Читать книгу Die Chroniken Aranadias II - Die Herrin der Seelen - Daniela Vogel - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеRaoul saß vor seinem Schreibtisch und stierte in die flackernde Flamme der Kerze. Er beschäftigte sich jetzt schon seit Stunden mit den Landkarten, doch auf Keiner waren die Strömungsverhältnisse der Alarapassage deutlich zu erkennen. Wenn Lucas es geschafft hatte, den tosenden Fluten zu entkommen, wieso dann nicht auch Ruben? Seine Frage an Lucas ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Ruben lebte. Er konnte es deutlich spüren. Lucas ging es inzwischen erkennbar besser. Nachdem er nun nicht mehr unter dem Einfluss all des Alkohols stand, den er tagelang in sich hinein geschüttet hatte, konnte man wieder einigermaßen normal mit ihm reden, obwohl diese Meerhexe noch immer seine Gedanken beherrschte. Raoul kannte die alten Legenden. Es war nicht so, dass er sie nicht glauben wollte, doch bisher hatte er sie immer für bloße Geschichten gehalten. Doch seitdem Lucas ständig von ihr sprach und sich auch nicht davon abbringen ließ, immer wieder zu beteuern, er hätte sie gehört, kamen ihm langsam Zweifel. Nichtsdestotrotz, die Meerenge von Alara war auch ohne Meerhexe schon gefährlich genug. In ihr gab es überall zerklüftete Riffe und Klippen, Untiefen und hervorstehende Felsen, an denen Schiffe zerschellen konnten. Dann wieder unzählige kleine Inseln, die wie verheißungsvolle Rettungsanker in ihr lagen und nur darauf warteten, dass schiffbrüchige Seeleute, auf ihnen strandeten, um sie zu bevölkern. Würde er die genaue Position der »Persepolis« bei dem Unwetter kennen, dann wäre er vielleicht in der Lage zu berechnen, wohin der Sturm Ruben getrieben haben könnte.
Es klopfte leise.
»Herein!« Marcus streckte seinen Kopf durch die Tür.
»Raoul, was treibst du hier?« Er schlüpfte in die Kajüte und sah ihn fragend an.
»Ich versuche herauszubekommen, wohin der Sturm Ruben getrieben haben könnte. Ich finde aber nicht genug Anhaltspunkte. Die Karten sind einfach zu ungenau. Außerdem weiß ich nicht, wie stark der Sturm war und wo sie Lucas aus dem Wasser gezogen haben. Das wäre wirklich hilfreich.« Marcus nickte.
»Frag ihn doch!«
»Du denkst Lucas weiß, wo sie ihn gefunden haben?«, Raoul wurde langsam hellhörig.
»Das denke ich!«
»Dann geh ihn holen! Er soll mir die Stelle auf der Karte zeigen.«, mittlerweile wurde er richtig nervös. Während Marcus jetzt den Raum verließ, beugte sich Raoul erneut über die Karte. Seine Augen fuhren hektisch über deren Linien und Kreise. Dann, kurze Zeit später, öffnete sich ein weiteres Mal die Tür und Marcus kam, dicht gefolgt von Lucas herein. Raoul sah auf.
»Du willst mich sprechen?«
»Lucas, ich habe eine Frage an dich.« Er sah seinem Freund, der äußerlich schon wieder ganz der Alte zu sein schien, in die Augen. Doch dort konnte man sehen, dass der äußere Schein oftmals trügt. »Wo genau habt Ihr geankert, als das Unwetter über Euch hereinbrach? Und wo hat man dich dann aus dem Wasser gezogen?« Lucas schluckte. Man konnte ihm geradezu ansehen, wie er innerlich mit sich rang. Dann aber trat er neben ihn und beugte sich ebenfalls über die Karte.
»Wenn ich mich nicht täusche«, begann er zögernd, »dann lag die »Persepolis« ungefähr hier an dieser Stelle.« Er deutete etwas unsicher, mit zittrigen Fingern, auf einen Punkt auf der Karte, während Raoul nach einem Stift griff und sie markierte. »Aus dem Wasser müssen sie mich in etwa hier«, wieder legte er seinen Finger auf die Karte, und wieder markierte Raoul den Punkt, »haben. Wir waren ungefähr eine Tagesreise von Hibera entfernt und sind nach Osten gesegelt, also kann es nur hier gewesen sein.« Raoul nickte.
»Gut, dann lass uns mal sehen, ob wir etwas finden.« Er nahm einen Zirkel, verband die beiden Punkte mit seinen Spitzen und zog einen Kreis. »Da du südöstlich aus der Meerenge getrieben worden bist", bemerkte er fast nebenbei, »würde ich es ausschließen, dass Ruben in die andere Richtung getrieben wurde. Er kann sich also nur hier«, er deutete auf eine Kreishälfte, »befinden. In dieser Hälfte des Kreises liegen vier Inseln. Wenn er überlebt hat. Dann auf einer dieser Inseln.« Marcus trat nun ebenfalls neben ihn und betrachtete eingehend die Karte.
»Du hast recht! Nur hier könnte er gestrandet sein. Warte mal, wir sind hier«, er deutete auf Hibera, »die Inseln befinden sich in westlicher Richtung. Ich schätze, wenn der Wind günstig ist, könnten wir in einer Woche die Erste erreichen. Die Letzte in vielleicht drei Wochen.« Raoul nickte.
»Den kurzen Abstecher wäre es auf jeden Fall wert. Wenn er nicht dort ist, können wir immer noch schnell zu unseren Frauen zurückkehren. Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ich es nicht wenigstens versuchen würde.«
»Mir geht es genauso. Ich glaube, auch unsere Frauen wären nicht gerade begeistert, wenn sie wüssten, dass es eine Chance gab und wir sie nicht genutzt haben. Also lass es uns versuchen. Ich bin dabei.« Marcus grinste.
»Nichts anderes hätte ich von dir erwartet. Lass die Segel setzen und die Anker lichten. Wir laufen noch heute mit der Flut aus.«
»Das kannst du nicht machen!« Aus Lucas Augen sprach die nackte Angst. »Du wirst uns alle töten!« Er wurde immer panischer.
»Lucas, ich kann Ruben nicht im Stich lassen. Weißt du noch damals in Aranadia? Ruben wäre für mich in den Tod gegangen.«
»Er würde aber nicht wollen, dass du dasselbe für ihn tust.«
»Bist du dir da so sicher?«
»Raoul, ich flehe dich an. Bring mich nicht zurück in diese Gegend. Ihr Gesang wird wieder erklingen, aber dieses Mal werden wir alle sterben.«
»Lucas, so gerne ich dir auch den Gefallen tun würde. Ich kann nicht anders. Ich will ja nicht in die Meerenge segeln, sondern nur an ihr vorbei. Laut der Legenden hat deine Meerhexe nur die Gewalt über die Meerenge. Sie wird uns also verschonen.«
»Wird sie nicht, wenn ich an Bord bleibe.«
»Lucas jetzt hör’ endlich damit auf. Wir werden, ob du willst oder nicht, diese Inseln anlaufen und du wirst dabei sein. Notfalls lasse ich dich zu deinem Schutz in Ketten legen, aber eines versichere ich dir, ich werde dich auf gar keinen Fall hier zurücklassen.«