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5 - Golf

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Erik hatte bei dem Treffen mit Dr. Emma Brugger gegen seine eigenen Grundsätze verstoßen. Fremden Personen auf Anhieb wichtige Details aus seinem leicht obskuren Leben mitzuteilen, war für ihn immer ein Tabu gewesen. Aber als sie die Theorie mit der neuen Verbindung im Gehirn offenbarte, da klingelten bei Erik schon die Alarmglocken.

Und als sie dann so frei heraus und vielleicht leicht naiv fragte, ob sie seinen Fall veröffentlichen dürfe, da wusste er, dass er nur zwei Optionen hatte. Entweder unter einem Vorwand das Weite suchen und sich seinem medizinischen Schicksal ergeben oder eben den harten, vielleicht riskanten Weg gehen und seine Ärztin einweihen, um ihr zu verdeutlichen, was passieren könnte.

Sie hatte ihm in Aussicht gestellt, dass sie sich zwei Stunden später wieder für ihn Zeit nehmen könnte, da sie sich um andere Patienten kümmern musste. Sie schlug ihm ein Treffen in ihrem Golfclub vor, unweit der Uniklinik. Sie hatte etwas von „ein paar Löcher schlagen“ gesagt und Erik musste die aktive Teilnahme am Golfspiel entschieden ablehnen. Löcher würde er schon schlagen, aber nur neue und auch nur dort, wo man keine brauchen konnte.

Ja, so schlimm war es um seine Motorik bestellt. Er schob sich beim Essen die Gabel nicht unbedingt ins Ohr, aber ein doch recht anspruchsvoller Ablauf wie ein Golfschwung, das war nichts für ihn.

Trotzdem war eine Runde auf dem Golfplatz natürlich ideal für das, was es zu besprechen galt, also bot er seine Dienste als Caddy an. Bevor er sich aber auf den Weg zum nahegelegenen Golfclub machte, vollzog er ein Ritual, das für ihn eine Selbstverständlichkeit war.

Zunächst holte er seinen Laptop aus dem Rucksack und setzte sich gemütlich auf eine Bank auf dem Gelände der Uniklinik. Von weitem sah er aus, wie einer der vielen modernen, jungen Menschen, die ihre Pausen dazu nutzten, um ihre E-Mails zu checken oder mit bunten Comic-Vögeln Gebäude zum Einsturz zu bringen. Die Programme auf seinem Power-Book waren aber etwas anderer Natur.

Der USB-Stick, den er als erstes anschloss, war ein experimentelles Unikat. Er sorgte für eine absolut sichere Satellitenverbindung zu verschiedenen Datenservern weltweit. Sicher hätte er damit auch im Internet surfen können, aber er brauchte andere Informationen.

Als Erstes prüfte er, ob irgendein spionagefähiger Satellit in Reichweite des Großraums Frankfurt seine Bahnen zog. Als dies verneint wurde, prüfte er die Aktivitäten der „Feinde“, wie er und seine Kollegen sie nannten. Die meisten Mitarbeiter von staatlichen Geheim- oder Intelligence-Diensten hatten eine digitale Signatur für ihre Aktivitäten, um ihren jeweiligen Organisationen zu ermöglichen, die Einsatzgebiete zu optimieren. Dass Leute wie Erik diese Funktion zu ihrem eigenen Vorteil nutzen konnten, schien diesen Diensten noch nicht bekannt zu sein.

Falls eine Organisation, wie beispielsweise die CIA, irgendwo auf der Welt eine Person beschattete, dann gab es dort nicht einen einzelnen Superagenten, der den Job erledigte, sondern drei, vier oder noch mehr Kontakte, die sich bei dieser Überwachung ablösten. Sobald also mindestens zwei Agenten an ein und denselben Ort transferiert wurden, erkannte der Algorithmus, den ein Kollege von Erik erfunden hatte, dass an diesem Ort wohl ein Einsatz stattfand und meldete eine verschlüsselte Nachricht, die mit dem Programm auf Eriks Laptop dechiffriert werden konnte.

