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9 - Haus am See

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Erik hatte sich auf das Treffen bei Professor Brugger natürlich gründlich vorbereitet. Er hatte sich in den zentralen Server der „Goethe Universität“ eingehackt und hatte sich dort nach Belieben umsehen können. Aber er war hochzufrieden, dass zu Bruggers Spezialproblem nicht wirklich etwas zu finden war. Das war für den weiteren Ablauf sehr wichtig. Ausgehend davon, dass weder Brugger selbst, noch Emma, oder auch er, irgendwelche zusätzlichen Personen mit ins Boot des Vertrauens holen würden, war eine zufriedenstellende Geheimhaltung gewährleistet.

Erik war auch froh, dass der Professor grundsätzlich misstrauisch und vorsichtig war. Den Router auszustecken, war clever, aber angesichts von Eriks Ausrüstung leider vergeblich. Er trug immer einen mobilen Bluetooth-WLAN-Adapter in einer seiner Taschen. Selbst wenn Brugger alle Adapter seines Laptops deaktiviert hätte, wäre Erik in der Lage gewesen, sie wieder zu starten. Aber es ging auch nicht darum, etwas zu klauen, sondern darum, die beiden Rechner des Professors etwas sicherer zu machen.

Nebenher hatte er auch das Analyseprogramm und die Daten von Magnussen auf seinen eigenen Laptop transferiert. Von Fernaktivierung von Computern hatte der Professor wohl keine Ahnung. Na ja, jetzt hatte er ihm zumindest gebeichtet, dass er da eine Firewall installiert hatte, und der Professor war auch nicht explodiert. Man konnte merken, dass ihm die Sicherheitslücken seiner Uni etwas peinlich waren. Komisch nur, dass es Erik so vorkam, als würde Brugger ihm nun eher vertrauen. Rechnete er ihm die Beichte so hoch an oder war es die Aussprache auf der Fahrt?

Dabei war noch lange nicht alles geklärt. Erik war sich sicher, dass Brugger ihm auf die Finger schauen würde, wo er nur konnte. Deshalb war er sehr erfreut, wie die erste Begegnung mit Frau Magnussen verlief. Ihr Deutsch war ein wenig holprig, aber sie freute sich sichtlich, diese Sprache mal wieder etwas üben zu können.

Der Professor hatte ein Talent dafür, ihre Grammatik- oder Satzbaufehler kurz zu korrigieren und trotzdem das Gespräch am Laufen zu halten. Möglicherweise hatte Frau Magnussen ein Faible für ältere Männer oder besser gesagt: Ältere Professoren?

Die beiden harmonierten hervorragend und einigten sich schnell darauf, sich mit Vornamen anzureden. Erik hielt sich einfach dezent zurück und sammelte auf diese Weise die eine oder andere Information durch einfaches Zuhören. Das Arbeitszimmer wäre praktisch unverändert seit dem tragischen Unfall, erzählte Marit. Lediglich die Putzfrau würde dort regelmäßig für Ordnung sorgen.

Das Einzige, was zusätzlich in das Zimmer gekommen war, wäre eine große grüne Armeekiste, in der alle Unterlagen aus Magnussens Büro an der Osloer Uni angeliefert worden waren. Marit hatte die Kiste nur ein einziges Mal geöffnet und zwei gerahmte Fotos entnommen, die obenauf lagen.

Das Arbeitszimmer war also ein idealer Ausgangspunkt für die Suche, sofern eine von Eriks Theorien zutraf, nach der Professor Magnussen eine Spur hinterlassen haben musste, für den Fall seines Ablebens. Erik hatte als Vorbereitung für die Suche einige Thesen aufgestellt.

These eins: Zeitreisen gibt es nicht! Er hatte sich mit der Dimensionslehre der theoretischen Physik schon oft befasst und für ihn waren die drei Dimensionen des Raums und die Zeit als vierte Dimension logisch und unverrückbar. Was er nicht akzeptieren konnte, war diese Sache mit der Krümmung von Raum und Zeit, weil damit die Dimensionen eins bis vier hinfällig oder beliebig überschreibbar wären. Eher konnte er sich eine Dimension vorstellen, die aus unendlich vielen alternativen Realitäten bestand. Aber danach? Was sollte da noch kommen?

