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Am frühen Dienstagabend in Raphaels Wohnung

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Janine las das Klingelschild mehrmals, obwohl nur ein einzelner Name draufstand: ‚Schramm‘. Keine weiterer Buchstabe dazu oder Hinweise auf mögliche Mitbewohner. Wie Ehefrau, Kind, Hund oder Hamster.

Dass sie nun vor Raphaels Bude stand, war von Janine nicht geplant. Hatte aber den Vorteil, dass sie erfahren würde, ob Raphael ihr gegenüber mit offenen Karten spielte. Zu oft war Janine auf Männer hereingefallen, die ihr vorgegaukelt hatten, Single zu sein. Und bei genauerem Hinsehen und Nachforschen stellte sich heraus, die Typen waren angeblich unglücklich Verheiratete oder depressiv Geschiedene oder Wankelmütige mit der festen Absicht, sich scheiden zu lassen.

Janine klingelte, und Raphael öffnete die Tür. „Du?“, fragte er überrascht.

Janines Herz raste. Wie gut Raphael auf einmal aussah! Zum Anbeißen süß mit seinem Dreitagebart und dem unschuldigen Blick durch die Brille. Und wenn sie daran dachte, wie lange sie sich schon nach einer Nacht mit einem Mann sehnte!

Im Zimmer bot Raphael ihr einen Hocker zum Sitzen an, nachdem er ihn frei geräumt hatte. Selbst nahm er auf einem abgeschabten Ledersofa Platz, neben sich einen Laptop.

„Gefällt mir bei dir“, sagte Janine und ignorierte tapfer die herrschende Unordnung, „gibt es ein zweites Zimmer?“

„Suchst du ein Bett?“, fragte Raphael, halb im Scherz.

„Meine Mutter hat mich rausgeschmissen, und ich wollte dich wirklich fragen, ob ich bei dir pennen kann.“ Als Raphael plötzlich irgendwie anders guckte, fügte sie hinzu: „Nur übernachten, klar? Und auch nur, wenn du Bettwäsche zum Wechseln hast.“

„Wird sofort erledigt. Wieso hat dich deine Mutter rausgeschmissen?“

„Bist neugierig wie diese Kommissarin. Darf ich auch mal was für mich behalten?“

„Wie du willst.“ Raphael nahm den Laptop auf seine Knie und beschäftigte sich damit, als wäre er allein.

Janine ärgerte sich über sich. Warum vor Raphael weiterhin die Wahrheit verschweigen? Der Kommissarin hatte sie letztlich auch alles gestanden. Dass sie glaubte, Hans Sonntag sei ihr leiblicher Vater. Dass sie ihn in der Kneipe beobachtet hatte, weil sie sich ein genaueres Bild von ihm machen wollte.

Und was war auf ihr Geständnis gefolgt? Die Kommissarin hatte umgehend mit ihrer Mutter telefoniert, und diese hatte Janine wenig später zu Hause mit einer schallenden Ohrfeige empfangen. Die Mutter beschimpfte Janine, weil sie ihr auf widerwärtige Weise nachspioniert hätte und stritt rundweg ab, dass irgendjemand anderer als Eberhard der Vater von Janine sein könnte. Und schon gar kein Hans Sonntag.

Die Kommissarin hatte trotz der Beteuerungen ihrer Mutter einen Vaterschaftstest veranlasst. Von dem würde sicher auch Eberhard erfahren, und auch die Ehefrau von dem Sonntag.

Sie steckte in einer ziemlichen Misere, bedauerte Janine sich. Und das alles, weil ihre Mutter in ihrer Jugend mit dem Sex übertrieben hatte und nach einem Dreier mit Hans Sonntag und ihrer Freundin Melanie glaubte, von dem Sonntag schwanger zu sein. Die Schwangerschaft war aber falscher Alarm. Kaum hatte die Mutter sich wenig später von dem verheirateten Hans Sonntag getrennt, kam Eberhard um die Ecke und – zack – war die Mutter wirklich schwanger.

Janine, auf Raphaels Hocker, beschlich das neidvolle Gefühl, dass ihre Mutter mehr sexuelle Abenteuer in ihrer Jugend erlebt hatte als sie. Das würde sich ändern. „Vergiss den Rausschmiss und den ganzen Mist“, bat sie Raphael, fasste im Eiltempo zusammen, was sie der Kommissarin über sich und Hans Sonntag erzählt hatte. „Alles pillepalle“, sagte sie, bevor sie Raphael den Laptop wegnahm, sich neben ihn drängte und ihn küsste, auf seine stoppelige Wange, auf den Mund.

„Aber ich dachte, du wolltest nicht“, stotterte Raphael, verwirrt wegen ihres plötzlichen Stimmungswechsels.

„Pillepalle“, sagte Janine.


Mord zum Frühstück

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