Читать книгу Shinobi - Die Auslöschung - Danny Seel - Страница 13
Оглавление7. Schmerzvolle Prozeduren
„Aaaahhhh!“, brüllte Rintaro auf, als Yujiro seinen verwundeten Arm berührte.
Instinktiv zog Kiyonori die Hand zurück und warf Daisuke und Suzaku, die genauso wie er um Rintaro herum knieten, einen beunruhigten Blick zu. Alle Iga-Krieger waren geflüchtet und hatten sich in den Wald zurückgezogen, um dort Rast zu machen sowie um ihre Wunden zu versorgen.
„Daisuke“, versuchte der Chūnin Rintaros Gebrüll zu übertönen, „Halt ihn fest, sonst kann ich mir seine Verwundungen nicht richtig ansehen.“
Daisuke nickte und führte seinen Befehl aus. Während Rintaro unkontrolliert vor Schmerzen schrie, untersuchten Yujiro und Suzaku seine Wunden.
„Ich möchte euch nicht stören, aber könntet ihr euch vielleicht ein wenig beeilen?“, zischte ihnen Daisuke zu, der sich bemühte Rintaro niederzukämpfen, um ihn am Boden halten zu können.
Die anderen beiden besahen die vielen Löcher im Arm des Verwundeten. Schließlich schüttelte Kiyonori bedauernd den Kopf.
Erschrocken weitete Daisuke die Augen. „Was ist?“
Der Chūnin setzte sich wieder aufrecht hin, bevor er seinen beiden Waffenbrüdern abwechselnd Blicke zuwarf. „Wir haben nur wenig Zeit. Wenn wir alle Kugeln nicht so schnell wie möglich herausziehen, sind die Chancen sehr hoch, dass er an einer Blutvergiftung oder wegen Blutverlust stirbt.“
„Aber er hat doch mindestens ein halbes Dutzend Kugeln im Arm!“, meinte Suzaku verzweifelt. „Wir werden es nie schaffen, sie rechtzeitig zu entfernen!“
Yujiro seufzte. „Es tut mir leid, Rintaro …“ Er nahm tief Luft, bevor er weitersprach. „Wir werden ihm den Arm amputieren müssen.“
„Was?!“, fragten Daisuke und Suzaku wie aus einem Mund.
„Selbst wenn es uns irgendwie gelingt, all die Kugeln aus seinem Körper zu entfernen, ohne dass er eine Blutvergiftung bekommt“, fuhr Kiyonori fort, „wird er wahrscheinlich verbluten, bevor wir damit fertig sind. Wir müssen ihn amputieren.“
Seine beiden Waffenbrüder verstummten schockiert, sodass ihnen nichts außer Rintaros klagenden Schreien zu Ohren kam. Nach einer kleinen Weile tauschten sie einen Blick aus, bis Daisuke schließlich dem Chūnin ins Gesicht sah.
„Na gut … aber mach’s schnell.“
Yujiro wandte sich an Suzaku. „Finde zügig jemanden, der eine Shikoro hat – die größte, die du findest – und reinige sie! Doch beeil dich!“
Suzaku nickte und lief davon. Während sich Daisuke in Position brachte, um Rintaro besser halten zu können, rief Kiyonori einem vorbeigehenden Ashigaru zu, dass er ihm einen Druckverband sowie Saké, Reiswein, bringen sollte. Ohne die Antwort des Fußsoldaten abzuwarten, drehte er sich wieder Rintaro zu und zog ein Messer aus seinem Obi, seinem breiten Gürtel. Sich neben ihm hinkniend, schnitt er ihm den linken Ärmel ab und wartete dann auf die Ankunft seiner zwei Helfer.
Als sein Blick wieder auf den brüllenden Rintaro fiel, fühlte er sich auf einmal unwürdig, so einen Freund wie ihn zu haben. Rintaro hatte sich auf dem Schlachtfeld vor ihn geworfen, um ihm das Leben zu retten, und dabei sein eigenes gefährdet. Hätte er dies nicht getan, so wäre Yujiro wahrscheinlich nicht mehr hier. Sobald er dies begriff, spürte er große Dankbarkeit Rintaro gegenüber. Es schmerzte ihn sehr zu sehen, dass sein treuer Freund solche schrecklichen Qualen erdulden musste.
Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Hier, Kiyonori-san.“
Der Chūnin drehte den Kopf und erblickte den Ashigaru, den er losgeschickt hatte. Dieser überreichte ihm mit einer Verbeugung den Druckverband sowie den Saké. Dankbar nickend, nahm sie Yujiro entgegen. Schnell befeuchtete er die Binde mit dem Reiswein, bevor er die Flasche ergriff und Rintaro mit einiger Mühe dazu zwang, etwas davon zu trinken. Kaum war er damit fertig, erschien Suzaku und gab ihm eiligst eine gereinigte Shikoro, eine dünne Säge mit einer breiten Klinge, die wie ein Dolch aussah, bevor er sich Daisuke anschloss und ihm dabei half, Rintaro festzuhalten.
Ein wenig nervös drückte Kiyonori die Shikoro leicht ans Schultergelenk seines Freundes und schaute ihm ins tiefrote Gesicht. Sofort wurde er von Mitleid ergriffen. Die Schmerzen und die Erschöpfung standen Rintaro ins Gesicht geschrieben und die heiseren Schreie, die er von sich gab, ließen den Chūnin einen kurzen Augenblick lang an Kanagis Folter und Kuros brutalen Tod denken. Vor einigen Jahren waren Kuro, Izuya, Rintaro und er auf einer Mission nach Kiyosu aufgebrochen, wo sie gefangen genommen und von einem grausamen Folterer namens Kanagi gepeinigt worden waren. Es war dieser Kanagi gewesen, der seinen Jugendfreund Kuro zu Tode gefoltert hatte.
„Verzeih mir, bitte, mein Freund“, flüsterte Yujiro beim Anblick von Rintaros Qual.
Plötzlich stieß er die Shikoro in Rintaros Arm. Der Letztere fing an wie ein Verrückter zu brüllen und versuchte sich loszureißen, sodass es Daisuke und Suzaku viel Mühe kostete, ihn herunterzudrücken. Kiyonori dagegen musste sich nicht physisch, sondern psychisch sehr anstrengen, um die Klinge weiter in Rintaros Arm dringen zu lassen, während er sägte. Denn es war ihm nicht einfach die Schreie seines Waffenbruders zu ertragen, besonders weil er wusste, dass er es war, der ihm diese unerträglichen Schmerzen zufügte.
Mit einer letzten Bemühung trennte er den Arm vom Rest des Körpers ab. Sofort schoss ein Schwall Blut heraus und genau zur selben Zeit fiel Rintaro in Ohnmacht. Schnell packte Yujiro den Druckverband und stillte die Blutung, während er Suzaku und Daisuke befahl, Rintaro anzuheben, damit er die Binde um die Wunde wickeln konnte. Er drückte kräftig und verband mit Daisukes Hilfe den Armstumpf.
Sich den Schweiß von der Stirn wischend, setzte sich der Chūnin wieder aufrecht und bemerkte erst jetzt, dass einige seiner Kriegskameraden während der Amputation zugesehen hatten. Suzaku und Daisuke legten den bewusstlosen Rintaro wieder auf den Boden und sackten erschöpft neben ihm zusammen.
„Er sollte dies hoffentlich überleben“, versuchte Kiyonori seine Waffenbrüder zu ermutigen, erreichte jedoch dabei genau den Gegeneffekt.
„Sollte?“, fragte Suzaku bestürzt nach.
„Nun, ich kann es nicht garantieren. Er könnte noch eventuell an Blutverlust oder wegen einer Blutvergiftung sterben, wie bereits gesagt“, antwortete Yujiro und lehnte sich ein wenig zurück. „Jedenfalls werde ich persönlich dafür sorgen, dass er eine gute Behandlung bekommt, sobald wir in der Festung von Kashiwara sind.“
Jetzt, da er sich nun vorläufig um Rintaro gekümmert hatte, verspürte er auf einmal seine Erschöpfung und seine eigenen Verletzungen setzten ihm zu. Langsam erhob er sich und nahm dabei die Saké-Flasche.
„Ich gehe dann mal und säubere meine eigenen Wunden.“
Daisuke und Suzaku, die beide mindestens genauso ermüdet wirkten wie er, nickten.
„Beeil dich aber“, riet der Erstere. „Momochi-sama hat vor, bald wieder aufzubrechen, um die Festung Kashiwara noch vor der Abenddämmerung zu erreichen.“
Der Chūnin nickte einfach zurück, bevor er sich von ihnen abwandte und geradeaus schritt.
