Читать книгу Todesfalle Campus - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 6

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Ein Abend voller Hiobsbotschaften.

So oder so ähnlich würde Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger im Nachhinein über diesen schwarzen Dienstag urteilen. Tatsächlich aber ahnte er in dem Moment, da die Nachrichten eine nach der anderen in sein Leben strömten, nicht, welche die schlimmste für ihn werden sollte und welche in letzter Konsequenz sein Leben am intensivsten auf den Kopf stellen und ihn zum Umdenken zwingen würde.

Alles begann, kaum dass er seinen Porsche Boxster in der großen Scheune des elterlichen Bauernhofes neben dem Traktor seines Bruders geparkt, das Verdeck geschlossen und den Motor abgestellt hatte, mit dem Läuten seines Handys. Als er die Nummer erkannte, griff er nach seinem Sakko auf dem Beifahrersitz und stieg aus.

„Hallo Schatz, ist was mit den Kindern?“, fragte er und malte sich in Gedanken das schlimmste Szenario aus. Unfalltod, Entführung, lebensbedrohliche Krankheit oder ein Hausbrand. Kaum rief ihn Gabi außer der Reihe an, begann sich schon das Horrorkarussell in seinem Kopf zu drehen.

„Musst du schon wieder so maßlos übertreiben?“, herrschte sie ihn in scharfem Ton an. Der sonst so energische Schneidlinger spürte, wie er innerlich zusammensackte.

„Also?“, fragte er geduldig zurück, ohne auf ihren Ton einzugehen.

„Die Kinder streiken. Sie wollen nicht mehr jedes Wochenende auf dem Bauernhof rumsitzen und hoffen, dass ihr Vater Zeit für sie hat.“

„Und du?“, fragte er seine Frau vorsichtig.

Die Wünsche der Kinder waren ihr noch nie so wichtig gewesen wie ihre eigenen Ziele. Und von jedem Wochenende konnte man ja sowieso nicht sprechen. Während er sich nach seinem beruflichen Umzug nach Passau wieder auf dem elterlichen Hof im Rottal eingelebt hatte, war der Rest der Familie in München geblieben und kam vielleicht alle zwei, eher alle drei, manchmal auch nur alle vier Wochen zu Besuch. Gabi besaß in München mehrere Geschäfte, in denen sie allerlei Kleinkram verkaufte, was unter dem Strich monatlich eine hübsche Summe zusammenbrachte. Kurz gesagt, sie verdiente das Geld, während er, um nicht vor Langeweile zu sterben, gewissermaßen hobbymäßig bei der Kripo seinen Dienst tat. So gesehen führten sie eine überaus moderne Ehe.

„Ich möchte auch nicht mehr auf den Bauernhof kommen“, sagte sie so leise, dass er im ersten Moment nicht glauben konnte, was er gehört hatte.

„Wie?“

„Ich denke, wir sollten uns eine Weile überhaupt nicht sehen. Abstand hat ja noch keiner Ehe geschadet“, erklärte sie wie auswendig gelernt und versuchte sich tatsächlich in einem aufmunternden Lachen.

„Sind die Kinder da?“, hatte er noch gefragt und als sie ihm sagte, dass sie im Schwimmbad seien, hatte er sich auch schon mit einem knappen „Tschüss“ verabschiedet. Er hatte nicht vor zu betteln, letztlich sollte es ja auch nur eine Trennung auf Zeit sein, nicht mehr und nicht weniger.

Als er die Scheune verlassen hatte und den Hof überquerte, war er froh darüber, in diesem Moment nicht seinem Bruder Franz in die Arme zu laufen. Der war das genaue Gegenteil von ihm. Am besten ließ sich das an ihren Lieblingsgefährten ablesen. Schneidlinger liebte den Boxster, sein Bruder seinen Traktor, wobei sie sich dabei preislich in nichts nachstanden.

Auch im Haus war alles still, nur der Fernsehapparat lief, doch den konnte er ignorieren. Die Tür zum Wohnzimmer war geschlossen. Trotzdem atmete er erleichtert auf, als er die Küche betrat, die seine Mutter nach dem Mittagessen wie immer tipptopp aufgeräumt hatte. Er musste Ruhe bewahren, es half überhaupt nichts, wenn er jetzt verrücktspielte. Mechanisch öffnete er den Kühlschrank, schnappte sich ein Bier und ließ den Verschluss laut aufploppen. Ein herrliches Geräusch, geschaffen, um die Welt hinter sich zu lassen.

Während er den herben Gerstensaft genüsslich durch seine Kehle rinnen ließ, beschloss er, Paulina anzurufen. Natürlich würde er sich nicht bei ihr ausweinen, das kam auch gar nicht infrage, aber ein Gespräch mit ihr brachte ihn zumindest auf andere Gedanken. Außerdem mochte er ihre Stimme am Telefon. Sie war sinnlich und verrucht und gleichzeitig unerreichbar. Sie war genau die Art Freundin, die einen Mann verrückt machte und ihn doch immer wieder auf den Boden der Tatsachen stellte.

„Na, wie war dein Tag?“, fragte er eloquent und nahm für sie sogar am Handy Haltung an.