Solche Meldungen lagen aber für ganz Europa derzeit nicht vor. Eine ungewöhnlich ruhige Lage, aber die Nachwehen der Finanzkrise hatten wohl auch Auswirkungen auf den Umfang der Aktivitäten von Geheimdiensten.

Erik packte wieder brav zusammen und machte sich an den letzten Schritt seines Rituals. Selbst ohne Spionage-Satellit und ohne marodierende Geheimagenten, war es immer noch möglich, dass ihn jemand beobachtete. Erik wusste genau, auf welches Verhalten von Personen er achten musste. Die „auffällig Unauffälligen“ waren für ein ungeschultes Auge schwer zu erkennen.

Er hatte schon an CIA-Agenten und Israelis geübt, und da er sich Gesichter sehr gut merken konnte, war seine Beobachtungsgabe in kurzer Zeit richtig gut geworden. Probleme bereiteten ihm die Chinesen. Die sahen für ihn auf den ersten Blick alle gleich aus.

Vor den Chinesen hatte er noch aus anderen Gründen immer den größten Respekt. Sie waren nach seiner Einschätzung einfach die besten in diesem Geschäft und aufgrund der politischen Struktur Chinas auch die gefährlichsten. Sein Anti-Spionage-Programm hatte mit chinesischen Agenten auch ab und zu so seine Probleme.

Offiziell gab es drei verschiedene Geheimdienste in China, die sich untereinander bespitzelten. Jeder Dienst war in zwölf „Büros“ aufgeteilt, mit verschiedenen Zuständigkeiten. Es gab noch einen vierten Dienst, der ausschließlich mit der Überwachung der anderen drei Dienste beschäftigt war. Dies wurde aber selbst bei Organisationen, wie der CIA, oft nur als urbane Legende dargestellt Ein Kollege von Erik sammelte derzeit Beweise für den fünften Dienst in China.

In Eriks Routine waren also asiatische Gesichter die ersten Ankerpunkte. Kein Chinese war weit und breit zu sehen, also atmete er tief durch und begann unauffällig über das Gelände der Uniklinik zu streifen. Er prägte sich im Vorbeigehen Gesichter ein und kam nach circa zwanzig Minuten „rein zufällig“ wieder an seinem Ausgangspunkt an. Niemand war seiner zufälligen Route „unauffällig“ gefolgt. Erik war sich sicher, dass niemand ihn beobachtete und beendete sein Ritual.

Die Vorsicht hatte sich immer ausgezahlt. „Better safe, than sorry!“, wurde in der „Brain Factory“ immer gepredigt. Erik zuckte zusammen, als er sich selbst dabei ertappte, dass er den Namen verwendet hatte, wenn auch nur in Gedanken. „Wenn etwas keinen Namen hat, kann es darüber auch keine Akte geben!“, war noch so eine Weisheit. Im Widerspruch dazu, hatten alle seine Kollegen aber einen Decknamen, meist die alten Hacker-Namen aus den Neunzigern. Ganz ohne Namen ging es einfach nicht, und so hatte sich auch der Spitzname „Brain Factory“ irgendwann eingebürgert.

Natürlich stellten sie keine Gehirne her, aber sie waren auch keine einfachen Diebe. Die meisten Ideen, die sie klauten, wurden von ihnen erst perfektioniert oder in die Tat umgesetzt. Erik selbst war oft an Universitäten oder Instituten und hatte sich ganze Tafelbilder an Gleichungen und Diagrammen gemerkt, bevor ein enttäuschter Forscher seine eigenen Ergüsse mit schmerzendem Blick wieder löschte, weil er damit nicht weiterkam oder dachte, er habe einen Fehler gemacht.

Sie stahlen, aber entwickelten Ideen auch weiter. Und wenn sie Gedankengut oder Technik stahlen, dann bei denen, die es verdienten. Das war das Credo, das ihr Unternehmen über all die Jahre zusammengehalten hatte.

Die Straßenbahn beförderte ihn direkt zum Vereinsheim des Golfclubs. Öffentliche Verkehrsmittel waren ein Segen für Existenzen wie ihn. Natürlich besaß er Autos, aber alle nur für seinen privaten Gebrauch, besonders für Spaßfahrten, und sie standen alle sauber verwahrt in den Garagen seiner Häuser. Wenn Erik beruflich unterwegs war, gab es nur öffentliche Transportmittel.

