Читать книгу Die Chroniken Aranadias II - Die Herrin der Seelen - Daniela Vogel - Страница 17

Kapitel 11

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Er hatte Saphira weder erwürgt noch ihr das Genick gebrochen. Er hatte sie noch nicht einmal auf irgendeine Weise verletzt. Ganz im Gegenteil. Sie lag jetzt glücklich lächelnd auf seiner Brust und schlief. Ruben seufzte. All die schrecklichen Bilder seiner Vergangenheit waren verschwunden. Nur durch ihr Lächeln hatte sie es geschafft, die bösen Geister zu vertreiben. Er war glücklich. Glücklich bei ihr zu sein und sie in seinen Armen halten zu können und glücklich darüber, endlich einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit gezogen zu haben. Saphira war einfach das Beste, was ihm hatte passieren können.

Schritte näherten sich ihnen. Da er sie nicht wecken wollte, blieb er einfach liegen. Sollte es ihr Vater sein, dann würde er ihn einfach um ihre Hand bitten. Doch wollte er ihrem Vater wirklich bei ihrem ersten Zusammentreffen vollkommen nackt gegenübertreten? Er schob Saphira sanft von seiner Brust, obwohl er nichts lieber getan hätte, als sie dort liegen zu lassen und streifte sich wenigstens seine Hose über. Kaum hatte er sie angezogen, hörte er auch schon eine laute, wütende Stimme hinter sich brüllen.

»Packt ihn und werft ihn in das Verlies. Und geht vor allen Dingen nicht zu zimperlich mit ihm um. Was auch geschieht, er hat es verdient.«

»Lasst mich erklären ...« Ruben wurde von hinten gepackt. In diesem Moment schlug Saphira ihre Augen auf.

»Ruben?« Sie sah sich verwirrt um. »Vater? Was soll das? Lasst ihn los.«

»Tochter, du hast hier gar nichts zu befehlen. Schafft ihn weg!« Atticus Tonfall war so hart, dass es offensichtlich war, dass er keinen Widerspruch duldete. Ruben im Gegenzug war so geschockt, dass er sich noch nicht einmal wehrte, als sie ihn jetzt Richtung Haus fort schleiften. In Saphiras großen Augen hatten Tränen gestanden, und wenn er sich gewehrt hätte, hätten die Männer vermutlich zu drastischeren Mitteln gegriffen, um ihn gefügig zu machen. Diesen Anblick wollte er ihr auf keinen Fall zumuten. Sie Weinen zu sehen, hätte er nicht auch noch ertragen.

Saphira beobachtete unter Tränen, wie die Männer ihres Vaters Ruben in Richtung Haus zerrten.

»Vater«, flehte sie Atticus an. »Bitte, lass ihn gehen. Ihn trifft keine Schuld. Atticus starrte über sie hinweg auf die rauschenden Fluten des Wasserfalls.

»Zieh dir etwas über! Sollen meine Männer dich für eine Hure halten?«, zischte er ihr entgegen, doch er sah sie nicht dabei an.

»Vater, bitte!«, bat sie ihn inständig. »Es ist nichts geschehen, was ich nicht auch gewollt hätte.«

»Geh ins Haus und wage dich ja nicht in seine Nähe, wenn du nicht ebenfalls in einer Zelle enden willst. In dem Punkt verstehe ich keinen Spaß.«

»Was ist nur los mit dir?« Ihr flossen Tränen über ihre Wangen, während sie ihren Vater flehend anblickte. Er stand vor ihr, als wäre er zu einer Salzsäule erstarrt. Seine Kieferknochen malten aufeinander und seine Wangen zuckten, dabei sah er sie noch immer nicht an. So wütend hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt. Saphira nahm ihre Tunika von dem Felsen und warf sie sich über, dann rannte sie schluchzend ins Haus zurück. Ihren Vater ließ sie einfach stehen.

