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Vorwort

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von Helmut Pechlaner

Mein leidenschaftliches Interesse an europäischen Wildtieren wurzelt im Alpenzoo Innsbruck, den ich schon als Schüler mit großer Begeisterung besuchte und in dem ich nach meinem Studium 20 Jahre lang arbeiten durfte. Der Alpenzoo beschäftigt sich seit seiner Gründung ausschließlich mit »Tieren, die heute noch in den Alpen leben oder in geschichtlicher Zeit hier gelebt haben«.

Für mich war es vor 50 Jahren erschütternd zu erfahren, wie viele von den einheimischen Tierarten damals in den Alpen als ausgestorben galten oder zumindest stark bedroht waren: beispielsweise der Habichtskauz, die Alpenkrähe, der Waldrapp, der Mönchsgeier, der Schmutzgeier, der Gänsegeier und der Bartgeier, aber auch der Wanderfalke und sogar das scheue Alpensteinhuhn. Bei den Säugern waren es nicht nur Elch und Wisent, Alpensteinbock und Biber, sondern auch Braunbär, Wolf, Europäischer Fischotter, Luchs und leider auch die Europäische Wildkatze. Diesem Tier hat die gleichermaßen begeisterte wie kompetente Autorin Christine Sonvilla das vorliegende großartige Standardwerk gewidmet.

Auch ich habe hier den Begriff ausgestorbene Tierarten verwendet, eine Beschönigung, an die wir uns leider schon gewöhnt haben. Denn keine dieser Arten ist von selbst ausgestorben, sie wurden rücksichtslos von uns Menschen ausgerottet.

Als plumpe Ausrede mag ein Bibelwort hergehalten haben: »Macht euch die Erde untertan!«

Das wahre Problem ist bis heute unser anthropozentrisches Weltbild. Und das daraus resultierende rücksichtslose Verhalten des Menschen. Es gibt keine Wildtierart, bei der Vergleichbares zu finden ist. Der Homo sapiens konnte sich in der Evolution durch die Weiterentwicklung des Gehirns selbst zum ersten Haustier machen und sich von Beschränkungs- und Selektionsmechanismen immer mehr abkoppeln. Seine Massenvermehrung, aber auch seine Maßlosigkeit – sowohl innerhalb der Art als auch gegenüber seiner Umwelt – stehen im Tierreich einzigartig da. Ich ärgere mich sehr oft, wenn ich von »inhumanem« Verhalten höre, denn genau die dabei angesprochene Art von Grauslichkeiten und Brutalitäten sind arttypisch für den Homo sapiens.

Der Artenschwund bei Pflanzen und Tieren ist seit Jahrzehnten enorm, die explosionsartige, raumgreifende Vermehrung der Menschheit fordert ihren Tribut. Umso mehr freut es mich, miterleben zu dürfen, wie Natur- und Umweltschutzorganisationen und umweltbewusste Personen durch engagierten Einsatz beim Natur- und Artenschutz erreichen können, dass Schutzgebiete ausgewiesen werden, Wildtiere unter Schutz gestellt werden und immer mehr junge Menschen sich für das Überleben und die Heimkehr der bodenständigen Wildtiere einsetzen.

Die Widerstände in der Bevölkerung aus kurzsichtigen egoistischen Motiven sind dennoch beträchtlich. Offenbar gibt es zu viele Bürgerinnen und Bürger, denen die ursprüngliche Vielfalt obsolet zu sein scheint und nur die Monokultur des Menschen als erstrebenswert gilt. Ein Albtraum!

Aber kleine Erfolge machen Mut. Der Europäische Fischotter erkämpft sich seinen Lebensraum zurück, der Europäische Biber breitet sich aus, Bartgeier und Wanderfalken sind als Brutvögel genauso zurück wie der Habichtskauz. In zoologischen Gärten gezüchtete und erforschte Waldrappe lernen ihr spezifisches Zugverhalten und brüten bereits im Freiland. Wolf und Braunbär vermehren sich in ihren Rückzugsgebieten und versuchen gegen alle Widerstände auch bei uns ihre alte Heimat zu besiedeln.

