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BEGEGNUNG MIT ELIZABETH HADLY UND ANTHONY BARNOSKY

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CYRIL: Ihre Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature war für uns, gelinde gesagt, ein Schock. Eigentlich können wir es kaum glauben. Gibt es weitere Studien dieser Art?

LIZ: Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler die Fragen, die wir hier behandelt haben: den Klimawandel, die Bevölkerungsexplosion, den Untergang und die Veränderung von Ökosystemen, das Artensterben, die Umweltverschmutzung. Wir haben versucht, eine Synthese aus diesen Arbeiten zu machen und sie miteinander zu verbinden. Und als wir diese Probleme miteinander in Beziehung gesetzt haben, ist uns deutlich geworden, dass sie sich gegenseitig verstärken.

TONY: Wir wollten herausfinden, wie unser natürliches System auf die Summe dieser Erschütterungen reagieren wird. Dabei ist das Konzept des „Umschlagpunkts“, des Tipping Point herausgekommen.

MÉLANIE: Was bedeutet das genau?

TONY: Wir stellen uns Veränderungen gerne als allmähliche Ereignisse vor, die sich beobachten lassen. Und tatsächlich reagieren natürliche Systeme auch so – bis zu einem bestimmten Punkt. Dann kippen sie und alles verändert sich ganz plötzlich. Man kann das mit einem Wasserkessel vergleichen, der auf dem Herd steht. Viele Minuten lang passiert gar nichts, dann fängt das Wasser von einer Sekunde zur nächsten an zu kochen und verdampft. Das Besondere an unserer Studie ist, dass wir von einem Umschlagpunkt gesprochen haben, der den gesamten Planeten betrifft, und nicht nur einzelne Systeme, also unser Leben auf der Erde.

CYRIL: Hat es schon mal solche Umschlagpunkte in der Erdgeschichte gegeben?

TONY: Ja, einige. Der Letzte markiert den Übergang von der Eiszeit – als der ganze Norden der Erdkugel mit Eis bedeckt war – zu unserem Klima, das die Entwicklung der menschlichen Zivilisation erst möglich gemacht hat. Das war vor 12.000 Jahren. Wir haben versucht, die Geschwindigkeit des damaligen Klimawandels mit dem von heute zu vergleichen.

MÉLANIE: Und …?

TONY: Wir Menschen verändern das Klima heute zehnmal so schnell.

LIZ: Die Durchschnittstemperatur der Erde lag zum letzten Mal vor 14 Millionen Jahren auf dem Niveau, auf das wir uns in den kommenden Jahrzehnten zubewegen werden. Das war lange vor dem Erscheinen menschlichen Lebens. Unsere Gattung hat solche Temperaturen noch nie erlebt. Und die meisten Pflanzen- und Tierarten unseres Planeten auch nicht. Die gibt es nämlich erst seit zwei bis fünf Millionen Jahren.

TONY: Und das ist nicht die einzige Veränderung. Wir können genauso das Bevölkerungswachstum nehmen. Wir Menschen vermehren uns auf diesem Planeten in einer solchen Geschwindigkeit, dass sich die Weltbevölkerung seit meiner Geburt verdreifacht hat. Das gab es noch nie in der Geschichte. Oder wir schauen auf das Artensterben. Die Tier- und Pflanzenarten werden heute in einem Umfang und einem Tempo dezimiert wie zu der Zeit, als die Dinosaurier ausstarben.

LIZ: Es würde also wieder Millionen von Jahren dauern, bis eine Artenvielfalt da ist, die Gattungen hervorbringt, wie wir sie heute kennen.

TONY: Die Veränderungen finden schneller statt, als sich die Gesellschaft daran anpassen kann. Deshalb wird es zu Schwierigkeiten kommen.

CYRIL: Und was würde passieren, wenn wir diesen Umschlagpunkt wirklich erreichen?

