Читать книгу Tomorrow - Cyril Dion - Страница 23
ОглавлениеWoche für Woche empfängt Estelle Brown, die unermüdliche und bewundernswerte Stadtführerin von Todmorden, neue Delegationen aus aller Welt: Indien, Südkorea, USA, Marokko, Argentinien etc. In diesem Jahr waren die Japaner schon dreimal da, denn sie haben nach dem Vorbild der „Edible green routes“ in Yorkshire in ihrem Land „essbare Kanäle“ angelegt. Estelle findet, dass es „im Grunde nicht darum geht, Obst und Gemüse anzubauen. Das kann schließlich jeder, das ist nicht schwer. Es geht um Gemeinschaftsbildung. Denn, wenn wir in Schwierigkeiten geraten, dann brauchen wir die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, zu teilen und füreinander da zu sein – das macht den Unterschied.“
Genau das ist in Todmorden passiert, wo ein System zur Versorgung mit Frischkost aus örtlichem Anbau entstanden ist, wo der Gartentourismus förmlich explodiert ist und wo unsoziales Verhalten und jede Art von Vandalismus seit der Einrichtung der Beete um 18% gesunken sind. Das erfüllt Pam mit Hoffnung und mit Stolz: „Oftmals glauben wir einfach nicht mehr daran, dass wir etwas verändern können. Manchmal kommt es mir vor, als würden wir gar nicht sehen, dass wir ja das herrschende System selbst errichtet haben, die Wirtschaft, die Finanzen, das Sozialsystem, so wie sie jetzt sind. All das haben wir erschaffen, in der Überzeugung, das Beste zu tun, was wir tun konnten. Inzwischen gibt es aber keinen Zweifel mehr daran, dass unser System nicht mehr funktioniert. Also gut, dann müssen wir ein neues System aufbauen! So schwer ist das gar nicht. Denn wenn wir darüber nachdenken und es genau betrachten, stellen wir schnell fest, dass wir die nötigen Kräfte und Fähigkeiten dafür längst haben. Aber das haben wir vergessen.
Wir haben eine Generation von Opfern großgezogen, von Leuten, die das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Die nicht mehr wissen, wie sie es anpacken können, ihre Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und wenn sie dann mit einer ganz einfachen Sache anfangen, nämlich beim Essen, dann ist die Angst schnell weg. Dann nehmen sie ihren Lebensraum allmählich anders wahr, sehen ihn in einem neuen Licht. Wenn die Leute etwas anpflanzen, im Garten hinter ihrem Haus oder mitten auf der Straße, und sich diese harmlose Handlung wiederholt und auf eine ganze Gemeinde ausdehnt, die sich zusammentut und teilt, dann wächst neues Vertrauen. Dann fängt jeder wieder an, an sich zu glauben und festzustellen, dass sie oder er in der Lage ist, alles zu tun.“
Als wir zum ersten Mal in die Kleinstadt kamen, hielten wir die Erfahrung von Todmorden für etwas Anekdotisches. Damals hatten wir noch kein Vertrauen in die Macht der Erzählung – über die uns Nancy Huston aufgeklärt hatte – und genauso wenig in die Macht des Essens. Dabei hat sich diese in der Vergangenheit schon einmal eindrucksvoll bewiesen, als 1943 die von über 20 Millionen Amerikanern bewirtschafteten „Victory Gardens“ 30 bis 40 % des gesamten Frischkostbedarfs der USA lieferten. In Frankreich wird in Zeiten des Friedens und Wohlstands der Anteil an selbstgezogenem Obst und Gemüse auf 7 % geschätzt. Uns dämmerte allmählich, dass die von Olivier erwähnte Geschichte des 21. Jahrhunderts, nämlich die einer schonenden, die Ökosysteme regenerierenden Nahrungsmittelproduktion, einhergehen muss mit der Wiederaneignung der Erde durch eine große Anzahl von Bürgern. Jetzt wollten wir noch die im UNO-Bericht und von Nick prognostizierten Ertragssteigerungen mit der Wirklichkeit abgleichen. Dazu fuhren wir in die Normandie und besichtigten eine Gemüsegärtnerei, die weltweit zu den vielversprechendsten Modellen gehört.
