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Wochen später …

„Guten Morgen Paulina, bist du schon wieder fit?“

Während Paulina auf dem Inn-Radweg entlang in Richtung Uni schlenderte, hatte sie ihr Studienkollege Bene mit seinem Fahrrad eingeholt und fuhr nun langsam neben ihr her. „Soll ich dich vielleicht ein Stück mitnehmen?“

Die junge Frau musterte seinen durchtrainierten Körper und lachte hell auf. Schließlich schüttelte sie noch immer belustigt den Kopf und scheuchte ihn mit den Händen davon. „Mach, dass du weg kommst, du verrückter Kerl!“, rief sie ihm lachend hinterher und sah zu, wie er in Richtung Audimax davon radelte.

Am gestrigen Abend hatten die jungen Leute mal wieder mächtig gefeiert und dabei ordentlich getankt. Passau hatte, wie jüngst eine Umfrage unter Studierenden ergeben hatte, den schönsten Campus Deutschlands. Unter den Passauer Studenten war das natürlich längst bekannt. Wer einmal einen Abend auf den Inn-Wiesen verbracht hatte, wusste auch warum. Kaum lockte die sommerliche Wärme, schon fanden sich die ersten Gruppen mit Grill, Fleisch, Salaten, Bier und Musik ein, und in Nullkommanichts war die ganze Wiese bevölkert, der Campus eine einzige Feiermeile.

Heute nun hatte Paulina um zehn Uhr eine Vorlesung bei Professor von Kalckreuth im neuen Informatikzentrum. Da würde sich zeigen, ob die, die gestern so fröhlich gefeiert hatten, heute auch rechtzeitig aus ihren Betten gekommen waren.

Bene war längst weg, als Paulina noch immer auf dem Radweg stand und ihm fröhlich hinterher winkte. Sie trug an diesem herrlichen Junitag ein weißes italienisches Spitzenkleid, das mit kühler Seide abgefüttert war, dazu Flipflops. Ihre langen dunklen Haare wehten offen in der leichten Brise, die vom Inn zu ihr heraufstieg. Der Campus lag schon in Sichtweite, nach und nach entdeckte sie immer mehr Kommilitonen, die sie von gemeinsamen Kursen kannte.

Dass der Passauer Campus nicht nur einer der schönsten, sondern auch einer mit einer ganz besonderen Geschichte war, hatte Paulina erst gestern Abend erfahren. Früher stand hier der städtische Schlachthof. Dieser war 1892 erbaut worden und galt damals als einer der modernsten. Neunzig Jahre später musste er allerdings den Neubauten der Universität weichen. Heute erinnert nur noch die alte Trafostation an diese Zeit. Da, wo einst Tiere geschlachtet, Fleischwaren hergestellt und die Felle verwertet wurden, hängen heute Studenten herum, hatte man ihr gestern als Witz erzählt. Ein irgendwie gruseliger Vergleich, dachte Paulina auch heute noch und bog jetzt ebenfalls in Richtung Audimax ab.

Vor ein paar Monaten hatte sie relativ spontan beschlossen, ein Aufbaustudium in Informatik an ihr abgeschlossenes BWL-Studium anzuhängen. Bei ihrem Chef war sie sofort auf offene Ohren gestoßen. Ganz anders sah die Sache allerdings bei ihrem guten Freund Josef Schneidlinger aus, dem leitenden Kriminalhauptkommissar der Passauer Mordkommission. Als sie ihm von ihrer Absicht erzählt hatte, war der praktisch aus allen Wolken gefallen.

„Du willst tatsächlich wieder studieren?“, hatte er gefragt und sie dabei angesehen, als wolle sie sich an einen reichen Scheich verkaufen.

Bei der Erinnerung an dieses Gespräch wurde Paulinas Grinsen breiter. Dieser Gedanke kam bei ihm natürlich nicht von ungefähr. Während ihres BWL-Studiums an der LMU München hatte sie, nebenbei und wie sie fand sehr elegant, für einen Escort-Service gearbeitet. Es gefiel ihr durchaus, mit interessanten Männern auszugehen und, naja, manchmal war natürlich auch mehr daraus geworden, aber auch das zählte zu den interessanten Erfahrungen ihres Lebens. Viele dieser Männer waren tatsächlich mehr daran interessiert gewesen, ihr etwas Gutes zu tun, als für sich etwas zu fordern. Wobei es letztlich in jedem Fall auf das Gleiche hinaus lief. Sie hatte mal mehr und mal weniger guten Sex gehabt, na und? Die Männer, die sie über den Escort-Service traf, waren zwar alle nicht mehr ganz jung, dafür hatten sie aber Manieren, waren gepflegt und sauber. Von ihren anderen Partnern konnte sie das nicht immer sagen.

