Читать книгу Die Chroniken Aranadias II - Die Herrin der Seelen - Daniela Vogel - Страница 13
Kapitel 7
ОглавлениеSaphira saß schon wieder neben dem Bett des Fremden. In den letzten zwei Tagen hatte sie alles Erdenkliche versucht, ihn dazu zu bringen, mit ihr zu reden. Immer wenn er seine Augen geöffnet hatte, hatte sie versucht ihm irgendeinen Trank, den ihre Köchin für ihn bereitet hatte, einzuflößen. Ohne Erfolg! Sie hatte ihn in feuchte, kalte Tücher gepackt, um sein Fieber zu senken, doch er hatte sich davon befreit. Sie hatte auf ihn eingeredet, aber keine Antwort erhalten, dann hatte sie leise vor sich hingesummt, weil sie irgendwo einmal gelesen hatte, dass man Kinder mit seichten Melodien beruhigen konnte. Er war zwar kein Kind, aber dennoch hatte sie gehofft, er würde irgendwie darauf anspringen. Doch auch ihr Gesang brachte nicht den gewünschten Erfolg. Langsam war sie mit ihrem Latein am Ende. Wenn er denn unbedingt sterben wollte, dann würde sie nicht länger um ihn kämpfen und ihm endlich seinen Willen lassen. Sie nahm das kühlende Tuch, das als einziger Beweis ihrer Bemühungen noch auf seiner glühenden Stirn lag, hinunter und tauchte es lustlos in die Schüssel mit eisig kaltem Wasser. Sie nahm den Stoff, ohne ihn auszuwringen heraus und wollte ihn gerade zurück auf seine Stirn legen, da fielen einige Tropfen heraus und trafen auf seine nackte Brust. Der junge Mann zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. Panisch öffnete er seine Augen, starrte durch sie hindurch und schrie »Nein!,« dann drückte er seine Hand auf die Stelle, auf der die Wassertropfen wie kleine Perlen hingen. Saphira runzelte ihre Stirn. Das war das erste Mal, dass er eine solche Reaktion gezeigt hatte. Da er inzwischen mit seinen Kräften völlig am Ende war, konnte er die Hand nicht lange auf der Stelle halten. Sie rutschte von seiner Brust zur Seite und gab so die Sicht auf seinen breiten Brustkorb frei. Saphira starrte auf besagte Stelle. In der Größe eines Siegels befand sich dort ein Mal. Es zeigte einen Drachen und war tief in seine Haut eingebrannt worden. Es war auf keinen Fall eine frische Verletzung, denn seine Ränder waren nicht rot. Es sah fast so aus, als wäre es ein Teil seiner Haut, was es ja inzwischen vermutlich auch war. Nur, dass es nicht natürlich war, sondern man hatte es ihm gewaltsam beigebracht. Welche Schmerzen er gehabt haben musste, als man es ihm einbrannte, daran wollte sie gar nicht erst denken, denn die Stelle, an der es sich befand, lag oberhalb seiner vorletzten Rippe, in etwa in Höhe seines Herzens und dort war die Haut nicht gerade dick. Wie alt war er wohl gewesen, als er derartige Qualen erleiden musste? Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Wenn er schon dermaßen reagierte, wenn nur Wasser das Brandzeichen berührte, wie würde er dann reagieren, wenn sie es mit ihren Fingern anfasste? Sie zögerte kurz, dann aber streckte sie ihre Finger danach aus und berührte seine Haut. Das, was jetzt kam, damit hätte sie niemals gerechnet. Der junge Mann richtete sich ruckartig auf, seine Augen öffneten sich, er starrte apathisch auf die Wand und schrie. Seine Hand, die vormals noch kraftlos auf dem Laken gelegen hatte, ergriff ihr Handgelenk, zog ihre Hand von seiner Brust und hielt sie wie in einem Schraubstock gefangen. Dann sackte er erneut in sich zusammen. Saphira zitterte. Bei allem, was ihr heilig war, was hatten sie ihm nur angetan, dass er auf diese Weise reagierte. Ihr Vater stürmte in den Raum.
»Was ist hier los?«
»Ich habe getan, was du gesagt hast.«
»Was?«
»Ich sollte ihn doch, zum Reden bringen. Geredet hat er nicht, aber ..., sieh selbst.« Sie wiederholte die Prozedur und wieder reagierte der junge Mann auf dieselbe Weise. »Vater, ich weiß nicht, was es zu bedeuten hat. Aber er hat ein Brandmal an dieser Stelle. Hier!«, Sie deutete auf das Drachenemblem, ohne es jedoch erneut zu berühren. »Glaubst du, es ist schuld an seinem Zustand?« Atticus trat nun näher an das Bett und betrachtete den Körper des Jungen eingehender.
»Das habe ich schon einmal gesehen?«
»Wo? Wann?«
»Vor langer Zeit!« Atticus Blick schweifte in die Ferne. »Damals ging das Gerücht, eine Hexe würde ihr Unwesen treiben. Es hieß, sie sauge Männern ihre Lebenskraft aus, um ihren Gefährten unsterblich zu machen. Wir hielten das Ganze damals für einen üblen Scherz. Dann aber fanden wir den mumifizierten Leichnam eines Mannes, er trug dasselbe Brandzeichen auf seinem Hals, wie dein junger Fremder hier.«
»Du meinst also, eine Hexe hat ihm das angetan?« Atticus zuckte mit den Schultern.
