstand ein Gehirn, das für diese Verbindung besser geeignet sein sollte. Ich wünsche Ihnen alles Gute damit!“
Erik sah nicht so aus, als ob er sich über die Herausforderung freuen würde. Er war nach dem Blutverlust schon etwas käsig im Gesicht gewesen, aber während das vorhin noch ein fahles Camembert-Gelb war, ging es nun in Mozzarella-Weiß über. Brugger wusste nicht, wie nahe Erik daran war, seine eigene geheime Prophezeiung zu erfüllen und sich über das Neuro zu übergeben.
„Ich sollte langsam zum Abschluss kommen! Der Mann aus der Zukunft heißt Novalik Staam, und Sie werden ihn bald selbst treffen. Ihre erste Aufgabe wird eine zeitliche Verschiebung sein, um ihn im Jahr 2476 aufsuchen zu können. Alles Nötige dazu finden Sie in dem Schließfach in der Banken Letzebuerg. Das Passwort heißt: Novalik! Was Besseres war mir nicht eingefallen und das hatte die erforderlichen sieben Buchstaben.
Ich habe alle meine Aufgaben erfüllt. Ich habe die Forschung meines Kollegen zerstört, die auf die Zeitsprünge aufmerksam hätte machen können. Ich habe dieses Experiment am Nordpol gestartet und damit meine Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler in Frage gestellt, damit Sie auf diese verrückte Studie stoßen und somit letztendlich in den Besitz von all dem gelangen können. Und ich, nun ja, ich weile nicht mehr unter Ihnen.“
Brugger sah, dass Erik nickte. Ganz so, als ob das Sinn ergäbe, als ob eine solche Kette an Ereignissen und Zufälligkeiten planbar wäre. Sogar ein leichtes Lächeln war zu erkennen. Dabei hatte er in dem Moment, als Magnussen den Zeitsprung erwähnte, der Erik bevorstehen sollte, eigentlich gedacht, dass es jetzt soweit wäre. Das müsste das Tröpfchen sein, das das Fass zum Überlaufen brachte.
Aber Erik musste sich weder übergeben, noch wurde er ohnmächtig. Es schien ihm sogar besser zu gehen. Eher hatte Brugger nun den flauen Magen und überlegte schon mal, ob er nicht noch ein Wodka-Fläschchen holen sollte.
„Mein Sohn wurde aus der Zeitlinie entfernt“, klang die Stimme Magnussens nun sehr angestrengt und seine Fäuste waren deutlich sichtbar auf dem Tisch geballt, „weil er angeblich im Alter von neunzehn Jahren bei einem Terrorakt die Stadt Oslo mit einer Kobalt-Bombe vernichten würde.“
Das Hologramm musste sich erst beruhigen, bevor es weiter reden konnte. „Warum man ein Kind ... Warum es allmächtige Zeitreisende nicht schaffen, diesen angeblichen Terrorakt zu verhindern und stattdessen ...“
Das zog nun tief runter in die Magengrube. Der Kampf des Professors mit der Fassung, seine Erinnerung an den furchtbarsten Tag, den man sich als Vater wohl vorstellen kann, löste in Brugger eine ungeahnte Beklemmung aus.
Allein der Gedanke, jemand würde Emma heute töten, wäre unerträglich, geschweige denn, so etwas wäre passiert, als sie noch so klein war. In ihm keimte ein furchtbarer Hass gegen den Täter auf. Brugger hatte die Fäuste nun ebenso auf dem Tisch geballt wie Holo-Magnussen.
Nachdem sie alle drei tief durchgeatmet hatten, fuhr Magnussen fort: „Mir wurde versichert, dass der Täter in der Zukunft gerichtet worden sei. Eine Korrektur der Tat könne aber angeblich erst erfolgen, nachdem Sie, Herr Stolz, sich mit Novalik Staam getroffen haben. Man lässt mich mit Vielem im Unklaren, das ist mir bewusst. Antworten bekomme ich nur auf die wenigsten Fragen, aber ich bitte Sie, treten Sie diese Reise an, damit die Zeitlinie korrigiert werden kann und mein Sohn wieder lebt. Ich habe meinen Teil erfüllt. Bitte, helfen Sie meinem Sohn!“