Das hatte er sich auch für seine Arztbesuche im Zusammenhang mit seinem vermeintlichen Tumor vorgenommen. Nie in einem Fahrzeug reisen, das man mit seiner Person direkt in Verbindung bringen konnte, lautete sein Transport-Motto. Am häufigsten war er weltweit mit Straßenbahnen und U-Bahnen unterwegs.

Auf diese Weise hatte er die Netzpläne von gut fünfzig Weltstädten auswendig gelernt. Auch das war unglaublich nützlich, falls er doch mal beschattet wurde, was ihm zugegebenermaßen erst ein einziges Mal passiert war; von einem privaten Sicherheitsunternehmen, das seine Identität kontrollieren wollte.

Erik hatte seine Verfolger in der Londoner „Underground“ abgeschüttelt, und als er wusste, dass ihm dort keine echte Gefahr drohte, ließ er sich mit Genuss wieder weiter beschatten, um bei dieser Aktion seine Fähigkeiten zu trainieren. Er wäre bereit, falls ihm die „Feinde“ eines Tages nachstellen würden, hoffte aber, dass es dann nicht ausgerechnet die Chinesen wären.

Als er das Vereinsheim betrat, wartete sie bereits in voller Golfmontur auf ihn. Statt des Arztkittels und den langen Hosen trug sie ein Poloshirt und einen Rock, der ihm zeigte, dass zu Emma auch sehr schöne Knie gehörten. Die Haare waren nun sehr akkurat zu einem langen Pferdeschwanz gebunden, unter dem das Schweißband ihres Sonnenhutes Halt fand. Fingerlose Handschuhe, farblich abgestimmte Golfschuhe und sogar passende Ohrringe rundeten das Bild nun ab.

Sie hatte auf Erik nicht den Eindruck gemacht, als würde sie das Haus nicht ohne Style-Berater verlassen, aber jetzt war ihr Outfit einfach perfekt. Erik musste sich beherrschen, um nicht zu sehr auf ihre körperlichen Vorzüge anzusprechen.

Sie drückte ihm den Griff des Dreirad-Trolleys in die Hand, auf dem ihre Golftasche fixiert war. Mit einem heftigen Ruck zog er ihn hinter sich her. Das Mistding war sehr unbeweglich und bockte richtig.

„Der ist zum Schieben, Erik“, sagte sie leicht schmunzelnd. „Sie haben wohl wirklich noch nie Golf gespielt?“

Erik zuckte mit den Achseln und ging um den Trolley herum, um ihn nun zu schieben. „Nur auf dem Rechner!“ Es war ihm natürlich aufgefallen, dass sie ihn mit Vornamen angesprochen hatte, was es sicher leichter machen würde, mit ihr entspannt über alles zu reden. Trotzdem war ihm etwas unwohl dabei.

Er mochte bei Fremden die Distanz. Er scheute Vertrautheit und Intimität in seinem Leben, weil es durchaus sein konnte, dass er irgendwann von heute auf morgen untertauchen musste. Und wenn man sich niemand gegenüber erklären musste, umso besser! Seine Kollegen könnte er immer auf verschlüsselten Wegen kontaktieren, aber was wäre mit Freunden oder gar einer Romanze?

Deshalb hatte sich sein Sexleben auch immer auf gutaussehende, aber dennoch recht oberflächliche Frauen konzentriert. Partygirls oder auch mal ein Model, das war sein Beuteschema. Sobald er allzu viel Intellekt in einer Frau entdeckte, suchte er das Weite. Aber von Emma wollte er, nein, brauchte er etwas anderes. Da konnte er nicht weglaufen. Andererseits spürte er sein wachsendes Interesse und das bei einer Frau, die er nun seit gerade mal drei Stunden kannte.

Erik wollte sie beim ersten Abschlag nicht stören und wartete, bis sie ihm den Driver zurückgab, bevor er zu erklären begann, wie er denn zu seinem komplizierten Beruf gekommen war. Während sie dem Ball hinterher wanderten, erzählte er von seiner Zeit als Hacker, als noch nicht jeder Haushalt wie heute über Internet verfügte und nur wenige Profis eine Ahnung hatten, was Server oder Gateways waren.