»Finde es heraus!«
Saphira lächelte zufrieden. Endlich hatte sie einen Ansatzpunkt, mit dem sie arbeiten konnte. Mumifizierte Leichen also! Wie hatte ihr Vater sich noch ausgedrückt? Sie hätte den Männern ihre Lebenskraft ausgesaugt? Ihr kam ein Gedanke. Auf welche Weise konnte so etwas vor sich gehen? Doch wohl nur dadurch, dass die Hexe die Männer küsste. Wie aber hatte sie diese dazu gebracht? Doch wohl nur, indem sie ihre weiblichen Reize spielen ließ. Schön, sie war weiblich! Also besaß sie vermutlich auch diese Reize, von denen in den Büchern immer die Rede war. Wie aber setzte man sie ein? Sie hatte in ihrem bisherigem Leben noch nicht einmal einen Mann geküsst, außer ihren Vater, aber der zählte nicht. Wie also sollte sie den Fremden dazu bringen, sie zu küssen? Plötzlich wusste sie es. Entschlossen presste sie ihren Finger fest auf die Brandwunde. Wieder bäumte er sich auf, doch bevor er schreien konnte, drückte sie ihre Lippen auf seine. Er verharrte kurz, als könnte er nicht glauben, was er fühlte, dann aber schlangen sich seine festen Arme um ihren Körper und zogen sie über sich auf das Bett, während sein Mund förmlich an ihrem klebte, so als benötige er ihn, wie die Luft zum Atmen. Saphira war vollkommen verwirrt. Sie hatte mit einer Reaktion gerechnet, aber nicht mit dieser. Nach einer Weile ließ er sie abrupt wieder los, so als hätte er etwas von ihr erwartet, was nicht eingetroffen war. Schnell krabbelte sie rückwärts von seinem Bett und holte tief Luft. Etwas hatte sie falsch gemacht, doch was? Wenn die Hexe ihn gebrandmarkt hatte, dann war sie mit Sicherheit nicht gerade zärtlich mit ihm umgegangen. Sie hätte es wahrscheinlich eher genossen, ihn auch weiterhin zu quälen, egal wie sehr sie ihn auch verletzt hatte. Demnach musste sie selbst jetzt auch anders vorgehen, doch wie. Innerlich wehrte sie sich gegen den Gedanken, ihm wehtun zu müssen, aber wenn nichts anderes half? Sie verließ eilig den Raum und kehrte zügig mit einem der großen Kohlebecken aus der vorderen Halle zurück. Sie platzierte es neben seinem Bett und stellte die Schale mit dem kalten Wasser darauf. Dann nahm sie die Tücher, die sie zum kühlen seiner Stirn bereitgelegt hatte in die Hand. Sie zögerte kurz. Wenn sie das tat, was sie sich nun vorgenommen hatte zu tun, dann gab es kein zurück mehr. Entweder würde er wieder ins Leben zurückkehren, oder aber für immer aufgeben. So oder so, einer Entscheidung war dringend nötig, denn in diesem Zustand konnte er auf Dauer nicht bleiben. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann gab sie sich einen Ruck. Vorsichtig nahm sie einen seiner Arme und schob ihn in Richtung Kopfende des Bettes. Als er sich nicht rührte oder Anstalten machte, ihn wieder hinunter zunehmen, band sie eines der Tücher fest um den ersten massiven Holzpfosten am Haupt des Bettes, dann schlang sie es fest um sein Handgelenk und verknotete es mehrfach. Dasselbe tat sie mit seinem zweiten Arm. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk. »So, du reagierst also nur, wenn ich dein Brandzeichen berühre!«, sagte sie leise zu sich selbst. »Das kannst du haben! Ich werde dich solange nicht in Ruhe lassen, bis du endlich wieder zur Besinnung kommst. Ich weiß nicht genau wie, aber ich habe so ein Gefühl, dass ich es schaffen werde. Du kannst mir nicht mehr entkommen. Gib endlich auf! Du hast verloren. Du weißt es nur noch nicht.«
Ruben hörte die Stimme in seinem Kopf. »Du kannst mir nicht entkommen. Gib endlich auf! Du hast verloren. Du weißt es nur noch nicht.« Er stöhnte leise. Konnte sie ihn nicht endlich in Ruhe lassen? Hatte sie ihn nicht schon viel zu lange gequält? Er fühlte eine Hand, die sich sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings auf seinen Bauch legte. Er wollte schreien, aber kein Laut kam über seine Lippen. Die Hand fuhr nun gemächlich über seinen Bauch hinauf zu seiner Brust. Die Wärme, die von ihr ausging, war ihm unerträglich. Er atmete tief ein, dann wieder aus. Ein Finger zog behutsam die Kontur seiner unteren linken Rippe nach. Er bewegte sich so langsam, dass er die Bewegung kaum wahrnehmen konnte. Dann streifte er leicht seine Brandnarbe. Ruben schrie. Er wollte, dass die Hand endlich von seinem Körper verschwand. Sein Körper gehörte ihm! Kalter Schweiß lief ihm über seinen Rücken, wie immer, wenn sie seine Narbe berührte. Das tat sie gern, um ihm zu zeigen, dass er ihr gehörte. Er wollte ihr aber nicht gehören. Er gehörte nur sich selbst. In diesem Moment bohrte sie ihren Finger in die Narbe. Ruben schrie ein weiteres Mal. Er bäumte sich auf und seine Augen öffneten sich, wie von selbst. Er wollte sie mit seinen Händen von sich weg stoßen, aber es ging nicht. Etwas hielt seine Arme gefangen. So sehr er auch versuchte, sie in Richtung seines Brustkorbs zu bringen, er schaffte es nicht. Er zog und zerrte, aber nichts geschah. Vor Anstrengung fiel er auf die weiche Unterlage zurück, auf der er lag. Er warf sich hin und her, doch auch das hatte nicht den gewünschten Erfolg. Je mehr er sich wand, desto fester drückte sie zu. Er bekam kaum noch Luft. Seine Atmung wurde immer hektischer. »Lass das!«, hörte er sich selbst flüstern.