Er versuchte seine Philosophie immer wieder auf das Ergebnis des Analyseprogramms von Brugger anzuwenden, aber für dieses dreidimensionale Abbild des Resultats, das angeblich keine der drei Raumachsen abbildete, fand er einfach keine Erklärung. Trotzdem wollte er an seiner ersten These festhalten und dies bedeutete zwangsläufig, dass in Magnussens Aufzeichnungen irgendwo ein Fehler versteckt war. Oder eben eine absichtliche Manipulation!

Letzteres war seine zweite These: Magnussen hatte getrickst! Warum sonst hätte er die Absicht seiner Studie vor seinem kompletten Stab verheimlichen sollen? Er hatte sich mit diesem Projekt förmlich abgeschottet und damit die Möglichkeit gehabt, vielleicht ein wenig zu schwindeln.

These Nummer drei hatte er Brugger bereits unter die Nase gerieben: Irgendjemand hatte Magnussen gesagt, wo er suchen musste und was er finden würde! Das war die einzige Erklärung für die geradezu irrwitzige Versuchsanordnung.

Und dann blieb da eben noch die vierte und vorläufig letzte These: Irgendwo hatte Magnussen eine Spur hinterlassen! Selbst, wenn er alles geheim gehalten und seine eigenen Assistenten an der Nase herumgeführt hatte, selbst wenn er Ergebnisse manipuliert und mit einem vielleicht mysteriösen Unbekannten zusammengearbeitet hatte: Irgendwo würde es ein Dokument oder einen Hinweis geben, worum es wirklich ging. Und Erik wollte nun beginnen, das Arbeitszimmer zu durchsuchen, weil er den Hinweis eben dort vermutete. Er konnte ihn fast schon riechen!

Marit hatte dem Professor gerade angeboten, ihm die Filme zu zeigen, die sie mit ihrem Mann damals fürs norwegische Fernsehen gedreht hatte. Das war nun der ideale Zeitpunkt, sie zu bitten, ihn doch vorher in das Zimmer zu bringen.

Erik würde die Papiere vorsortieren und sich melden, sobald er die Anwesenheit des Professors benötigte. Brugger schaute zwar kurz streng, so als wolle er ihn nochmal darauf hinweisen, dass er ihn im Auge haben würde, aber Frau Magnussen führte ihn, wie gewünscht, ins Arbeitszimmer ihres verstorbenen Mannes.

Erik konnte ihr leichtes Zögern an der Tür erkennen. Sie lächelte ihn etwas verlegen an und betrat dann mit ihm den Raum. Es war genauso, wie man sich das Arbeitszimmer eines alten, norwegischen Professors vorstellen würde. Prall gefüllte Bücherregale an allen Wänden, ein schwerer, dunkler Holzschreibtisch, ein großes Fenster mit Blick auf den See und ein angenehmer, rustikaler Geruch in der Luft, der nach all den Jahren noch verriet, dass Thorwald Magnussen hier gerne mal eine Pfeife geraucht haben musste.

Der einzige Fremdkörper in diesem Idyll für reife Wissenschaftler war diese dunkelgrüne Armeekiste. Für Erik sah das Ding, mit knapp zwei Metern Länge und jeweils achtzig Zentimetern Breite und Höhe, eher wie ein Sarg aus.

„Mein Mann war lange Zeit Offizier der Reserve“, sagte Marit. „Er wollte sich von diesem Monster nicht trennen und hat es irgendwann an die Uni gebracht und als Speicher verwendet. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Mein Mann war nicht berühmt für seinen Sinn für Ordnung.“

Sie lächelte und legte ihre Hand kurz auf Eriks Schulter. Das war ein wenig so, als würde sie mit dieser Geste die Verantwortung für die Kiste abgeben. Und sie hatte nicht übertrieben: In der Kiste regierte das Chaos!