Damals war es für ihn und für andere Computer-Freaks ein wahrer Sport, in fremde Systeme einzudringen und Informationen zu entwenden. Die meisten Hacker ließen sich später von genau den Firmen anheuern, die sie zuvor infiltriert hatten, um dort sicherzustellen, dass solche Einbrüche sich nicht wiederholten.

Erik hatte solche Angebote auch erhalten, da er aber kurz vor Erreichen der Volljährigkeit seine Mutter verloren hatte und als Alleinerbe nicht nur ein großes Haus, sondern auch einen ausreichend großen Batzen Geld sein Eigen nennen konnte, war er nie in Versuchung geraten, diese sichere Berufsvariante zu wählen.

Er wollte lieber seinen Idealen treu bleiben. Das bedeutete, die großen Softwarefirmen, aber auch staatliche Institutionen verschiedener Länder, nicht vor Hackern zu beschützen, sondern sie weiter zu ärgern. Als Einzeltäter waren seine Mittel und Möglichkeiten allerdings stark eingeschränkt.

Etwa drei Jahre lang nutzte er seine Fähigkeiten recht planlos für Datendiebstahl und Systemmanipulationen, studierte nebenher ein wenig Physik, Chemie und Mathematik. Allerdings hatte er keine Lust, etwas von der Pike auf zu lernen. Das war ihm zu langweilig. Da war er unterfordert, und wenn er nicht ausgelastet war, kamen die Kopfschmerzen.

„Eines Tages“, begann er, „fand ich ein interessantes Netzwerk und drang dort ein. Dort stieß ich auf eine Datei namens Keyser. Das ist mein Hacker-Name. Ich hatte eigentlich noch keinen Alarm ausgelöst, also wollte ich bleiben und herausfinden, was eine Datei mit meinem Namen dort zu suchen hatte. Es begann mit einer Grußbotschaft an mich, man wolle mir nichts Böses, ich solle ein chiffriertes Rätsel lösen und falls es mir gelänge, würde ich entweder ein paar tausend Dollar bekommen oder eine Einladung, einer geheimen Vereinigung beizutreten.“

Anfangs hatte er immer Redepausen eingelegt, wenn sie sich auf einen Schlag vorbereitete, aber Erik hatte bemerkt, dass dies nicht nötig war. Mehr und mehr ging er dazu über, einfach kontinuierlich weiterzureden, egal, ob sie nun einen Schlag ausführte oder nicht.

Er fand es sehr beruhigend, eine Chirurgin für sein Gehirn gefunden zu haben, die sich anscheinend von gar nichts ablenken ließ. Wäre ja schlimm, wenn ein Bekannter im OP vorbeischaute, während sie dabei war, ihm die Nadel durch die Nase ins Gehirn zu schieben, und sie sich dem Besucher zuwenden würde. „Hallo, wie geht es dir? Lange nicht gesehen! Ja, ich mach‘ da grad eine kleine Hirn-OP, nichts Wichtiges!“ Erik schüttelte sich kurz, um die Vision zu verdrängen.

„Es dauerte eine Weile, bis ich das Ding dechiffriert hatte, aber dann hatte ich eine Telefonnummer mit Länderkennung aus Indonesien! Der Mann am anderen Ende der Leitung fragte nur, was es sein solle: Geld oder etwas viel Wertvolleres? Ich musste feststellen, dass der Mann, mit dem ich sprach, mich anscheinend seit einiger Zeit beobachtet hatte. Er wusste Dinge, die er nur wissen konnte, falls er mit mir gemeinsam Kurse an der Uni besucht oder mir beim Hacken über die Schulter geschaut hatte.

Ich war neugierig und fasziniert und er hatte mich sofort am Haken. Anfangs waren meine Jobs recht klein und ich erkannte eigentlich nie, worauf die gesamte Operation hätte hinauslaufen sollen. Ich hatte ein Konto auf den Caymans, das wundersam zu wachsen begann.“

„Haben Sie den Mann jemals persönlich getroffen?“, fragte Emma während des Puttens.

