Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 30

20 - Zoff

Оглавление

Erik hatte es nicht kommen sehen. Der Streit begann plötzlich und unerwartet. Und es ging um das eine Thema, bei dem mit Brugger nicht zu spaßen war: Emma!

Der Professor war fix und fertig aus der Bank gekommen, und Erik hatte schon Angst, dass ihm die halbe Belegschaft auf den Fersen sein könnte. Aber nichts dergleichen war geschehen. Brugger war etwas blass um die Nase, und wenn man wusste, dass an seinem Gesicht nicht alles echt war, dann konnte man die Farbunterschiede an den Latex-Schichten deutlich erkennen.

„Lass uns so schnell wie möglich abhauen! Ich brauche einen Kaffee und einen Weinbrand oder so was Ähnliches und was zu essen!“, keuchte Brugger.

Erik widersprach nicht. Ein Kaffee war ihm auch recht, dazu vielleicht ein Stück Kuchen, nur auf den Alkohol konnte er verzichten. Er warf einen kurzen Blick auf den Inhalt des Koffers, zuckte bei der Farbe des Cyto-X merklich zusammen, und schon verließen sie die internationale Finanzmetropole wieder.

Brugger rupfte sich auf der kurzen Fahrt zu einem kleinen Lokal außerhalb der Stadt die Maskenteile herunter. Nebenher berichtete er von seinem Aufenthalt in der Bank. (Dabei ließ aber das kleine Malheur am Ende aus.)

Es war Erik peinlich, dass er die Abläufe in der Bank so falsch eingeschätzt hatte. Dass die eifrige junge Dame ausländische Grußformeln auswendig gelernt hatte, war nicht abzusehen gewesen, aber Erik war richtig stolz auf Brugger.

Deshalb fand er es etwas verwunderlich, dass der Professor so schnell die Bank verlassen wollte. Aber Erik wollte jetzt nicht weiter nachbohren und so saßen sie kurz danach beide vor einer großen Wanne Milchkaffee und einem Stück original luxemburgischer Zwetschgen-Torte. Brugger hatte dazu noch seinen Weinbrand und stützte sich beim Genuss nachdenklich auf den Koffer mit den Schätzen.

Erik schlürfte an seinem Kaffee und sagte dann beiläufig: „Wir inspizieren das erst bei Dir daheim, dann brauchen wir Emma das nicht alles doppelt zu erzählen.“

Bruggers Mine verfinsterte sich sofort. „Emma ist aus der Sache raus! Das Zeug ist mir zu gefährlich für sie.“

Ob es daran lag, dass Erik einfach keine Ahnung davon hatte, wie beschützend man sich als Vater vor seine Tochter stellt, oder einfach daran, dass er gerade mit halb geschlossenen Augen den leckeren Kuchen genoss, konnte er später selbst nicht sagen. Er schätzte Bruggers Gemütslage in diesem Moment einfach völlig falsch ein und sagte etwas flapsig: „Na, das hättest du dir überlegen müssen, bevor du sie da selbst mit reingezogen hast!“

Mächtig böser Fehler!

Das Einzige, was Erik gerade vor einer typischen Brugger-Standpauke bewahrte, war die Tatsache, dass man im Garten des Lokals nicht alleine war. So musste Brugger ihn „leise“ anschreien, aber auch das war eindeutig genug.

„Meinst du denn, ich hätte sie da reingezogen, wenn ich gewusst hätte, was das wird? Ich dachte, das ist einfach der Anfang von einer wissenschaftlichen Entdeckung! Ich wollte höchstens ihren Segen haben, falls ich es veröffentliche oder für immer begrabe.“

Erik hob die Hände beschwichtigend, aber es half nichts. Der Professor war mit der Standpauke in vollem Gange.

„Ich wollte nicht nach Norwegen fliegen und dort nach Spuren suchen. Ich habe sie auch nicht gebeten, mir einen dahergelaufenen Hallodri als Unterstützung mitzugeben. Ich bin nicht losgezogen, um dieses Dreckszeug zu finden. Ich habe gehofft, dass wir NICHTS finden! Oder etwas, das zeigt, dass alles Blödsinn war, was Magnussen da am Nordpol gemacht hat. Aber jetzt, wo wir das alles haben, da weiß ich eine Sache ganz genau und zwar, dass Emma raus ist! Haben wir uns verstanden?“

Erik war eine Weile sprachlos. Emma hatte ihren Vater als den liebsten Menschen der Welt beschrieben, der keiner Fliege was antun könne. Er selbst hatte ein wenig mehr recherchiert und Verweise darauf gefunden, dass Brugger ein gefürchteter Diskussionspartner war, weil er durchaus zur Cholerik neigen konnte, wenn er erkannte, dass alle um ihn herum Ignoranten waren. So hatte es ein Kollege von ihm freundlich in einem Artikel ausgedrückt.