Aktenmappen und einzelne Papiere, in nicht chronologisch sortierter Form, lagen zwischen Zeitschriften oder ausgeschnittenen Artikeln oder Bildern. Es war nicht immer einfach, zu erkennen, welche Papiere zu welchem Projekt gehörten.

Erik begann damit, die Papiere herauszunehmen und auf verschiedenen Stapeln abzulegen. Anfangs plante er zwei Stapel, relevant und nicht-relevant, aber bald kamen die Stapel „vielleicht relevant“ und „interessant“ hinzu.

Nach einer Weile begann er die nicht-relevanten Akten noch einmal zu sortieren und es entstand ein fünfter Haufen mit Akten, in denen ihm Namen von Kollegen aufgefallen waren, die vielleicht für These Nummer drei in Frage kamen. Den Informanten zu identifizieren wäre ein großer Fortschritt!

Allerdings musste er diese Idee bald wieder begraben, weil alle diese Kollegen recht unspektakuläre Beiträge zu Magnussens Arbeit geleistet hatten, aber der nicht-relevante Stapel war mittlerweile auch zu hoch geworden und drohte zu kippen.

In diesem Zustand seiner Suche statteten ihm Marit und Brugger einen Besuch ab. Er kniete auf dem Boden, umgeben von Papierstapeln, wie ein kleiner Junge der sein Zimmer aufräumen sollte und damit überfordert war. Dem Schmunzeln von Brugger war zu entnehmen, dass ihm dieser Vergleich ebenso bewusst schien.

„Das wird schwierig werden!“, berichtete er den beiden leicht seufzend.

Marit hatte eine Überraschung für Erik: „Ich habe gerade mit Arno gesprochen. Ich überlasse Ihnen die Kiste. Ich bin ganz froh, wenn sie aus dem Haus ist. Sie haben dann auch Zeit, um in Ruhe alles zu lesen.“

Brugger stand dabei leicht hinter ihr und schaute Erik leicht grinsend an, als wolle er sagen: „Sehen Sie? So macht man das!“

Vielleicht grinste er aber auch nur zufrieden, weil die Dame des Hauses ihn bereits „Arno“ nannte. Erik blickte über das Papiermeer, das ihn umgab und sagte: „Na, dann packe ich das mal wieder ein!“

In diesem Moment erkannte Erik die kleine Diskrepanz bei den Innen- und Außenabmessungen der Kiste. Unterhalb der Griffe hätte der Innenraum ein wenig größer sein müssen. Auf beiden Seiten waren da anscheinend Bleche eingeschoben, hinter denen genug Platz sein musste, um vielleicht ein Buch oder etwas Vergleichbares zu verstecken.

Die beiden Turteltauben schienen seinen Blick nicht bemerkt zu haben und waren bereits wieder gegangen. Es war ja nett, dass der Professor die Kiste „erbeutet“ hatte, aber dadurch musste Erik sich nun beeilen. Sein Plan war eigentlich, die Kiste leer zu räumen und dann mehr Zeit zu haben, weil er eben nicht nur die Akten durchstöbern wollte, sondern auch das Zimmer. Jetzt musste er also dank des Geniestreichs des Professors hetzen.

Passiert eben, wenn man mit Laien arbeitet!

Erik verlagerte seine Aufmerksamkeit nun schnell zum Schreibtisch. Obenauf waren nur gerahmte Bilder, die er schnell nach versteckten Zettelchen oder Ähnlichem abtastete. Danach waren die Schubladen dran. Was dort an Akten hinein gestopft war, fügte er einfach den anderen Papierstapeln hinzu.

Die Schübe selbst tastete er ebenfalls ab, um zu sehen ob es dort vielleicht Versteckmöglichkeiten gab, aber fündig wurde er erst in der letzten und obersten Schublade. Dort hatte Magnussen ganz hinten ein kleines, schwarzes Büchlein deponiert, das sich als handschriftlich geführtes Adressbuch erwies.