»Geht ihr nach!«, befahl er seinen Männern. »Und seht zu, dass sie dem Verlies fernbleibt. Ich möchte nicht, dass sie mit ihm redet.« Seine Männer eilten ihr nach, während er sich nicht einmal zu ihnen umdrehte und noch immer auf den Wasserfall starrte. Als er ihre Schritte nicht mehr hören konnte, ließ er sich müde auf dem Boden nieder. Was er gerade eben getan hatte, war schwerer gewesen, als er gedacht hatte. Wie gerne hätte er seine Tochter in seine Arme genommen und ihr leise, »Alles wird wieder gut«, ins Ohr geflüstert. Doch, wenn sein Plan funktionieren sollte, dann musste er sich jetzt zusammennehmen. Saphira ahnte noch immer nicht, wer oder was sie war und er wollte auf gar keinen Fall, dass sie es zufällig erführe. Damit hätte er nicht leben können. Da er aber beschlossen hatte, den Jungen sozusagen als Werkzeug zu benutzen, musste er ihm nun einen Teil der Wahrheit erzählen. Was, wenn Saphira ihn dabei belauschen würde? Hätte er ihr nicht viel eher von ihrem grausamen Schicksal berichten sollen? Hätte er sie nicht viel besser auf ihre kommende Aufgabe vorbereiten sollen? Sie war all die Jahre so glücklich gewesen und er hatte sie nicht belasten wollen. Als der junge Mann dann an den Strand der Insel gespült wurde, hatte er gewusst, dass das Schicksal nun seinen Lauf nehmen würde. Doch noch immer hatte er geschwiegen. Jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, was er hätte tun oder lassen sollen. Die beiden hatten ihm die Entscheidung abgenommen und genau das hatte er gewollt. Er kam sich feige und hinterlistig vor. So war er eigentlich nicht. Aber, wenn es um Silvana ging, war ihm jedes Mittel recht. Aber war es ihm auch recht, seine Tochter für sie in ihr Unglück zu stürzen? Atticus seufzte. So oder so, es musste endlich etwas geschehen. Er hatte dieses Spiel nun begonnen und es gab kein zurück mehr. Nur würde es auch für alle Beteiligten so enden, wie er es sich erhoffte?

Ruben stand mit dem Rücken zur Wand in der kleinen dunklen Zelle. Vier Männer waren nötig gewesen, um ihn festzuketten. Dass er erneut, wie ein Tier in einem Käfig gefangen war, war seine eigene Schuld. Als die Männer ihn in die Zelle brachten und er die Ketten sah, war er im wahrsten Sinne des Wortes vollkommen durchgedreht. Sein Puls hatte sich beschleunigt und er hatte kaum noch Luft bekommen. Dann war er wie ein Berserker über sie hergefallen. Sein Angriff auf die Männer war ein Fehler gewesen. Er hatte niemanden verletzen wollen, doch ... Verdammt! Er hatte sich so fest vorgenommen, sich nicht zu wehren. Ruben ließ den Kopf hängen. Das, was jetzt mit ihm geschehen würde, war seine eigene Schuld. Ihm tat nur leid, dass sie darunter leiden musste.

»Ruben?«, ihr leises Flüstern ließ seinen Kopf sofort hochfahren.

»Saphira, was zum Teufel, tust du hier?«

»Haben sie dir etwas angetan?« Er schüttelte seinen Kopf.

»Nein, mir geht es gut! Im Gegensatz zu einigen Männern deines Vaters.« Er versuchte sie anzugrinsen, doch irgendwie wollte es ihm nicht so recht gelingen.

»Geht es dir wirklich gut?«

»Ja, und jetzt verschwinde, bevor dein Vater hier auftaucht.« Sie drückte sich enger an die Gitterstäbe seiner Zelle.

»Ich kann dich jetzt doch nicht alleine lassen.«

»Saphira, glaub mir, es ist besser so. Geh!« Er wusste nicht, was ihr Vater mit ihm vorhatte. Wenn er... und Saphira es mit ansehen würde. Das könnte er nicht ertragen. »Bitte!«, fügte er noch leise hinzu.

»Ich werde ihn bitten, dich frei zulassen!«

»Das hast du doch schon getan. Dein Vater ist wütend! Ungemein wütend, was nur verständlich ist. Hätte ich meine Tochter ... Saphira, ich werde mit ihm reden. Mach dir keine Sorgen und jetzt geh endlich, bevor es zu spät ist.« Ruben klang zuversichtlich, obwohl es in seinem Innern vollkommen anders aussah. Er hatte die Gastfreundschaft ihres Vaters schändlich missbraucht und ihre Unerfahrenheit ausgenutzt. Kein Wunder, dass ihr Vater vor Zorn bebte und erst einmal etwas überreagiert hatte. Er würde sich ja am liebsten selbst dafür Ohrfeigen. Er war ein solcher Narr gewesen! Doch wie hätte er das am Wasserfall Geschehene verhindern sollen, wenn sie ihn darum bat und er nichts lieber tat, als ihren Wunsch zu erfüllen? Es war eine Dummheit gewesen. Die Größte in seinem bisherigen Leben. Er, als der Ältere und vor allem der Erfahrenere hätte es besser wissen müssen, zumal er sich der Konsequenzen bewusst gewesen war. Wie nur hatte er glauben können, ihr Vater würde ihn, nach dem, was vorgefallen war, in seine Arme nehmen und in seiner Familie willkommen heißen? Er hatte angenommen, ihr Vater würde ihn vielleicht für seine Taten verprügeln, was auch verständlich gewesen wäre. Dass er ihn aber in einem dunklen Verlies anketten lassen würde, damit hatte er nicht im Traum gerechnet. Doch, was immer er auch mit ihm vorhatte, er hatte es in seinen Augen verdient. Dass Saphira aber dabei zusah, das musste er mit allen Mitteln verhindern.

