Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 39
29 - Neongrün
ОглавлениеWäre nicht die oberste Geheimhaltungsstufe angesagt gewesen, dann hätte man teuerste Eintrittskarten für das Ereignis im Keller von Doktor Karina Brugger verkaufen können. Emma hatte alle Funktionen dreimal und viermal geprüft, bevor sie Erik das Cyto-X platzieren ließ. Und danach prüfte sie natürlich, ob er nicht irgendetwas verstellt hatte.
Brugger saß auf einem Klappstuhl, den er sich organisiert hatte und schaute einfach nur zu. Er hatte keine Fragen mehr und helfen konnte er auch nicht. Also begnügte er sich mit der Rolle des Beobachters und Kameramanns. Sie hatten sich darauf geeinigt, die Blutwäsche zu filmen. Sollte irgendetwas schiefgehen, hätten sie alles dokumentiert und könnte vielleicht auf Fehlersuche gehen. Sie würden die Aufzeichnung aber noch vor der Reise wieder löschen.
Keine Spuren! Keine Beweise! Darauf wollten alle drei achten. Schließlich sollte nicht irgendwann ein Video im Netz kursieren, auf dem zu sehen war, wie jemand einen neongrün leuchtenden Zylinder in ein Dialysegerät einfügte und wie sich dieser Zylinder dabei selbstständig verformte, um sich den Anforderungen des Geräts anzupassen.
Dass auf dem Dialysegerät ein kleines graues Kästchen lag, das wie eine mobile Festplatte aussah, hätten wohl nur die Aufmerksamsten bemerkt, aber dieses Gerät steuerte tatsächlich die Verformung des seltsamen Containers, der vor dem Einsetzen in die Maschine keinerlei Anschlüsse aufwies.
Erik nahm auf dem einigermaßen bequemen Behandlungssessel Platz und ließ sich von Emma die zwei Zugänge in den linken Arm legen. Sie erklärte ihm dabei kurz die Funktion des Apparates, hauptsächlich weil das Legen der Zugänge recht unangenehm war. Sie musste etwas größere Kanülen legen, um die Zirkulation des Blutes nicht zu stören.
Ihr Vater musste ihr dabei kurz assistieren, weil besonders der Zugang in die Arterie etwas Fingerspitzengefühl erforderte, besonders wenn man es sonst nur gewöhnt war, in glitschiger Gehirnmasse herum zu schneiden. Aber Emma war in ihren Abläufen absolute Präzision gewohnt, also schaffte sie auch das relativ problemlos.
„Die Maschine hat einen doppelten Schutz gegen Bläschenbildung. Einmal beim Einlaufen ins Gerät und dann kurz bevor das Blut wieder in dich zurückläuft. Das Dialysat wird zwischen den beiden Schutzvorrichtungen mit deinem Blut vermengt. Na ja, weniger Dialysat, sondern in deinem Fall das Cyto-X!“ Dabei blickte sie etwas misstrauisch auf das Neuro.
Den Kommentar, dass das alles natürlich nur klappen würde, falls dieses Ding wusste, wie das Dialysegerät genau funktionierte, ersparte sie sich. Eine befriedigende Antwort war nicht zu erwarten. Man musste wie bei allem Technischen dem Neuro und damit Novalik Staam vertrauen. Eine gute Basis, wenn man wusste, dass Erik ihn für einen Lügner hielt.
Erik war etwas mürrisch, als ihm Emma sagte, er müsse den linken Arm die ganze Zeit relativ stillhalten und dass sie ihn sicherheitshalber mit einer Manschette an die Armlehne fixieren würde, da er vielleicht müde werden und wegnicken könnte. Eigentlich hätte er gern die Zeit genutzt, um an seinem Laptop ein paar Dinge nachzuholen.
Sein Power-Book auf dem Schoß zu balancieren und nur mit einer Hand mühsam darauf herum zu hacken, war dann auch keine verlockende Aussicht. Emma hatte ihm angeboten, einen Beistelltisch zu holen und ihm eine Maus zu besorgen, weil es so vielleicht einfacher wäre, aber da hatte er schon keine Lust mehr.
Emma meinte dann, es wäre vielleicht auch nicht schlecht, wenn er seinen völlig überpowerten Satellitenadapter nicht unbedingt neben dem Dialysegerät betreiben würde. Man könne nie wissen, Elektronik und so! „Außerdem können wir uns dann in Ruhe alles erzählen, was man gegenseitig wissen sollte. Du weißt schon, wenn man ...“
„... gerade miteinander Sex gehabt hatte?“, wollte Erik schon vollenden, aber er wahrte natürlich die Diskretion gegenüber ihrem Vater. Allerdings war er sich relativ sicher, dass Brugger Bescheid wusste, da er gerade besonders unauffällig auf dem Klappstuhl saß und sich absolut desinteressiert gab. In dieser Hinsicht unterschätzte Emma ihren Vater anscheinend gern.
Brugger versuchte auch gerade, bewusst wegzuhören und berechnete lieber, wie lange die Umwandlung von menschlichem Cytoplasma in Cyto-X dauern würde und welche Bereiche des menschlichen Körpers wohl am schwersten umzuwandeln waren. Das Skelett, weil es so stabil war oder doch eher Organe oder das Gehirn, damit die Funktionen nicht beeinträchtigt wurden?