Erik steckte es schnell in seine Hosentasche. Es könnte sich noch als nützlich erweisen, und wenn die Witwe es bis heute nicht vermisst hatte, würde sie es wohl auch in Zukunft kaum vermissen.

Erik hörte Schritte und griff sich schnell einen Stapel Papiere und begann mit dem Einräumen der Kiste. Als er aufblickte, stand Brugger in der Tür. Erik rollte kurz mit den Augen, was dem Professor nicht verborgen blieb.

„Was ist los? Habe ich doch gut für uns erbeutet die Kiste!“

Erik atmete tief durch. Jetzt bloß keinen Streit hier, das können wir nicht brauchen. Aber Brugger hatte bereits gemerkt, dass seinem jungen Kompagnon etwas nicht passte.

„Wir wollten die Kiste also nicht?“, fragte er so sachlich, wie er konnte.

„Professor, ich wollte hier Zeit schinden mit den ganzen Papieren, damit ich das Zimmer weiter untersuchen kann. Ich habe bisher gerade mal den Schreibtisch geschafft. Die Bücherregale kann ich jetzt vergessen. Ich hoffe einfach, dass da nichts versteckt ist.“

Erik bemühte sich, leise und mit tiefer Stimme zu sprechen, weil die Unterhaltung bei Frau Magnussen sicher nicht gut angekommen wäre. „Bitte kaufen Sie mir noch zwanzig Minuten. Sie verstehen sich mit ihr ja prächtig. Ich kann dann das Wichtigste hier noch abklopfen.“

„Aber wir wollen doch die Papiere hier durchlesen? Da könnte doch ein Schlüssel drin versteckt sein!“, mahnte der Professor an.

„Ja, aber das meiste habe ich schon gelesen und da ist nichts Neues zu finden“, erwiderte Erik und als er sah wie Brugger die Augenbrauen hochzog, schob er nach: „Na ja, nicht alles gelesen, nur überflogen. Ich hatte Ihnen gesagt, dass ich ein schneller Leser bin. Glauben Sie mir, in diesen Unterlagen gibt es keine bahnbrechenden Erkenntnisse und auch keine Schablone, mit der wir unser Problem lösen könnten. Übrigens, wie wollten Sie die Kiste denn zum Flughafen und nach Frankfurt transportieren?“

Brugger holte Luft, konnte aber nicht antworten. Erik sah ihm an, wie es ihn wurmte, dass er an so etwas Offensichtliches wie das Transportproblem nicht gedacht hatte. „Mit einem Kombi wäre es kein Problem gewesen! Sie mussten ja diesen Flitzer anmieten!“

Erik nahm es nicht persönlich, da er die Verteidigungs-Mechanismen von Brugger langsam kannte. „Schon okay! Ich gebe den Auftrag an eine Spedition. Ich hoffe, es ist Ihnen Recht, dass ich die Kiste an Ihre Privatadresse liefern lasse?“

Brugger nickte, obwohl die Frage sehr rhetorisch war, und schob dann leicht geknickt ab, um bei Marit noch ein wenig Zeit zu schinden. Es passte ihm offensichtlich nicht, dass er auf diese Funktion reduziert wurde, aber da konnte ihm Erik nun auch nicht helfen.

Mitleid hatte Erik sicher nicht! Die Dame des Hauses war sehr attraktiv für ihr Alter. Nein, sie war sehr attraktiv. Punkt! Sollte der Professor sich ruhig bei Emma beschweren, dass er ihn gezwungen hatte, Zeit mit einer tollen Frau zu verbringen, während er die Arbeit machte.

Viel wichtiger war nun, die Geheimfächer der Kiste zu öffnen. Die metallenen Abdeckungen waren etwa handtellergroß und er versuchte es zunächst mit sachtem Druck und Schieben, aber noch bewegte sich nichts.

Nach rein optischen Gesichtspunkten musste es möglich sein, die Abdeckungen nach oben zu schieben, über den Bereich, an dem sich außen die Griffe befanden, aber irgendeine Schraube oder Niete blockierte die Bewegung. Er schnappte sich die Lampe, die auf dem Schreibtisch stand und leuchtete in die Armeekiste hinein, um nach eventuellen Kratzspuren zu suchen.