„So schlimm?“, fragte Paulina belustigt zurück, und Schneidlinger musste lachen, weil er ihr einfach nichts vormachen konnte.

„Nein, im Büro war es ganz in Ordnung, ich wollte nur mal hören, wie es dir geht.“

Dass im Büro alles in Ordnung war, entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Seit Passau neben Freilassing zum bevorzugten Einreisetor für die Flüchtlinge aller weltweiten Kriege geworden war, ging es rund in der Nibelungenstraße, auch wenn für Asylbewerber eigentlich die Bundespolizei zuständig war. Schon lange herrschte bei den öffentlichen Ordnungshütern ein wachsender Personalmangel, und seit zusätzlich die Probleme von außen auf diese Achillesferse drückten, standen sie kurz vor dem Kollaps. Da das niemand zugeben wollte, wurden inzwischen Anweisungen von höchster Stelle erteilt, dass man doch bitte bei nicht so dringenden Fällen einfach wegschauen sollte. Verkehrskontrollen beispielsweise also besser erst gar nicht durchführen, dann machten sie hinterher auch keine Arbeit.

Inzwischen rächte es sich eben, dass bei der Polizei in den letzten Jahren immer mehr gespart und die Achtung vor den Ordnungshütern nicht gestärkt, sondern durch zweifelhafte Gerichtsurteile sogar noch untergraben worden war.

„Was bist du doch für ein schamloser Lügner“, lachte Paulina, und Schneidlinger drückte sich ein wenig näher an sein Handy, denn genau diese Art der Unterhaltung war es, die er so sehr schätzte. „Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich war heute in der Uni, so wie häufig in den letzten Monaten und es war sehr interessant …“

„Davon hast du aber gar nichts mehr erzählt. Ich dachte, wir wollten darüber noch einmal reden.“ Gern hätte er einen Schluck aus seiner Bierflasche genommen, aber das hätte Paulina gehört und dann hätte sie ihn auch dafür aufgezogen. Sie hatte ihn schon beim letzten Mal einen „Kleinbürger“ genannt. Natürlich nur spaßeshalber, aber immerhin. Also lehnte er sich an die Küchenzeile und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß ab.

„Josef, du tust ja gerade so, als würde ich in den Puff gehen. Ich studiere wieder, nicht mehr und nicht weniger …“

Er holte tief Luft, um zu einer Gegenargumentation anzusetzen und ihr zu erläutern, was er in ihrem Falle unter mehr oder weniger verstand, als seine Mutter zur Küchentür hereinkam, ihm einen strafenden Blick zuwarf und wortlos das Telefon hinhielt. Dabei war er sich nicht sicher, ob sie ihn belauscht hatte und das Gespräch, das er gerade mit seinem Handy führte, nicht guthieß, oder ob es sie nicht einfach ärgerte, dass sie von ihrer Lieblingssendung lassen und ein Gespräch annehmen musste, das nicht für sie bestimmt war. Schneidlinger vermutete letzteres, denn seine Mutter war eine herzensgute Frau, die lediglich ihre festen Prinzipien hatte. Und dazu gehörten einfach ihre Lieblingssendungen, die sie nicht verpassen wollte. Besser man kam ihr dabei nicht in die Quere.

Da es unmöglich war, sein Gespräch mit Paulina in Ruhe fortzusetzen, verlegte er sich aufs Beschwichtigen. „Nein, nein, natürlich nicht. Aber ganz so entspannt wie du sehe ich es auch nicht“, erklärte er umständlich und hoffte, im Vergleich zu seiner Mutter würde Paulina sofort verstehen, was er damit sagen wollte.

„Bist du nicht allein?“, fragte die prompt zurück.

Seine Mutter machte eine ungeduldige Kopfbewegung in Richtung des Telefons in ihrer Hand. Schneidlinger nickte zurück und erbat sich mit einer besänftigenden Handbewegung noch einen kleinen Aufschub. Paulina wartete auf eine Antwort. Sie hatten Anfang des Jahres schon einmal darüber gesprochen. Ganz kurz nur, und da hatte sie argumentiert, dass Weiterbildung in ihrem Job unumgänglich sei. Im Prinzip fand er das ja auch gut, nur eben nicht so, wie sie das organisierte … oder zumindest wie er befürchtete, dass sie es organisierte.

„Es tut mir leid, aber ich bekomme gerade einen dringenden Anruf“, sagte er mit enttäuschter Stimme. „Ich melde mich bei dir, machs gut!“

„Herr Obermüller“, erklärte seine Mutter und reichte ihm endgültig das Telefon. Sie war die einzige, die den Kollegen mit Herr ansprach, für alle anderen war er einfach nur Obermüller. Ein ausgezeichneter Ermittler, wie Schneidlinger inzwischen gelernt hatte, gemütlich, aber sehr zuverlässig und ausgleichend im Arbeitsklima. Obermüller hätte nie angerufen, wenn es nicht dringend gewesen wäre.

„Tut mir leid Chef, aber ich konnte Sie am Handy nicht erreichen. Auf dem Unigelände wurde eine weibliche Leiche gefunden. Und es gibt keinen Zweifel, die Frau wurde ermordet!“


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