»Ruben?«, ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich wollte das nicht!«

»Was wolltest du nicht?«

»Dass er dich ...«, sie schluchzte leise, während Tränen über ihre Wangen liefen. Sie so zu sehen, war für ihn unerträglich.

»Du kannst doch nichts dafür«, beteuerte er, »Saphira, das, was mit mir geschieht, habe ich ganz alleine zu verantworten. Mach dir keine Sorgen um mich. Ich habe schon in weitaus größeren Schwierigkeiten gesteckt, wie du weißt. Geh jetzt, bitte! Ich möchte nicht, ...« Weiter kam er nicht, denn er hörte, dass sich Schritte näherten. »Saphira versteck' dich!« Sie sah ihn fragend an.

»Hörst du es nicht? Da kommt jemand! Schnell, bevor sie dich sehen!« Saphira zögerte nicht lange. Sie rannte in Richtung der hinteren Zellen und verbarg sich hinter einem Mauervorsprung. Da dieser Bereich des Kerkers nicht von Fackeln erleuchtet wurde, wurde sie von der Dunkelheit verschluckt.

Die Schritte, die sich ihm nun unaufhaltsam näherten, waren die eines einzelnen Mannes. Gut! Wenn ihr Vater allein zu ihm kam, dann würden seine Henkersknechte ihm vielleicht erst folgen, wenn Saphira das Verlies verlassen hätte und in Sicherheit wäre.

Atticus trat vor die Zellentür und schloss sie bedächtig langsam auf. Er konnte aus den Augenwinkeln sehen, dass der Junge ihn dabei beobachtete. Doch er zerrte weder an seinen Ketten, noch warf er ihm irgendwelche wüsten Verwünschungen an den Kopf, wie er es in seiner Lage wahrscheinlich getan hätte. Der Junge stand einfach nur gefasst und schweigend da, als würde er nur auf das Unausweichliche warten, egal was es wäre. Atticus wurde sich seiner Sache immer sicherer. Er hätte keine bessere Wahl treffen können. Sie hätte keine bessere Wahl treffen können. Er baute sich in seiner vollen Größe vor dem jungen Mann auf und sah ihm direkt in die Augen.

»Ihr habt meine Gastfreundschaft schändlich missbraucht!«, stellte er laut schnaubend fest.

»Ich weiß!«

»Ihr wisst es und habt es trotzdem getan?« Seine Stimme überschlug sich, doch der junge Mann zuckte bei ihrem Klang noch nicht einmal zusammen.

»Ich bin bereit, die Konsequenzen meines Handels zu tragen!«

»Ihr seid also bereit für die Konsequenzen?« Atticus zog seinen Dolch aus der Scheide und setzte die Klinge an die Kehle des Jungen. Seine Augen blitzen gefährlich auf. »Seid ihr auch bereit dafür zu sterben?« Ruben antwortete ihm nicht sofort. Er hörte Saphira laut einatmen und hoffte inständig, dass ihr Vater es nicht bemerkt hatte. »Was ist? Seid ihr bereit zu sterben?« Atticus drückte die Klinge fester gegen Rubens Kehle. Ruben schluckte.

»Wenn es Euer Wunsch ist!«

»Wie könnt ihr nur so ruhig dastehen, während ich Euch mit meinem Dolch bedrohe?« Atticus wurde nun wirklich langsam wütend.

»Habe ich die Wahl?«

»Wehrt Euch!«

»Wie denn? Ihr habt mich hier wie ein Tier anketten lassen. Soll ich Euch jetzt auch noch den Gefallen tun, mich wie ein solches zu benehmen? Ich bin kein Tier! Ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin, doch ich würde es jederzeit wieder tun!«

»Ihr gebt es auch noch zu und erdreistet Euch dann, mir ins Gesicht zusagen, dass Ihr es wieder tun würdet?«

»Ich stehe zu meinen Taten. Das habe ich immer getan und werde es immer tun.«

»Das werden wir noch sehen!« Atticus nahm den Dolch von seiner Kehle, machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Zelle ohne sich noch einmal umzudrehen. Die Zellentür ließ er offen stehen. Er würde nicht lange warten müssen, bis er zu ihm zurückkehren würde, dessen war sich Ruben sicher. Saphira trat aus dem Schatten und rannte zu Ruben in die Zelle. Sie warf sich ihm um den Hals und küsste ihn.

