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Ein Mittel gegen die Furcht Alfred Bekker

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Lasky hatte keine Perspektive für sein Leben - weder was den privaten Bereich anging, noch in beruflicher Hinsicht. Er hatte keine Arbeit und lebte von der Fürsorge. Aber er machte keinerlei Anstalten, daran etwas zu ändern. Und wenn man es genau nahm, machte er kaum irgend etwas außer Schlafen - und Träumen. Es gab für ihn nur die endlos langen Tage, die gefüllt werden mussten; es gab so schrecklich viel zäh dahinfließende Zeit, die nichts als Leere verheißen konnte. Was blieb einem da anderes, als zu träumen?

Er hatte eine Drei-Zimmer-Wohnung, aber er mochte sein Zuhause nicht sonderlich. In Laskys Wohnung herrschte grenzenloses Chaos. Alles stand herum, nichts war eingeordnet. Wäscheteile bedeckten den Fußboden schon im Flur und aus der Küche drang ein übler Geruch. Auf dem Tisch, neben seiner ungemachten Bettcouch und fast begraben unter ein paar Comic-Heften und Illustrierten, sowie einer Reihe von verschwitzten Unterhemden, stand sein TC, sein Traumcomputer.

Er setzte sich auf die Couch, legte die Enviroments auf den Fußboden und atmete tief durch. Hier lebte er. Hier träumte er. Und beides war dasselbe für ihn. Er räumte die Sachen von dem TC herunter und warf sie einfach auf den Boden. Er schaltete den TC ein. Dann steckte er eine Diskette in den Schlitz, legte sich die Elektroden an, entfernte ein paar Sachen von seinem Bett und lehnte sich zurück. Die Schuhe behielt er an.

Und dann träumte er. Lasky hatte ein Traum-Enviroment der Reichtum- und Erfolg-Reihe eingelegt. Es hieß »Präsident eines Multis«. Er liebte dieses Enviroment sehr und hatte schon mehrere Dutzend Mal in ihm geträumt.

*

Lasky schenkte sich etwas von dem Bourbon ein, den das Antigrav-Feld des Hauscomputers soeben hatte heran schweben lassen und blickte aus dem überdimensionalen Fenster hinaus, auf die sich endlos bis über den Horizont hinaus erstreckende Stadtlandschaft. Das alles gehört mir!, dachte er.

Diese ganze Stadt, diese ganze Erde... Es gehörte ihm, weil er reich genug war, sich alles kaufen zu können. Jede Sache, jeden Menschen. Er brauchte nur die Hand nach den Dingen auszustrecken, die er haben wollte - und sie gehörten ihm. Er kaufte Regierungen, wie andere eine Waschmaschine. Es war ein gutes Gefühl.

Lasky hatte eine Schwäche für die Macht. Er fühlte einen schier unersättlicvhen Hunger danach. Es war wie ein Fass ohne Boden. Soviel er davon auch ansammelte, es schien keinen Punkt zu geben, an dem er sich zufrieden hätte zurück lehnen können... Dieser unheimliche Durst brannte wie ein loderndes Feuer in ihm und trieb ihn vorwärts, immer höher hinauf auf der Leiter des Erfolgs. Vielleicht wäre ihm schwindelig dabei geworden, vielleicht hätte die Furcht vor dem Absturz sich seiner bemächtigt, wenn er nicht stets im Hinterkopf das Bewusstsein gehabt hätte, dass alles nur ein Traum war, aus dem er irgendwann erwachen würde. Es konnte nichts geschehen, es gab keinerlei Risiko - obwohl doch alles keineswegs weniger real war, als es in Wirklichkeit gewesen wäre.

Die Tatsache, dass alles nur ein Traum war, verlieh ihm, dem sonst so Unsicheren, Mut und Selbstvertrauen. Es konnte nichts geschehen. Was auch immer ihm widerfuhr (und innerhalb der Grenzen, die das Traum-Enviroment ihm setzte, konnte buchstäblich alles passieren), es war nichts weiter als ein Traum.

»Du siehst zufrieden aus, Ralph!«

Lasky schaute sich um und erblickte Sara, seine Geliebte, seine Ratgeberin, seine Seelsorgerin. Sara... »Habe ich nicht allen Grund dazu?« fragte Lasky mit einem Lächeln.

Sara lächelte zurück und das gab ihm Kraft. Er brauchte dieses Lächeln, das so unverwechselbar und herzlich, so voller Verständnis und Liebe war. Es gab ihm die Energie, die er aus sich selbst heraus nicht hatte. Es wärmte ihn, wie eine Sonne ihren Planeten.