TONY: Wenn man vom Tipping Point spricht, dann denken die Leute: „Mein Gott, dann werden wir alle sterben“. Das ist es aber nicht, worauf wir hinaus wollen. Vielmehr wird die Erde zu einem teilweise unbewohnbaren Ort werden. Ein Beispiel: Selbst wenn wir es schaffen, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu drosseln, werden die klimatischen Veränderungen viel häufiger Naturkatastrophen (Unwetter, Überschwemmungen, Hurrikane, Taifune, Dürren …) auslösen als bisher. Und der Meeresspiegel wird ansteigen. Das ist in den USA schon jetzt zu erkennen, wo uns die Unwetter in den letzten drei Jahren Milliarden von Dollar gekostet haben und viel öfter auftreten als in den fünfzehn Jahren davor.

CYRIL: Aber in vielen Artikeln, die ich über Ihre Studie gelesen habe, stellen die Journalisten es so dar, dass ein Teil der Menschheit untergehen könnte, weil es zu wenig Nahrungsmittel geben wird oder wir nicht in der Lage sind, uns an die Temperatur- und Klimaveränderungen anzupassen. Stimmt das?

LIZ: Wenn wir das Ausmaß und das Tempo der Klimaerwärmung mit der Geschwindigkeit des Artensterbens und dem gleichzeitigen rasanten Bevölkerungswachstum kombinieren, bekommen wir eine Ahnung davon, was passieren kann. Ein Beispiel: Die Kinder, die wir Menschen überall auf dem Planeten bekommen, müssen ernährt werden. Aber gleichzeitig vernichten wir im großen Maßstab eine Artenvielfalt, die genau das leisten könnte.

MÉLANIE: Was könnte also passieren?

LIZ: Sobald Länder mit wenig natürlichen Ressourcen ihren Einwohnern die lebensnotwendigen Güter und Dienstleistungen nicht mehr selbst verschaffen, aber diese auch nicht importieren können, weil sie zu teuer sind – Wasser, Nahrungsmittel, Energie und infolgedessen Arbeitsplätze u. a. –, wird die Bevölkerung anfangen auszuwandern. Damit werden wiederum andere Länder destabilisiert und es kommt zu Feindseligkeiten zwischen den Völkern. Die ersten Anzeichen dieses Phänomens kennen wir bereits. Wir haben alle die Bilder der Migranten vor Augen, die Absperrzäune hochklettern oder ertrinken beim Versuch, nach Europa oder in die Vereinigten Staaten zu gelangen.

MÉLANIE: Das wird also zu Konflikten führen?

LIZ: Wahrscheinlich. Auf jeden Fall wird es die Spannungen zwischen denen, die wenig haben, und denen, die viel haben, verstärken.

TONY: Wenn wir uns das schlimmste Szenario vorstellen, d.h., dass wir sowohl unsere Wirtschaftssysteme als auch unseren Ausstoß an Treibhausgasen unverändert beibehalten und gleichzeitig nichts unternehmen, um das Bevölkerungswachstum einzudämmen, dann sind die Prognosen erschreckend. Wenn sich die Geburtenrate der Jahre 2005-2010 ein Jahrhundert lang fortsetzen sollte, dann sind wir im Jahr 2100 27 Milliarden, und es wird unmöglich sein, alle zu ernähren. Schon jetzt benötigen wir etwa 40 % der erschlossenen Flächen für den Nahrungsmittelanbau. Dann müssten wir die meisten tropischen Urwälder roden, was uns einen gewissen Aufschub verschaffen würde, aber nicht viel.

LIZ: Und wenn wir die Urwälder roden, würden wir das Massensterben all der Arten in diesen Lebensräumen beschleunigen, wir würden Ökosysteme zerstören, die sauberes Wasser produzieren, wir würden Bäume verlieren, die CO26 speichern. Und das hätte weitere klimatische Veränderungen zur Folge. In dem Versuch, das eine Problem zu lösen, würden wir ein anderes verschärfen.

