Читать книгу Mord zum Frühstück - Christiane Baumann - Страница 7
Am Montagmorgen im Polizeipräsidium
ОглавлениеPia Jäger, Hauptkommissarin in der Mordkommission, bot Janine an, für sie ein Frühstück zu besorgen. Janine lehnte ab. Sie würde sowieso keinen Bissen herunter kriegen. Der gewaltsame Tod ihres vermutlichen Vaters lag ihr schwer im Magen. Die Kommissarin hatte ihr mitgeteilt, dass Hans Sonntag gestern Abend nach dem Kneipenbesuch auf dem Nachhauseweg erschlagen worden war. Mit einem Pflasterstein. Janine war erschüttert. Wie plötzlich sich alles änderte. Gestern noch hatte sie sich stundenlang alles Mögliche über sein Leben zusammen gesponnen … und nun? Keine Chance mehr für irgendetwas. Hans Sonntag würde nie erfahren, dass es sie, Janine, gab.
„Sie sehen sehr blass aus, Frau Wunderlich, kippen Sie mir ja nicht aus den Latschen. Ja? Okay? Gut.“ Pia Jäger fragte Janine, ob sie Hans Sonntag kannte.
„Wie kommen Sie darauf?“
„Ich bin die Kommissarin, und Sie sind eine wichtige Zeugin für mich. Ich stelle die Fragen, und Sie antworten. Das ist die Rollenverteilung, klar?“
„Hans Sonntag war mir fremd“, antwortete Janine. Das war ja auch die Wahrheit.
„Sie haben ihn also gestern Abend das erste Mal gesehen?“
„Ja.“
„Sind Sie oft in dieser Kneipe?“
„Nein, ich war vorher nie dort.“
„Und warum ausgerechnet gestern?“
„Warum nicht?“, fragte Janine schnippisch zurück, doch dann fand sie das zickig. Eigentlich war ihr die Kommissarin sympathisch, auch, weil sie fast im selben Alter war wie sie. Janine lenkte ein: „Gestern, da überfiel mich ein dringendes Bedürfnis, ich musste zur Toilette, bin rein und hängen geblieben.“
„Glaube ich Ihnen das mal. Wir haben die meisten Kneipengäste von gestern identifizieren können. Mit Raphael Schramm habe ich auch schon gesprochen.“ Pia Jäger achtete darauf, ob Janine bei der Erwähnung dieses Namens auffällig reagierte, aber nein. „Den Herrn Schramm lernten Sie gestern Abend kennen, Frau Wunderlich?“
„Stimmt. Er hat mich zur Straßenbahn gebracht. Das war alles.“
„Bleiben wir bei Ihnen. Der Kneipenwirt und andere Gäste haben ausgesagt, dass Sie den Herrn Sonntag auffallend intensiv beobachtet haben. Warum, Frau Wunderlich?“
Wozu der Kommissarin von ihrer Vater-Idee berichten? Davon, dass sie als Hobbydetektivin unterwegs gewesen war, um herauszufinden, wer Hans Sonntag war und wie er lebte? Wozu das beichten? Es hatte nichts mit seinem Tod zu tun. Es würde nur eine unnütze Fragerei folgen, und sie käme heute sehr viel später zur Arbeit. Janine stritt ab, sich besonders für Hans Sonntag interessiert zu haben. Das wäre totaler Quatsch. „Wieso sagen die anderen das“, empörte sie sich, „ich beobachte generell gern. Womit hätte ich mir sonst die Zeit vertreiben sollen, allein in einer Kneipe?“
„Ist Ihnen denn Besonderes aufgefallen, gestern Abend? Ich möchte natürlich vor allem wissen, was am Tisch von Hans Sonntag geschah. Falls etwas geschah.“
Es war ärgerlich, dass sie so gar keine Ahnung hatte, was Raphael der Kommissarin erzählt hatte. Von der steifen Manteldame hatte er höchstwahrscheinlich berichtet, und es würde auffallen, wenn sie es unterließ. „Na ja, an eine komische Frau erinnere ich mich gut“, begann Janine, „sie saß kurze Zeit am Tisch von dem Sonntag. Sie trug einen langen weiten Mantel, und ihre Hände, die hat sie immer in den Taschen versteckt.“
„Können Sie diese Person genauer beschreiben?“
„Sie hinkte stark. Fiel extrem auf, als sie zur Toilette ist.“ Aha, dachte die Kommissarin, jetzt kam Janine Wunderlich zu dieser Gehbehinderten, von der ihr auch andere Kneipengäste berichtet hatten. „Und außer der Tatsache, dass die Frau hinkte, wie sah sie aus?“
„Vornehm“, sagte Janine.
„Wie denn vornehm? Wie meinen Sie das?“
„Herrje, ich muss zur Arbeit. Meine Schicht! Kriege ich vielleicht einen Entschuldigungszettel von Ihnen?"
„Nein, auf keinen Fall. Außerdem haben Sie Ihren Kollegen Bescheid gesagt, dass und warum Sie sich verspäten. Frau Wunderlich, beruhigen Sie sich. Je eher Sie mir alles erzählen, umso früher können Sie zur Arbeit. Denken Sie nach, bitte. Die Hinkende, war sie klein oder groß, dick oder dünn?“
„Einigermaßen groß war sie, dünn eher nicht. Sie hatte diesen langen Mantel an, der bis zu den Waden reichte. Der war ihr viel zu weit.“ Janine fiel ein, dass die Hinkende sich in dem voluminösen Mantel verstecken wollte. Ja, klar, wenn man ein Krüppel war …
„Und diese komisch hinkende Dame war mit Hans Sonntag verabredet?“, fragte Pia Jäger.
„Nehme ich an. Er gab ihr diesen Briefumschlag, und dann haute sie ziemlich schnell ab. Steif und vornehm.“
Pia Jäger horchte auf. Von der Übergabe eines Umschlags hatten weder die anderen Kneipengäste noch der Wirt erzählt. „Welchen Umschlag?“
„Ein dicker Briefumschlag.“ Sollte sie der Kommissarin von ihrer Vermutung, Hans Sonntag hätte sich mit einer Prostituierten getroffen, erzählen? Andererseits, seit wann arbeiteten Krüppel als Huren?
„Was könnte in diesem Umschlag gewesen sein?“, fragte Pia Jäger.
„Woher soll ich das wissen. Vielleicht Knete?“
Die Kommissarin nickte gedankenverloren. Janine fühlte sich für einen Augenblick besser; sie hatte die Polizei auf eine Spur gebracht. Die Hinkende und Geld. Hörte sich doch plausibel an, oder?