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Der nasse Waschlappen

Vor 4 Jahren ist meine Lebensspenderin dorthin zurückgekehrt, von wo wir alle herkommen.

Den Todestag vergesse ich nie. So kam es, dass der 6. Oktober 2016 in einer gewissen Hektik über die Bühne ging, um einiges zu organisieren. Als wir Kinder und Vater morgens um 6 Uhr vor ihrem Leichnam standen, lag sie friedlich und endlich schmerzfrei da. Leider hatte das Personal ihr die falschen Wunschkleider angezogen. Wir wussten, dass sie aufgebahrt werden wollte. Und sie bestimmte, in welchem Kleid das sein muss. Ich muss hierzu erwähnen, dass sie ihren gesamten Abschied würdevoll ins Detail geplant hat. Welche Lieder der Kirchenchor singen musste, was es als Leichenmahl gab etc.

So schnitten wir an diesem Morgen von hinten das gewünschte dunkelblaue schicke Kleid auf und halfen der Krankenpflegerin beim Um- und Anziehen. Als sie dann eingesargt wurde, entspannten kleine Witze die Situation. Als ob sie uns in dem Moment einen Lachtrost zusendete. Wie besprochen und gewünscht, legte ich ihren kleinen „Pfüdi“ (aus Filz hergestellte Kugel) in den Sarg, damit ihr damals vor 55 Jahren totgeborenes Kind auch eine anständige Beerdigung mitfeiern durfte. Das waren ihre Worte.

Damit ich von meiner Mutter gebührend alleine Abschied nehmen konnte, fuhr ich spät abends zur Leichenschauhalle im Hospiz. Eine Nachtschwester öffnete mir die Tür und fragte mich, ob sie mir einen Tee bringen soll/darf. Ich bejahte und es war stimmig, mich mit ihr neben dem Leichnam zu unterhalten, denn ich empfand ihren Körper nur noch als eine Hülle. Ihre befreite Seele schwirrte sehr wohl im Raum umher, um den traurigen Blicken ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Eine Freundin rief mich plötzlich an und fragte mich, wie es mir gehe. Ich konnte kein Wort sprechen, weil es mir die Kehle zuschnürte. Sie setzte sich ins Auto und fuhr in fortgeschrittener Nacht zu mir ins Hospiz.

Wir schauten gemeinsam auf diese Hülle und spürten, dass die Energie der Verstorbenen diesen Raum erfüllte. Meiner Freundin kam eine Kindheitserinnerung hoch, die uns herzhaft zum Lachen brachte.

In Schindellegi kreierten wir in einem Blauringlager einen Wetten-dass-Abend. Ich muss dazu sagen, dass unsere beiden Mütter damals für die Küche zuständig waren. An diesem Abschlussabend baten wir die beiden und den Pfarrer aus unserem Dorf auf die Bühne. Das heißt, wie in der echten Wetten-dass-Show luden wir Promis ein. Geschichtenerzählerin (war meine Mutter) im lila und blauen Blumenkleid sowie dunkelblauem Hut. Schauspielerin (die Mutter meiner Freundin), Velorennfahrer (ein Jungwächtler aus Schindelegi) und unser Dorfpfarrer.

Wir wollten wissen, wer sich von den Gästen am schnellsten hinsetzen konnte. Deshalb bat ich alle vier, aufzustehen. Während ich mich mit ihnen unterhielt, bemerkten sie nicht, dass ein Blauringmädchen einen „pflotschnassen“ Lappen auf den Stuhl legte. Plötzlich bat ich alle vier, sich hinzusetzen. Drei davon juckten und sprangen von den Stühlen, während die Kälte und Nässe durch die Kleider drang. Doch Trudi Gerster blieb sitzen und konnte vor Lachen nicht mehr aufstehen. Der gesamte Raum erfüllte sich mit ihrem ansteckenden Lachen und es war, als ob ein wohltuender liebevoller Virus so manche Mädchenseele heimsuchte. Während meine Freundin mir diese Geschichte erzählte – die ich längst vergessen habe – lachten wir herzhaft. Hier und jetzt in diesem traurigen Moment des Abschieds. Als ob meine innere Angespanntheit wie bei einem Herbstblätterflug abgefallen ist, fühlte sich dieses Lachen so heilsam und wohltuend an. Bestimmt wollte Trudi Gerster uns auf keinen Fall traurig sehen, deshalb brachte sie mir bestimmt meine innig geliebte Freundin und diese längst vergessene Geschichte zurück.

Wer plötzlich aufgefordert wird, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, den kann ich nur aufmuntern, ‚dass der Tod nicht immer nur schwarz trägt‘.

Dazu fällt mir gleich noch eine weitere Lachgeschichte ein, mit derselben Freundin und meiner Mutter.

Nach einigen Lachvorträgen in der ganzen Schweiz organisierte ich erstmals einen Vortrag in unserer Region. Meine Mutter und eben dieselbe Freundin waren mit von der Partie. Als ich zum Moment kam, indem jede Person sich ein Gegenüber suchen sollte, trafen meine Freundin und meine Mutter aufeinander. Während ich allen empfahl, die rote Papp-Nase aufzusetzen, hörte ich die beiden zünftig lachen. Und beide weinten Tränen vor Lachen. Wir fühlten uns zu diesem Spektakel buchstäblich hingezogen und versuchten durch Blicke zu erkennen, weshalb die beiden derART symbiotisch in einem Lachtanz gelandet sind. Ich erkannte den Grund. Meine Mutter zog die rote Pappnase verkehrt an, sodass sich beim Einatmen die bewegliche Papp-Nase zusammenzog und beim Ausatmen wieder ausdehnte und rund erschien. Dies geschah bei meiner Mutter deswegen, weil die Nasenlöcher der Papp-Nase gegen den Himmel schauten statt gegen den Boden. Shit happens!

Tränen, die man gelacht hat,

muss man nicht mehr weinen.

Das Leben ent-ERNST-en

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