Читать книгу Shinobi - Die Auslöschung - Danny Seel - Страница 16
Оглавление10. Wiedervereinigt
Aufgeregt die Menge mit den Augen absuchend, konnte der Chūnin endlich seine Schwester Sayuri zusammen mit ihren zwei Kindern Akemi und Taiki ausfindig machen. Diese versuchten einen Weg durch die vielen Menschen zu ihm zu bahnen und wurden von Natsuko, Izuyas Frau, gefolgt. Kiyonori wechselte einen erfreuten Blick mit seinem Neffen aus, bevor sie beide in die Richtung ihrer Verwandten eilten.
„Mein Sohn! Du lebst!“, rief Natsuko aus, sobald sie Ryuzaki erreichte. „Geht’s dir gut? Hast du irgendwo Schmerzen? Du bist doch nicht verletzt?“
Ryuzaki brachte ein mattes Lächeln zu Stande. „Mir geht’s gut, Mutter. Schließlich lebe ich noch.“
Während ihn Natsuko weiter mit Fragen überhäufte, blieben Sayuri und ihre Kinder mit strahlenden Gesichtern neben Yujiro stehen. Dieser konnte an dem Blick seiner Schwester ablesen, dass sie den großen Drang, ihn zu umarmen, unterdrückte.
„Du bist zurück“, flüsterte sie einfach und kam ihm näher.
Ihr Bruder wollte etwas sagen, hielt jedoch inne, sobald er Sayuris besorgten Ausdruck sah, als sie die Narbe auf seinem Gesicht betrachtete. Akemi und Taikis Aufmerksamkeit richtete sich ebenfalls auf die Wunde, die ihr Onkel unter dem Auge hatte, blieben aber etwas hinter ihrer Mutter stehen.
„Euer Anblick ist wirklich eine wohltuende Salbe für meine Seele“, teilte ihnen der Chūnin mit einem warmen Lächeln mit. „Wenigstens seid ihr noch da …“
Auf einmal kniff Sayuri erschrocken die Augen zusammen. „Was meinst du mit ‚wenigstens‘? Wo ist Izuya?“
Yujiro öffnete den Mund, konnte jedoch nicht die richtigen Worte finden, als er an Izuyas Tod dachte. Auch Natsuko schien diesen letzten Wortwechsel mitbekommen zu haben und blickte ihn fragend an. Ihm wurde sehr schwer ums Herz und er spürte, wie seine verborgene Trauer langsam wieder an die Oberfläche stieg.
Unsicher wie er es erklären sollte, sah er einfach Natsuko an, während er nach Worten suchte. Doch der Blick in seinen Augen genügte, um ihr das Schicksal ihres Mannes zu verraten.
„Nein!“, flüsterte sie erschüttert.
Die Reaktion ihrer Schwägerin sowie deren Kindern widerspiegelte die Natsukos, als auch sie sich der grausamen Wahrheit bewusst wurden. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie tauschten gramerfüllte Blicke miteinander aus.
„Nein!“, wiederholte Natsuko noch einmal und fing dann an, laut zu schluchzen.
Mit bebender Unterlippe kam Sayuri auf sie zu, wobei Natsuko ihr Weinen überhaupt nicht mehr kontrollieren konnte. Auch die Erstere konnte sich nicht mehr zurückhalten und folgte dem Beispiel ihrer Schwägerin. Taiki senkte den Kopf und versuchte seine Tränen zu unterdrücken, versagte jedoch, während Akemi, die genauso wie er zutiefst bedrückt weinte, einen Arm um seine Schulter legte.
Yujiro bemerkte, dass auch Ryuzaki große Schwierigkeiten dabei hatte, seine Tränen zurückzuhalten. Doch mitten in all der Trauer seines Neffen konnte er eine andere Emotion erkennen: die Verbitterung. Dieser starrte entschlossen vor sich hin, während er sich bemühte seine Gefühle nicht zum Vorschein kommen zu lassen.
