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Eine persönliche Betrachtung: Was bedeutet Glück für mich?

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»Eine gute Freundin, das wäre das größte Glück in meinem Leben.« So habe ich es vor einigen Jahren beschrieben, und dieser Satz gilt nach wie vor für mich. Ich habe ein schönes und gutes Leben und finde auch in der Isolation immer wieder Ruhe, Stabilität und Zufriedenheit, vor allem dann, wenn ich miterlebe, wie unvorhersehbar, chaotisch und anstrengend andere Menschen sein können. Manchmal aber ist der Wunsch, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften pflegen zu können, nach wie vor drängend. Vor allem stelle ich mir vor, dass es angenehm wäre, schöne Momente und Glücksgefühle mit anderen zu teilen, und gerade in guten Zeiten fühle ich mich deshalb oft besonders allein.

Auch stelle ich es mir schön vor, ein eigenes Kind zu haben. Aber ich weiß, es würde mich überfordern, deshalb ist es gut so. Nach wie vor tut es immer wieder einmal weh, aber ich habe andere Projekte für mein Leben gefunden, um die ich mich kümmern kann. Manchmal denke ich, meine Bücher und meine Veranstaltungen zum Thema Autismus sind vielleicht auch so etwas wie eigene Kinder. Ich selbst bin dafür verantwortlich und muss dafür sorgen, dass sie gelingen. Ganz generell finde ich die eigene Verantwortung für das Leben wichtig, natürlich immer im individuell sinnvollen Rahmen.

Abgesehen von dem Bereich der Freundschaft und persönlichen Beziehungen, habe ich mir im Laufe der Jahre auf vielen Gebieten so manches erarbeitet, was mir Zufriedenheit gibt und mich glücklich sein lässt. Ich habe herausgefunden, dass ich an freien Tagen vor allem dann zur Ruhe komme und Glück empfinde, wenn ich drei Aspekte kombinieren kann: Genuss bzw. Entspannung, Aktivität und die dosierte sinnvolle Tätigkeit. Im Gegensatz zu früher bin ich viel aktiver, gehe häufiger aus und habe deshalb auch öfter die Möglichkeit, schöne Erfahrungen zu machen. Ich bin offener geworden und viel interessierter an meiner Umgebung.

Und wenn ich so mit offenen Augen durch die Gegend laufe, entdecke ich viel Schönes, was mir Freude macht. Ich bin sehr glücklich über diese Entwicklung und vor allem dankbar dafür, denn ich weiß natürlich, dass ich sehr viel Glück gehabt und liebe Menschen gefunden habe, die mich unterstützen. Anfangs war es schwer für mich, diese Unterstützung anzunehmen, ich war es nicht gewohnt, Schwierigkeiten mit anderen zu besprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Dinge, die mir wichtig waren, versuchte ich alleine, und was mir nicht gelang, ließ ich sein. Inzwischen weiß ich, dass das nicht immer der richtige Weg ist, weil sich vieles gemeinsam besser und leichter lösen lässt. Dennoch muss ich auch heute noch immer wieder ein gutes Mittelmaß finden zwischen Autonomie und Hilfsbedürftigkeit. Das muss ich immer wieder neu austaxieren.

Ein großes Glück war es für mich, eine schwere Erkrankung überwinden zu dürfen, die mich für einige Monate völlig außer Gefecht setzte. Ich hatte Angst, weil ich fürchtete, die Lebensfreude und die Aktivität, die ich mir über Jahre hinweg mühsam erkämpft hatte, wieder zu verlieren. Aber gleichzeitig erkannte ich auch die ungeheure Kraft, die man aus solch schwierigen Situationen ziehen kann. Das Leben wurde mir irgendwie kostbarer als vorher, ich bin nun dankbar, wenn ich morgens aufwache und mich gut fühle, denn ich weiß jetzt, dass das keineswegs selbstverständlich, sondern ein großes Geschenk ist. Viele kleinere Probleme erhielten einen anderen Stellenwert; was waren sie schon dagegen, dass ich weiterleben durfte? Dadurch haben sich meine geistige Flexibilität und meine Toleranz ein kleines bisschen vergrößert, wenn nicht alles exakt so läuft wie vorgesehen. Es gibt etwas, das wichtiger ist als Glück, und das ist der Sinn. Wenn man in einer Sache einen Sinn sieht, kann man auch unglückliche Zeiten überstehen. Sucht man dagegen nur und ausschließlich das Glück, dann ist Unglück gleichbedeutend mit Scheitern.

Ich bin insgesamt vielleicht nicht mehr so unbekümmert wie früher, aber ich habe vieles gewonnen, vor allem die alltägliche Dankbarkeit, wenn die Menschen, die mir wichtig sind, gesund bleiben. Dagegen ist alles andere zweitrangig.

Wichtig sind mir auch Routinen und Rituale, die verlässlich wiederkehren. Auch dadurch erklärt sich wohl meine Liebe zum Weihnachtsfest. Ganz egal, ob es mir gut geht oder eher nicht, ob ich müde, traurig oder glücklich, gesund oder krank bin – es wird in jedem Jahr aufs Neue Weihnachten werden. Für jeden Menschen und auch für mich. Das hat etwas ungeheuer Tröstliches. Die Welt verändert sich rasant, Stabilität und Sicherheit sind rar geworden, aber Rituale sind verlässlich und geben Sicherheit. Das macht sie für mich so wichtig, dass ich sie vor allem in schwierigen und anstrengenden Zeiten ganz gezielt in mein Leben einbaue. Das kann dann so aussehen, dass ich in diesen Momenten meinen Tag sehr eng strukturiere und bewusst so plane, wie es gut für mich ist. Es ist wichtig, zumindest ein Stück weit die Kontrolle über das eigene Leben behalten und eigene Entscheidungen treffen zu können. Und im Rückblick merke ich, dass die wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben in Ordnung waren. Nur wenige Wege, die ich im Laufe der Zeit eingeschlagen habe, würde ich im Nachhinein verändern. Diese Erkenntnis gibt mir eine große Zufriedenheit, aber auch die Zuversicht, dass ich mich auch zukünftig auf meine Entscheidungen größtenteils verlassen kann und sich für die weniger glücklichen Momente Lösungen finden lassen. Es ist wichtig, nicht aufzugeben, denn irgendwie geht es weiter. Immer.

Vieles ist und bleibt natürlich schwierig, jeden Tag, auch in meinem Leben. Aber ich habe beruflich mein Glück gefunden, bin Ärztin, Therapeutin und Autorin und habe Beschäftigungen, die mich erfüllen. Ich hatte das Glück, eine Erkrankung geschenkt zu bekommen, die ich überwinden konnte, durch die ich menschlich sehr gereift bin und eine ganze Menge Lebenszufriedenheit neu erfahren habe. Ich habe die Wege eingeschlagen und die Ziele verfolgt, die ich selbst für richtig hielt, und ich hatte das Glück, dass sich an den entscheidenden Stellen Lösungen finden ließen für die auftretenden Schwierigkeiten.

Mein größtes Glück aber sind meine lieben Eltern und Therapeutinnen, die mich schon seit vielen Jahren unterstützen.

Und deshalb, aus all diesen Gründen, darf ich mich in meinem Leben über mangelndes Glück eigentlich nie wieder beschweren.

Glück und Lebenszufriedenheit für Menschen mit Autismus

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