Dann sah er das leicht zerkratzte Schräubchen. Jetzt fehlte ihm nur noch ein passender Schraubenzieher. Er holte seine Geldbörse heraus und kippte das Kleingeld aus. Zum Glück hatte er immer Geldstücke in Fremdwährung dabei, denn das Ein-Cent-Stück war deutlich zu dick.

Amerikanisches Kleingeld eignete sich immer hervorragend als Werkzeug und auch diesmal passte der Dime. Wahrscheinlich war es sogar eine amerikanische Kiste und die Jungs bauten die Sachen schon immer so, dass man zur Not mit Kleingeld herumschrauben konnte.

Erik lockerte die Schraube und schob nun problemlos das Blech nach oben, aber zu seiner großen Enttäuschung war das Geheimfach leer. Also nahm er sich die zweite Seite vor. Erik musste sich beherrschen, um nicht laut „Wusst' ich's doch!“ zu rufen, als er den kleinen grauen Beutel sah.

These Nummer vier schien bestätigt und sogar in Form von etwas sehr Handfestem. In dem Beutel befand sich etwas Stabiles in Form und Größe eines Smartphones. Erik gönnte sich einen kurzen Blick, wusste aber, dass er nicht mehr die Zeit hatte, den Fund zu untersuchen.

In dem Kunststoffbeutel lag ein Gerät, das nochmals in Papier eingewickelt war. Erik erkannte schnell den Briefkopf einer Bank aus Luxemburg und nahm nach einem ersten Blick auf das Papier an, dass es sich wohl um den Mietvertrag für ein Bankschließfach handelte.

Zwischen den Papieren befand sich ein knallrotes Heft oder Mäppchen: Der Reisepass von Thorwald Magnussen! Und sogar noch gültig! Erik steckte ihn zu dem Adressbuch in seine Hosentasche. Das würde er alles später genau untersuchen, aber momentan faszinierte ihn der eigentliche Fund mehr: Ein seltsames kleines Gerät!

Es sah aus wie eine mobile Festplatte. Einen Bildschirm konnte er nicht erkennen und die Oberfläche fühlte sich seltsam warm an für ein Gerät, das seit über sechs Jahren in einer Metallkiste lag. Erik suchte nach Rändern oder einem Schlitz, um den rätselhaften Gegenstand zu öffnen. Die Oberfläche hatte es ihm angetan. Das war kein Metall, aber was war es?

Nun spürte er einen leichten Schauer. Erik kannte sicher nicht jede Erfindung auf diesem Planeten, dazu gab es laufend zu viel Neues. Aber er war sich ziemlich sicher, dass er alles kannte, was vor sechs oder mehr Jahren schon auf dem Technikmarkt verfügbar war.

Er strich mit der flachen Hand über die glatte Fläche, so als wolle er eine imaginäre Staubschicht abwischen, und als er die Hand wegnahm, stand da wie aus dem Nichts: „Enter name!“

Erik wankte. Seine These Nummer eins wankte ebenfalls. Dieses Gerät kam entweder aus einer anderen Welt oder der Zukunft. Allerdings war es schon recht unwahrscheinlich, dass ein außerirdisches Gerät eine englische Eingabeaufforderung hätte.

Der Beutel fiel ihm herunter und er hörte ein leises Klimpern. Er legte das Gerät auf den Schreibtisch und sofort verschwanden die Buchstaben. Nein, da war wirklich keine LED-Oberfläche entstanden und wieder verschwunden. Die Schrift war einfach auf dieser nicht-metallenen Fläche erschienen.

Erik bückte sich, hob den Beutel auf und fasste nochmals hinein. Seine Finger bekamen einen kleinen Stift zu fassen. Er holte ihn heraus und erkannte einen sehr kompliziert aussehenden Schlüssel. Nun, das passte wenigstens. Das war ein Schließfachschlüssel, dazu der Mietvertrag aus Luxemburg. Eine glasklare Spur!

