Читать книгу CYTO-X - Christian Schuetz - Страница 18
8 - Mister Brugger und sein Chauffeur
ОглавлениеBrugger saß auf dem Beifahrersitz des teuren Mercedes, den Erik am Flughafen angemietet hatte. Ob das nun ein „CL“ oder ein „SL“ war, konnte er nicht sagen, aber die junge Frau am Schalter war sehr erfreut über die Vermietung.
Ein Modell der obersten Vermietungskategorie, das war klar, dazu das komplette Versicherungspaket und alles auf eine schwarze Kreditkarte. Angeber! Ob er mit ihr auch flirtete, konnte Brugger nur erahnen, schließlich unterhielt sich Erik mit ihr selbstverständlich in der Landessprache.
Seit dem Flug in der „Business-Class Plus“ hatte er schon nicht mehr das Gefühl, sie reisten als der Professor und sein Assistent, sondern eher als Erik Zsolt und „Sidekick“. Ja! „Business-Class Plus“, so nennt man das heute, weil es auf so kurzen Strecken keine „Erste Klasse“ gibt, aber die Airlines trotzdem darauf achten, dass es deutliche Klassenunterschiede zwischen den Passagieren gibt. Dabei war er eingestiegen, hatte sowohl den Champagner als auch den Tomatensaft dankend abgelehnt und war eingenickt.
Eine Stunde unruhigen Schlafs hätte er auch in der normalen „Business Class“ haben können und wer zum Geier trinkt morgens um acht Uhr Champagner oder Tomatensaft? Ach! Wer zum Geier trinkt zu irgendeiner Uhrzeit Tomatensaft, es sei denn, er ist zufällig an Bord eines Flugzeugs? Dabei schmeckt das Zeug in zehntausend Metern Höhe noch genauso eklig, wie auf dem Boden, dachte Brugger.
Und nun eben dieses Bonzen-Auto! Gestern Abend hatten sie noch geklärt, was sie anziehen sollten. Erik hatte Anzug vorgeschlagen, aber Brugger hatte nur einen guten Anzug und der war schwarz. Die richtige Farbe für Festakte und Beerdigungen, aber hier empfand er ihn unangebracht. „Wir sind Physiker! Und nicht die Men in Black!“
Also war der Deal, Brugger würde einen Cardigan statt des Sakkos anziehen und Erik sollte ganz auf Sakko und Krawatte verzichten. Doch nun würden sie in einem Wagen vorfahren, in dessen Benutzerhandbuch bereits vermerkt war, man möge ihn nur mit Anzug und Krawatte fahren. Es waren solche kleinen Dinge, die Brugger störten und seine Laune verhageln konnten. „Toll! Jetzt bin ich underdressed!“
Erik blickte kurz rüber zu ihm und musste dann lachen. „Was gibt es da zu lachen?“, schob der Professor nach.
„Wissen Sie Herr Professor, Sie haben heute noch keine drei Worte über ihre Lippen gebracht und jetzt klingen Sie, als wollten sie bei Heidi Klum das nächste Topmodel werden.“
Brugger war kurz sprachlos, dann musste auch er lachen. Es tat gut zu lachen. Er hatte kaum geschlafen, weil er ständig den heutigen Tag in Gedanken durchgespielt hatte. Und er musste nicht nur auf sich selbst, sondern eben auch auf seinen Begleiter achten.
„Wissen Sie, Erik, ich bin einfach gereizt, weil ich hier nicht hergehöre. Das ist nicht meine Welt! Ich fühle mich unwohl bei dem, was wir vorhaben. Und außerdem traue ich Ihnen einfach nicht so, wie Emma das gern hätte.“
So! Damit hatte er es endlich mal ausgesprochen. Gestern hatte er sich wegen seiner Tochter immer zurückgehalten, aber er fand es besser und anständiger, das Kind beim Namen zu nennen. Erik schwieg eine Weile, wirkte aber nicht gekränkt.
„Professor, was hat Ihnen Emma eigentlich über meine Behandlung erzählt?“
„Sie kennen meine Tochter! Ich weiß nur, dass Sie wohl einen Tumor oder etwas Ähnliches hatten und dass Sie diesen entfernt hat. Berufliche Details oder Vertrauliches würde sie selbst mir nie erzählen.“
Das war nicht hundertprozentig die Wahrheit. Emma hatte Andeutungen gemacht, dass Erik ein besonderer Fall war, dass sein Gehirn oder sein Verstand eine Besonderheit aufwies, welche ihn für diesen Job geradezu prädestinierte. Und sie hatte auch gesagt, Erik verdanke ihr sein Leben. Er musste ja nicht unbedingt wissen, dass sie ihm das anvertraut hatte.
Mal sehen, was er MIR erzählt!