„Nein, bis heute nicht. Zumindest nicht bewusst. Man sagt, dass er selbst fleißig mitarbeitet. Und die allgemeine Meinung ist, dass jeder von uns schon mal mit ihm zusammengearbeitet hat, ohne es zu wissen. Nun ja, ich kann Ihnen keine Details erzählen, schon zu Ihrer eigenen Sicherheit, und ich hoffe Ihnen ist klar, dass Sie diese Geschichte auch an niemand anders weiter erzählen sollten. Ich kann Sie nur bitten, mir zu glauben, dass wir die Guten sind. Auch wenn wir dabei nicht gerade schlecht verdienen.“

Er sah ihr an, dass sie ihm glauben wollte, aber er musste Vieles zu abstrakt beschreiben, konnte zu wenig auf echte Fälle eingehen. Allerdings er hatte sich eine Sache bis zum Schluss aufgehoben.

„Zeigen Sie mir doch mal Ihr Smartphone!“, forderte er sie auf. Er selbst hatte zwei, für verschiedene Verwendungszwecke, eins in der linken, eins in der rechten Jackentasche. Als er sah, welches Fabrikat Emma benutzte, griff er zu seiner rechten Seite, wo er das Konkurrenzmodell stecken hatte.

„Sehen Sie? Wir haben Geräte von den beiden großen Gegnern auf dem Markt. Aber die Bedienung und das alles ist so ähnlich, dass wir sie austauschen könnten und kein Problem mit dem Gerät des anderen hätten, nicht wahr?“

„Na ja, die verklagen sich doch auch ständig gegenseitig, weil der eine vom anderen geklaut hat und umgekehrt. Wer da was geklaut hat, weiß ich nicht, aber ich nehme an, dadurch sind die sich alle so ähnlich.“

Erik mochte die Falte auf ihrer Stirn, die sie jetzt gerade sehr deutlich präsentierte. „Würde es Sie wundern, wenn keine der Firmen die andere bestohlen hätte, sondern die komplette Smartphone-Technologie aus einem Forschungsinstitut des FBI stammt? Also, sicher spionieren die sich jetzt mit den Neuerungen wieder aus, aber das erste Smartphone der Welt war eigentlich ein Gerät, das den Amerikanern die Überwachung ihrer eigenen Bevölkerung ermöglichen sollte, beziehungsweise aller Amerikaner und aller Ausländer, die in den Staaten lebten. Später war es dann eben auch außerhalb der USA geplant. Das Mistding hatte den Entwicklungsnamen Little Brother. Es sollte für einen Spottpreis auf den Markt kommen, damit möglichst bald jeder Amerikaner eines besitzen würde.“

Erik blickte auf sein Handy. Seine beiden Geräte waren natürlich so getunt, dass sein Netzanbieter nicht wusste, wo er gerade war oder in welchen Läden er gerne einkaufte. Eigentlich wusste der Netzanbieter nicht einmal, dass Erik Kunde bei ihm war. Sein Chip konnte auch den Netzbetreiber wechseln, aber das war für seine Geschichte jetzt nicht so wichtig.

„Wir alle übermitteln mit unseren Handys viel zu viele Informationen über uns selbst, aber das ist lächerlich im Vergleich zu dem, was die Amis da vorhatten. Ich wurde als Programmdesigner und Sicherheitsspezialist eingestellt. Mit gefälschtem Namen, einer falschen Identität, das ganze Paket. Ein Kollege von mir war in der technischen Abteilung zu Gange. Fast ein halbes Jahr lang haben wir mitgearbeitet, manchmal Entwicklungen verschleppt oder sabotiert, um genug Zeit zu haben, die Daten und Spezifikationen der Fertigung auszuspionieren und an andere Firmen zu verkaufen. Natürlich so modifiziert, dass es sich wieder um Handys handelte und nicht um Wanzen.