»Ich soll das lassen? Was erdreistest du dich?«, die Stimme klang merkwürdig heißer. »Ich habe das hier«, sie drückte noch fester zu, nur um kurz darauf, zärtlich darüber zu streifen, »geschaffen. Ich kann damit machen, was ich will.« Ruben warf sich erneut hin und her, in der Hoffnung, sie endlich abschütteln zu können. Doch anstatt von ihm abzulassen, kletterte sie nun langsam auf das Bett und setzte sich auf seinen Bauch. Ihre Hand krallte sich in seine Haare und zog seinen Kopf in ihre Richtung. »Und jetzt küss mich! Zeig mir, dass du mir gehörst und wie sehr du mich begehrst.«, sie lachte kurz auf. Ein kehliges, heiseres Lachen, genau wie ihre Stimme. Der Schrei, der auf seinen Lippen lag, wurde durch ihre erstickt. Sie drückte ihren Mund fest auf seinen, doch etwas war anders als sonst. Etwas stimmte nicht.
Saphira war sich gar nicht mehr sicher, ob sie das Richtige tat. Der junge Mann wand sich unter ihr. Er zog und zerrte an seinen Fesseln, doch je mehr er zog, desto tiefer fraßen sie sich in sein Fleisch. Seine Handgelenke waren bereits blutig, doch er schien es noch nicht einmal zu bemerken. Es tat ihr so leid, wie sie ihn behandelte. Er tat ihr leid. Doch ohne die Fesseln wäre sie wahrscheinlich nicht sicher vor ihm. Obwohl er durch den Schiffbruch geschwächt war, war er dennoch fast zwei Köpfe größer als sie und vermutlich doppelt so schwer. Er könnte sie ohne Weiteres mit einer Hand erwürgen, oder ihr Genick brechen, wenn er denn könnte. Darauf wollte sie es nicht ankommen lassen. Es war auch so schon schwierig genug, sich auf ihm zu halten, zumal er unter ihr bockte wie ein wild gewordenes Pferd. Wenn er jetzt auch noch seine Arme bewegen könnte, dann würde er sie womöglich von sich herunter stoßen und gegen eine Wand schleudern. Das konnte sie nicht riskieren. Sie überlegte fieberhaft, wie sie weiter vorgehen sollte. Schließlich ergriff sie seine Unterarme, beugte sich über ihn und flüsterte dann in sein Ohr. »Warum wehrst du dich? Hat es dir jemals auch nur etwas gebracht, außer Schmerzen? Liebst du es, wenn ich das hier mit dir tue?«, innerlich entschuldigte sie sich bei ihm, während sie nun eine seiner Brustwarzen in ihren Mund nahm und zaghaft zubiss.