Brugger erhielt eine Kurzfassung von Eriks Intelligenzschub als Kind, von den Kopfschmerzen, bis zu Emmas Entdeckung und dass der Tumor in Wahrheit ein neuer Gehirnlappen war. Ob Mutation oder Evolutionsschub, sollte der Professor für sich selbst entscheiden, aber er möge es bitte geheim halten. Und dann erzählte Erik von der Operation.
„Ich war völlig hilflos, halb sitzend, halb liegend, mein Kopf wurde in drei medizinischen Schraubzwängen fixiert. Ich durfte mich um keinen Millimeter bewegen, weil diese lange OP-Nadel, gesteuert von einem Roboterarm und einem Computerprogramm, durch meine Nase in mein Gehirn vordrang. Betäubung gab es nur ganz lokal in die Nase, weil ich wach sein und von einem Bildschirm einfache Worte und Zahlen ablesen musste. Emma leitete die Operation und ihre Mutter assistierte.“
Dass Karina assistiert hatte, war für Brugger neu. Keine von beiden hatte das jemals erwähnt. Schau an!
„Nach einer Weile blickten mich plötzlich alle erschrocken an und erst da merkte ich, dass ich Blödsinn redete. Statt Hund, Zwölf und Axt sagte ich Blumurumbubu oder etwas Vergleichbares. Was genau, kann ich nicht sagen, weil ich ja dachte, ich sage das Richtige und nur hörte, dass es falsch war. Emma fuhr die Nadel eine Spur zurück und ich konnte noch Kopfweh sagen und dann war ich weg.“
Brugger beobachtete Erik von der Seite und studierte ihn dabei. Da war sie wieder diese Offenheit, die er so schätzte.
„Aber ich war immer wieder kurz bei Sinnen und habe gehört, wie sich Emma mit ihrer Mutter stritt. Sie würde ihre Zulassung riskieren, falls sie das machen würde, hörte ich die Mutter sagen. Dass das Medikament streng genommen Gift sei und für diese OP weder erprobt noch zugelassen. Und Emma sagte nur: Wenn ich es nicht mache, stirbt er! Scheiß auf die Zulassung! Dann war ich wieder die meiste Zeit weg und kam erst wieder richtig zu mir, als alles vorbei war.“
Brugger hörte mit großer Sorge, dass seine Tochter so drastisch gegen Vorschriften verstoßen hatte. Er kannte ihre Leidenschaft für ihre Patienten zwar, aber soweit war sie seines Wissens nie gegangen.
„Als ich aufwachte, beugte sie sich über mich und lächelte mich an. Ich war zwar noch benommen und mir nicht ganz sicher, ob ich lebte oder tot war, aber ihre Erleichterung konnte ich sofort sehen. Ich hab' sie direkt gefragt: Wie knapp war es? Ihr Lächeln verschwand und sie gestand ein, dass es sehr knapp war.
Streng genommen, hat sie die Ränder meines neuen Lappens vergiftet, um das Wachstum dort zu stoppen. Besser kann ich es nicht erklären, da müssten Sie sie selbst fragen. Jedenfalls wäre es keine endgültige Lösung. Irgendwann würde sich das Gewebe soweit regenerieren, dass es wieder zu wachsen anfängt. Dann geht alles von vorne los.“
Brugger sagte nichts. Die beiden schwiegen sich eine Weile an und tauschten unsichere Blicke aus.
„Ich verdanke Emma mein Leben, das steht fest. Dafür hat sie ihre Karriere riskiert. Und das für einen Mann, den sie gerade mal fünf Tage kannte und der ihr gestanden hatte, dass er sein Geld mit unehrenhaften Mitteln verdient. Ich glaube kaum, dass viele Ärzte so reagiert hätten. Wenn diese Frau mich also bittet, ihrem Vater bei einem Problem zu helfen, dann werde ich das ebenso bedingungslos durchziehen.“
Brugger blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er hatte ihn offen damit konfrontiert, dass er ihm nicht recht vertraute und Erik hatte ihm eine ausführliche Begründung gegeben, warum er sich Emma gegenüber verpflichtet fühlte. Er beschloss die Sticheleien fürs Erste ruhen zu lassen, da auch Eriks Stimme bereits ein wenig gereizt klang, aber sein Chauffeur war noch nicht fertig.
„Wissen Sie, als Emma mich kontaktiert hat, da habe ich erst mal ihre Uni überprüft. Ihre Sicherheitsstandards sind verheerend. Das sind so die gängigen, aber recht ineffektiven Sicherheitspakete. Ich war innerhalb von fünf Minuten auf einem zentralen Server, der mich fast höflich danach fragte, wo ich denn wildern möchte. Ihre Akten dort sind zwar nicht direkt via Internet verfügbar, aber weit ist der Schritt nicht.