3. ANDERS PRODUZIEREN - DAS WUNDER DER PERMAKULTUR
Wenn Sie sich schon mal gefragt haben, wie ein Landwirtschaftsbetrieb der Zukunft aussehen könnte, dann sollten Sie zu Charles und Perrine HervéGruyer25 fahren. Und ich verspreche Ihnen, dass für alle, die den herkömmlichen Gemüseanbau kennen, ein Besuch auf diesem Hof zum unvergesslichen Erlebnis wird. Im September 2012 hatte ich Mélanie dorthin mitgenommen, als sie wissen wollte, wie die Gesellschaft von morgen gestaltet sein könnte. Und Bec-Hellouin gehört definitiv zu den Orten, die uns dazu inspiriert haben, unseren Film zu drehen. Auf den ersten Blick sieht dieser Bauernhof wie ein Garten und nicht wie ein Landwirtschaftsbetrieb aus. Die vielen Beete sind in lauter verschiedenen Formen und Farben angelegt, einige in Reihen, andere kreisförmig. Kleine Teiche grenzen an Weideland oder an mandalaartige Gemüsebeete, außerdem gibt es ein Gewächshaus und ein Waldstück. Nichts scheint so rationell eingerichtet zu sein, wie die konventionelle Landwirtschaft es verlangt. Dennoch ist jeder Millimeter der Anlage sorgsam durchdacht.
Wie Nick und auch Rob Hopkins, von dem später noch die Rede sein wird, praktizieren auch Charles und Perrine die Permakultur. Das Wort Permakultur kommt von „permanent“ und „Agrikultur“, es bedeutet also dauerhafte Landwirtschaft. Dahinter verbirgt sich das Konzept „einer vom Menschen entworfenen, aber bei der Natur abgeschauten Anlage“, wie Charles uns erläutert. Die Permakultur versucht, die große Vielfalt und die gegenseitigen Abhängigkeiten, die in einem Ökosystem existieren, nachzubilden. Sie arbeitet mit Kreisläufen, sodass keine Abfälle anfallen.
Für die Permakultur gibt es viele Anwendungsgebiete: Städte – besonders die als Transition Towns bezeichneten Städte im Wandel26, Unternehmen, Wirtschaft, Energieversorgung etc. Auf die Landwirtschaft bezogen, werden die Prinzipien der Permakultur einerseits mit den besten Methoden des Landbaus kombiniert, die Bauern seit Jahrhunderten überall auf der Welt entwickelt haben – dazu gehören Hügel- und Terrassenbeete, Kompostierung, Baumstandorte, Mischkulturen und Zugtiere –, andererseits werden alle Erkenntnisse genutzt, die wir in den letzten 50 Jahren aus den Lebenswissenschaften gewonnen haben. Ziel ist es, die Funktionsweise der Natur nachzubilden, denn die hat sich schließlich seit Millionen von Jahren ohne Erdöl, ohne Bodenbearbeitung, ohne Mechanisierung immer weiter entwickelt und dabei eine Fülle von Leben hervorgebracht – übrigens oft in einer kargen Umgebung. Indem sie die natürlicherweise enge Beziehung zwischen Biotop, Pflanzen, Insekten und Tieren wiederherstellt, bringt die Permakultur eine Überfülle hervor, wo zuvor Mangel herrschte. Dazu sagt Charles: „Der Erfolg der Permakultur eröffnet uns die Möglichkeit, uns die Zukunft der menschlichen Gesellschaften als Fülle an lebenswichtigen Gütern vorzustellen, ohne all den Schnickschnack, denn Verschwendung hat da keinen Platz.“
Im Laufe der Jahre haben einige Landwirte, die nach den Prinzipien der Permakultur arbeiten, versucht, deren Nachahmung der Natur theoretisch darzustellen. Dazu haben sie ihre allgemeinen Grundsätze formuliert, obwohl sie diese unentwegt weiter erproben und verfeinern. „Zu den obersten Prinzipien eines gut funktionierenden Ökosystems gehört die Vielfalt“, erläutert uns Charles. „In der Natur gibt es keine Monokultur, immer sind verschiedene Pflanzen miteinander verbunden.“ Deshalb wachsen auf seinem Hof an den Stellen mit der höchsten Pflanzendichte beinahe 1.000 verschiedene Arten auf etwas mehr als einem Hektar und die Gesamtfläche des Betriebs beträgt nicht mehr als 4,2 Hektar. Das ist das genaue Gegenteil der industriellen Logik, denn für sie ist die Vielfalt ein Hindernis beim Optimierungsprozess. Außerdem wird die Erde bei der Permakultur nie nackt gelassen, damit sie nicht von der Sonne austrocknet oder vom Regen ausgewaschen wird. Die Kulturen stehen deshalb dicht an dicht auf den Ackerflächen und werden systematisch mit Stroh, Rindenmulch oder kleingeschnittenem Schilf bedeckt, um die Feuchtigkeit zu halten, die Scholle zu schützen und sie aus der verrottenden Abdeckung mit Nährstoffen zu versorgen.