»Du musst fliehen! Ich werde deine Ketten ...«, stammelte sie unter Tränen. Er hätte sie am liebsten in seine Arme genommen, doch das war ja unmöglich.

»Saphira, wohin soll ich denn fliehen? Wir befinden uns auf einer Insel.«

»Du könntest dich verstecken.«

»Und welchen Sinn hätte das? Wie lange glaubst du, wird es dauern, bis sie mich finden? Geh jetzt bitte und mach dir keine Sorgen.«

»Er wird dich töten!«

»Wenn es das ist, was er will, dann ...«

»Ruben, das kann ich nicht zulassen.«

»Du machst alles nur noch viel schlimmer, spürst du das denn nicht? Saphira, wenn du hier bleibst, dann kann ich ... Auch meine Selbstbeherrschung hat ihre Grenzen. Geh!« Saphira schlang noch einmal ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Er beugte sich, so weit es ihm möglich war, zu ihr herunter.

»Auch, wenn ich jetzt gehe, ich werde wiederkommen! Ich lasse dich nicht im Stich!« Dann verschwand auch sie aus dem dunklen Gewölbe.

Atticus wartete im Schatten einer der vorderen Zellen darauf, dass seine Tochter endlich das Verlies verlassen würde. Er hielt die Luft an. Erst als ihre Schritte auf dem steinernen Boden verhallten, trat er aus dem Halbdunkel und atmete aus. Zu seinem Glück hatte er sie leise in einer der hinteren Zellen atmen hören, als er den Jungen bedroht hatte, denn sonst wären Dinge geschehen, die er hinterher zutiefst bereut hätte. Jetzt vergewisserte er sich noch einmal, dass sie auch wirklich das Gewölbe verlassen hatte, dann lief er langsam zurück zu der Zelle des Jungen.

»Ist sie weg?« Atticus nickte.

»Ihr wusstet, dass ich sie gehört und das Gewölbe nicht verlassen habe?« Er wirkte erstaunt.

»Ich dachte es mir. Sie war kaum zu überhören, auch wenn sie sich die größte Mühe gab.« Ruben hielt inne.

»Warum habt Ihr zugelassen, dass sie Euch hier lässt? Sie wollte Euch doch befreien.«

»Hätte es etwas gebracht? Ihr wart noch hier unten. Hätte ich Euch töten sollen, um zu entkommen?« Atticus sah ihn nachdenklich an.

»Woher wusstet Ihr, dass ich mich noch ...«

»Es lag an Euren Schritten!«, unterbrach Ruben ihn. »Es waren fast doppelt so viele, als ihr kamt.«

»Und Ihr seid aus Rücksicht auf Saphira nicht geflohen?«

»Ich wäre ungern schuld am Tod ihres Vaters! Doch, Ihr seid bestimmt nicht hierher zurückgekommen, um mit mir zu plaudern. Was wollt Ihr wirklich? Wenn Ihr mich töten wollt, dann tut es jetzt. Sie ist nicht hier, und wenn sie es erfährt, dann ...«

»Ich bin nicht hier um Euch zu töten.«, jetzt war es Atticus, der ihn unterbrach. »Das wollte ich nie«, fügte er leise hinzu. »Es ist nur ...« Er hielt kurz inne. »Ich habe meine Frage von vorhin erst gemeint. Würdet Ihr als Konsequenz für Euer Handeln sterben?« Ruben studierte Saphiras Vater aufmerksam, dann nickte er.

»Ich glaube, ...!«

»Antwortet mir nicht zu schnell. Ich werde Euch ein paar Tage Bedenkzeit lassen. Es geht um Saphiras Wohl und ich möchte nicht, dass ihr Eure Entscheidung im Nachhinein bereut.«

»Wie meint Ihr das?«

»«Wenn Ihr Saphira geschwängert habt, und davon gehe ich fast aus, denn bei mir war es nicht anders, dann habt Ihr ihr ein Schicksal auferlegt, schlimmer als der Tod.«

»Wovon redet Ihr?«

»Habt Ihr schon einmal etwas vom Palast des Meeres gehört?«, fragte er ihn im Gegenzug. Ruben schüttelte seinen Kopf.

»Das dachte ich mir!«, wieder musterte Atticus ihn schweigend. »Ihr wisst aber, was die Meerenge von Alara ist?«, jetzt nickte Ruben.