Ich bin nur froh, dass Sie Ihre Arbeit zu dem Thema zu Hause vervollständigt haben und so schlau waren, die Ergebnisse eben nicht mehr am Uni-Server zu speichern. Ihre derzeitige Studie über Black-Spots hat bereits eine digitale Signatur, die anzeigt, dass externe Quellen sich regelmäßig über den Stand erkundigen.“
Brugger war das jetzt etwas unangenehm. Er war in die Defensive gedrängt und es wuchs langsam zu einer Standpauke an. Die Kritik richtete sich zwar hauptsächlich gegen seine Uni, aber nach so langer Zeit identifizierte man sich mit dem Arbeitgeber dann doch irgendwie.
Andererseits spürte er eine seltsame Zufriedenheit, dass man seiner Studie anscheinend eine gewisse Aufmerksamkeit schenkte. Fast hätte er gefragt, welchen Codenamen seine Studie bei der CIA hätte, aber er merkte, dass Erik noch nicht mit seinem Bericht fertig war.
„Ich habe Ihnen gestern eine kleine Extra-Firewall auf ihren Rechner und Ihren Laptop geladen. Die sollte verhindern, dass jemand von Ihrer Uni aus auf ihre Rechner zu Hause zugreifen kann. Bisher war das nämlich möglich, solange ihr Router am Stromnetz hing. Ich kann Ihnen empfehlen, das ruhig öfter zu machen. Also, den Stecker aus dem Router zu ziehen. Das hilft wirklich! Trotzdem sollten Sie die Studie baldigst zu Grabe tragen, damit nicht irgendwelche Informationen auf unsere Nachforschungen deuten. Bisher ist Black-Spot nur von sehr geringem Interesse für die Feinde, weil es keine Ergebnisse gibt. Seien Sie froh!“
Erik musste dann wieder zu Atem kommen und Brugger war leicht perplex. Entweder hatte dieser Erik wirklich Ahnung oder er war ein paranoider Spinner. „Feinde“ hatte er gesagt! Das klang schon mal etwas suspekt.
„Wer sind denn Ihrer Meinung nach diese Feinde?“, hakte er dann nach. Am leicht irritierten Blick von Erik merkte er, dass dieser den Begriff wohl im Affekt gewählt hatte und diese Wortwahl nun rechtfertigen musste. Und sicher wollte er dabei nicht zu viel über seinen komischen Verein offenbaren.
„Wissen Sie, Professor, heutzutage sind es nicht mehr nur die Geheimdienste, wie die CIA, sondern auch private Organisationen, Firmen die für große Konzerne spionieren. Wir machen das streng genommen genauso. Wir hacken uns in Institute oder Universitäten ein und schauen, was es Neues gibt. Wir nennen unsere beiden Leute, die das machen, Scanner. Wenn die was Interessantes finden, schicken sie es an jemanden, in dessen Fachbereich es fällt. Damit derjenige es dann finden kann, muss eine Art Lesezeichen gesetzt werden.
Im Fall Ihrer Black-Spots habe ich drei verschiedene Lesezeichen gefunden. Ob sich jetzt der CIA, der Mossad, die Chinesen oder private Organisationen dafür interessieren, kann ich nicht sagen. Ich könnte jemanden darauf ansetzen, aber das wollen wir ja nicht, weil es unter uns bleiben soll. Wer auch immer solch ein Lesezeichen gesetzt hat, ist sicher nicht unser Freund und daher spreche ich von Feinden. Das ist leichter, als alle Möglichkeiten aufzulisten.“
Brugger konnte sicher damit leben, dass er oder seine Uni im Bereich Spionage extreme Laien waren. Eine Uni ist schließlich auch für die Verbreitung von Wissen da und nicht für die Geheimhaltung. Andererseits sollte man nicht alles in die Welt hinaus posaunen, ohne es vorher geprüft zu haben. Also in Sachen Sicherheit und sonstigem Spionage-Zeugs würde Erik das Sagen haben und Brugger würde folgen.
Allerdings fühlte Brugger sich verpflichtet, diese Aussprache mit einer persönlichen Note abzuschließen, die Erik zeigen sollte, dass er ihm durchaus einen gewissen Vertrauensvorschuss geben würde, ohne aber auf ein gesundes Maß an Wachsamkeit zu verzichten.
Das war nicht so leicht, weil er sich im Sarkasmus eher zu Hause fühlte, als in korrekten Umgangsformen. Emma und Karina waren in diesen Dingen viel besser. Anscheinend war es förderlich für solche Situationen, wenn man beruflich mit Menschen und ihren Problemen oder gar Dramen zu tun hatte.
Brugger wollte nicht zu flapsig klingen, aber er wollte auch keine hochtrabenden Worte verwenden. Es dürfte ruhig etwas väterlich klingen, aber wiederum nicht zu altbacken...
„Wir sind da!“, sagte Erik und Brugger dachte: „Hui! Vom Gong gerettet!“