TONY: Wenn wir alle diese Probleme miteinander verknüpfen, stellen wir fest, dass unsere Welt sehr bald ein ziemlich ungastlicher Ort werden kann. Glücklicherweise verlangsamen sich diese Tendenzen gerade etwas, aber es liegen noch riesige Aufgaben vor uns. Wir stehen geschichtlich an einer Schwelle und müssen aufwachen, wir sehen diese Dinge auf uns zukommen und kennen für die meisten eine Lösung. Wir haben ein Fenster von 15 bis 20 Jahren, um zu handeln, das ist unsere Chance, aber die Leute müssen es auch wirklich wollen. Wie sagte doch der Gouverneur des Staates Washington, Jay Inslee: „Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels zu spüren bekommt, und die letzte, die etwas dagegen unternehmen kann.“

MÉLANIE: Wenn wir in den kommenden 20 Jahren aktiv werden, können wir den Klimawandel dann noch stoppen?

LIZ: Es ist so wie beim Autofahren, man tritt auf die Bremse, aber der Wagen braucht noch eine Weile, bis er zum Stehen kommt. Selbst wenn wir überhaupt kein Treibhausgas mehr ausstoßen würden, bräuchte die Atmosphäre noch eine ganze Weile, bis sie wieder im Gleichgewicht ist. Daher wird sich die Erderwärmung erst mal fortsetzen und wir müssen die möglichen Folgen antizipieren und uns an sie anpassen, also überlegen, wie wir genügend anbauen, wie unsere Lebensräume dann aussehen werden …

TONY: Ich will mal ein Beispiel nennen. In San Francisco sind die meisten Leute Baseball-Fans. Aber fast niemandem ist bewusst, dass das Stadion im Jahr 2050 überflutet sein wird. Und das ist sicher, es ist keine Hypothese mehr. Der Meeresspiegel steigt und wird immer mehr Küstengebiete und deren Infrastruktur überschwemmen, in Florida, in New York und auch an vielen anderen Orten der Welt. Und ich spreche jetzt nur von einer globalen Erderwärmung von zwei Grad. Wenn es vier sind oder sechs, dann werden sich die Probleme nicht einfach nur addieren, sie werden sich multiplizieren und uns teuer zu stehen kommen, finanziell und in Form von Menschenleben.

LIZ: Es geht ja nicht nur um unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser. Wir müssen uns vorstellen, in was für einer Welt wir dann leben werden. Wahrscheinlich fehlt es uns dann an allen möglichen Ressourcen, unsere Landschaft wird sich verändern; Arten, die gewöhnlich nicht miteinander in Berührung kommen, werden dann in Kontakt kommen, so wie es in Alaska schon bald der Fall sein wird mit Grizzly- und Polarbären. Darauf müssen wir uns einstellen.

CYRIL: Was glauben Sie, sollten wir jetzt tun? Welche Empfehlungen würden Sie den Staats- und Regierungschefs geben, den Unternehmern, den Bürgern?

TONY: Zunächst das Bevölkerungswachstum bis zum Ende des Jahrhunderts auf zehn Milliarden Menschen einschränken. Was heißt, dass Frauen in Ländern mit hohen Geburtenraten Zugang zu Bildung verschafft wird – und das gilt natürlich genauso für Männer –, zur Empfängnisverhütung und zur Gesundheitsversorgung.

LIZ: Dann geht es darum, den ökologischen Fußabdruck der westlichen Bevölkerung zu reduzieren. Es geht nicht nur um die Zahl der Einwohner auf unserem Planeten, sondern ebenso um unseren horrenden Ressourcenverbrauch. Denn wir, die Bewohner der sogenannten „entwickelten“ Länder, konsumieren im Vergleich zu den sogenannten „Entwicklungsländern“ riesige Mengen an Rohstoffen.7

TONY: Das Ziel muss sein, den Konsum in unseren Ländern zu drosseln, damit er in Indien und China etc. steigen kann, aber dennoch von unseren Ökosystemen zu verkraften ist.

Drittens dürfen wir keine fossilen Brennstoffe mehr verwenden und müssen sobald wie möglich das Ziel einer CO2-neutralen Wirtschaft erreichen. Eine ganze Anzahl von Studien belegt, dass es möglich ist, die fossilen Energien innerhalb von 30 Jahren vollständig durch erneuerbare zu ersetzen. Das größte Hindernis auf diesem Weg ist die Logik des business as usual. Als viertes geht es darum, unsere Wirtschaftsmodelle zu verändern.

