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Kapitel 9

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2011

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Gegen Mittag kehrte Manuel nach Petersfelden zurück. Als seine Tochter aus der Praxis heraufkam, schaltete er gerade den Herd aus. Von einem köstlichen Duft angelockt, betrat Mona die Küche.

„Schön, dass du wieder da bist, Paps", begrüßte sie ihren Vater und küsste ihn auf die Wange, ehe sie ihn lächelnd musterte. „Meine Schürze steht dir ausgezeichnet. Bist du an einem neuen Job interessiert? Ich könnte jemanden gebrauchen, der mich ständig verwöhnt."

„Dann such dir einen Mann", riet er ihr schmunzelnd. „Meine Gehaltsforderungen könntest du doch nicht erfüllen."

„Davon abgesehen, dass du unbezahlbar bist, werde ich mir vielleicht tatsächlich bald eine Haushaltshilfe leisten können, wenn es so gut weiterläuft."

„Sind die Petersfeldener etwa endlich zur Vernunft gekommen?"

„Genau", bestätigte sie und nahm am gedeckten Küchen­tisch Platz. „Was glaubst du, wem ich das verdanke?"

„Deinem Können, nehme ich an", sagte er und stellte die Platte mit den Schnitzeln auf den Tisch. „Die Leute werden erkannt haben, dass du eine erstklassige Ärztin bist."

„Man hat mir doch gar keine Gelegenheit gegeben, das zu beweisen. Brigitte Gundlach hat für mich die Werbetrommel gerührt."

„Ach, tatsächlich?" Erstaunt nahm er ihr gegenüber Platz. „Was hat sie dazu veranlasst?“

„Sie bedauert ihr ablehnendes Verhalten bei unserer ersten Begegnung und war bei mir in der Praxis, um sich zu entschuldigen. Gestern hat sie mich sogar zum Abendessen eingeladen. Ich muss gestehen, dass sie mich beeindruckt hat." Verschwörerisch zwinkerte sie ihrem Vater zu. „Beinah so sehr wie dich. Würdest du sie gern wiedersehen? Eventuell schon am Samstagabend?"

„Betätigst du dich neuerdings als Kupplerin?", fragte er und legte ihr ein Schnitzel auf den Teller. „Du hältst mich wohl allmählich für zu alt, um selbst Verabredungen zu treffen?"

„Du – und alt!?" Amüsiert tat sie sich vom frischen Spargel auf. „Was glaubst du, wie schmeichelhaft es für mich war, als Brigitte dich für meinen Mann gehalten hat."

„Das würde eher mir schmeicheln. – Wie kam sie denn darauf ?"

„Der Autohändler hat ihr gegenüber deinen Namen erwähnt. Sie war erstaunt, dass ich einen so jungen Vater habe." Scheinbar nachdenklich krauste sie die Stirn. „Vielleicht war sie insgeheim aber sogar erleichtert, dass dieser interessan­te Mann ungebunden ist!?"

„Bei meinem Charme wäre das tatsächlich nicht abwegig. Somit könnte deine Vermutung durchaus zutreffen."

„Eingebildet bist du wohl gar nicht?"

„Jedenfalls leide ich nicht unter Minderwertigkeitsgefühlen", antwortete er, wobei er sie fragend anschaute. „Du hast doch nicht wirklich ein Rendezvous für uns arrangiert?"

„Das war nicht nötig. Brigitte lädt uns beide am Samstag zu ihrer Party ein. Allerdings habe ich noch nicht fest zugesagt."

„Warum nicht?"

„Ach, Paps ...", erwiderte sie mit ernster Miene. „Brigitte ist mir wirklich sehr sym­pathisch. Trotzdem ist die Situation nicht ganz einfach für mich, weil ... weil sie die Mutter von Tobias ist."

Fassungslos blickte er seine Tochter an.

„Seit wann weißt du das?"

„Seit ich bei dem Hausbesuch sein Foto auf ihrem Nachtschränkchen gesehen habe."

„Diese Frau ist tatsächlich die Mutter von dem Schuft, der dich verlassen hat, als du ihn am nötigsten gebraucht hättest? Der dafür verantwort­lich ist, dass du dein Baby verloren hast? Der die Schuld daran trägt, dass du nie wieder eine Beziehung wolltest?" Erregt legte er sein Besteck aus der Hand. „Wo ist dieser Kerl jetzt? Ist er in der Stadt? Ich werde ..."

„Bitte, beruhige dich", sagte Mona eindringlich, ehe sie ihm berichtete, was Brigitte ihr über den Verbleib ihres Sohnes erzählt hatte. „Obwohl seitdem fast acht Jahre vergangen sind, glaubt sie als einzige nicht, dass Tobias bei dem Brand ums Leben gekommen ist", schloss sie. „Möglicherweise arbeitet er tatsächlich noch irgendwo in Brasilien."

„Warum meldet er sich dann nicht bei seiner Mutter? Falls er nicht total verdreht ist, muss er doch wissen, dass sie sich um ihn sorgt."

„Vielleicht hat er Gründe, sich zu verstecken. Obwohl ich auch das für unwahrscheinlich halte."

„Könnte ihm ein ärztlicher Kunstfehler unterlaufen sein, und er ist wegen möglicher Konsequenzen untergetaucht?"

