Читать книгу Basislehrbuch Kriminalistik - Christoph Keller, Bijan Nowrousian - Страница 149
2.Indizien: Indirekter (mittelbarer) Beweis
ОглавлениеDer mittelbare (indirekte) Beweis bezieht sich demgegenüber auf tatbestandsfremde Tatsachen, die deshalb auch Hilfstatsachen, Indiztatsachen, Beweisanzeichen oder schlicht Indizien genannt werden. Sie sollen – seltener für sich alleine betrachtet, meist zusammen mit anderen – den Schluss auf das Vorliegen des gesuchten Tatbestandsmerkmals (Haupttatsache) rechtfertigen. Der wichtigste Anwendungsbereich für einen solchen mittelbaren Beweis ist die Feststellung von inneren Tatsachen, also der subjektiven Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, Fahrlässigkeit etc.), die naturgemäß einem unmittelbaren Beweis nicht zugänglich sind, sofern kein Geständnis dazu vorliegt.43 Während in der Kriminalistik der Spurenbegriff von zentraler Bedeutung ist, steht für den Strafrichter der Indizienbegriff im Mittelpunkt. Der Bedeutungsgehalt dieser Begriffe ist nicht deckungsgleich. Indizien sind ein Mittel der juristischen Beweiswürdigung. Sie beziehen sich auf Tatbestandsmerkmale einer Strafnorm und haben nur Bedeutung im Rahmen einer bestimmten Beweissituation. Spuren sind dagegen ein Mittel der Sachaufklärung. Wird jemand aufgrund von Fingerabdrücken am Tatort als Täter ermittelt und gesteht er die Tat, dann ist der Indizienbeweis nicht erforderlich. Erst wenn er leugnet, wird die daktyloskopische Spur zum Indiz. Aus Spuren können daher Indizien gewonnen werden; ob dies erforderlich ist, erweist sich erst in der Hauptverhandlung.44
Für sich genommen können Indizien die Täterschaft nicht „beweisen“. Selbst die regina probationum („Königin der Beweise“), das Geständnis, ist kein vollumfänglicher „Beweis“ hierfür, sondern bedarf der Einpassung in ein Indizien-Gesamtbild, zumal die Justizgeschichte voll ist von falschen Geständnissen.45 Gleichwohl liegt in der strafjustiziellen und insbesondere der polizeilichen Praxis schon aus verfahrensökonomischen Gründen ein besonderer Akzent auf dem Geständnis.46
Nahezu jeder Beweis vor Gericht ist nur ein mittelbarer Beweis. Dieser bezieht sich auf tatbestandsfremde Tatsachen, also Hilfstatsachen (diese sind mit Indizien terminologisch gleichzusetzen), die erst durch ihr Zusammenwirken den Schluss auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals selbst rechtfertigen.47 Es handelt sich um (Hilfs-)Tatsachen, die einen Schluss auf die Güte eines Beweismittels zulassen, z.B. die Wahrheitsliebe oder das Erinnerungsvermögen eines Zeugen.48
Beispiel:49 Ein Zeuge bekundet, dass der Angeklagte dem Opfer das Messer in den Bauch gestochen hat. Seine Aussage ist glaubhaft, weil sie in sich stimmig ist (= Hilfstatsache). Außerdem ist er glaubwürdig, weil es sich um einen Beamten handelt (= Hilfstatsache).
Hilfstatsachen sind solche Umstände, die nach (vorerst unbekannten) Regeln der Plausibilität und der Logik die Schlussfolgerung zulassen (nicht: erzwingen), eine Haupttatsache sei gegeben.
Beispiel:50 Die Leiche L liegt still auf dem Pflaster. In ihrer Brust steckt ein Messer, das die Namensgravur „T“ aufweist (Indiz 1). Am Griff des Messers finden sich auch noch Fingerabdrücke des T (Indiz 2) sowie Hautabriebe, die mittels DNA-Analyse sicher dem T zuzuordnen sind (Indiz 3). Auf dem Rechner des Opfers L findet sich ein Drohbrief des T (Indiz 4), unter seinen Fingernägeln finden sich Hautpartikel des T (Indiz 5), an der Kleidung des T zahlreiche Fasern der von L zur Tatzeit getragenen Jacke (Indiz 6).
Der indirekte Beweis wird dadurch charakterisiert, dass von einer mittelbaren Tatsache, einem Indiz, unter Anwendung von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen auf eine unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache geschlossen werden muss. Formal handelt es sich um einen sogenannten „Wenn-dann-Schluss“, allerdings diesmal von der Indiztatsache auf die Haupttatsache. Hauptstück des Indizienbeweises ist also nicht die eigentliche Indiztatsache, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der rechtserheblichen weiteren Tatsache geschlossen wird. Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Hauptstück des Indizienbeweises ist also nicht die eigentliche Indiztatsache, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der rechtserheblichen weiteren Tatsache geschlossen wird.51
Die Beweiswürdigung muss mit den „Gesetzen“ der Logik vereinbar sein. Begriffsverwechslungen, Rechenfehler und Zirkelschlüsse führen zu Verstößen gegen „Denkgesetze“. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze ist insbesondere anzunehmen, wenn etwas vorausgesetzt wird, was es erst zu beweisen gilt, z.B. wenn aus einer Zeugenaussage selbst auf deren Glaubhaftigkeit geschlossen wird.52 Ein Zirkelschluss z.B. liegt aber nicht vor, wenn Teile einer Aussage, aus deren Wahrheit auf die Glaubhaftigkeit anderer Aussageteile geschlossen wird, eine außerhalb der Aussage liegende Bestätigung erfahren haben oder wenn aus dem Ablauf der Vernehmung oder dem Verhalten der Beweisperson bei ihrer Befragung oder aus der inhaltlichen Struktur ihrer Aussage auf deren Glaubhaftigkeit geschlossen werden kann.53
Der Denkprozess zum Indizienbeweis verläuft in fünf Schritten:54
(1)Was ist die gesuchte Haupttatsache?
(2)Welches Indiz liegt hierzu vor?
(3)Welche Beweisrichtung hat es? Erhöht es die Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Haupttatsache oder ist es dafür bloß wertneutral oder spricht es sogar dagegen?
(4)Wie ist die Beweiskraft (Beweisstärke) des Indizes?
(5)Liegen, wie regelmäßig, mehrere Indizien für die Haupttatsache vor, muss im Anschluss an die Bestimmung des Beweiswerts für jedes einzelne Indiz nach dem Gesamtbeweiswert aller gefragt werden. Dieser Schritt entfällt selbstverständlich, wenn ein (einziges) Indiz so beweiskräftig ist, dass es zur Überzeugungsbildung ausreicht, also für sich alleine den Schluss auf die Haupttatsache zulässt.
Der Kriminalist hat es in der Praxis häufig mit einer Vielzahl von Indizien zu tun, die es zu würdigen gilt.
Beispiel:55 Die Tatsache, dass an einem Einbruchstatort eine Schuheindruckspur gefunden worden ist, die einer bestimmten Person zugeordnet werden kann, beweist lediglich die Anwesenheit des Spurenverursachers am Tatort, zunächst nicht die Täterschaft. Hinzu muss die zweifelfreie Feststellung kommen, dass die Spur nur vom Täter stammen kann.