»Der Legende nach haust dort die Meerhexe und zieht ahnungslose Seeleute in ihren Bann. Sie lässt ihre Schiffe zerschellen und sie werden in die Fluten gezogen, sodass man nie wieder etwas von ihnen hört.«

»Ganz so ist es nicht! Es stimmt, dass die Meerhexe die Kontrolle über die Meerenge besitzt, doch nicht sie selbst, sondern ihre Nachkommen, ziehen die Seeleute in ihren Bann. Ihre Töchter besitzen Stimmen, die selbst Steine zum Weinen bewegen. Es ist, als höre man den himmlischen Gesang der Engel, doch, wenn man sich ganz in ihm verloren hat, übernimmt die Meerhexe selbst den Gesang. Sie kreischt, wie eine Ausgeburt der Hölle, denn nichts anderes ist sie.«

»Was hat Saphira damit zu tun?«

»Saphira ist eine ihrer Nachfahren!« Ruben war sichtlich irritiert.

»Ich verstehe immer noch nicht!«

»Dann werde ich Euch auf die Sprünge helfen. Wenn Saphira Euer Kind austrägt und es geboren wird, dann wird sie augenblicklich zu Stein erstarren.« Ruben sah ihn ungläubig an.

»Das ist nicht Euer Ernst.«

»Denkt Ihr, ich würde in diesem Punkt scherzen? Ich war dabei, als mit ihrer Mutter dasselbe passiert ist.«

»Aber wieso habt Ihr ...?«

»Wieso ich es zugelassen habe? Es gibt einen Orakelspruch, der prophezeit, dass der Kreislauf gebrochen werden kann. Wenn Ihr meine Tochter liebt, dann werdet Ihr mir helfen, hinter sein Geheimnis zu kommen. Wenn nicht ...«

»Weiß sie es?«

»Nein!«

»Aber ...! Ihr könnt ihr so etwas doch nicht verheimlichen! Welche Art von Vater seid Ihr? Ihr ...«

»Fürs Erste habe ich Euch, glaube ich, genug erzählt!« Atticus machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Zelle.

»Ihr könnt nicht solche Andeutungen machen und mich dann hier zurücklassen!«, schrie Ruben ihm nach. »Welcher Orakelspruch? Wieso versteinert sie, wenn sie ein Kind auf die Welt bringt? Verflucht! Kommt zurück! Ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren! Sie hat ein Recht darauf!« Er schrie sich fast die Lunge aus dem Leib. Doch alles, was er hörte waren Atticus Schritte, die langsam immer leiser wurden und schließlich verebbten. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Die gesamte darauffolgende Nacht zermarterte sich Ruben das Gehirn, welche Beweggründe den Alten dazu getrieben haben könnten, seiner Tochter so etwas anzutun. Schlimm genug, dass er sie in ihr Unglück rennen ließ und ruhig dabei zusah. Viel schlimmer war jedoch, dass er ihr noch nicht einmal sagte, in welcher Gefahr sie schwebte. Hätte er vorher auch nur geahnt, was durch seine unbedachte Tat am Wasserfall alles geschehen könnte, er hätte niemals ... Jetzt begriff er auch, wofür die Ketten gedacht waren. Er hatte angenommen, Saphiras Vater wolle ihn auf diese Weise in seine Schranken verweisen und ihn von Saphira fernhalten. Doch er hatte sich in diesem Punkt geirrt. Der Alte hatte ihn nur anketten lassen, um sich selbst zu schützen. Wahrscheinlich hatte er Angst, er könnte ihm vor Wut den Hals umdrehen. Gut so, dachte er, wenn er erst frei wäre, dann konnte der Alte was erleben. Ruben zog und zerrte an seinen Fesseln, doch sie waren so fest in der Wand verankert, dass all seine Mühen von vornherein zum Scheitern verurteilt waren. Wenn Saphira doch nur kommen würde, um ihn zu befreien, diesmal würde er sie nicht davon abhalten.

Wieder hörte er die Schritte ihres Vaters. Mittlerweile konnte er sie gut von denen der Wachen unterscheiden, die die ganze Nacht in den dunklen Gängen patrouilliert hatten. Er betrat die Zelle, als wenn nie etwas gewesen wäre und er nie mit ihm gesprochen hätte.

»Saphira hat nach Euch gefragt!« Ruben zog erneut an seinen Fesseln.

»Habt Ihr es ihr gesagt?« Ihr Vater schüttelte seinen Kopf.

»Das könnt Ihr nicht machen! Sie hat ein Recht darauf, es zu erfahren.« Ruben schrie ihn an.

»Ich bestimme, wann sie es erfährt!«, schrie der Alte zurück.