Dann brannte es versehentlich. Niemand kam dabei zu Schaden. Und drei Wochen später wurden die ersten Smartphones auf den Markt geworfen. Kurz darauf beschuldigten sich die Firmen zum ersten Mal gegenseitig der Industriespionage. Und wir waren zum ersten Mal richtig reich.“

Erik sah sie etwas verlegen an. Sie schien nun besser zu verstehen, was er tat, wie sein Zirkel arbeitete, aber das bedeutete nicht, dass sie es guthieß. Nun, das musste sie auch nicht. Sie sollte nur verstehen, dass er sich in dem Metier gut auskannte und wenn er ihr sagte, niemand dürfe wissen, was da in seinem Kopf vielleicht am Wachsen war, dann müsste sie das ernstnehmen.

Sie brauchte für den nächsten Schlag sehr lange, was ihm zeigte, dass sie dabei war, das alles zu verdauen. „Emma, es ist durchaus möglich, dass ich im Laufe der Behandlung plötzlich verschwinden muss. Suchen Sie mich nicht!“

Emma hatte trotz seiner Erzählung eigentlich stets konzentriert weiter gespielt. Sie war für ihr Handicap auf gutem Kurs, doch nun hatte sie einen Ball recht ungünstig auf dem Fairway abgelegt, so dass das Par wohl nicht zu halten war. „Nun ja, das war es wohl mit meiner Bestleistung.“

Erik schwieg eine Weile. Zum einen, weil er merkte, dass Emma sich über ihren Schlag ärgerte, zum anderen, weil er zwischen seinen Schläfen den altbekannten Schmerz zu spüren begann. Das Fairway machte etwas weiter vorne einen Knick und sie würde den Ball nochmal etwas vorlegen müssen, um von dort aus Richtung Grün zu kommen, es sei denn...

„Wie weit kommen Sie mit einem Neuner-Eisen, Emma?“

„Etwa hundert Meter, vielleicht hundertzehn, warum?“

Erik zeigte auf eine kleine V-förmige Lücke im umgrenzenden Wald. „Das Grün liegt genau hundert Meter durch die Lücke. Dann retten Sie das Par vielleicht doch noch?“ Emma schlich eine Weile um ihren Ball herum und spielte den gewagten Vorschlag offensichtlich im Kopf durch, während Erik langsam begann, immer wieder seine Schläfen zu massieren. Er würde bald eine Pille brauchen, aber noch ging es.

„Sie können das Grün von hier aus nicht sehen, wissen aber, dass es da drüben ist?“, fragte Emma etwas argwöhnisch. „Ich habe keine Karte dabei. Da ich mich hier auskenne, weiß ich aber, dass sie Recht haben. Ist da nicht doch ein wenig fotografisches Gedächtnis? Sie haben im Clubhaus sicher nur einmal oder zweimal auf die große Karte geschaut und sich das trotzdem eingeprägt?“

„Winkel und Entfernungen, das prägt sich bei mir leicht ein. Wenn Sie da durchschlagen können, sollten Sie genau auf dem Grün landen.“

Aber Emma schüttelte nur den Kopf. „Wenn ich das könnte, müsste ich nicht in fremder Menschen Köpfen herumschneiden. Wenn ich vorlege, habe ich die Chance, meine Bestleistung einzustellen. Wenn ich den Schlag mache und versiebe, bringen mich die Strafschläge um.“

Erik biss nochmal auf die Zähne und schenkte ihr ein Lächeln. „Sie haben vorhin auf mich den Eindruck gemacht, als würden sie nicht unbedingt auf Nummer Sicher gehen. Ich traue Ihnen den Schlag zu. Sie riskieren doch sicher gerne mal was?“

„Als mein Patient sollten Sie sich nicht wünschen, dass ich das Risiko liebe!“

Erik zog das Neuner-Eisen aus dem Sack und reichte es ihr. Emma zögerte noch eine Weile. Das Risiko entsprach nicht ihrer Mentalität. Sie zog die Sicherheit vor, aber Erik konnte ihre Bereitschaft spüren, sich von ihm zu diesem verrückten Schlag verführen zu lassen. Sie nahm das Eisen und bereitete sich vor.

Für Erik war genau dieser Schlag wichtig. Er bewertete alles an ihren Abläufen in Hinblick auf die mögliche Operation. Als er hörte, wie das Eisen den Ball traf wusste er, dass er sich bei ihr unters Messer legen könnte.

