Читать книгу Flucht - Conrad Martell - Страница 16
Washington Dienstag, 16.09.2025 09:41 Uhr EST
ОглавлениеZur gleichen Zeit klatschte Joe Montrini in Washington sein Dossier auf den vor sich stehenden, niedrigen Kaffeetisch und schnaufte tief durch. Er war - das konnte er nicht zurückhalten - verärgert. Er wartete zusammen mit Francis Gerald Copeland auf seinen Boss, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Copeland war der Berater des Präsidenten für Sicherheitspolitik.
Joe hatte in seinen zwei Jahren als Direktor des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA mehr Geduld gelernt, als in den 25 Berufsjahren zuvor. Naja, soweit ein italienisch-stämmiger Bursche aus Brooklyn eben Geduld lernen kann. Sein Aufstieg durch die Ränge des Militärs beruhte auf seiner Fähigkeit, instinktiv, schnell und entschlossen zu agieren, nicht auf seiner Geduld. Davon hatte Joe nicht sehr viel. Zur CIA kam Montrini, weil der Präsident einen Mann an der Spitze seines Auslandsgeheimdienstes haben wollte, der sich Respekt einfordern konnte aber kein Eigengewächs der CIA sein durfte. Der Präsident wollte dem intransparenten Treiben des oft eigenständig agierenden Dienstes einen Riegel vorschieben.
Und das hatte er erreicht. Unter Joe Montrini war der CIA zu einer Organisation geworden, die sich den Zielsetzungen des Präsidenten und des Kongresses unterordnete. Die Agentur konzentrierte sich auf gute nachrichtendienstliche Arbeit, statt wie so oft auf verdeckte Operationen wie Staatsstreiche, Komplotte oder Attentate. Darauf war Joe stolz und man zollte ihm Anerkennung. Er konnte es nur nicht ausstehen, dass man ihn warten ließ.
Copeland hingegen war so ziemlich das Gegenteil von Montrini. Die Copelands gehörten seit dem Unabhängigkeitskrieg zur blaublütigen Ostküsten-Elite des Landes. Acht Generationen der härtesten genetischen Selektion für die höchsten Posten in Wirtschaft und Politik. Francis war der Spross einer Familie, die ihm die Welt zu Füßen gelegt hatte.
Als Sicherheitsberater des Präsidenten verfügte er über alle Eigenschaften, die man für diese Aufgabe mitbringen sollte. Die beste Ausbildung, die Geld kaufen kann, dazu Loyalität, Diskretion, Beherrschtheit und ein rasiermesserscharfer Verstand. Abgesehen davon, hatte er ein internationales Netzwerk an wirtschaftlichen und akademischen Kontakten wie kaum ein Zweiter seiner Generation.
Montrini rief seinem Leidensgenossen mit unverhülltem Machismo zu: „Also, wenn man mich zwanzig Minuten warten lässt, muss man entweder eine verdammt hübsche Frau sein oder ein Typ mit dem Daumen auf dem roten Knopf!“
Copeland schmunzelte. Er kannte Montrini schon seit vielen Jahren. Er war nach Copelands Meinung ein guter Direktor des CIA, will sagen, er hatte keine eigene Agenda, spielte allem Anschein nach mit offenen Karten und stellte sich in den Dienst des Landes. Nur eine große Klappe hatte er halt - Italiener. Deswegen hatte Copeland keine Probleme ihm zu verzeihen.
Die Tür ging auf. „Also Joe, ich bin zwar keine Frau aber ich habe Nuklearraketen und somit das Recht - wie du selbst gesagt hast - dich warten zu lassen. Ich entschuldige mich aber trotzdem, du italienischer Hitzkopf!“ Der Präsident gab Montrini einen ‚Fist Bump‘ gefolgt von einem jovialen Klaps auf die Schulter. Montrini grinste, das Thema war aus der Welt. Ace wandte sich seinem Sicherheitsberater zu. Sie schüttelten die Hände.
„Francis, wann ist es soweit?“
Copelands Frau war unmittelbar vor der Niederkunft.
„Jeden Tag jetzt, Sir.“
Kenneth Ace ging zu ihrem Schreibtisch und nahm seine Unterlagen, die dort deponiert waren. „Setzten sie sich, Gentlemen. Machen wir es uns gemütlich.“ Er drückte auf einen Knopf und Sekunden später kam ein livrierter Page zur Tür herein.