»Liegt Euch so wenig an Eurer Tochter?«

»Was wisst Ihr denn schon?«

»Ich weiß, seit gestern, dass Ihr bereit seid, Eure Tochter zu opfern? Für was? Was ist es, das Euch antreibt und ich rate Euch, nennt mir einen vernünftigen Grund. Denn, wenn ich erst einmal diese Eisen«, wieder zerrte er an den Fesseln, »los bin, dann Gnade Euch Gott, wenn Ihr es aus purem Eigennutz getan haben solltet!«

»Ich tat es aus Liebe!«

»Welcher Liebe? Die zu Eurer Frau oder die zu Eurer Tochter?«

»Zu beiden!«

»Das kann ich nicht glauben!«

»Es ist aber so. Ich glaube, damit Ihr mich besser verstehen könnt, sollte ich Euch wirklich ein wenig mehr erzählen.«

»Das denke ich auch! Ihr werft mir einzelne Brocken vor die Füße und denkt ich würde sie fraglos schlucken wie ein Hund. Doch, wie ich schon sagte, ich bin kein Tier, also behandelt mich auch nicht wie eins, denn wenn das Tier seine Freiheit zurückerlangt, kann es seine Krallen ausfahren und beißen.«

»Ihr habt recht. Doch so ist es noch besser!«

»Besser für wen? Für Euch?« Ruben war so wütend, dass seine Halsschlagader hervortrat.

»Ich werde Euch wieder freilassen. Das verspreche ich Euch!«

»Und wann, wenn ich mir die Frage erlauben darf?«

»In ein paar Tagen!«

»Dann wollt Ihr sie also so lange von mir fernhalten und ihr nichts sagen, bis ...«

»Bis Ihr Euch wieder beruhigt habt«, nahm Atticus ihm das Wort aus dem Mund. »Ich will nicht riskieren, dass sie es von Euch erfährt!«

»Und was macht Ihr, wenn sie wieder heimlich hier herunterkommt?«

»Das wird sie nicht!«

»Ihr habt sie eingesperrt und lasst sie bewachen? Habe ich recht? Wie könnt Ihr nur?«

»Es ist genug! Wollt Ihr wissen, warum ich es zuließ oder wollt Ihr nicht?« Rubens Kieferknochen malten aufeinander, dann antwortete er ihm zähneknirschend.

»Tut, was Ihr nicht lassen könnt.«

»Es ist normalerweise ganz und gar nicht meine Art, so vorzugehen, wie ich es im Augenblick tue. Ich liebe meine Tochter mehr als mein Leben, denn sie ist das Einzige, was mir von Silvana geblieben ist. Doch, sie ist auch die einzige, die den Kreislauf unterbrechen kann, und genau darin besteht das Problem. Aber dafür muss ich etwas ausholen. Ich war in etwa in Eurem Alter, als zwischen meinem Heimatland und einem unserer Nachbarländer ein Krieg ausbrach. Warum genau, das kann ich Euch heute auch nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, doch im Grunde genommen tut das auch nichts zur Sache. Da ich zu diesem Zeitpunkt ein General der Armee unseres Landes war, beschloss man, mich und einen Teil unserer Streitkräfte, auszusenden. Wir sollten über das Meer kommen, und unseren Gegnern von dort landeinwärts in den Rücken fallen. Mein Heimatland grenzt im Osten an die Meerenge von Alara. Wir vermieden es immer, ihr zu nah zukommen, doch dieses Mal führte uns ein Navigationsfehler direkt hinein. Fünf Tage herrschte eine Flaute, sodass sich unser Schiff nicht einen deut bewegte. Selbst durch Rudern schafften wir es nicht hinaus. Dann hörten wir sie! Eine Stimme so lieblich wie der Gesang einer Göttin. Sie zog uns in ihren Bann. Keiner von uns war in der Lage sich zu rühren, geschweige denn seiner Arbeit nachzugehen. Und dann brach ein tosender Orkan über uns aus. Doch selbst da reagierten wir nicht. Unser Schiff zerschellte an den schroffen Klippen.

Ich hatte Glück und konnte mich in einem Beiboot retten. Das Boot strandete an einer Insel, während ich mich mehr tot als lebendig darin befand und fast schon aufgegeben hatte. Dann sah ich sie. Sie war das schönste Mädchen, das mir jemals begegnet war. Ihre Glieder waren so zart, dass man sie mit nur einer Hand hätte brechen können. Es war sofort um mich geschehen und ihr erging es ähnlich.« Atticus Augen blickten verträumt in die Ferne. Ruben schien es fast, als wäre sein Geist in eine andere Welt gegangen. »Wir haben uns sofort ineinander verliebt. Doch die Stimme, die wir gehört hatten, war die ihre gewesen. Ihre Aufgabe bestand darin, ahnungslose Seeleute in die Falle der Meerhexe zu locken, denn sie war eine ihrer Nachkommen.