Er vertraute darauf, dass das Neuro sein „Herrchen“ schon daraufhin scannen würde, ob die Sättigung komplett wäre, bevor es ihn durch die Zeit reisen ließ. Er zuckte richtig zusammen, als er sich bildlich vorstellte, wie Erik verschwand, aber sein Skelett zurückblieb. Er beschloss, diese Vision nicht unbedingt mit Emma und Erik zu teilen.
Es war kurz vor drei Uhr nachmittags, als Emma, nach weiteren sehr gründlichen Checks der Maschine und der Zugänge, ihr O.K. für den Start gab. Damit war klar, dass es bis Neun dauern würde und dann hätte Eriks Körper die Nacht über Zeit den Vorgang abzuschließen. Erik würde gerne noch frühstücken, so als Henkersmahlzeit, und wünschte sich Pfannkuchen, als Emma ihn fragte, was er gerne hätte.
Das beste Zeitfenster würde sich morgen um 11:38 Uhr öffnen. Sollte man das verpassen, würde es fast vier werden, bis man eine neue Chance bekäme. Die drei blickten sich abwechselnd nervös an, als ihnen bewusst wurde, dass das alles nun sehr konkrete Formen annahm. Erik wollte es nun hinter sich bringen und sagte: „Fangen wir an!“
Emma stellte sich an das Gerät, um den Knopf auf sein Kommando zu betätigen, aber Erik schüttelte den Kopf. „Schatz, das wird nicht nötig sein. Setz' dich einfach und genieß' die Show!“ Er schenkte ihr ein Lächeln, als sie auf der Stirn eine leicht ungehaltene Falte offenbarte. Sie setzte sich ihm gegenüber, so wie es ihre Mutter immer bei ihrer Tante gemacht hatte.
Plötzlich begann die Maschine zu summen und Emma sah, wie sich die Schläuche an den Zugängen mit Blut füllten. Eine Weile waren alle mucksmäuschenstill. Erik hörte in seinen Körper hinein, aber anfangs spürte er nur das leicht unangenehme Gefühl im Arm, das durch die Erweiterung seines Blutkreislaufs erzeugt wurde.
Brugger konzentrierte sich auch auf die Schläuche. Er wartete insgeheim doch darauf, dass der neongrüne Saft in den Schläuchen erschien und sich vielleicht sogar die Haut bei Erik etwas grün färbte. Aber nichts davon geschah. Hätte man den Container nicht durch eine durchsichtige Klappe sehen können, wäre alles genauso, wie bei einer normalen Dialyse gewesen.
„Es kribbelt!“, sprach Erik so plötzlich aus, dass die beiden anderen fast erschraken. Emma sprang sofort darauf an und kontrollierte wieder die Zugänge. „Emma, bleib' ruhig! Ich verspreche, ich melde mich, wenn was nicht stimmt. Ich hab' nur gesagt, dass es kribbelt. Aber nicht da, um die Schläuche herum, sondern eher im Bauch, den Beinen und am Kopf.“ Passend dazu kratzte er sich mit der freien Hand durch die Haare.
Anfangs meldete Erik noch jede Veränderung, aber bald wurde der Ablauf fast langweilig. Emma blieb zwar immer etwas angespannt, aber langsam begann auch sie mit ihm über andere Dinge zu reden. Brugger ließ ihnen gerne etwas Zeit alleine, holte ihnen zu trinken, später auch einen Happen zum Essen. Zwischenzeitlich ging er sogar an Karinas Rechner.
Auch bei ihm war viel liegengeblieben in den letzten Tagen. Das Eingangsfach seines E-Mail-Kontos quoll über. Steffen hatte sich mehrmals gemeldet und wollte wissen, ob er am Montag wieder regulär zur Arbeit käme. Die Assistenten hätten nun alle Studien durchsucht, aber nichts Auffälliges gefunden. Was sollte er darauf antworten? Er wusste selbst nicht, was morgen noch alles passieren würde.
Vielleicht könnte er morgen Abend sinnvolle Aussagen machen, also ersparte er es sich, jede einzelne Mail von Steffen zu lesen. Interessant fand er auf Anhieb nur eine einzige Mail. Absender Marit Magnussen! Allerdings fand er es schon fast unmoralisch, diese Mail am PC seiner Ex-Frau zu lesen.
Marit erkundigte sich beiläufig, ob die Kiste schon da sei, aber hauptsächlich sagte ihre Mail aus, dass sie in Kontakt bleiben wollte. Sie käme im Oktober zur Buchmesse nach Frankfurt und Brugger musste zwangsläufig überlegen, wie sich die Zeitlinie bis dahin wohl noch verändern würde. Ob sie ihn dann überhaupt noch kennen würde?
Vielleicht käme sie gar mit ihrem Sohn, wer weiß, warum nicht gleich mit ihrem Mann? Oh, mein Gott, wie anstrengend das alles war. Trotzdem antwortete er ihr brav, bot an, sich um ihre Unterkunft zu kümmern, ihr die Universität zu zeigen und natürlich ein wenig das gehobene Nachtleben von Frankfurt. Aber während er schrieb, war er sich bereits sicher, dass es dieses Treffen im Oktober nie geben werden würde. Verfluchte Zeitreiserei!