Der kurze, aber spitze Freudenschrei, den sie ausstieß, als der Ball die Lücke exakt traf, überraschte ihn zwar etwas, aber gegen ein wenig Feuer im Blut war nichts einzuwenden, und als er ihre blitzenden Augen sah, war ihm bewusst, er könnte sie haben, weil sie ihn ebenso wollte, wie er sie, aber das alles stand nicht zur Diskussion. Beide zwangen sich nach dem kurzen Jubel zurück in ihre Reserviertheit und wanderten in froher Erwartung einer guten Ablage über das Fairway.

„Können und wollen Sie mich unter den genannten Umständen als Patient akzeptieren, Emma?“

„Nun, ich werde Ihre Operationen als Tumorentfernung deklarieren. Ich brauche zwei Assistenten für die OP, aber Sie haben Glück! Meine Mutter kann als Anästhesistin arbeiten. Und meine OP-Schwester ist verschwiegen. Für den Fall eines schlechten Ausgangs ... Verzeihen Sie, dass ich das ansprechen muss, aber ich brauche Dokumente, die die OP erklären, falls sie diese nicht überleben sollten. Ich brauche Ihre Einwilligung zu den Eingriffen, die ich genau beschreiben muss. Sobald Sie diese unterschrieben haben, kommen sie in mein Bankschließfach. Und Sie müssen dafür sorgen, dass alle Operationen im Voraus bezahlt sind, damit niemand aus der Verwaltung nachfragt. Fürs Erste reicht Ihre Anzahlung ja eine Weile. Können Sie mit meinen Konditionen leben, Erik?“

Er spürte eine Gänsehaut, als sie von seinem möglichen Ableben sprach. Sie hatte in allen Punkten Recht. Er hatte ihr nur nicht zugetraut, das alles so nüchtern und sachlich rüberzubringen, nachdem sie vor fünf Minuten noch freudig quietschend einen Golfschlag bejubelt hatte. Einen zugegeben exzellenten Schlag, der den Ball bis auf zwei Meter an die Fahne befördert hatte, wie sie nun sahen.

„Ich bin einverstanden! Und jetzt holen Sie sich Ihren Rekord!“

Während sie aufs Grün schritt, griff er in seine Jacke und holte schnell das kleine Döschen raus. Drei Tabletten hatte er noch. Er wusste, dass die Dinger nicht gut für seinen Magen waren, aber sie nicht zu nehmen, war angesichts des bohrenden Schmerzes im Kopf auch keine Alternative. Er schluckte schnell eine davon, bevor Emma es sehen konnte. Sie waren klein und glatt und ließen sich auch mal ohne Getränk einnehmen.

Nun hoffte er, dass die Wirkung schön schnell einsetzte, denn er wankte schon ein wenig. Seine Pupillen zitterten und das führte natürlich zu leichtem Schwindel, aber er konnte noch sehen wie Emma einlochte und dann ihren Rekord mit einem lauten „Ja!“ feierte.

Emmas Lächeln verschwand schnell, als sie seinen Zustand bemerkte. Wie aus dem Nichts hatte sie plötzlich eine kleine Taschenlampe zur Hand und leuchtete ihm in die Augen. Sie stützte seinen Hinterkopf und auf ihrer Stirn war nun mehr als nur die eine Falte zu sehen, die Erik so gefallen hatte.

Dann steckte sie die Lampe schnell weg, weil sie merkte, sie würde beide Hände brauchen, um ihn zu stützen. Sie hielt seine Hände und sah ihm in seine zuckenden Augen. Erik sah mindestens zwei Emmas.

„Wir fangen morgen an!“, erklärte sie entschlossen. „Sie haben bei der Beschreibung der Schmerzen entsetzlich untertrieben. Ich fürchte, wir müssen uns beeilen, sonst bringt Sie der Druck in ihrem Kopf um. Und ich spreche hier nicht von Monaten oder Jahren. Morgen zehn Uhr Kernspin. Ich verschiebe eine Patientin, bei der es nicht auf ein paar Tage ankommt. Wir operieren Sie spätestens in drei Tagen, also nehmen Sie sich nichts anderes vor. Und falls Sie verschwinden müssen, bleiben Sie trotzdem, sonst sterben Sie!“

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