Читать книгу Mord zum Frühstück - Christiane Baumann - Страница 15
Praxisgebühr
Оглавление„Vielen Dank für Ihre Hilfe“, sagte Kommissar Marco Lüders, „Sie können gehen, Frau Schatz.“
Die junge Frau, die ihm im Büro gegenüber saß, war Zeugin eines Überfalls auf eine Tankstelle geworden und hatte dem Kommissar einen der Täter genau beschreiben können. Mit ihrer Aussage war ihre zufällige Begegnung eigentlich beendet. Doch Marco Lüders hätte sich gern länger mit Luise Schatz unterhalten. Die Frau gefiel ihm. An ihr war nichts übertrieben, sie hatte nichts an sich, was ihn besonders beeindruckte, und nichts, was ihn störte. So eine könnte er heiraten.
Marco war von seinem spontanen Einfall überrascht; er war ihm in Anwesenheit der Frau peinlich. Schnell wiederholte der Kommissar, sie könne jetzt gehen. Statt aufzustehen, blieb Luise sitzen und lächelte ihn gequält an.
„Alles Ordnung?“, fragte Marco.
„Oh, alles bestens. Nur, meine Beine, die sind plötzlich so kraftlos.“
Der Kommissar bot eine Hand als Stütze. „Ist ein Fuß eingeschlafen?“
„Nein, nein. Ich warte einfach ab, es wird nach ein paar Minuten wieder gut sein. Kann ich solange hier sitzen bleiben, oder störe ich Sie?“, fragte Luise mit hochrotem Gesicht. Sie wäre am liebsten samt Stuhl im Erdboden versunken. Unmöglich benahm sie sich. Was würde der Kommissar von ihr denken. In seltenen Momenten passierte ihr dieses Missgeschick, und sie konnte weder gehen noch stehen.
Marco schaute besorgt auf seine Zeugin hinab. Er musste sich um ihre Gesundheit kümmern, zumindest für die Zeit, die sie sich im Kommissariat aufhielt. „Ich hole einen Arzt“, entschied er.
„Wirklich unnötig, ein Taxi reicht“, widersprach Luise.
Marco rief einen Arzt, er musste seine Dienstvorschriften befolgen.
Um die Wartezeit zu überbrücken, plauderten Luise und Marco über dies und das und stellten fest, dass sie einige Gemeinsamkeiten hatten. Beide spielten Lotto, fuhren gern Rad, und auch Luise interessierte sich für Fußball.
„Und Radfahren ist nicht zu anstrengend für Sie?“, fragte Marco nach.
Luise wollte das Bild gerade rücken, das der Mann von ihr haben musste. „Ich war zu nervös“, erklärte sie ihm, „wenn ich mich aufrege, versagen manchmal meine Beine. Keine x-beliebige Aufregung, nein, es muss irgendetwas ganz Besonderes sein. Wie jetzt. Ich musste zum ersten Mal bei der Polizei aussagen, deswegen wahrscheinlich. Entschuldigen Sie bitte die Umstände, die ich Ihnen mache. Ich glaube, es geht langsam wieder.“ Sie wollte aufstehen. Gleichzeitig näherten sich schnelle Schritte; der Notarzt.
Ein Jahr später waren Luise und Marco verheiratet. Es wurde eine glückliche Ehe. Ihren siebten Hochzeitstag im September feierten beide mit einer mehrstündigen Radtour und einem ausgiebigen Picknick.
Einige Tage danach hielt Marco, als er ausnahmsweise früher als Luise zu Hause war, einen an seine Frau gerichteten Brief in den Händen. Er war von ihrer Krankenkasse. Normalerweise öffnete Marco die Post seiner Frau nicht. Aber dies war ein halb offizielles Schreiben, das auch ihn etwas angehen könnte. Deshalb riss er den Umschlag auf. Zehn Euro Praxisgebühr für einen Rettungseinsatz wollten sie von seiner Frau. Das musste ein Versehen sein. Luise hatte von keinem Vorfall berichtet, nach dem ihre Rettung nötig gewesen wäre. Marco rief bei der Krankenkasse an, um seiner Frau diesen unerfreulichen Kontakt zu ersparen.
Die Mitarbeiterin der Krankenkasse bestand auf der Geldforderung, denn sie sei berechtigt. Vor drei Wochen habe er stattgefunden, der Rettungseinsatz für seine Frau, in der Werderstraße 13, und Frau Lüders wäre die Gebühr noch schuldig, die leider bei jedem Einsatz fällig würde. Genaueres wisse sie nicht. Da müsse der Herr Lüders seine Frau fragen.
Es lag kein Irrtum vor. Also hatte Luise einen Arzt gerufen oder jemand an ihrer Stelle. Jemand, der in der Werderstraße 13 wohnte? Das war keine Adresse von ihren Verwandten oder Freunden. Wieso hatte Luise ihm diesen Vorfall verschwiegen?
