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Fell, Fleisch und Fett im Visier

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Man möchte nicht glauben, wie viele Praktiken unsere Ahnen ausgeschöpft haben, um dem vermeintlich gefräßigen Treiben von Felis silvestris Einhalt zu gebieten. Alfred Brehm, der fast als Fürsprecher für die Tiere in die Bresche gesprungen ist, beschreibt in seinem ersten Band über »eine allgemeine Kunde des Thierreichs« lapidar: »Bei uns zu Lande erlegt man sie gewöhnlich auf Treibjagden.«51 Die Katzen versuchten dabei, sich vor den Hunden der Jäger auf die Bäume zu retten, tappten so in die Sackgasse und wurden einfach heruntergeschossen.52 Ein Zeitgenosse von Brehm empfahl acht verschiedene Fangapparate, um der Tiere habhaft zu werden.53 »Man […] läßt sie durch Hunde aus ihrer unterirdischen Wohnung herausholen, räuchert oder haut sie aus den hohlen Bäumen heraus, fängt sie wie den Marder in Schlagbäumen54, zieht sie durch den nachgemachten Laut eines Häschens oder einer Maus herbei oder lockt sie ins Tellereisen oder in den Schwanenhals durch einen frischen Vogel, den man mit Katzenkraut gerieben hat.«55

Ein solcherart präparierter Vogel baumelte als Köder vom Baum, direkt über einem Fangeisen, das darauf wartete zuzuschnappen. Zu »bethören und ans Eisen zu bringen« wären sie auch »durch eine Witterung aus Mäuseholzschale, Fenchel- und Katzenkraut, Violenwurzel«, die man in Fett oder Butter abdämpfen könne.56

Hätte es damals schon YouTube-Videos gegeben, hätte die Suchanfrage »Wildkatzen effizient ausmerzen« wohl Tausende Videos mit unzähligen Kommentaren und Likes ausgespuckt. Vielleicht wären auch gleich Anleitungen für die weitere Verwertung vorgeschlagen worden, nach dem Motto: Leuten, denen dieses Video gefällt, gefällt auch Folgendes. Foodblogger aus Frankreich und manchen Gegenden Deutschlands hätten Rezepte geteilt, wie das »gesunde, wohlschmeckende Fleisch« punktgenau zuzubereiten sei.57 Selbsternannte Alternativmediziner hätten ihren Followern geraten, das Wildkatzenfleisch »weich gesotten und warm aufgelegt« bei Gichtbeschwerden einzusetzen58 oder das Fett gegen »allerley Glieder-Kranckheiten« aufzutragen.59 Die Influencer der Heimwerkerabteilung wären nicht müde geworden zu betonen, wie ergiebig das Wildkatzenfett in Lampen brennen würde, »länger und heller als Lein- und Rüböl«.60 Und die Fashion-Welt wäre aus dem Schwärmen ob der mannigfaltigen Qualitäten des Fells gar nicht mehr herausgekommen. Denn in der Tat war das Fell, auch wenn es als nicht so langlebig galt, begehrt wegen seiner schönen Zeichnung61, aber auch wegen der gleichzeitigen heilenden Wirkung. »Wassersüchtige und korpulent geschwollene Leute« sollten das Fell »mit den Haaren auf bloßer Haut tragen«.62 Für die Modebewussten bot sich das Elsass an, wo Kürschner besonders warme Westen fertigten, die als »Wildkatzenbrustduoch« beliebt waren.63

Im Gegensatz zum verderblichen Fleisch und Fett ließ sich mit dem Fell auch gut Handel treiben, »vorzüglich in Polen«64 oder auch auf dem Balkan. Vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts stand es dort hoch im Kurs. »In Bulgarien«, erzählt mir die ansässige Biologin Diana Zlatanova, »erfreuten sich Wintermäntel aus Wildkatzenfell sogar bis in die 1970er-Jahre großer Beliebtheit, bis sie schließlich in den 1990ern langsam aus der Mode kamen.« Die Biologin besitzt außerdem ein antiquarisches Buch, das mir einen kleinen Einblick verleiht, wie viele Felle einst kursierten.65 Zu verdanken sind diese Aufzeichnungen den damaligen Hygienemaßnahmen. Alle Händler, die im 18. Jahrhundert in Dubrovnik einreisen wollten, mussten für eine gewisse Zeit in Quarantäne, um die Verbreitung von ansteckenden Krankheiten zu unterbinden. Das war offenbar schon damals kein unbedeutendes Thema. Ihre Waren – Kleider, Lebensmittel, Felle und vieles mehr – wurden einstweilen in einem Lager untergebracht. Um die deponierten Habseligkeiten später wieder entgegennehmen zu können, bekam jeder Händler eine Quittung ausgestellt. Diese uralten Schriftstücke vom Hafen in Dubrovnik verraten uns heute etwa, dass Stanisha Sharovich am 4. April 1732 90 Wildkatzenfelle kurzfristig abgeben musste. Manche Händler hatten auch nur ein halbes Dutzend im Gepäck, Simon Budmani dagegen reiste im März 1750 mit 81 Wildkatzen- und Dachsfellen und Mitar Stepanovic, der aus Widin, einer Stadt im äußersten Nordwesten Bulgariens gekommen war, führte im Mai 1766 zwei Stapel Felle mit sich, ebenfalls von Wildkatze und Dachs. Wie viel in einen Stapel passte, das verrät die Quittung allerdings nicht. »Die hier gehandelten Felle stammten mit Sicherheit nicht nur aus Bulgarien, sondern aus verschiedensten Regionen des Balkans. Einige der Händler waren auch in Bosnien und Albanien unterwegs«, erklärt mir Wildkatzenforscherin Zlatanova. Ob in so manchen Kellern und Dachböden noch heute Überbleibsel davon lagern? Wer weiß.

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