Die Permakulturbauern haben auch beobachtet, dass die Böden in bestimmten natürlichen Umgebungen eine ungeheure Fruchtbarkeit besitzen. Um diese nachzuahmen, wenden sie verschiedene Strategien an. Zunächst helfen sie dem Boden, wieder ein intensives mikrobiologisches Leben zu entfalten, indem sie seine Besiedlung mit Regenwürmern, Bakterien, Insekten und Pilzen fördern, denn diese belüften den Boden und verleihen ihm Vitalität – das Gleiche, was sich in unserem Darm abspielt. Dafür versetzen sie ihn mit Kompost und organischen Stoffen – etwa durch die Strohabdeckung -, verwenden aber auch Gründünger, zum Beispiel von Bäumen, oder Pflanzen wie Leguminosen, die dazu beitragen, den Stickstoff im Boden zu binden. „Denn“, wie Charles uns weiter aufklärt, „praktisch alle Ackerböden unseres Planeten wurden von Wäldern geschaffen. Die Baumwurzeln tragen die organischen Stoffe in den Unterboden, dort siedeln sich Populationen von Mykorrhizen, also winzige Pilze, an den Feinwurzeln an und wirken als die wichtigsten Akteure für die Fruchtbarkeit.“ Aus diesem Grund legt die Permakultur Wert darauf, die Beet- und Ackerränder mit Obstbäumen zu bepflanzen, die zudem so angeordnet sind, dass sie den darunter liegenden Pflanzungen Schatten und Frische spenden oder auch nicht.
Des Weiteren lassen Charles und Perrine diesem Boden, der für sie „die Grundlage jeder Landwirtschaft“ ist, eine besondere Fürsorge angedeihen. Was die Agrarindustrie gerne vernachlässigt, indem sie den Boden allzu häufig als Substrat betrachtet, in das man synthetische Produkte abkippen kann. Eine der häufigsten Anbaumethoden in Bec-Hellouin ist das Hügelbeet. Die gewölbten Hügel sind einen knappen Meter breit und manchmal mehrere Dutzend Meter lang. In Bec-Hellouin sind die meisten Hügelbeete gewunden und erfreuen das Auge mit Kreisen und Bögen wie wahre Mandala-Gärten – einfach großartig!
„Hügelbeete sind so alt wie die Welt und wurden schon vor Tausenden von Jahren in China, Griechenland, bei den Inkas und Mayas angelegt“, erzählt uns Charles. „Auch hier geht es darum, die Natur nachzuahmen, die den Boden nie umpflügt und auch nie nackt liegen lässt. Man häuft einen Hügel aus Ackerboden auf und vermeidet in Zukunft, ihn zu bearbeiten. Das Hügelbeet wird einmal und dauerhaft angelegt. Auf diese Weise entsteht eine sehr fruchtbare, sehr lockere, tiefgründige Erde, ohne dass die Mikroorganismen gestört werden. Man setzt die Kulturen auf den Hügel und schützt sie mit Stroh, das Schicht für Schicht verrottet und den Boden fortwährend mit Nährstoffen versorgt.“ Auf diese Weise entfällt die Bodenbearbeitung und dank der Strohdecke im Wesentlichen auch das Unkrautjäten, weil ja beim Umgraben nicht mehr die unterirdischen Keime der ‚Unkräuter’ an die Oberfläche geholt werden. Außerdem kommt es nicht zur Erosion; man braucht weniger Bewässerung, weil die Erde das Wasser besser hält; die Erde heizt sich schneller auf und man hat eine Oberfläche, die nie zertreten wird und viel enger bepflanzt werden kann.