Ruben stöhnte noch lauter. Genauso hatte es immer angefangen. Bevor sie ... Ihm lief der Schweiß mittlerweile in kleinen Bächen den Rücken hinunter. Das alles war kaum noch zu ertragen. Er versuchte, sich verzweifel daran zu erinnern, wie er wieder in ihre Gewalt geraten war. Doch so sehr er sich auch anstrengte, ihm fiel es nicht ein. Er wusste nur noch, dass er sich auf Lucas geworfen hatte, um ihn aus der Schusslinie einer Kanone zu bringen, dann war der Mast über ihm zusammengebrochen und er hatte das Bewusstsein verloren. Vorher aber hatte er dieses infernalische Gekreische gehört. War es Roxane gewesen, die dermaßen geschrien und mit ihrer Stimme einen Orkan ausgelöst und das Meer in tosende Fluten verwandelt hatte? Er wusste es nicht. Doch da er hier unter ihr gefesselt lag, musste es wohl so gewesen sein. Wer sonst würde ihn an ein Bett fesseln, um mit ihm zu machen, was sie immer mit ihm machte? Und das er gefesselt war, war so sicher wie das Amen in den Kirchen. Er konnte seine Arme kaum noch spüren und seine Handgelenke schmerzten ihn mittlerweile so, als hätte man sie aufgeschnitten. »Sie mich an!«, hörte er sie sagen. Er wollte sie nicht ansehen. Er hatte ihren Anblick schon viel zu oft ertragen müssen. Warum war er bei dem Sturm nicht einfach ertrunken? Warum hatte er wieder einmal überleben müssen? Es wäre so viel einfacher, endlich tot und begraben zu sein. Doch das Schicksal hatte ihm diesen Gefallen schon wieder nicht getan. Es wollte anscheinend, das sein gesamtes Leben nur aus Schmerz und Grauen bestand. Warum sich weiter dagegen wehren, wenn es doch unausweichlich war. »Du sollst mich ansehen?«, ihre Stimme klang jetzt wütend. Da er immer noch nicht reagierte, versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. Ruben drehte seinen Kopf auf die andere Seite. »Ich befehle dir, mich anzusehen!«, erneut klatschte eine Hand auf seine Wange. Sie schlug mehrmals zu, während sie die Kraft, die sie in ihre Schläge legte, langsam erhöhte. Wenn sie jetzt auch noch einen Dolch nahm, seine Brust aufritzte und das Blut aus der Wunde leckte, wie sie es immer tat, dann ... Ruben seufzte leise. Es hatte keinen Sinn sich gegen sie auch weiterhin zur Wehr zusetzen, irgendwann würde er aufgeben. Er würde aufgeben müssen, denn Roxane war hartnäckig und sein Körper und Geist waren viel zu sehr geschwächt, um ihr viel länger standhalten zu können. Vielleicht würde er ja dann dem Wahnsinn endlich verfallen und nicht mehr bewusst miterleben müssen, was mit ihm geschah. Aus Trotz, ihr wenigstens diesen Befehl verweigern zu können, hielt er die Augen auch weiterhin geschlossen. Sie konnte ihn ja nicht zwingen sie zu öffnen, um sie anzusehen.
»Du willst also nicht! Das dachte ich mir!« Saphira konnte jetzt deutlich erkennen, dass der Fremde langsam zur Besinnung kam. Die Art und Weise, wie er auf ihre Ohrfeigen reagiert hatte, zeigten ihr, dass er mittlerweile höchstwahrscheinlich sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, es ihr aber nicht deutlich zeigen wollte. So weit, so gut! Jetzt musste sie ihn nur noch dazu bringen, mit ihr zu reden. Sie fingerte nach der Schale auf dem Kohlebecken, in der das Wasser sich deutlich erhitzt hatte und die nun dampfte. Sollte sie wirklich? Ohne sich darüber weiterhin Gedanken zu machen, nahm sie das Gefäß und leerte es über seinem Bauch aus. Er zuckte zusammen, zog lautstark Luft zwischen seine Zähe und erstarrte dann.
»Soll ich weiter machen?«, fragte sie ihn deshalb.
»Wo ist dein Dolch?«, seine Stimme klang rau und brüchig.
»Den habe ich hier in meiner Hand!« Hatte sie wirklich ihren Dolch eingesteckt? Sicher hatte sie das. Er befand sich wie gewöhnlich in seiner Scheide an ihrem Gürtel. Vorsichtig zog sie ihn heraus.
»Los, mach schon, sonst wartest du doch auch nicht so lange!« Was sollte sie machen? Womit wartete sie nicht so lange? Verdammt! Er musste ihr mehr Anhaltspunkte geben. Sie senkte die Klinge auf seine Brust und wanderte vorsichtig, damit sie ihn nicht verletzte, hinauf zu seinem Hals. Da er noch immer seine Augen beharrlich geschlossen hielt, konnte er das kalte Metall zwar auf seiner Haut fühlen, aber nicht sehen, ob sie ihn damit verletzte. Dann drückte sie die Klinge fest gegen seine Halsschlagader, während sie mit ihren Lippen der Spur folgte, die sie über seine Brust gezogen hatte. Der Fremde seufzte erneut.
»Bringst du es jetzt zu Ende?«, wollte er von ihr wissen.
»Sieh mich endlich an, sonst ...«, sie presste die Schneide ihres Messers noch eine Spur fester gegen seine Haut.
»Ich habe keine Angst vor dem Tod!«, gab er matt zurück. »Ich würde ihn sogar begrüßen. Aber warum sage ich dir das überhaupt? Du weißt es doch schon. Du weißt es schon so lange. Doch diesen Gefallen wirst du mir nicht tun. Du hast es damals nicht getan und du wirst es auch heute nicht tun. Du ekelst mich dermaßen an, dass ich mir am liebsten jede Stelle meines Körpers herausreißen würde, die du jemals berührt hast. Aber auch das vergönnst du mir nicht. Hättest du mich sonst an dieses Bett gefesselt? Glaubst du, jetzt, wo du mich nicht mehr vollkommen unter Kontrolle hast, könnte ich mich wehren und dir nicht mehr das geben, wonach du so gierst? Ich werde mich nicht mehr wehren. Es wäre sinnlos. Ich dachte, ich wäre dir endgültig entkommen. Ich hielt dich für tot, aber das war ein schrecklicher Irrtum. Mir war klar, dass es, solltest du mich noch einmal in deine Finger bekommen, wieder losgeht. Ich hatte recht! Es geht wieder los und ich weiß, dass ich, wie weit ich auch renne, dir niemals entkommen werde. Nur der Tod kann mich noch vor dir retten. Also, tu, was du nicht lassen kannst. Aber so gnädig wirst du nicht sein!«
Saphira war buchstäblich schockiert. Diese Hexe musste ihn ..., bei allen Heiligen, er war ein Mann, wie ein Baum. Es konnte doch nicht sein, dass sie ihn ... Wie zum Henker konnte so etwas geschehen? Da sie eine Hexe gewesen war, hatte sie höchstwahrscheinlich nicht nur ihre körperlichen Reize bei ihm eingesetzt, sondern ihn mit Magie dazu gezwungen, das mit ihr zu tun, was sie von ihm verlangte. Er war ihr willenlos ausgeliefert gewesen. Und für einen Mann wie ihn war das offensichtlich wirklich schlimmer als der Tod. Sie schluchzte leise, dabei merkte sie nicht, dass sie die Klinge tiefer in seinen Hals drückte. Blut quoll hervor.