Aber während es dort „nur“ um seine Arbeit ging, ging es hier um Emma. Brugger hatte ihm die Wertigkeiten von Emma und der Wissenschaft für ihn schon erklärt. Diese Augen, die ihn da anfunkelten, waren die Augen eines Vaters, der alles für das Wohl seiner Tochter tun würde, also blieb Erik momentan nichts anderes übrig, als zu nicken und fürs Erste klein beizugeben.

Brugger nahm noch einen Schluck Weinbrand und Erik wollte abwarten, bis dessen beruhigende Wirkung einsetzte, bevor er das Thema nochmals auf den Tisch brachte. Wie lang dauert das? Sind dreißig Sekunden genug?

„Emma ist aber ein Teil des Paradoxons. Falls das hier ein Zeit-Paradoxon ist!“

Bruggers Faust landete auf dem Tisch, so dass seine Kuchengabel auf den Boden fiel. Die beiden starrten sich eine Weile an.

„Allet in Ordnüng?“, fragte die Bedienung, die besorgt zum Tisch kam und die Gabel aufhob, in holprigem Deutsch.

„Nichts ist in Ordnung!“, zischte Brugger. Erik schenkte der Bedienung ein verlegenes Lächeln, das ihr bedeuten sollte, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Sie schien aber nicht das erste Mal in eine solche private Differenz geraten zu sein und entfernte sich kommentarlos, um eine saubere Gabel zu holen.

Erik begann verbal um das Minenfeld herumzuschleichen: „Brugger, wenn das wirklich ein temporales Paradoxon ist, dann ist Emma da drin, ob du willst oder nicht. Ohne sie hättest du mich nie kennengelernt. Wüsste jedenfalls nicht wie! Und anscheinend bin ich die Zielperson dieser Unternehmung oder wie man dazu sagen soll. Ich möchte nur, dass dir das bewusst ist.“

Der Professor schaute grimmig, aber hielt sich im Zaum. „Das ist mir bewusst, aber sie wird uns nicht unterstützen. Ich erzähle ihr gerne alles ausführlich, wenn es vorbei ist. Aber sie wird akzeptieren müssen, dass sie raus ist!“

Mit einem Mal verstand Erik, dass Brugger zwar sauer auf ihn war, weil er ihn darauf hingewiesen hatte, dass er seine Tochter selbst mit reingezogen hatte, aber der Streit hier, das war kein Streit zwischen Erik und Brugger, sondern der Streit, den Brugger mit Emma würde austragen müssen.

„Darum geht es also? Du streitest mit mir, weil du weißt, dass Emma nicht auf dich hören wird?“

Brugger schwieg, aber in ihm kochte es ganz offenkundig. Dann blickte er sich kurz um und stand auf. Er packte den Koffer und ging plötzlich los, in Richtung des kleinen Baches, der am Lokal vorbei rauschte.

Das Lokal war wohl früher eine alte Mühle, denn der Bach stürzte hier über eine kleine Staustufe nach unten. Bis Erik so richtig reagieren konnte, sah er schon, wie Brugger den Koffer über das Schutzgeländer vor dem kleinen Wasserfall hielt.

Er sprang auf, um ihn aufzuhalten, aber da kam gerade die Bedienung mit der Gabel zurück und rief ihm nach, offensichtlich in der Angst, hier würde die Zeche geprellt. Brugger und der Koffer waren aber jetzt wichtiger. Zumindest lief die Bedienung Erik hinterher und nicht von ihm weg, wie der alte, störrische Bock. „Brugger nicht! Das Zeug ist doch die einzige Möglichkeit, Emma wieder rauszuholen! Und dich auch!“

Nebenher fummelte Erik einen Zwanziger aus der Hosentasche und gab ihn der leicht zeternden Kellnerin. Er legte einen Zehner nach, damit sie endlich Ruhe gab. Brugger schaute ihn abwartend an, den Koffer noch immer über den Sturzbach haltend. Erik merkte nun, dass es der Bedienung nicht mehr um die Zeche ging, sondern darum, dass sein „Vater“ nicht einfach da was in den Bach werfen durfte.