Auch Kiyonoris Augen waren feucht. Schluckend blickte er seine Verwandten an und wurde noch mehr von seiner Betrübnis überwältigt, als er ihren Kummer sah. Wieder einmal musste er an das Heldentum seines Bruders denken sowie an dessen Selbstlosigkeit. Was er getan hatte, gab ihm die Möglichkeit jetzt weiterzuleben, anstatt tot auf dem Schlachtfeld zu liegen …
„Izuya ist nicht umsonst gestorben“, teilte er plötzlich seinen Verwandten mit. „Wenn er es nicht gewesen wäre, so wären Suzaku, Rintaro und ich nie lebend zurückgekommen. Er hat sich geopfert, damit wir entkommen konnten …“
Er machte eine Pause und sah sie alle nacheinander an, um sich zu vergewissern, dass sie ihn auch gehört hatten. Anscheinend war es der Fall, denn einige von ihnen senkten verständnisvoll den Blick.
„Ich möchte deshalb, dass ihr – jedes Mal, wenn ihr an ihn denkt – euch daran erinnert, dass er ein wahrer Held war“, fuhr Yujiro fort. „Behaltet ihn so in Erinnerung. Wir werden ihn zwar immer vermissen, doch wir werden es nie vergessen, dass er durch seine eigene Selbstlosigkeit gestorben ist. Durch seine Entscheidung sein Leben aufzugeben, damit andere leben konnten.“
Keiner seiner Verwandten weinte mehr, doch sie schnieften noch und wischten sich die Tränen ab. Bevor er etwas hinzufügen konnte, wurde jeglicher Lärm, die die Menschenmenge erzeugte, von einem Ruf übertönt.
„Ich bitte um Ruhe!“, befahl jemand maßgebend.
Suchend konnte der Chūnin den Besitzer der Stimme lokalisieren. Es war Momochi, der vor dem Hauptgebäude stand. Dieser blickte auf seine Untergebenen und wartete auf völliges Schweigen.
„Ruht euch heute gut aus, Männer! Denn morgen früh werden die Oda an unserer Pforte hämmern.“
Ohne ein weiteres Wort, drehte sich der Jōnin um und verschwand im Haus. Die Menge blieb einige Sekunden lang still, bevor sie sich langsam begann aufzulösen.
Yujiro schaute in den Himmel und bemerkte zum ersten Mal, wie dunkel es geworden war. Die letzten Sonnenstrahlen waren noch am Horizont zu sehen, die die Festung leicht erleuchteten. Nun nahm er wieder den Schweiß wahr, der an seinem ganzen Körper klebte. Mit einem erschöpften Seufzen ließ er seinen Blick auf seiner Schwester ruhen, die ihm sowie Ryuzaki zuwinkte.
„Folgt mir, ich werde euch zeigen, wo ihr schlafen werdet.“
Ryuzaki und Kiyonori gingen ihr hinterher, wobei sich ihnen Natsuko, Akemi und Taiki einen Augenblick später anschlossen.
„Leider werdet ihr nicht viel Platz haben“, fuhr Sayuri schniefend fort, als sie sie in eines der kleinen Häuser führte. „Außerdem gibt es hier in der Festung von Kashiwara nicht viele Futon, die deshalb den Älteren zugewiesen wurden, sodass wir alle ohne Matratze schlafen werden müssen.“
Sie passierte zwei Zimmer, bevor sie ein weiteres betrat und dort stehen blieb.
„Hier“, sagte sie und ließ ihre Begleiter in den Raum hereingehen.
Der Chūnin musste feststellen, dass es nicht nur ein eher kleines Zimmer ohne jegliche Möbel war, sondern dass dort auch bereits ein paar Menschen schliefen. Ihm wurde klar, dass er den Raum mit vielen anderen teilen werden müsste. Trotzdem nickte er seiner Schwester dankbar zu und legte sich anschließend in einer Ecke des Zimmers hin.
Einige Handbreit von ihm entfernt ließ sich einen Moment später Ryuzaki nieder, bevor auch seine anderen Verwandten ihre Schlafplätze im engen Raum einnahmen. Alle sechs blieben eine Weile lang wach und konnten nicht einschlafen. Sie widmeten ihre Gedanken Izuya. Nach zwei oder drei schlaflosen Stunden wurde Yujiro von der Erschöpfung komplett überwältigt und ihm fielen endlich die Augenlider zu.
Ryuzaki dagegen konnte kein Auge zubekommen. Dauernd wurde er von der Trauer und dem Grauen gepeinigt, als er an die Schlacht sowie an seinen verstorbenen Vater dachte. Geistesabwesend starrte er die Decke an und versuchte an nichts zu denken. Doch es gelang ihm nicht. Und sein Kummer kehrte ständig wieder zurück.