»Du bringst es also doch endlich zu Ende. Ich wusste, früher oder später würde ich dich langweilen. Irgendwann hättest du genug von mir. Dass es so schnell geschieht, damit hätte ich aber nicht gerechnet.« Er beugte seinen Kopf etwas weiter zur Seite, sodass seine Halsschlagader nun deutlich sichtbar hervortrat. »Tu es!«
Saphira schluchzte nun lauter. Tränen liefen über ihre Wangen. Sie starrte auf sein ausdrucksloses Gesicht, dann auf den Dolch in ihrer Hand und schließlich auf seinen Hals und das Blut, das dort aus der Wunde sickerte, die sie ihm beigebracht hatte. Völlig apathisch zog sie die Klinge zurück und warf sie hinter sich. Der Dolch krachte dumpf gegen die Wand und fiel dann scheppernd zu Boden.
»Sieh mich an", stammelte sie unter Tränen. »Bitte! Sieh mich endlich an!«
Ruben war inzwischen vollkommen bei Bewusstsein. Die erste Episode seiner erneuten Gefangenschaft hatte er noch wie durch den Nebel eines Albtraums wahrgenommen. Doch, nachdem sie ihn mit heißem Wasser übergossen hatte, war er vollständig wach. Was verlangte sie noch von ihm? Er hatte ihr doch gesagt, dass er sich nicht wehren würde. Er hatte ihr sogar seine Kehle, wie auf einem Tablett serviert. Sie brauchte nur noch die Klinge etwas tiefer hineinzudrücken und sie dann zur anderen Seite ziehen, damit es endlich vorbei wäre. Er wartete gespannt, was sie als Nächstes tun würde. Er spürte, dass sie den Dolch ruckartig von seiner Kehle nahm, und hörte das leise metallische Klirren, das er bei seinem Aufprall auf den Boden verursachte. Was dann kam, ging ihn durch sämtliche seiner Knochen. Er hörte sie weinen und wie sie ihn unter Tränen förmlich anflehte, ihn endlich anzusehen.
»Was hat sie dir nur alles angetan?« In diesem Moment begriff er, dass die Stimme, die ihn so beharrlich gedrängt hatte, gar nicht zu Roxane gehörte. Roxane hatte ihn nicht in ihrer Gewalt. Wer aber dann? Zögernd drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der das leise Schluchzen kam, dann öffnete er seine Augen. Auf ihm hockte eine junge Frau, die nur seinen Träumen entsprungen sein konnte. Ihr weißblondes Haar fiel in sanften Kaskaden auf seine Brust. Ihre Gesichtszüge glichen denen eines Engels, doch das Faszinierendste an ihr waren ihre saphirblauen Augen, in denen ihrer Tränen schimmerten wie feuchte Diamanten. Ruben hielt den Atem an. Um sich zu vergewissern, dass er auch wirklich nicht träumte, schloss er erneut seine Augen, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen. Das Mädchen schien vollkommen aus der Fassung zu sein.
»Wo bin ich? Und wer seid Ihr?« Seine Frage brachte sie noch mehr aus der Fassung. Sie zuckte zusammen und krabbelte dann hektisch von ihm herunter.
»Ich habe mich also nicht getäuscht? Ihr seid wach?« Sie starrte ihn so eindringlich an, dass er sich peinlich berührt durch die Haare fahren wollte, aber die Fesseln, die ihn an das Bett banden, ließen es nicht zu.
»Wieso tust Ihr das?« Sein Tonfall war wohl eine Spur zu hart ausgefallen, denn sie taumelte beim Klang seiner Stimme einige Schritte zurück. Er wollte sich gerade für seine rüde Tonart entschuldigen, da antwortete sie ihm leise.
»Ihr erinnert Euch nicht an mich? Ich war es, die Euch am Strand gefunden hat. Ihr wurdet nach dem Orkan hier angespült. Ihr seid auf Samarona gelandet und mein Name ist Saphira.«
»Der Name passt zu Euch!", entgegnete er. »Wie lange bin ich schon hier? Und warum habt Ihr mich an das Bett gefesselt?« Sie wirkte verlegen, als sie ihm antwortete.