Aus den Augenwinkeln blickte er wieder auf das „Alien-Pad“. Einen besseren Namen wusste er momentan dafür nicht, obwohl er eher zu einem „Future-Pad“ tendierte, aber das klang komisch. Und seltsamerweise hoffte er auf die Alien-Erklärung, weil dies zumindest sein Weltbild bestätigen würde, in dem es Zeitreisen nicht geben durfte.

Erik war ziemlich durch den Wind. Ein Zustand, den er nicht mochte. Gerade eben noch hocherfreut, etwas gefunden zu haben, und nun? Dieses Ding da hatte ihm die Laune verhagelt. Er schüttelte sich. Aufräumen war angesagt, und er musste die Sachen wieder verstecken.

Zurück in die Truhe wollte er die Sachen nicht legen. Eine Spedition würde ein paar Tage brauchen, bis sie die Kiste nach Deutschland brachte und möglicherweise musste sie irgendwelche Sicherheitskontrollen passieren, bevor sie als Luftfracht aufgegeben werden konnte.

Erik verfluchte die Zusammenarbeit mit Brugger abermals. Ohne den Professor hätte er jetzt ein Sakko angehabt und hätte dieses Pad schnell in einer Innentasche verschwinden lassen können. Wahrscheinlich hätte er auch seinen Laptop-Rucksack mitgenommen und die wichtigen Fundstücke dort einfach einstecken können.

Mit leicht mulmigem Gefühl steckte er den Schlüssel lose in die Hosentasche, den Mietvertrag schlang er wieder um das Pad, da er die Eingabeaufforderung nicht nochmals aktivieren wollte. Dann schnappte er sich die Aktenmappe zum Nordpol-Projekt und legte das eingewickelte Pad einfach provisorisch zwischen die Papiere darin.

Mit den Gedanken war er aber nicht richtig bei der Sache. Er legte die Mappe auf den Schreibtisch und begann nun die Armeekiste wieder einzuräumen. Seine These Nummer eins „Zeitreisen gibt es nicht!“ stand auf der Kippe und das beschäftigte ihn so sehr, dass er Brugger und seine Begleitung erst wahrnahm, als sie bereits im Türrahmen standen.

Gerade hatte Erik die Kiste bereits bis auf wenige Mappen komplett wieder eingeräumt, da schlenderte die Hausherrin an ihm vorbei zum Schreibtisch ihres verstorbenen Mannes. Erik fühlte sich, als habe ihm gerade jemand die Faust in den Magen gerammt, als er sah, wie Marit Magnussen mit ihren Fingern leicht verträumt über die Mappe dort auf dem Tisch strich. Was das ein nostalgischer Anfall, weil sie die Handschrift ihres Mannes auf dem Umschlag der Mappe erkannt hatte?

Erik hatte sich schon in einigen brenzligen Situationen befunden. Fast immer konnte er sich aus Situationen dieser Art herausreden oder wenn nötig, die Flucht ergreifen, aber er war gerade in diesem Moment nicht im Besitz seiner vollen Konzentrationsfähigkeit und als er sah, wie Marit die Finger unter den Rand der Mappe schob, um sie aufzuheben, da rang er nach Worten, einer Ausrede, aber er spürte nur einen Kloß im Hals.

„Was für ein Ausblick! Kein Wunder, dass Ihr Mann so ein großer Naturforscher wurde!“, kamen Bruggers Worte fast polternd und rissen Marit aus ihrer Träumerei. Sie nahm die Hand von der Mappe und wandte sich dem Professor zu, der an das große Fenster geschritten war und fast theatralisch die Hände erhoben hatte.

„Wissen Sie, ich bin großer Fan von Edvard Grieg und wenn ich hier über den See und die wunderbare Landschaft sehe, kann ich seine Musik fast hören.“

Marit lächelte und legte eine Hand sanft auf Bruggers Arm. „Wenn Sie wollen, Arno, kann ich Ihnen Gegenden am Nordkap oder den Lofoten zeigen, da finden Sie diese Aussicht hier lächerlich!“

Erik konnte es nicht glauben. Dieser alte Hund hatte tatsächlich seine prekäre Lage erkannt, woran auch immer, und ihm den Arsch gerettet. An seinem Schauspiel wäre vielleicht noch zu arbeiten, aber die Improvisation war spektakulär. Während die beiden den Blick aus dem Fenster genossen, schnappte Erik sich die Mappe und klemmte sie sich unter die linke Achsel.