„Doppelten Espresso für Joe, dazu ein Glas Leitungswasser. Für Francis eine Flasche Perrier. Danke Pete!“
Der Page nickte und verschwand durch die Tür. Der Präsident war im Umgang mit seinem Stab locker und freundlich. Härte kultivierte er primär gegenüber seinen Handelspartnern auf staatlicher Ebene. Seine Mitarbeiter behandelte er fürsorglich, solange sie von unzweifelhafter Loyalität waren und gewissenhaft für ihn arbeiteten. Er kannte die Vorlieben seiner Kollegen und wollte sie bei Laune halten, schließlich war dies ein sicherheitspolitisches Jour-Fixe, und die können auch mal ungemütlich werden.
„Also Francis, wo stehen wir?“
Er setzte sich auf das barocke Sofa gegenüber seinen Beratern.
Joe eröffnete das Briefing: „Sir, es liegen Erkenntnisse vor, die ein beunruhigendes Ausmaß an geheimdienstlicher Aktivität seitens der Volksrepublik China hindeuten.“
„Und das bedeutet im Klartext, ... Joe?“
„Das bedeutet im Klartext, dass ein Stall voller Agenten von China aus in Richtung alte Welt geflogen ist und ich eine meiner besten Agentinnen am Flughafen in Shanghai verloren habe, als sie versucht hatte, Kontakt mit einer Gegenspielerin aufzunehmen. Helsinki, Athen, London ... so ziemlich jede europäische Hauptstadt. Überall tauchen uns bekannte Gesichter auf. Die Israelis werden nicht müde uns mit Details über Treffen zu bombardieren, welche die Chinesen angeblich mit Terrororganisationen abgehalten haben. Die Russen sind verdächtig still, als wollten sie keinen Staub aufwirbeln und mein Bauchgefühl sagt mir, dass da verdammt noch mal etwas im Busch ist. Wenn man mir eine Pistole auf die Brust setzen würde, dann würde ich eine breit angelegte terroristische Aktion in Europa vermuten.“
„Haben wir mehr Fakten, ... Francis?“
„Bisher nicht. Wir können uns auf die Aktivitäten der Chinesen keinen Reim machen ...“
Der Page kam rein und stellte die Getränke auf den Tisch. Dann verschwand er wieder so unauffällig wie er herein gekommen war. Copeland goss sich Wasser aus seiner Flasche in ein Glas ein, während Montrini hörbar an seinem Espresso schlürfte. Francis trank, stellte das Glas wieder auf den Tisch und fuhr fort.
„Seit Langem war es die chinesische Maxime gewesen, das Lager ihrer Feinde, also den Westen, zu teilen. Das ist ihnen quasi in Vollendung gelungen. Amerika spricht nicht mehr mit den Europäern und ist de facto nicht mehr Mitglied der NATO. Sie haben ihr Maximalziel erreicht. Ein terroristischer Anschlag, der auf ihre Mithilfe oder gar Hauptverantwortung zurückzuführen wäre, würde den Westen wieder zusammen bringen. Außerdem, China braucht nach wie vor Europa als Absatzmarkt und ihre Ausfuhren dorthin haben sich letztes Jahr erhöht. Nicht nur das, ihre Auslandsinvestitionen in europäische Firmen haben sich in den letzten zehn Jahren stets erhöht. Ein breit angelegter Terroranschlag würde beides, Zugang zu Märkten und Gewinn aus den Investitionen gefährden. Es würde politisch, wirtschaftlich, und militärisch überhaupt keinen Sinn machen, so etwas zu unternehmen. Und doch deuten alle Zeichen darauf hin.“
Kenneth Ace dachte nach. Er hatte die Europäer hart rangenommen, wie er im Wahlkampf versprochen hatte. Ein besserer Deal für Amerika war nicht herausgesprungen. Seit der Eroberung von Taiwan hatten sich quasi alle asiatischen Länder seiner P2P-Doktrin gebeugt und er bestritt mittlerweile fast die anvisierten vierzig Prozent der Militärausgaben aus Zahlungen von Partnerstaaten. Nur die Europäer waren stur. Ihr Militär war, mit einigen Ausnahmen, nur noch Müll. Sie befanden sich auf dem Präsentierteller. Doch es interessierte sie scheinbar nicht. Eigentlich fühlte er sich danach, die Europäer ins offene Messer laufen zu lassen. Andererseits wollte er nicht als DER Präsident in die Geschichte eingehen, der Europa dem internationalen Terror überlassen hatte.
„Wie liegen unsere Interessen in dieser Angelegenheit?“
Copeland rückte auf die Sitzkante der Couch vor und schlug die Hände zusammen.