Josef Schneidlinger war nicht nur leitender Kriminalhauptkommissar bei der Passauer Mordkommission, sondern auch glücklich verheiratet und Vater von vier Kindern im anstrengendsten Alter, wie er immer betonte. Paulina selbst war praktisch ohne Anhang und konnte tun und lassen was sie wollte. Dank einer guten Stelle mit interessanten Inhalten war sie unabhängig und frei. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, bestand zwischen ihnen seit Jahren eine besondere Beziehung, die aber nie weiter als bis zu einem guten Glas Rotwein zu zweit vorangeschritten war.

Kennengelernt hatten sie sich ebenfalls über den Escort-Service, nur dass Schneidlinger sozusagen auf der anderen Seite gestanden hatte. Einer ihrer Begleiter war zu ihr zwar ausgesprochen zuvorkommend und sehr großzügig gewesen, nebenbei hatte er aber auf nicht so ganz feine Art Geschäfte abgewickelt, die dazu führten, dass er in den Fokus der Polizei geriet und mit ihm Paulina, die als Zeugin im Prozess gegen ihn aussagen musste. Da sie zu diesem Zeitpunkt gerade mit ihrem Studium fertig gewesen war, hatte sie das Angebot eines großen Betriebes angenommen und war nach Passau gezogen. Schneidlinger folgte ihr, als dort die Stelle bei der Mordkommission vakant wurde. Rein zufällig, wie er immer wieder betonte.

Tatsächlich wusste sie längst, dass er mehr als Sympathie für sie empfand, doch sie hatte Respekt vor seiner Familie und hielt sich an die freundschaftlichen Regeln: Rotwein und Reden ja. Sex nein!

Natürlich hätte sie ihm einfach sagen können, dass das, was sie tat, ihn nichts anging. Aber das war nicht ihr Ding, und wenn er sich darauf versteift hatte, dass Studieren bei ihr gleichbedeutend mit „sich prostituieren“ war, dann hatte sie einfach keine Lust, mit ihm darüber zu diskutieren. Und um weiteren Streitereien aus dem Weg zu gehen, hatte sie im März beschlossen, das Thema einfach auszusparen und ohne sein Wissen ihr Studium aufzunehmen. Er war ein Freund, mehr nicht, und ein Freund musste ja nicht alles wissen.

Nach einem kurzen Abstecher über die Mensa-Cafete, wo sie sich bei Emma schnell einen Cappuccino to go der Extraklasse holte, erreichte Paulina das IT-Zentrum. Bene hatte sein Fahrrad längst abgeschlossen und stand nun plaudernd mit einigen Kommilitonen zusammen, die ebenfalls mit dem Rad gekommen waren. Radfahren stand ganz oben auf Paulinas Wunschliste. Der Inn-Radweg war ein Traum, das wusste sie vom Joggen, und per Fahrrad würde sie viel weiter kommen, bis in die reizende österreichische Stadt Schärding etwa. Dumm war nur, dass ihr Fahrrad seit dem Umzug aus München mit einem platten Vorderreifen im Keller stand und sie noch immer niemanden gefunden hatte, der ihr beim Austauschen der Schläuche half. Aber vielleicht konnte sie ja einen ihrer Kommilitonen ansprechen. Oder doch ihren Freund Schneidlinger?

Paulina steuerte die kleine Gruppe an, warf einen Blick auf die Uhr und mahnte: „Auf gehts, der Prof mag es doch nicht, wenn wir zu spät kommen!“

Vielleicht sollte sie nachher auch einfach mal Bene fragen, ob er ihr den Reifen wechseln würde. Fragen kostete ja nichts, das hatte sie in ihrem Leben gelernt und auch, dass Männer gerne helfen, wenn man sie nett darum bittet.


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