Fünftens müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Menschen ernähren wollen. Im Moment verleitet uns die Marktwirtschaft dazu, die Umwelt zu schädigen, um Nahrungsmittel zu erzeugen, und anschließend ein Drittel der Erträge wegzuwerfen. Dabei haben wir die Technik, um zehn Milliarden Menschen zu ernähren.

Und zu guter Letzt müssen wir die aktuelle Krise des Artensterbens beenden. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, die Natur in unsere Wirtschaftssysteme zu integrieren und aufzuwerten, was sie für uns leistet.

Wir haben nicht mehr viel Zeit. Wenn es hochkommt, bleiben uns noch 20 Jahre, um die Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Die Menschheit steht an einem kritischen Punkt.

LIZ: Jeder denkt, dass sich die anderen schon darum kümmern werden. Aber diese Maßnahmen müssen wir alle gemeinsam in Angriff nehmen.

TONY: Das sind eindeutig riesige Probleme, aber wir sind sieben Milliarden. Wenn jeder von uns einen kleinen Beitrag leistet, dann kommt etwas Großes dabei heraus, und das kann schon ein enormer Teil des Wandels sein.

MÉLANIE: Was haben Sie empfunden, als Sie zu all diesen Schlussfolgerungen gelangt sind?

LIZ: Angst! Natürlich hoffe ich, dass wir das Ruder dann noch herumreißen können, wenn wir uns als menschliche Gemeinschaft zusammenraufen. Aber ich fürchte mich sehr für den Fall, dass wir das nicht schaffen.

Als wir Liz und Tony verließen, waren wir begeistert von ihrer unermüdlichen Energie, von ihrer Aufrichtigkeit, Einfachheit und von ihrer Menschlichkeit. Gleichzeitig waren wir überwältigt von den Perspektiven, die sie uns aufgezeigt hatten. 20 Jahre, um gegenzusteuern. Meine Kinder sind sieben und zehn Jahre alt. Mélanies Sohn ist noch nicht einmal zwei. Alexandre, Laurent und Raphaël haben alle Mädchen und Jungen unter acht Jahren. Sie würden die Krise, von der wir redeten, voll abbekommen. Sie würden lernen müssen, sich anzupassen, wie Tony es empfohlen hatte. Aber am meisten erschreckte uns die Vorstellung, dass diese Krise schon UNS treffen könnte, dass wir sie mit ihnen erleben würden. Jahrelang haben wir von den „nächsten Generationen“ geredet. Von der Notwendigkeit zu handeln und unserer Verantwortung, den Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, darum ging es. Und plötzlich geht es gar nicht mehr um unsere Kinder, sondern genauso um uns selbst. Und um all die Menschen, die schon jetzt den Albtraum der Erderwärmung, des Hungers, des Prekariats in all seinen Ausprägungen erleiden. Denn die ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme gehen Hand in Hand miteinander. Das belegt eine zunehmende Zahl von Forschungsarbeiten. Eine ganze Reihe davon stellt beispielsweise einen direkten Zusammenhang zwischen Erderwärmung und gesellschaftlichen Konflikten8 her. Andere Arbeiten stellen eindeutig dar, in welchem Ausmaß die hemmungslose Ausbeutung der Ressourcen, gemeinsam mit der Erderwärmung und der Ultraliberalisierung der Wirtschaft, Tag für Tag Erwachsene und Kinder verhungern lassen9. Der Gründer des World Watch Institute und des gemeinnützigen Umweltforschungsinstituts Earth Policy Institute, Lester Brown, hat uns das erklärt. Lester ist studierter Agrarwirt und Wirtschaftswissenschaftler, er wird von der Washington Post als „einer der einflussreichsten Denker der Welt“ bezeichnet. Er hat sein ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, die ökologische Lage der Welt zu untersuchen, und ist mit seinen 81 Jahren ein unangefochtener Experte in diesem Bereich.

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