»Ihr seid jetzt fast drei Wochen hier und ich musste Euch fesseln, weil ...« Sie zögerte. »Weil ihr mich sonst verletzt hättet.«
»Habe ich Euch etwas angetan?« Sie schüttelte leicht ihren Kopf.
»Das ist es nicht, aber ... Ihr wart nicht so schwerwiegend verletzt, dass ich mir Euren Zustand hätte erklären können. Euer Fieber stieg täglich und ... Mein Vater meinte, ich solle Euch zum Reden bringen. Das habe ich getan.«
»Und deshalb hast du mich an das Bett gefesselt? Bist du von Sinnen?« Ruben war wütend. Er zog erneut an seinen Fesseln. Als er zu ihnen aufsah, erkannte er, dass nicht Stricke ihn, wie zuerst angenommen, gefangen hielten, sondern rote Seidentücher. Er schnaubte leise. »Wenn ich Euch nichts getan habe, dann könnt ihr mich auch wieder losbinden.« Sie schüttelte vehement ihren Kopf.
»Das kann ich nicht!«, gab sie schon ein wenig selbstsicherer zurück.
»Könnt ihr nicht, oder wollt ihr nicht?« Ruben schleuderte ihr seine letzten Worte brüllend entgegen. Erneut zuckte sie zusammen.
»Ich will und kann nicht. Wenn Ihr mich weiterhin so anbrüllt, dann könntet Ihr wohl möglich auch die Kontrolle über alles andere verlieren. Bevor ich mir nicht sicher bin, dass Ihr mir auch wirklich nichts tut, müsst ihr Euch mit Eurer Lage abfinden. Ich bin auf gar keinen Fall bereit, mehr zu riskieren als nötig.« Mit diesen Worten drehte sie sich in Richtung Tür und verschwand aus dem Raum.
Ruben schnaubte wütend. Er zerrte an seinen Fesseln, doch die Tücher waren stabiler, als jedes Seil hätte sein können. Wusste sie nicht, dass sie ihn mit dem zarten Stoff mehr verletzen konnte, als mit jedem harten Strick? Wo war er hier nur wieder hineingeraten? Erst seine Gefangenschaft bei Roxane und jetzt seine bei Saphira? Wieso dachten alle Frauen, sie müssten ihn gefangen nehmen? Was hatte er bloß an sich, dass ihnen nie etwas Besseres einfiel? Er musste unwillkürlich grinsen. Der Name Saphira passte wirklich zu ihr. Ihre Augen waren so blau, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. In ihnen hatte ein Glanz gelegen, der wie hypnotisierend wirkte. Kein Mann konnte sich dem erwehren. Er auch nicht. Das Merkwürdige daran war nur, dass sie sich dessen nicht bewusst schien. Sie benahm sich eher wie ein trotziges, kleines Kind. Ihm war ihre Unsicherheit aufgefallen. Hatte sie denn noch niemals mit einem Mann geredet? Ihm fiel ein, dass sie beiläufig ihren Vater erwähnt hatte. Also war sie nicht alleine auf der Insel. Wie hatte sie sie noch gleich genannt? Samarona! Samarona war auf keiner ihm bekannten Karte verzeichnet. Er würde sich sonst an den Namen erinnern. Wenn sie aber auf den Karten nicht existierte, wo war er dann genau gelandet? Er erinnerte sich, dass Lucas ihm gesagt hatte, sie wären in die Meerenge von Alara gesegelt. Da die Karten dieser Gegend aber äußerst ungenau waren, konnte er nur auf einer der Inseln gelandet sein, die an sie grenzten. Würden seine Männer, die das Unglück lebend überstanden hatten, nach ihm suchen? Oder gingen sie davon aus, dass er nicht überlebt hatte? Früher oder später würde er es erfahren. Jetzt musste er die Kleine nur dazu bringen ihn endlich loszubinden, denn wie sollten seine Männer von seinem Überleben erfahren, wenn er noch länger an ihr Bett gefesselt bliebe. Obwohl ... So schlimm war die Vorstellung daran gar nicht.
Zaghafte Schritte näherten sich seinem Bett. Er hob seinen Kopf leicht in die Höhe, um zu sehen, wer ihn da mit seiner Anwesenheit beehren wollte, obwohl er sich eigentlich sicher war, dass nur sie es sein könnte. Er grinste sie breit an, während sie ihren Blick auf den Boden senkte.
»Ich habe etwas zu trinken und auch etwas zu essen für Euch geholt. Ich wusste nicht, ... Adira unsere Köchin meint, ihr sollt es langsam Essen und auch nicht zu hastig trinken.« Sie stellte ein Tablett mit frischem Brot, den verschiedensten Obstsorten und einer Karaffe Wein auf sein Bett. Dann trat sie wieder schnell einige Schritte zurück.
»Den Gefallen würde ich Euch gerne tun«, entgegnet er ihr etwas belustigt, »aber, da ich ja leider an dieses Bett gefesselt bin, werde ich es wohl kaum bewerkstelligen können. Ich glaube, Ihr müsst mich losbinden oder füttern.« Er sah, wie sie innerlich mit sich rang.
»Wenn ich näher an Euch herankomme, werdet Ihr dann wieder um Euch schlagen?« Ruben schüttelte seinen Kopf.