Als sie mich sah, trotzte sie jedoch ihrer Ziehmutter. Sie wollte mich ihr nicht ausliefern, deshalb gab sie mir Nahrung und Wasser und versteckte mich vor ihr. Mehrere Wochen trafen wir uns heimlich und sie erzählte mir von ihrem Leben, das sie abgrundtief hasste. Sie hasste es, mit ansehen zu müssen, wie die gestrandeten Seeleute durch ihr dazutun am Strand förmlich verreckten und langsam verrotteten, so dass nur noch ihre blanken Knochen übrig blieben. Dieses Schicksal wollte sie mir ersparen. Deshalb half sie mir. Sie erzählte mir, dass es das Los aller Nachkommen der Meerhexe wäre, sich bei der Geburt eines Kindes in Stein zu verwandeln. Sie hatte beschlossen, es nie so weit kommen zu lassen, denn selbst das, was sie bisher für die Alte tun musste, war ihr ein Gräuel. Sich aber dann auch noch für sie zu opfern, war einfach zu viel des Guten. Ich respektierte ihre Entscheidung und fand mich damit ab, ihr nur hin und wieder einen Kuss stehlen zu können. So sehr ich es auch anders gewollt hätte, ich konnte einfach nicht mehr von ihr verlangen, als sie zu geben bereit war. Irgendwann aber, erwischte uns die Alte. Als sie mich entdeckte, sah sie in mir die Erfüllung ihrer Wünsche, denn, so frage ich Euch, wer wäre besser geeignet gewesen ihr das zu geben, wonach sie so gierte. Sie sagte mir, sie würde, wenn ich Silvana dazu bringen würde, bei mir zu liegen, den Fluch von ihr nehmen und wir könnten auf ewig zusammen sein. Da ich mir nichts lieber als das wünschte, willigte ich ein. Ich wusste damals ja nicht, dass sie ein heimtückisches Spiel mit uns trieb. Ihr sagte sie, sie würde mich töten und mir gaukelte sie vor, wir könnten zusammen leben. Doch sie ging noch viel weiter. Sie mischte Kräuter unter Silvanas und mein Essen, um, wie soll ich es ausdrücken?, die Fruchtbarkeit zu steigern. Wir hatten nur eine gemeinsame Nacht. Aber diese reichte vollkommen aus. Silvana empfing ein Kind und das Schicksal nahm seinen Lauf.« Er hielt inne und sah Ruben an. Als dieser nicht reagierte, fuhr er fort. »Wahrscheinlich hatte Samiramis Angst davor, wir könnten fliehen, deshalb ließ sie mich in ihren Kerker werfen. Zunächst war Silvana der festen Überzeugung, ich hätte sie verlassen, doch Merana, ihre alte Kinderfrau und jetzt Hebamme, versicherte ihr, dass dem nicht so war. Auf Samiramis Befehl erzählte sie ihr, ich hätte die Insel verlassen müssen, um für ihre Mutter einige Dinge zu erledigen. Erst kurz vor ihrer Niederkunft wurde ich freigelassen. Heute weiß ich auch warum. Sie bringt die Paare zusammen, damit sie gemeinsam verwandelt werden können. All ihre Töchter werden beim ersten Schrei ihres Kindes verwandelt, meist eilen die ahnungslosen Väter in den Raum und Samiramis braucht sie nur noch zu berühren, um es zu vollenden. Dann lässt sie die Statuen ihrer Opfer in ihre große Halle schaffen, um sich täglich an ihrem Anblick zu weiden.«

»Ihr seid aber entkommen!«

»Ja, mit Meranas Hilfe. Sie hat mir das Kind in die Arme gedrückt und einen geheimen Gang geöffnet, durch den ich mit Saphira floh. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne bei Silvana geblieben wäre. Aber sie bat mich inständig, während sie vor meinen Augen zu einer Statue wurde, das Kind vor Samiramis in Sicherheit zu bringen. Ich konnte einfach nicht anders, als ihr diesen Wunsch zu erfüllen.«

»Seitdem seid Ihr also mit Eurer Tochter auf der Flucht!« Atticus nickte.

