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2.1.2 Kompetenztheoretischer Bestimmungsansatz

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Kompetenztheoretische Ansätze beziehen sich in der Regel auf die ursprüngliche Definition von Weinert, welche auch im Rahmen der Kompetenzorientierung in Schulen nach PISA verbreitet die Grundlage für didaktisch-methodische Überlegungen und Standardentwicklung geboten hatte. Nach Weinert (2001b) versteht man unter Kompetenzen die

bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (ebd.: 27f.).

Folglich liegt in einer Kompetenzorientierung nach Weinert der Fokus auf dem Lösen eines Problems bzw. einer Problemstellung, welche/s spontan im Handeln auftritt, bewusst in einem Lehr-/Lernprozess aufgeworfen wird und dann für diesen Prozess genutzt werden kann. Die Kompetenzen zum Lösen dieser Problemstellungen werden jedoch grundsätzlich als erlern- bzw. vermittelbar herausgestellt.

Die oben bereits aufgeführte Kritik Baumert und Kunters (2006) am strukturtheoretischen Ansatz hat deren Sichtweise bereits in Grundzügen insofern verdeutlicht, als dass sie die Unplanbarkeit und Antinomien des Lehrer*innenhandelns als solche nicht als zentral sehen, sondern erlern- und ausbaubare Kompetenzbereiche definieren in Anlehnung an die Arbeiten zum professionellen Wissen von Shulman (1986, s.u.) und Bromme (1992) sowie zur Kompetenzdiagnostik in Schule, wie sie Weinert (2001b) geprägt hat, um letztlich das Lehrerhandeln kompetenztheoretisch zu bestimmen (vgl. auch Helmke 2015). Letzteres ist dann erfolgreich, wenn „es Lehrkräften gelingt, Lernprozesse von Schülerinnen und Schülern zu initiieren und zu unterstützen, sodass die schulischen Lernziele erreicht werden“ (Baumert/Kunter 2011: 30). Baumert und Kunter räumen zwar ein, dass das Lehrerhandeln tendenziell unsicher und nicht standardisierbar ist,

[daraus] folgt jedoch weder, dass die persönlichen Voraussetzungen, die notwendig sind, um in dieser Situation erfolgreich zu handeln, nicht beschrieben werden könnten, noch, dass diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht erlernbar oder vermittelbar seien. (ebd.)

Hierdurch wird im kompetenztheoretischen Bestimmungsansatz vornehmlich Wert auf „die empirische Erforschbarkeit des komplexen unterrichtlichen Geschehens“ (Terhart 2011: 207) gelegt, professionelles Handeln wird mitsamt seiner Fundamente in Wissen und Kompetenzen für Lehrerinnen und Lehrer im Großen und Ganzen erlernbar. Mit in das kompetenztheoretische Feld – von einem weiten Kompetenzbegriff ausgehend – einbezogen werden daher auch Expertiseansätze, die vor allem die pädagogisch-psychologische Forschung zu Lehrkräften seit den 80er Jahren prägen, häufig in der Diskussion um Lehrerprofessionalitätsansätze aber separat betrachtet werden. Zentral innerhalb des Expertiseansatzes ist der Fokus auf Wissensbestände und Routinen, die sich über den Ausbildungs- und Tätigkeitsverlauf vom Novizen hin zum Experten über mehrere Stufen entwickeln (vgl. z.B. Bromme 1992, Berliner 1988). Rekurrierend auf verschiedene Kompetenzdefinitionen und Wissensforschung innerhalb des Novizen-Experten-Paradigmas wird dem folgend im Rahmen der einflussreichen COACTIV-Studie die professionelle Kompetenz für Mathematiklehrkräfte modelliert: Professionelle Kompetenz besteht in COACTIV aus den vier Bereichen „Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele“, „Motivationale Orientierungen“, „Selbstregulation“ sowie Professionswissen (s. Abbildung 2; vgl. Baumert/Kunter 2006, 2011). Letzteres übernimmt in seiner Untergliederung die Wissensdomänen von Shulman (1986) als Kompetenzbereiche und ergänzt diese um das Organisationswissen sowie das Beratungswissen, jene werden in der Übersicht jedoch zunächst nicht weiter aufgeschlüsselt.