„Ich kümmere mich mal um die Spedition!“, sagte er und verschwand schnell in den Flur. Dass die Aussage mit der Spedition eigentlich keinen Sinn machte, wurde ihm erst auf dem Weg hinaus zum Mietwagen klar, aber er wollte einfach nur das Haus verlassen und seine Beute im Kofferraum in seinem Rucksack verstecken.

Das war einer seiner schlimmsten Einsätze bisher. Er hatte Fehler gemacht, wie ein Anfänger. Zum einen, weil er es nicht gewohnt war, mit jemand zusammenzuarbeiten, zum anderen, weil ihn der Fund verstört hatte, anders konnte man es nicht sagen.

Na gut! Er hatte schon mit anderen Mitgliedern der Brain Factory gemeinsam an Projekten gearbeitet, aber da war es immer so, dass jeder genau wusste, was er zu tun hatte. Bei Brugger hatte Erik das Gefühl, er müsse ihn anlernen oder auf ihn aufpassen, aber dann am Ende rettete ausgerechnet der Spionage-Lehrling den Tag.

Erik hatte keine Ahnung, wie er dem Professor seinen Fund erklären sollte. Wahrscheinlich würde er sich darüber aufregen, dass er die arme Witwe bestohlen hatte, aber er freute sich schon auf seinen Blick, wenn er das Pad sah und die Schrift, die wie aus dem Nichts auftauchte.

Er wusste, dass der Professor auch nicht an Zeitreisen glaubte, aber seine Analyse und das Ergebnis hatten ihn wohl dazu gezwungen, sie als Möglichkeit in Betracht ziehen zu müssen. Für Erik blieben einfach zu viele Zweifel offen, die er mit seinem Vier-Punkte-Plan belegen hatte wollen. Aber sein fundamentaler Glaube bröckelte. Zahlen waren eine Sache, aber dieses Mistding in seinem Rucksack war schwer zu widerlegen.

Erik schnappte sich noch sein langweiliges, irdisches Notebook, bevor er wieder hineinging und Marit erzählte, dass er ergebnislos versucht hatte, ein Netz zu finden, um dann eine Spedition zu suchen.

Anscheinend war sie ihm wirklich fast nachgerannt, als er aus dem Arbeitszimmer geflüchtet war. Sie hatte ihm doch schon eine Nummer rausgesucht von einer Spedition, die sie empfehlen konnte und bot ihm sogar an, dort für ihn anzurufen. Erik ließ sie gewähren, weil er nicht mit seinem Norwegisch prahlen wollte und Brugger reichte ihr seine Visitenkarte für die Lieferadresse.

Kurze Zeit später führte Marit die beiden auf die Terrasse, damit Brugger den herrlichen Blick über den See weiter genießen konnte und verschwand dann zum Telefonieren ins Haus. Beide standen nun an der Brüstung und blickten auf den See hinaus. Erik spürte, dass Brugger zu ihm herüber linste und auf eine Art Anerkennung wartete, aber Erik ließ sich Zeit.

Solange, bis er grinsen musste. Dann sagte er: „Gar nicht schlecht!“

„Wie? Gar nicht schlecht für einen alten Mann?“

„Nein, für alle Altersklassen. Sie haben mir den Arsch gerettet. Danke!“

„Geht doch!“ Beide mussten ein wenig lachen. „Hat es sich denn gelohnt?“

Erik blickte nachdenklich auf den See hinaus. Gelohnt hatte es sich sicher, wenn man die Ausbeute betrachtete. Aber zu welchem Preis? Was würde die Entdeckung dieses Pads nach sich ziehen und was wartete da noch in diesem Schließfach in Luxemburg auf sie?

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