„Das ist beinah ausgeschlossen. Tobias ist ein brillanter und gewissenhafter Arzt. Außerdem war er bei Kollegen und Patienten gleicher­maßen beliebt – ganz besonders auf der Kinderstation. Die Kleinen haben ihn nur Doktor Tobi genannt."

„Doktor Tobi ...", wiederholte er nachdenklich. „Dieser Name ist mir irgendwo schon mal begegnet." Gedankenverloren strich er sich über sein volles, ergrautes Haar. „Sollte meine Ver­mutung zutreffen, hat Frau Gundlach ihren Sohn jahrelang im falschen Land gesucht", sagte er schließlich. „Das erklärt allerdings nicht, aus welchem Grund er jeden Kontakt zu ihr abgebrochen hat."

„Wieso glaubst du, dass sie ihn im falschen Land gesucht haben könnte?"

„Erinnerst du dich an meine Recherchen in Peru? Das ist jetzt ungefähr sieben Jahre her. Damals bin ich mit deiner Mutter wochen­lang durch das Land gereist, in dem noch immer zwei Drittel der Bevölkerung unter dem Existenzminimum lebt. Wusstest du, dass dort auf etwa tau­send Einwohner nur ein Arzt kommt?"

„Das habe ich in deinem Buch gelesen. Bei uns in Deutschland sind es etwa dreihundert Einwohner pro Arzt. – Aber erzähl bitte weiter."

„Unter anderem war ich auch in Pacallpa, einem kleinen Städtchen am Ucayali", fuhr er fort. „Dieser Ort liegt im Osten am Rande der Montaña, die ein riesiges Gebiet mit tropischem Regenwald ist. Wie überall im Lande besteht die Bevölkerung auch dort zu 50% aus Indios. Von ihnen habe ich zum ersten Mal von dem sagenhaften Doktor Tobi, einem weißen Medizinmann, gehört."

„Denkst du, dieser Arzt könnte Tobias Gundlach sein?"

„Hast du ihm damals erzählt, was dein Vater beruflich macht?"

„Natürlich habe ich auch von meinen Eltern gesprochen. Weshalb fragst du?"

„Weil ich seinerzeit Kontakt mit diesem Doktor Tobi aufnehmen wollte. Die Geschichten, die man sich über diesen Wunderdoktor er­zählte, klangen sehr geheimnisvoll,. Deshalb dachte ich daran, even­tuell auch über ihn in meinem Buch zu berichten. Also habe ich einen Indio mit einem Brief zu ihm geschickt. Darin stand, wer ich bin, und dass ihn um ein Gespräch bitte. Zwei Tage später habe ich unerwartet eine ablehnende Antwort erhalten."

„Mit welcher Begründung?"

„Mit gar keiner." Aufmerksam schaute er seine Tochter an. „Sollte dieser Doktor Tobi mit Tobias Gundlach identisch sein, wollte er mich vielleicht nicht treffen, weil ich den Namen Hellberg trage. Dann hat er gewusst, dass ich dein Vater bin."

„Möglich wäre das", überlegte Mona. „Vielleicht wollte er aber auch aus irgendeinem Grund vermeiden, dass jemand über ihn berichtet. Sollte es tatsäch­lich Tobias gewesen sein, ist fraglich, ob er sich überhaupt noch in Peru aufhält."

„Zumal das Land kurz nach unserer Abreise von einer Cholera-Epidemie heimgesucht wurde. Diese Krankheit hatte sich bald über ganz Südamerika ausgebreitet. Als Arzt ist er bestimmt häufig mit dieser Krankheit in Kontakt gekommen. Womöglich ist auch er ihr zum Opfer gefallen."

„Soviel ich weiß, muss jeder Arzt, der in die Entwicklungshilfe geht, die nötigen Impfungen haben. Bei der Cholera beträgt der Impfschutz allerdings nur ca. drei Monate. Eine even­tuelle Nachimpfung kann gewöhnlich nach sechs Monaten durchgeführt werden. Tobias hat sich damals sehr kurzfristig entschlossen, nach Süd­amerika zu gehen. Falls er das auf eigene Rechnung getan hat, ist natür­lich alles möglich."

„Du sprichst sehr nüchtern darüber", stellte er fest, wobei er seine Tochter prüfend musterte. „So als ginge es dir nicht beson­ders nahe, dass Tobias vielleicht in Südamerika den Tod gefunden hat!?"

„Ich habe schon vor Jahren akzeptiert, ihn nie wiederzu­sehen. – Falls du es immer noch bezweifelst: Ich bin über ihn hinweg", fügte sie mit Bestimmtheit hinzu. „Brigittes wegen würde ich es allerdings bedauern, wenn er nicht mehr lebt. Gestern habe ich sie als eine warmherzige und kluge Frau kennengelernt. Es würde ihr das Herz brechen, wenn Tobias wirklich in Peru umgekommen wäre."

„Dann sollten wir ihr gegenüber diesen Doktor Tobi nicht erwähnen", schlug ihr Vater vor. „Ich versuche, einige Nachforschungen anzustel­len, um seine wahre Identität zu lüften. Vielleicht wissen die Behörden in Lima seinen vollständigen Namen und was aus ihm gewor­den ist. Allerdings wird das einige Zeit in Anspruch nehmen."

„Das ist besser, als in Brigitte falsche Hoffnungen zu wecken", stimmte sie zu. „Die Enttäuschung wäre sonst umso größer."

Die weiße Villa

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