»Es tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt habe. Das wollte ich nicht! Aber nachdem, was Ihr vorhin hier veranstaltet habt, hätte ich Euch für wagemutiger gehalten.«
»Ich bin wagemutig!«, sie war aufgebracht. »Es ist nur ...«
»Was ist nur?« Zögernd ließ sie sich auf dem Bett nieder, pflückte geistesabwesend eine Weintraube von ihrem Stiel und schob sie ihm in den Mund.
»Zunächst einmal, Ihr seid der erste Mann in meinem Leben«, gab sie schließlich zu. Ruben fiel fast die Weintraube aus seinem Mund. Er zerkaute sie schnell, schluckte sie herunter und sah sie dann fragend an.
»Das kann nicht Euer ernst sein!«
»Doch! Die Männer, die ich bisher kannte", erwiderte sie ihm, während sie eine weitere Traube in seinen Mund schob, »waren alle mindestens so alt wie mein Vater. Ich habe keinerlei Erfahrung mit Männern Eures Alters.«
»Wie kann das sein?«
»Unsere Insel liegt fernab der Seewege. Hierher verirrt sich niemals ein Schiff.«
»Dann bin ich Euch also vollkommen ausgeliefert?«
»Ihr seid mir doch nicht ausgeliefert, Ihr seid ... Oh!« Sie brach mitten im Satz ab. Ihre Wangen verfärbten sich rot und Ruben konnte nicht umhin sich selbst einzugestehen, dass ihre Verlegenheit sie in seinen Augen noch attraktiver machte.
»Welchen Grund habt Ihr noch Euren Wagemut außer Acht zu lassen, und mir so zaghaft zu begegnen?« Wieder zögerte sie. »Ihr könnt es mir ruhig sagen, ich werde Euch schon nicht den Kopf abreißen, zumal ich es ja auch im Moment gar nicht könnte.«
»Wollt Ihr auch etwas Wein?«, fragte sie ihn plötzlich, ohne ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben.
»Lenkt nicht vom Thema ab! Ich erwarte eine Antwort! Warum habt Ihr solche Angst vor mit?«
»Ich habe keine Angst vor Euch!«, beteuerte sie sofort. »Es ist nur ... Also ... Ach, was soll's! Mehr als anschreien könnt Ihr mich im Moment sowieso nicht. Als ich Euch gefunden habe, habt Ihr mich angefleht, Euch zu helfen. Mein Vater war nicht gerade begeistert, dennoch hat er eingewilligt, Euch in unser Haus zu bringen. Eure Kleidung war zerrissen und Ihr habt aus etlichen Wunden geblutet. Die Schlimmste war die an Eurem Hinterkopf.«
»Mir ist der Mast auf den Kopf gefallen!«, warf er ein.
»So sah es auch aus!«, gab sie zurück. »Trotz Eurer vielen Wunden, wart Ihr jedoch nicht lebensbedrohlich verletzt. Doch ihr wurdet einfach nicht wach. Euer Fieber stieg", sie streckte ihre Hand nach seiner Stirn aus. Ruben wollte ihr ausweichen, doch da berührte sie ihn auch schon. Genau so schnell, wie sie ihn angefasst hatte, zog sie ihre Hand nun zurück. »Komisch, vorhin habt Ihr noch geglüht. Jetzt ist Eure Temperatur wieder vollkommen normal«, bemerkte sie wie nebenbei. »Euer Fieber war so hoch, dass ich Euch kühlen musste, doch alles half nichts. Dann tropfte mir etwas Wasser auf Eure Brust und Ihr habt geschrien. Ich habe mir daraufhin die Stelle angesehen. Ihr habt dort ein Brandmal. Mein Vater hat es ebenfalls gesehen und er meinte, Ihr hättet es von einer Hexe. Stimmt das? Hat eine Hexe Euch gebrandmarkt?« Ruben schluckte.
»So in etwa!«, gab er zögernd zu.
»Mein Vater meinte auch, Euer Zustand wäre eine Folge davon.« Unbewusst, oder aber um sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen, plapperte sie immer weiter vor sich hin. »Er sagt, viele Männer, die in Schlachten gekämpft haben, haben Dinge erlebt, die sie schwer belasten. Deshalb wollen sie nicht mehr leben. Er glaubt, auch Ihr wollt sterben und hättet deshalb mit dem Leben abgeschlossen. Das wiederum konnte, und wollte ich nicht glauben. Wieso habt Ihr mich am Strand dann angefleht, Euch zu retten, nur um Euch selbst zu töten? Also habe ich gedacht, vielleicht bringe ich ihn im Fieberwahn dazu, über die Geschehnisse zu reden, die ihn dazu bringen nicht mehr Leben zu wollen. Ich habe mir vorgestellt, was die Hexe Euch angetan haben könnte und … Schreit Ihr mich jetzt wieder an?« Ruben war ihren Ausführungen gespannt gefolgt. Im Grunde genommen, nicht wegen dem, was sie sagte, sondern der Art und Weise wie. Ihr Minenspiel war das eines unbedarften Kindes, aber die Verpackung war alles andere als kindisch. Erst runzelte er die Stirn, dann aber schüttelte er seinen Kopf.