»Die ersten Jahre irrten wir nur ziellos über die Weltmeere, dann aber fand ich diese Insel. Wie durch ein Wunder wurde sie nicht entdeckt und Saphira war in Sicherheit. Das änderte sich aber schlagartig mit Eurem Auftauchen. Ich wusste sofort, dass Ihr ihr Schicksal wart, denn die Prophezeiung beinhaltet einen Mann aus dem Meer.«

»Ihr redet andauernd von einer Prophezeiung. Welche Prophezeiung?«

»Samiramis ist nahezu unsterblich. Sobald ihre lebende Nachfahrin ein Kind zur Welt bringt, erneuert sie sich. Es ist, als würde sie durch die Geburt des Kindes ebenfalls neu geboren. Die Mütter verharren reglos in ihrer steinernen Hülle, wie gefrorene Wasserfälle, die auf den Frühling warten, um sprudelnd aus ihrer Starre zu erwachen. Doch nicht sie sind es die neu erwachen, sondern Samiramis. Es ist ein unendlicher Kreislauf. Doch dieser Kreislauf wird irgendwann von einer ihrer Nachfahrinnen durchbrochen, dann wird sie untergehen, genauso wie all die Schiffe, die sie in ihre Falle gelockt hat. Ich denke, Saphira ist diejenige, von der die Prophezeiung spricht. Hört selbst.

Mit List gezeugt, aus Leid geboren,

wird sie zu Höherem erkoren.

Aus Sehnsucht entsprungen, durch Hoffnung gefeit,

ahnungslos zur Liebe bereit.

Aus dem Meer wird er kommen, wie

vorherbestimmt,

der Kreislauf endet mit einem Kind.

Doch der Treue ergeben, wird sie weiter leben.

Sein Tod wird besiegeln, wie sehr sie sich lieben.

Um den Schmerz zu beenden, muss das Schicksal

sie wenden.

Das Lied muss erschallen, ihr Gesang wird

erklingen,

die Mauern fallen und die Felsen zerspringen.

Was verdammt, wird erlöst und ewig bestehen,

der Fluch wird gebrochen und die Macht

untergehen.

Die ersten Zeilen deuten eindeutig auf Saphira hin und Ihr seid der Mann aus dem Meer. Doch den Rest der Prophezeiung konnte ich bis heute nicht ergründen. Ihr glaubt nicht, wie oft ich diese Zeilen schon aufgesagt habe und wie viel Nächte ich wach lag, um den Sinn zu verstehen. Ich dachte, wenn ich Euch den nötigen Anreiz verschaffe ...«

»Warum habt Ihr mich nicht einfach gefragt?«

»Ich dachte, ihr würdet mir nicht glauben.«

»Ich habe Roxane erlebt und überlebt, glaubt Ihr, Eure Geschichte wäre so viel abwegiger?« Atticus schüttelte seinen Kopf. »Ich habe, weiß Gott, schon genug erlebt, um kein vorschnelles Urteil zu treffen. Ich hätte all die Jahre nicht unbeschadet überstanden, wäre es so gewesen. Ich bin auch kein Mann, der für seine Taten nicht geradesteht. Ich werde es Euch nur einmal sagen, ich liebe Eure Tochter und ich würde sie niemals schamlos im Stich lassen.«

»Das weiß ich jetzt auch, aber ich kannte Euch zu wenig, als dass ich Euch hätte vertrauen können.«

»Wärt Ihr öfter zu mir gekommen und hättet mit mir geredet, hättet Ihr es sicher gewusst und mir wäre das hier", er zog an seinen Ketten, »erspart geblieben.«

»Es tut mir leid! Aber, ich wusste nicht weiter und mein Plan schien so ...«

»Euer Plan war ein Witz. Doch er war in keiner Weise witzig genug, um über ihn lachen zu können. Und jetzt nehmt mir die Ketten ab, und lasst mich frei!« Atticus schüttelte seinen Kopf. »Ihr wollt mich immer noch nicht gehen lassen, obwohl ihr wisst ...?«

»Das ist es nicht! Ihr habt recht, ich muss zuerst mit ihr reden. Wenn sie erfährt, dass ich Euch freigelassen habe, dann rennt sie nur sofort wieder zu Euch und ich habe keine Gelegenheit mehr mit ihr zu sprechen.« Atticus wandte sich von ihm ab und trat durch die Zellentür.

»Nehmt mir wenigstens die Ketten ab! Verdammt!«

»Wenn ich mit ihr geredet habe!«

»Was seid Ihr nur für ein Mann?«

»Einer der nicht riskieren will, dass seine Tochter nie wieder mit ihm spricht!«

»Und Ihr denkt allen Ernstes, das zu erreichen, indem ihr mich länger als nötig hier angekettet lasst? Ihr seid so erbärmlich!«, schrie Ruben ihm hinterher, während Atticus schon durch die dunklen Gänge des Kerkers ins Haus eilte. »Ich hoffe, sie redet nie wieder mit Euch!«

Die Chroniken Aranadias II - Die Herrin der Seelen

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