*

Er erwachte mit erheblichen Kopfschmerzen und fragte sich sogleich, ob es Derartiges wohl auch in den Traum-Enviroments geben konnte. Er riss sich die Elektroden vom Kopf, stand etwas unsicher auf und fasste sich an den Kopf. Dann suchte er den löslichen Instant-Kaffee, von dem er glaubte, dass er das Stechen in seiner linken Schädelhälfte lindern könnte. Er musste eine ganzec Weile suchen, ging dann zur Spüle, wo er sich eine der benutzten und mit Kaffeesatz verschmierten Tassen nahm, sie kurz unter den Wasserhahn hielt und das dunkle Pulver hinein schüttete.

Dies war die Realität! Dies war der Alltag! Aber Ralph Lasky wollte in diesem Moment so scheinen, als wäre es ein schlechter Traum, ein missratenes, fehlerhaftes Enviroment - oder vielleicht eines für Masochisten!

Er verzog das Gesicht, als das nur mäßig heiße Wasser aus der Leitung das Kaffeepulver in Instant-Brühe verwandelte. Appetitlich sah das nicht gerade aus! Trotzdem schlürfte Lasky die dunkle Brühe hinunter. Die dreckige Tasse stellte er einfach irgendwo ab und ließ seine Augen die vollgestellte Anrichte entlang gleiten.

Er hatte Hunger.

Dann ging er zum Kühlschrank, aber alles, was dort zu finden war, hatte bereits einen Schimmelüberzug.

Eine Konserve!, dachte er. Irgendwo müssen doch noch ein paar Konserven herum liegen!

Nachdem er den Küchentisch abgegrast hatte, fand er schließlich - neben dem überfüllten und übelriechenden Mülleimer - zwei Dosen Ravioli.

*

»Um ein Haar wäre ich jetzt nicht mehr unter den Lebenden!«

»Versuche dich zu beruhigen, Ralph!«

»Beruhigen? Steig du mal aus einem Gleiter, der wenige Sekunden später explodiert! Stell dir vor, ich hätte nicht gerade in jenem Moment Hunger gehabt und durch das Fenster ein vielversprechendes Restaurant gesehen!«

»Unsere Sicherheits-Leute werden der Sache auf den Grund gehen, Ralph!« Sara versuchte zu lächeln, aber das gelang ihr diesmal nur sehr unvollkommen.

Der Herrscher der Welt lebt gefährlich!, dachte Lasky. »Sara, ich habe Angst!«

»Ralph...« Sie strich ihm zärtlich über den Kopf.

»Ich möchte nicht sterben, Sara! Ich habe Angst vor dem Tod!«

Sie schwieg und hielt ihren Kopf so, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte.

»Wir alle stehen unmittelbar am Abgrund!«, sagte er dann. »Es bedarf nur eines geringfügigen Stoßes, um uns hinab zu stürzen, hinunter ins Nichts!«

»Selbstmitleid passt eigentlich gar nicht zu dir, Ralph!«, meldete sich Sara zu Wort.

Er zuckte mit den Schultern. Dann musterte er Sara mit einem skeptischen Blick. Ich träume!, dachte er. Alles, was geschehen ist, ist nicht real, auch wenn ich es so empfunden habe! In Wirklichkeit gab es keinen Mordanschlag. In Wirklichkeit - der Wirklichkeit, die zählt - gab es nur einen TC und eine Diskette, auf der ein Traum-Enviroment der 'Reichtum und Erfolg'-Reihe war. Sara... Sie - ein Produkt von Software-Herstellern? Nichts weiter? Ja, so war es. Er war sich sicher: Er träumte!

*

»Warum?«, fragte Sara. »Ich verstehe überhaupt nicht, was mit ihm los ist!«

Dr. Brandners Gesichtszüge waren ernst, seine Stirn lag in Falten. Aber trotz allem wirkte der Psychiater ruhig, während Sara der Puls bis zum Hals schlug.

»Er hat unsagbare Furcht«, erklärte er. »Furcht vor der Verantwortung, die er zu tragen hat, Furcht vor den vielfältigen Risiken des Lebens und vor dem Tod. Deshalb hat seine Psyche sich eine Hilfslüge zurecht gelegt: Er glaubt, dass er dies alles hier nur träumt! Diese Welt, so wie wir sie kennen und wissen, dass sie real ist, ist für Ralph Lasky nur eine von mehreren alternativen Traumwirklichkeiten, die er mit Hilfe sogenannter Traum-Enviroments zu betreten meint.«

»Ich verstehe noch nicht ganz...«

»Wirklich nicht? Es ist ein Mittel gegen die Furcht. Wenn man weiß, dass alles nur Traum ist, so kann einen doch nichts mehr wirklich erschrecken.«

»Ist Ralph denn... irrsinnig?«, fragte Sara zögernd.




Gestrandet in der Unendlichkeit: Paket 15 Science Fiction Abenteuer

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