Nach einer Minute, nachdem er an Dutzenden anderen Iga-Kriegern vorbeigegangen war, erreichte er einen kleinen Fluss, der sich durch den Wald schlängelte. An seinen Ufern konnte er mehrere seiner Kriegskameraden erkennen, die entweder erschöpft vor sich hinstarrten oder ihre Wunden säuberten.
Mit einem leisen Stöhnen setzte sich auch Yujiro ans Ufer. Gemächlich ließ er seine Beine im Fluss baumeln und seufzte erleichtert auf. Kurz schloss er vor Genugtuung die Augen, als er das kalte, frische Wasser spürte, welches seine ermüdeten Füße umspülte. Er entspannte seine verkrampften Muskeln und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Einen Moment lang vergaß er sogar all seine Sorgen.
Beiläufig ins Wasser blickend, nahm er zum ersten Mal den Schnitt unter seinem rechten Auge wahr, den ihm Takeru zugefügt hatte. Erst jetzt begriff er, wie viel Glück er gehabt hatte. Wäre die gegnerische Klinge bloß nur ein klein wenig höher eingedrungen, hätte die Naginata sein Auge durchstochen.
Ausatmend tauchte er die Hand ins Wasser, bevor er mit dem nun feuchten Zeigefinger vorsichtig die Schnittwunde tupfte. Die Luft durch zusammengebissene Zähne einsaugend, zuckte er auf. Erneut spürte er, wie sich seine Glieder vor Schmerz versteiften, doch er zwang sich, diesen zu ignorieren und begann mühsam seine Wunde zu reinigen.
Es dauerte nicht lange, bis er begriff, dass Sowanos Schwertstoß ihm eine lebenslange Narbe hinterlassen würde. Wieder einmal spürte er den aufsteigenden Hass in sich, als er an Takeru dachte. Doch er schaffte es, seine Gedanken zu unterdrücken und sich seiner gegenwärtigen Aufgabe zuzuwenden.
Sobald er den Schnitt mithilfe des Reisweins gesäubert hatte, schnallte er seinen Brustharnisch ab, öffnete seinen Kimono und entblößte somit seinen Oberkörper. Er betrachtete die Verwundungen, die er während der Schlacht erlitten hatte. Keine von ihnen war lebensgefährlich und es schienen lediglich Prellungen sowie leichte Schnitte zu sein. Er beschloss, dass die Behandlung dieser kleinen Verletzungen warten könnte, bis er in der Festung von Kashiwara war und legte deshalb seinen Brustpanzer wieder an.
Er wollte gerade aufstehen und zurück zu seinen Waffenbrüdern gehen, als er Schritte hinter sich vernahm. Sich umdrehend, erblickte er einen Mann mit langen, grauen Haaren, die zu einem Haarknoten verbunden waren, und der einen Dreitagebart hatte. Der Letztere blieb mit einer tiefen Verbeugung vor ihm stehen. Es war Yoshida.
„Kiyonori-san“, sagte dieser. „Habt tausend Dank dafür, dass Ihr mir das Leben gerettet habt.“
Yujiro lächelte matt und nickte. „Nicht der Rede wert.“
Yoshida erwiderte sein Schmunzeln und verbeugte sich erneut tief, bevor er sich entfernte. Der Chūnin schaute ihm noch einige Momente lang geistesabwesend nach. Yoshidas Erscheinen ließ ihn an eine andere Person denken, die er auf dem Schlachtfeld aus dem Blick verloren hatte und er stellte sich wieder dieselbe Besorgnis erregende Frage: Wo war Ryuzaki?
Seit dieser von hinten angegriffen und verwundet worden war, hatte er ihn nicht mehr gesehen. Wieder verspürte er große Sorgen. Er vermutete das Schlimmste. Es war schon schwer genug, dass er Izuya verloren hatte. Wenn auch noch Ryuzaki tot war … Er schluckte.
Er konnte nur zutiefst hoffen, dass sein Neffe irgendwie überlebt hatte.
Seufzend zog er seine Füße aus dem Wasser und stand wieder auf. Gedankenverloren blickte er auf die Oberfläche des Flusses. Das schöne, glänzende Wasser schien irgendwie nicht zu seinen düsteren Gedanken zu passen.
Er nahm sich zusammen und drehte sich um, um sich wieder zu seinen Waffenbrüdern zu begeben. Abrupt hielt er mitten in seinem Schritt inne und weitete ungläubig die Augen, als er einen jungen Mann humpelnd auf sich zukommen sah.
„Ryuzaki-kun!“, rief er erfreut aus und eilte dem Ankömmling entgegen.