Eine Frage, die Marco seiner Frau am Abend stellen wollte. Doch dann überlegte er es sich anders. Wozu Luise mit diesen zehn Euro belästigen. Sie würde sich unnötig aufregen. Er würde die Sache regeln, das Geld umgehend online überweisen. Luise würde er weder etwas von dem Brief noch von seinem Anruf erzählen. Damit wäre diese lächerliche Verwechslung, denn um eine solche müsse es sich handeln, abgehakt und erledigt.
Als Marco sich am späten Abend neben die schlafende Luise ins Bett legte, kam plötzlich eine Erinnerung in ihm hoch. Seit er Luise kannte, war es genau zweimal nötig gewesen, einen Notarzt für sie zu rufen. Damals bei der Befragung, als Luise Zeugin des Überfalls auf die Tankstelle war. Und ein zweites Mal. Beinahe hätte er es vergessen. Ein Verdacht regte sich in Marco.
Drei Wochen später meldete Marco seine Frau als vermisst. Er gab bei seinen Kollegen an, Luise wäre von ihrer Arbeit in einem Blumenladen nicht nach Hause gekommen. Er habe keinerlei Erklärung für ihr Verschwinden. Wie auch seine Kollegen wussten, waren Luise und er glücklich miteinander gewesen; ihre Ehe war zwar kinderlos geblieben, aber dieser Umstand war für beide Partner keine Belastung. Dies bestätigten auch Luises Eltern und alle Freunde des Paares, die befragt wurden.
Eine Woche nach Marcos Vermisstenmeldung riefen Bewohner des Hauses Werderstraße 13 die Polizei, weil aus einer Wohnung ein Geruch drang, der unerträglich für sie war. Die Beamten fanden dort die Leiche von Luise Lüders. Marcos Frau war mit mehreren Messerstichen getötet worden. Das Tatwerkzeug lag neben der Leiche, darauf Fingerabdrücke, die mit Spuren in der Wohnung übereinstimmten. Die Kriminalisten vermuteten, Luise Lüders sei vom Mieter der Wohnung, einem Falk Jacobi, getötet worden, mit dem sie ein Verhältnis gehabt habe. Ein Eifersuchtsstreit. Nach Jakobi wurde gefahndet. Erfolglos.
Marco nahm den tragischen Verlust seiner Ehefrau sehr schwer. Er wurde krank und musste aus dem Polizeidienst ausscheiden. Auf seine Mitmenschen wirkte er depressiv, deshalb zogen sich viele von ihm zurück. Lediglich die Besitzerin des Blumenladens, Luises ehemalige Chefin, besuchte ihn regelmäßig, und er freundete sich enger mit ihr an.
Zwei Monate gingen ins Land. In der Silvesternacht stolperten einige betrunkene Jugendliche, die am Waldrand ein Feuer entzünden wollten, auf der Suche nach trockenem Holz über eine halbverweste Leiche. Wie sich in der Rechtsmedizin herausstellte, war es Falk Jacobi. Er wurde mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden und war offensichtlich verblutet. Die Polizei nahm an, Falk Jacobi konnte nicht mit der Schuld leben, seine Geliebte getötet zu haben, deshalb hatte er sich im Wald selbst umgebracht. Damit wurden die Ermittlungen zum Todesfall Luise Lüders eingestellt.
Marco arbeitete nun im Blumenladen, in dem auch Luise beschäftigt gewesen war. Er machte für die Besitzerin kleinere Besorgungen und war zuständig für alle groben Tätigkeiten und die Fahrdienste. Nach einem halben Jahr zog er mit der Frau zusammen.
Manchmal träumte Marco nachts von Luise. Meist fuhr er mit ihr im Traum Rad, und Marco, der stets vorne weg radelte, drehte sich nach seiner Frau um. Dann sah er ihr erschrockenes Gesicht vor sich. So hatte sie ihn angesehen, als er plötzlich in der Wohnung ihres Geliebten aufgetaucht war. Er erwischte sie in flagranti. Nie wäre er auf den Gedanken verfallen, dass Luise fremdging. Doch diese dämliche Nachforderung der Praxisgebühr … Sie brachte ihn auf Luises Spur und entlarvte ihr doppeltes Spiel.
Marco konnte sich gut vorstellen, welche Panik den angehenden Geliebten überkommen haben musste, als Luise ihm gestand, ihre Beine nicht mehr bewegen zu können. Natürlich war der erste Sex mit einem fremden Mann nach sieben treuen Ehejahren für sie besonders aufregend gewesen und hatte zum kurzzeitigen Versagen ihrer Beine geführt.
Wie damals mit ihm. Auch er hatte den Notarzt gerufen, als sie das erste Mal miteinander schlafen wollten. Danach sorgte Marco liebevoll und umsichtig dafür, dass Luise sich nie wieder so aufgeregt fühlte wie beim ersten Mal.