Читать книгу Diakonie - eine Einführung - Christoph Sigrist - Страница 12
2.1 Die Sache, nicht der Begriff steht im Zentrum
ОглавлениеÜblicherweise wird also Diakonie zu bestimmen versucht, indem man die sprachliche Herleitung des Begriffs zurückverfolgt und dann die Frage stellt, was das Nomen diakonia bzw. das Verb diakonein im Neuen Testament, in seinem kulturellen Umfeld und in der Alten Kirche bedeutete. Bloss: So wird man kaum zu einer hilfreichen Antwort gelangen, weil das, was man heute unter Diakonie und diakonischem Handeln versteht, nämlich die verschiedenen Formen sozialen, helfenden Intervenierens, im Neuen Testament in der Regel gar nicht mit den Begriffen diakonia bzw. diakonein bezeichnet wird, sondern eher in Texten zur Sprache kommt, die von Nächstenliebe sprechen, oder in Aufforderungen zu einem dem Willen Gottes entsprechenden Umgang miteinander.15 Es ist nicht zu übersehen, dass es im Neuen Testament viele Phänomene des Helfens gibt, die nicht mit dem Begriffsfeld diakonia bezeichnet werden, während viele Tätigkeiten mit diesem Begriff zum Ausdruck gebracht werden (zum Beispiel das apostolische Wirken des Paulus ganz allgemein16), die wenig bis gar nichts mit dem gemein haben, was uns heute vor Augen steht, wenn wir uns über die Identität «diakonischen» oder «sozialen» Handelns mitsamt den entsprechenden Institutionen, die sich daraus entwickelt haben, Gedanken machen.17
|31| Es ist darum deutlich zwischen dem neutestamentlichen Begriff der diakonia oder des diakonein und der gesellschaftlichen Wirklichkeit heutiger Diakonie zu unterscheiden. Letztlich geht es nicht um den Begriff, sondern um die Sache, um die Phänomene sozialen Engagements, die wir meinen, wenn wir heute von Diakonie sprechen. Und da helfen begriffliche Untersuchungen zum Wortfeld von diakonia im Neuen Testament, auf die sich fast alle bisherigen Diakoniebücher stützen, nicht weiter. Durch eine geschichtliche Herleitung des Begriffs Diakonie direkt relevante Hinweise für sozialdiakonisches Handeln heute gewinnen zu wollen, ist deshalb methodisch nicht möglich. Eigentlich wäre es überhaupt am besten, ganz auf den Begriff der Diakonie für christlich motiviertes soziales Handeln zu verzichten, weil seine Verwendung – ohne tragfähige biblische Begründung – implizit immer schon davon ausgeht, dass christliches soziales Handeln etwas anderes sei als ebensolches Handeln ohne christlichen Hintergrund.18 Der Diakoniebegriff führt mehr in die Irre, als dass er inhaltlich hilfreich wäre!
Wir sprechen in diesem Buch darum häufig von solidarischem, (pro-)sozialem oder helfendem Handeln oder verwenden weitere ähnliche Formulierungen, statt von diakonischem Handeln zu reden.19 Weil der Diakoniebegriff allerdings vor allem in Deutschland so tief verankert und breit abgestützt ist, weil er zudem in Deutschland als Selbstbezeichnung eines riesigen Feldes sozialer Institutionen und eines entsprechenden wissenschaftlichen Diskurses verwendet wird, scheint uns ein konsequenter Verzicht auf das Begriffsfeld «Diakonie/diakonisch» nicht hilfreich. Wenn wir im Folgenden also auch von Diakonie oder diakonischem Handeln sprechen, so meinen wir damit einfach das, was im deutschen Sprachraum − meist als Selbstbezeichnung |32| entsprechender Akteure oder Institutionen − damit gemeint ist: mitmenschliches, helfend-solidarisches Handeln aus christlicher Motivation oder auf christlichem Hintergrund. Immerhin sei an dieser Stelle explizit auf die hier vorliegende und weithin kaum thematisierte Problematik hingewiesen.
Wollen wir ein theologisch angemessenes Verständnis von Diakonie gewinnen, müssen wir unser Augenmerk also eher auf die vielfältigen Formen von Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit, von zwischenmenschlicher Hilfe und prosozialem Verhalten richten, die es in der Welt gibt und die auch in den biblischen Texten zur Sprache kommen.
Wonach wir also fragen, ist ein angemessenes theologisches Verständnis des Phänomens des Helfens. Anders gesagt: Wir suchen nach einer theologischen Deutung solidarischer Mitmenschlichkeit, wie sie sich in konkretem Hilfehandeln manifestiert, durch das irdischer (sozialer, rechtlicher, materieller, körperlicher oder seelischer) Not begegnet werden soll.