Plötzlich riss ihn eine leise Stimme aus den Gedanken: „Ryu? Schläfst du schon?“
„Hmm … äh nein“, antwortete er flüsternd und blickte sich verwirrt in der Dunkelheit des Zimmers um, wobei er sich auf seinen Ellbogen abstützte. Sein Blick fiel auf Akemi, die einige Armlängen entfernt von ihm saß und anscheinend auch nicht schlafen konnte.
„Nein“, wiederholte er. „Wieso?“
Seine Cousine öffnete den Mund, um eine Antwort zu geben, schloss ihn jedoch etwas unsicher wieder und erhob sich. Mit langsamen Schritten umging sie die schlafenden Menschen, bevor sie sich neben Ryuzaki hinsetzte.
„Ich muss dich etwas fragen“, wisperte sie beunruhigt.
Der Letztere, der sich inzwischen aufgesetzt hatte, konnte wohl sehen, dass ihr etwas auf dem Herzen lag und wartete deshalb respektvoll darauf, dass sie weitersprach. Akemi stieß einen langen, aber leisen Seufzer aus und umschlang ihre Knie, während sie nachdenklich vor sich hin starrte und nach den richtigen Worten suchte.
„Wo ist Ayato?“, fragte sie schließlich und schaute ihrem Cousin direkt in die Augen.
Zu ihrem Entsetzen sah sie, wie Ryuzaki auf einmal traurig wurde und wie ihm Schmerz übers Gesicht zuckte.
„Ich weiß es nicht, oh meine Güte, ich weiß es wirklich nicht“, murmelte er, als er seine aufsteigenden Tränen wieder niederkämpfte.
„Wie meinst du das?“, flüsterte Akemi verwirrt, wobei Sorge und Schwäche durch ihre Stimme sickerten.
Ryuzaki antwortete nicht sofort und blickte sie zuerst nur an. Er bemerkte, wie sie angefangen hatte, leicht zu zittern und wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Zögernd öffnete er den Mund.
„Warte“, kam ihm Akemi zuvor, die begonnen hatte zu schniefen. „Versprich mir … dass du mir die ganze Wahrheit sagst und mich nicht anlügst.“
Ryuzaki senkte eine Weile lang nachdenklich den Blick, bevor er seufzend nickte. „Na gut … Ich werde dir alles sagen, was ich weiß–“
„Könntet ihr nicht gefälligst leiser sein?“, murmelte einer der schlafenden Männer übellaunig.
„Entschuldigung“, antwortete Ryuzaki und senkte die Stimme. Sobald er seine Gedanken sammeln konnte, schaute er Akemi an. „Ayato und ich haben während der Schlacht lange Seite an Seite gekämpft. Er hat mir sogar das Leben gerettet. Doch als Momochi-sama den Befehl gab, sich zurückzuziehen und wir fliehen mussten, verloren wir uns gegenseitig inmitten des Kampfgewühls. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“
Ryuzaki verspürte tiefere Traurigkeit, als er den Schmerz in Akemis Augen sah. Tränen liefen ihr über die Wangen und sie begann noch mehr zu schniefen.
„Akemi, weine nicht“, bemühte er sich, sie zu beruhigen. „Ich weiß, dass er irgendwie überlebt haben muss. Ich weiß es.“
„Aber wieso ist er dann nicht hier?“, wollte sie verzweifelt wissen, während sie sich einige Tränen aus dem Gesicht wischte.
„Vielleicht hat er sich die ganze Zeit zwischen den Leichen versteckt und–“
„Bitte hör auf!“, unterbrach ihn Akemi erschüttert, sobald sie das Wort „Leichen“ hörte.
Ryuzaki bemerkte, dass es zu viel für sie war. Als sie dann dazu noch in Tränen ausbrach, empfand er das tiefste Mitleid ihr gegenüber, denn er wusste, dass Ayato ihr sogar mehr bedeuten musste als ihm. Tröstend legte er seinen Arm um ihre Schultern.
„Er lebt noch, ich weiß es einfach“, wisperte er ihr nach einigen Sekunden überzeugt zu. „Ich weiß es einfach.“