Er wechselte ins Französische, was die Dame deutlich besser sprach als Deutsch und erklärte ihr, dass dies weder sein Vater sei und wie sie überhaupt darauf käme und vor allem, dass er schon dafür sorgen würde, dass er den Koffer da nicht reinwarf, aber dazu solle sie sie bitte endlich in Ruhe lassen. Sie schimpfte noch in einem Letzebuerger Kauderwelsch, aber dampfte wenigstens davon und beäugte sie nur argwöhnisch aus der Ferne.

Wenigstens konnten Erik und Brugger sich hier vor dem tosenden Wasser endlich anschreien. Brugger gab ihm fünf Minuten, um zu erklären, wie er das meinte, mit der einzigen Möglichkeit, Emma rauszuholen.

Erik war baff, dass sein neuer Freund, der Professor für Theoretische Physik, nicht in der Lage war, dieses einfache temporale Phänomen zu entschlüsseln, aber er schrieb das der Sorge um Emma zu. Sobald es um sie ging, war es wohl aus bei Brugger.

„Wenn ich diese Reise mache und Novalik Staam verhindert dafür die Ermordung von Leif Magnussen, dann wird Thorwald Magnussen nie sein Experiment am Nordpol starten. Du wirst nie diesen Datensatz zur Untersuchung bekommen und Emma wird mich nur als Patienten kennen. Wir beide, werden uns wohl dann nie kennenlernen. Oder kennengelernt haben, wenn du es so ausdrücken willst.“

Brugger überlegte eine Weile und hob den Koffer dann wieder zurück in Sicherheit. Vorbei war es damit aber noch nicht. „Emma ist stur. Und ja, das hat sie von mir, das ist mir klar.“

Er machte eine Pause und Erik dachte, dass diese Sturheit ihm wohl damals bei der OP das Leben gerettet hatte. Insofern dankte er für die Sturheit und Bruggers Erbgut, auch wenn das gerade sehr anstrengend war.

„Erik! Du musst mir helfen, sie zu überzeugen, dass sie sich raushält, bis alles vorbei ist!“ Bruggers Blick duldete kein Nein.

„Wenn Emma die Blutwäsche nicht ausführt, wer dann? Willst du deine Frau auch noch mit ins Boot holen? Oder hast du noch einen Freund, der Arzt ist, der dir einen so großen Gefallen schuldet, dass er einem Fremden eine unbekannte giftgrüne Substanz in den Körper spült?“

Brugger resignierte sichtlich. Eben hatte er sich drohend aufgebaut und nun sanken die Schultern nach unten. „Karina ist gar nicht da, die ist in Äthiopien oder Ägypten oder so. Die rettet wieder die Welt.“

Erik war es peinlich zu sehen, dass Bruggers Augen ein wenig feucht waren. Bitte nicht, dachte er, das kann ich jetzt gar nicht brauchen!

Brugger wollte weiter nach Auswegen suchen. „Was wäre, wenn ich das Zeug doch wegwerfe oder du einfach nicht reist, dann passiert doch auch nix!“

Erik hatte sich auch das schon überlegt und es gab da keine Antwort, die Brugger beruhigen würde. Er beugte sich über das Geländer und sah dem Bach zu. Brugger tat ihm gleich und wartete auf Eriks Einschätzung.

„Dieser Staam hat ganz schön was in Bewegung gesetzt, um mich in die Zukunft zu holen. Wenn wir das hier in den Bach werfen oder ich mich einfach weigere zu reisen, dann hat er fast fünfhundert Jahre Zeit, das zu merken, nicht wahr?“

Brugger nickte nachdenklich. Ein paar der Gedankenspiele hatte er offensichtlich auch gemacht.

„Wenn Staam einer der Guten ist, habe ich nichts zu befürchten mit der Reise. Falls nicht, was glaubst du, könnte der alles anstellen, um mich zu der Reise zu zwingen?“

„Du glaubst also, er könnte nicht nur noble Absichten haben?“

„Ich kann es nicht sagen, aber ich halte mir beide Optionen offen. So verblendet von meinem Neuro, wie du denkst, bin ich noch nicht.“

„Wie meinst du das mit dem Zwingen?“

Erik merkte, dass Brugger das etwas unsicher fragte, so als ob er sich auch schlimme Dinge ausmalen konnte oder dies bereits getan hatte. Er formulierte es also vorsichtig: „Weißt du, im Moment ist mein Anreiz für die Reise das Leben eines Kindes, das ich nicht mal kenne. Wenn das nicht ausreichen sollte, könnte ein anderes Faustpfand gesucht werden.“

CYTO-X

Подняться наверх