Die größte Akzeptanz fand im vergangenen Jahrhundert die erfolgreiche Wiederansiedlung des Alpensteinbocks. Kein Wunder, schließlich frisst dieser nur Pflanzen im Hochgebirge und lässt sich mit seinem prächtigen Gehörn dort wieder freudig bejagen.

Die Europäische Wildkatze war immer schon ein scheues, heimlich lebendes Wildtier. Kaum bekannt, aber umso wichtiger im Kreislauf der Natur. Im Alpenzoo Innsbruck hat die erfolgreiche Zucht eine lange Tradition. Anfangs lebte das dort beheimatete Paar in einer bescheidenen Behausung, dann in einer größeren Anlage mit Wiese und Klettermöglichkeiten. Während im kleinen Gehege der Kater von der Geburt bis zum Absetzen der jungen Wildkatzen separat gehalten wurde, versuchten wir nach der Übersiedlung etwas Neues. Trotz Absperrmöglichkeiten im Gehege blieb alles offen, der Kater dabei. Fast permanent beobachteten wir das Paar bei der Geburt der Jungen und die Tage danach. Der Kater hielt sich abseits. Als er am dritten Lebenstag seiner Kinder diese in der Wurfhöhle »besuchen« wollte, hat die Katze ihn derart angefaucht und bedroht, dass er sich fortan fernhielt, bis die Jungen im Alter von einigen Wochen selbst auf ihn zugingen und bald auch mit ihm spielten. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde Nachwuchs von Zootieren an andere zoologische Gärten weitergegeben bzw. getauscht.

Da fällt mir eine lustige Geschichte ein. Alpenzoo-Direktor Hans Psenner schenkte seinem Kollegen Walter Fiedler vom Tiergarten Schönbrunn auf dessen Wunsch einen Wildkatzenkater. Nach Monaten erkundigte er sich, ob es der Tiroler Wildkatze in Wien auch wirklich gut gehe. Darauf Fiedler: »Leider ist der Kater nach kurzer Zeit ausgekommen, er streift aber seither zufrieden in Schönbrunn und Hietzing herum. Ein Beweis, dass sich Tiroler in Wien wohlfühlen!« Darauf antwortete Hans Psenner: »Lieber Walter, ich muss dir widersprechen, der Kater ist kein Tiroler. Er kam mit einem Transport von der Tschechoslowakei zu uns. Abkömmlinge aus diesem Land fühlen sich ja schon seit Kaisers Zeiten in Wien sehr wohl!«

Anfang der 1980er-Jahre besuchte uns Herr Günther Worel vom Bund Naturschutz in Bayern (BN) und informierte uns über das Projekt der »Wiedereinbürgerung der Europäischen Wildkatze«. Voller Begeisterung erzählte er uns von seiner geplanten Wildkatzenstation. Es sollte eine Gehegeanlage werden, in der zoogeborene Wildkatzen auf das Leben im Freiland vorbereitet werden, bevor diese in ihre neue/alte Heimat entlassen werden. In der ersten Zeit müsse er dort wohl auch noch züchten, um genügend Tiere zu bekommen. Der Alpenzoo sicherte ihm daraufhin zu, dem BN künftig den gesamten Wildkatzennachwuchs kostenlos zur Verfügung zu stellen. Außerdem informierte Hans Psenner als Mitglied des Verbands Deutscher Zoodirektoren (VDZ) sämtliche Kolleginnen und Kollegen über dieses Projekt und empfahl ihnen, mit ihrem Wildkatzennachwuchs ebenso zu verfahren. Tatsächlich passierten über 400 junge Wildkatzen vor der Freilassung die Station des Herrn Günther Worel. Die gesamte Wiederansiedlung war erfolgreich.

Ich bin dankbar dafür, dass durch diese tiefschürfende Publikation der aktuelle Stand der Forschung über das Leben und die gegenwärtige Verbreitung der Europäischen Wildkatze allen Naturfreunden attraktiv zur Kenntnis gebracht wird. Das umfassende Wissen wird sicher dazu beitragen, »Europas kleine Tiger« in Zukunft besser verstehen und schützen zu können.

Helmut Pechlaner

Europas kleine Tiger

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