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I.Strafprozessualer Verdacht

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„Verdacht“ ist der zentrale Terminus des Ermittlungsverfahrens. Ohne Verdacht können keine Ermittlungsverfahren eingeleitet und keine grundrechtsverkürzenden Ermittlungsmaßnahmen getroffen werden.1 Das Vorliegen eines Anfangsverdachts ist also der „Zauberschlüssel“ für strafprozessuale Eingriffe in Bürgerrechte. Er markiert die gesetzliche Grenze, ab welcher der Staat mit dem Ziel der Strafverfolgung weit reichende und teils stark belastende Eingriffe in Grundrechte des Bürgers vornehmen kann2 (man denke etwa an Wohnungsdurchsuchungen oder eine Telefonüberwachung). Damit kommt dem Begriff des Tatverdachts auch eine Schutzfunktion zu: Solange ein Lebenssachverhalt die Voraussetzungen eines Anfangsverdachts nicht erfüllt, hat ein Bürger keine seine Grundrechte beschränkenden Strafverfolgungsmaßnahmen zu befürchten3 und insoweit ein Recht in Ruhe gelassen zu werden.

Nach § 152 Abs. 2 StPO sind die Ermittlungsbehörden verpflichtet, „wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen“. Die Anforderungen an das Vorliegen eines solchen Anfangsverdachts sind eher geringer Natur. Allgemein anerkannt ist, dass ein durch konkrete Tatsachen belegter, in kriminalistischer Hinsicht begründeter Anhalt dafür gegeben sein muss, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt.4 Der Begriff „tatsächliche Anhaltspunkte“ gemäß § 152 Abs. 2 StPO ist eindeutig. Tatsachen sind z.B. Aussagen von Opfern und Zeugen, eigene Beobachtungen und Wahrnehmungen der Polizei, Gegenstände mit Aussagekraft und Beweiswert, Film- und Tonaufnahmen, Erkenntnisse aus den Kriminalakten z.B. zu bestimmten Tatbegehungsweisen (Modus Operandi). Zur Tatsachenbasis kommt noch eine Bewertungsphase. Sofern der Prozess der Beurteilung der Tatsachen zu dem Ergebnis führt, dass eine strafbare Handlung gegeben sein könnte, also eine höhere Wahrscheinlichkeit für als gegen das Vorliegen einer solchen Tat spricht, liegt ein Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO vor.5

Der Anfangsverdacht muss sich jedenfalls auf mehr als bloße Hypothesen, vage Anhaltspunkte oder Vermutungen stützen lassen.6 Die Richtigkeit der verdachtsbegründenden Umstände muss nicht feststehen, eine gewisse Wahrscheinlichkeit ist ausreichend.7 Der Tatverdacht muss sich nicht gegen eine bestimmte Person richten oder bereits auf eine einzelne Strafnorm beziehen. Es reicht aus, dass zumindest eine Strafnorm durch das unterstellte Geschehen verwirklicht worden sein kann.8 Diese „unterste Verdachtsstufe“9 besteht gleichwohl nur bei „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“; wenn also nach kriminalistischer Erfahrung die Verwirklichung einer Straftat möglich erscheint. Eine solche geringe Wahrscheinlichkeit genügt gemäß § 152 Abs. 2 StPO für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens; sie muss aber trotzdem auf Tatsachen, nicht bloß auf Vermutungen beruhen.10 Das Erfahrungswissen ist in der täglichen Arbeit sicherlich nicht zu unterschätzen. Informationen und Daten werden mit persönlich gemachten Erfahrungen verknüpft, sodass eine zielgerichtete Analyse und Bewertung der Informationslage beim Kriminalisten entsteht, die für den Gang des Ermittlungsverfahrens von entscheidender Bedeutung sein kann.11 Hinweise auf ein Verbrechen liegen nicht immer offen; es erkennt sie nur, wer auch zu verdächtigen weiß beziehungsweise wer den „richtigen Riecher“ hat. Schon früh hat Walder darauf hingewiesen, „dass die Fähigkeit, leicht Verdacht zu fassen, nicht nur die Grundlage der erfolgreichen kriminalistischen Arbeit, sondern auch der paranoiden Schizophrenie ist“. Von Edgar Allen Poe wird behauptet, er habe die Detektivgeschichten erfunden, damit er nicht verrückt werde. Seine Erfindungen haben ihn leider nicht zu schützen vermocht. Neuere Erkenntnisse der Forschung zeigten, was den besonders Kreativen auszeichnet: Er verfolgt auch diejenigen Ideen weiter, die bei weniger Kreativen vom Hirn als unerwünscht ausgefiltert werden; das Fehlen des Filters kann aber eben auch zu Geisteskrankheit führen“12.

Mit vorstehender Umschreibung des Begriffs des Anfangsverdachtes ist indes nicht sonderlich viel gewonnen: Bei der Annahme eines Verdachts handelt es sich um ein Wahrscheinlichkeitsurteil. Welche Faktoren aber in die Wahrscheinlichkeitsprüfung eingestellt werden dürfen und müssen, ab welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Verdacht besteht und wie diese Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, bleibt unklar. Letztlich beruht, wie Fincke feststellt, die Verdachtsbegründung auf einem „subjektiven Induktionsschluss“13. Für die Feststellung, ob zureichende Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat sprechen ist im Einzelfall eine Abwägung aller für die Entscheidung wesentlichen be- und entlastenden Umstände im Rahmen einer Gesamtschau vorzunehmen.14 Deren Ergebnis hängt maßgeblich davon ab, welche Umstände der Staatsanwalt/Polizeibeamte für wesentlich hält und welches Gewicht er den in die Abwägung einfließenden Sachverhaltselementen in ihrem Verhältnis beimisst. Die prägenden Akzentuierungen ergeben sich also nicht aus der Natur der Sache, sondern beruhen im Wesentlichen auf subjektiven, nicht näher verifizierbaren Wertungen des Abwägenden. Dabei können nach der Rechtsprechung des BGH auch verschiedene Betrachter zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, ohne jeweils pflichtwidrig zu handeln.15 Insoweit besteht bei der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein nicht unerheblicher Spielraum.16

Anonyme Anzeigen rechtfertigen nicht schematisch einen Anfangsverdacht. Bei der Abwägung, ob z.B. aufgrund §§ 102 ff. StPO in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf, ist auch die Unschuldsvermutung zu beachten. Angaben anonymer Hinweisgeber sind als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen zwar nicht generell ausgeschlossen; jedoch müssen im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung die Voraussetzungen für eine Durchsuchung besonders sorgfältig geprüft werden. Nach Eingang von sogenannten namenlosen (anonymen) Anzeigen oder aufgrund von Legenden ist zu prüfen, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Daraus kann nicht bedenkenlos auf einen Tatverdacht geschlossen werden. Bei namenlosen Anzeigen prüft die Staatsanwaltschaft, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Es kann sich empfehlen, den Beschuldigten erst dann zu vernehmen, wenn der Verdacht durch andere Ermittlungen eine gewisse Bestätigung gefunden hat (RiStBV Nr. 8).

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