„Unsere Interessen China betreffend liegen im Pazifik. Das Friedensabkommen mit China sichert unsere Interessen derzeit sehr effektiv. Die Volksrepublik respektiert den Schutz, den wir unseren Partnern versprochen haben und wahrt den Status quo. Bisher ließ nichts darauf schließen, dass sie diese Abmachung brechen würden. Im Gegenteil, sie haben ihre Truppenpräsenz an den Grenzen zu Vietnam, Kambodia, Laos und Indien verringert. Sie haben ihre Militärpräsenz im Südchinesischen Meer auf ein niedriges Niveau heruntergefahren und die Senkakus haben seit drei Jahren keine chinesischen Patrouillenboote mehr gesehen. Taiwan ist ruhig und friedlich. Die Bevölkerung hat sich mit der Einverleibung in die Volksrepublik abgefunden. Sogar Nord-Korea scheint unter dem Einfluss der Chinesen handzahm geworden zu sein, jedenfalls im Vergleich zu früher, als sie jede Woche einen Raketentest oder eine unterirdische Nuklearexplosion durchgeführt haben. All das ist im Interesse der Vereinigten Staaten. Wir haben in Asien einiges zu verlieren. Ich rate dazu die Situation zu beobachten und auf Interventionen - wo auch immer - vorerst zu verzichten.“
Ace schaute Montrini an: „Joe, müssen wir nicht die europäischen Geheimdienste warnen?“
Joe konnte seinen Impuls nicht zügeln: „Nach dem wir IHRE FREIHEIT sieben Jahrzehnte lang verteidigt haben. Auf keinen Fall. Hol sie der Teufel. Fuck’em!“
Kenneth Ace verzog missbilligend das Gesicht, obwohl er wusste, dass der gesamte Generalstab und ein Großteil der Bevölkerung der USA ähnlich dachten. Er drehte sich zu Copeland.
„Francis?“
Copeland hatte blitzschnell erfasst, was der Präsident wollte. Er wollte den Europäern einen Rettungsring zuwerfen, eine Option offen halten ohne die Interessen der USA oder sein hartes Image zu kompromittieren. Copeland wusste auch schon wie das ablaufen könnte. Aber dazu musste Joe wieder ins Boot.
„Grundsätzlich bin ich bei Montrini. Sie müssen am eigenen Leib erfahren was es bedeutet, sich mit uns anzulegen. Eine Ausnahme!“
Er wandte sich zu Montrini. „Die Britts, wir müssen unsere Erkenntnisse mit der britischen Spionageabwehr teilen. Die Briten bekommen unsere ‚Intel‘ und werden Teile davon an ausgewählte Nachrichtendienste durchsickern lassen. Es gilt die ‚Third-Party-Rule‘: wir bestimmen an wen die Nachrichten weitergeben werden dürfen. Die Briten haben sich bisher immer daran gehalten. Die Franzosen bekommen etwas ab, sie haben uns mehr als einmal mit guten ‚Leads’ beliefert. Die Skandinavier kriegen auch Bescheid, allen voran Norwegen. Die Polen auch und die geben es weiter an die Balten. Das war’s. Deutschland kriegt nichts. Dabei bleibt es.“
Jetzt war es an Joe Montrini einen missbilligenden Gesichtsausdruck zu machen. Aber er wusste, dass Copeland Recht hatte und der Präsident würde ihm den Vorzug geben. Also sprang er auf den Wagen auf.
„Na schön! Sobald ich zurück in Langley bin ruf ich den MI-5 an. Wäre gut wenn du an der Telko teilnehmen würdest, Francis. Wir arbeiten zuvor mit dem Europa-Ressort aus, wer genau was kriegt.“
„Einverstanden“, sagte Francis, „Eine Sache noch, ‚Mister President’. Wir sollten den chinesischen Botschafter einbestellen, um auf Tuchfühlung zu gehen. Wahrscheinlich kommt nichts dabei heraus, denn ich gehe davon aus, dass er in nichts eingeweiht ist. Aber wir haben die Gelegenheit eine Message nach Peking zu schicken, dass wir mitbekommen haben, dass sie etwas vorhaben. Das wird sie nervös machen.“
Kenneth Ace nickte.
„Daran habe ich auch schon gedacht. Wir müssen Woodland und Goodard hinzunehmen. Die Außen- und Verteidigungsminister sollten beide wissen, dass was im Busch ist. Veranlassen sie alles bis spätestens Ende der Woche.“
Francis schlug seine Berichtsmappe zu.
„Wird erledigt!“
Ace stand auf und die anderen taten es ihm nach. Hände wurden geschüttelt.
„Bis morgen Joe. Francis, liebe Grüße an Cindy und beste Wünsche!“
Francis Copeland nickte dankend und verließ mit Montrini das Zimmer. Kenneth Ace ging zurück zu seinem Schreibtisch und blickte aus dem Fenster. Was haben die nur vor?
In zwei Tagen sollte er es erfahren.
Der Angriff