»Ich werde Euch nicht mehr anschreien. Nicht deshalb! Ich glaube, Ihr habt unbewusst genau das getan, was getan werden musste. Ich denke, ich sollte Euch dafür danken.«
»Ihr seid mir nicht böse?«, sie klang erstaunt.
»Wieso sollte ich Euch böse sein?«
»Ich habe Euch verletzt!« Jetzt machte sie sich auch noch Gedanken darüber, dass sie ihn verletzt hatte. Ruben seufzte leise.
»Ich wurde schon so oft verletzt, dass ich es kaum noch zählen kann! Allerdings hat sich noch niemand bei mir dafür entschuldigt.« Sie schwiegen, während sie ihm nach und nach das Brot und das Obst in den Mund stopfte und ihn hin und wieder an dem Wein nippen ließ.
»Darf ich Euch noch eine Frage stellen?«, wollte sie von ihm wissen. »Eigentlich sind es zwei! Darf ich?«
»Was wollt Ihr von mir wissen?«
»Was hat sie Euch angetan, dass Ihr nicht mehr leben wolltet und wie lautet eigentlich Euer Name?«
»Ich heiße Ruben, Ruben de Arosella.« Er musste unwillkürlich grinsen, denn ihre Frage glich schon wieder der eines Kindes.
»Und meine andere Frage?«
»Ich glaube, diese Antwort muss ich Euch noch schuldig bleiben. Ich bin müde. Bindet Ihr mich nun los?« Sie schüttelte ihren Kopf.
»Es ist nicht, dass ich noch Angst vor Euch hätte, aber wenn ich Euch jetzt losbinde, wer sagt mir dann, dass Ihr Euch nicht selbst verletzt?«
»Ich werde mich nicht selbst verletzen?«
»Trotzdem, sicher ist sicher! Und Ihr habt recht. Ich habe Euch viel zu lange vom Schlafen abgehalten. Ihr hattet bis heute Morgen noch hohes Fieber und Ihr braucht Ruhe. Schlaft gut!« Sie nahm das Tablett von seinem Bett und verließ, ohne sich ein weiteres Mal zu ihm umzuwenden, den Raum. Ruben blieb gefesselt und verwirrt zurück. An Schlaf war nicht einmal mehr zu denken.
Als Saphira den Raum verlassen hatte, eilte sie schnell in die Küche. Sie drückte Adira das Tablett in die Hand und rannte aus dem Haus in Richtung Strand. Dort angekommen öffnete sie ihren Gürtel und ließ ihre Tunika in den Sand gleiten. Dann warf sie sich in Fluten des Meeres. Das kühle Wasser war wie Balsam auf ihrer verschwitzten Haut, denn nicht nur ihm war der Schweiß in kleinen Bächen den Rücken hinunter gelaufen. Sie seufzte leise. Er hieß also Ruben. Ruben de Arosella! Vermutlich war er ein Adeliger aus einem fernen Land. Denn, wenn er nicht gerade vor Wut schnaubte, dann war sein Benehmen durchaus vornehm. Allein schon die Art und Weise, wie er sprach, deutete daraufhin, dass er keinesfalls aus der Unterschicht kam. Es war schon erstaunlich, was man durch einige belanglos daher gesagte Sätze in Erfahrung bringen konnte. Obwohl ...? Hatte sie ihn vielleicht zu sehr bedrängt? Hielt er sie jetzt für ein kleines, neugieriges Ding, das nicht wusste, wann es Zeit war, den Mund zu halten? Verdammt, Saphira!, schalt sie sich selbst. Hoffentlich hast du es nicht versaut, bevor es überhaupt angefangen hat! Dass ihr sein Aussehen gefiel, daran hatte sie keinen Zweifel. Dass er sie aber auch anhand seiner Worte interessierte, damit hatte sie nicht gerechnet. Seine Stimme hatte sie förmlich in ihren Bann geschlagen. Sie war noch tiefer als die Stimme ihres Vaters. Sie hatte einen so weichen Klang, dass sie förmlich dahinschmolz, selbst wenn er nur ein Wort sagte. War es möglich, dass sie gerade dabei war, sich in ihn zu verlieben? Hatte sie ihn deshalb auch weiterhin an das Bett gefesselt gelassen, nur um ihn dort zu halten und zu verhindern, dass er ohne ein Wort verschwand. Sie wusste es nicht genau. War es überhaupt denkbar, dass man sich so schnell verlieben konnte, ohne den anderen richtig zu kennen? Und was war mit ihm? Könnte er in der Lage sein, sich in sie zu verlieben? Auch nachdem, was sie ihm angetan hatte? Sie musste unbedingt mehr über ihn erfahren. So viel war sicher. Im Grunde genommen wollte sie alles über ihn wissen. »Ich werde schon noch herausbekommen, welche Art von Mann du wirklich bist. Ruben de Arosella vor mir kannst du nicht fliehen.« Mit diesen Worten tauchte sie zum Grund des Meeres hinab. Sie schwamm unter Wasser zu den Klippen, tauchte auf, ließ sich auf einen der feuchten Steine nieder und sah in den Sonnenuntergang. »Ich werde dein Geheimnis lüften", flüsterte sie noch leise, bevor die Sonne hinter dem Horizont verschwand.