Abb. 2:

Modell professioneller Handlungskompetenz – Professionswissen (Baumert/Kunter 2006: 482).

Die Diskussion um pädagogisches Wissen und Wissensdomänen maßgeblich beeinflusst haben zwei Jahrzehnte zuvor die Arbeiten von Shulman (1986, 1987). Er arbeitet heraus, dass noch im 19. Jahrhundert das Handeln und die Qualifikation von Lehrkräften maßgeblich durch ihr Inhaltswissen („knowledge of content“; Shulman 1986: 7) geprägt war, während zur Zeit seiner Beiträge in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts primär Fragen des Classroom managements im Fokus von Praxis und Forschung geraten waren. Dadurch sei in den Hintergrund gerückt, woher das Wissen der Lehrkräfte stamme und wie sie ihr unterrichtliches Handeln mit Fachwissen begründen oder auch in welchem Verhältnis es zu allgemein-pädagogischem Wissen steht. 1987 führte er die folgenden Wissensbereiche als essentiell für das Lehrerhandeln auf (vgl. Shulman 1987: 8):

 Fachwissen (content knowledge),

 allgemein-pädagogisches Wissen (general pedagogical knowledge),

 curriculares Wissen (curriculum knowledge),

 fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge),

 Wissen über Lernende und ihre Eigenschaften (knowledge of learners and their characteristics),

 Wissen über pädagogische Kontexte (knowledge of educational contexts),

 Wissen über pädagogische Ziele und Werte (knowledge of educational ends, purposes, and values, and their philosophical and historical grounds).

Um die Bedeutung der Verknüpfung zwischen Fach- und fachdidaktischem Wissen wiederherzustellen, gestand Shulman in seiner Konzeption einer pädagogischen Wissensbasis dem fachdidaktischen Wissen einen großen Raum ein. Er prägte damit die Idee des Pedagogical content knowledge. Dieses Wissen beinhaltet für Shulman dementsprechend nicht nur die bedeutendsten fachwissenschaftlichen Konzepte eines Unterrichtsfaches, sondern auch umfängliches Wissen über dessen methodisch-didaktische Zugänge, zugeschnitten und möglichst variabel einsetzbar für verschiedene Zielgruppen von Lernenden (d.h. verschiedene Altersstufen, Vorkenntnisse, Ziele).1 Grob strukturiert wird dieses Wissen durch curriculares Wissen, welches durch Vorgaben bestimmte Inhalte und Themen vorgibt, wodurch wiederum den Lehrkräften diverse Materialien zur Verfügung stehen, welche sie möglichst flexibel, begründet über ihr fachdidaktisches Wissen, einsetzen (vgl. Shulman 1986, 1987).

Als eine der Wissensgrundlagen in der universitären Lehrerbildung dient primär (erziehungs-)wissenschaftliches Wissen, welches jedoch nicht direkt auf die Praxis übertragen werden kann (vgl. Radtke 1996, Neuweg 2004/2014). Hierdurch wird das vielzitierte Theorie-Praxis-Problem häufig von Seiten der Lehramtsstudierenden aufgeworfen, da ein Anwendungsbezug im Sinne eines reflektierenden Transformierens von Wissen nicht erfolgt.

Bezüglich der innerhalb von Lehrerbildung gültigen, vermittelten, oder besser: putativ vermittelbaren, Wissensstrukturen wird demnach hinterfragt, welche Wissensbestände tatsächlich für die Praxis wirksam sein können. Im Gesamtzusammenhang von Wissensforschung und wissenssoziologischen Ansätzen, die dann das Wissen von Lehrkräften (und die Umsetzung dessen in praktischem Handeln) untersuchen, wird gerade dann die Bedeutung impliziten Wissens wiederholt herausgestellt, da wissenssoziologisch davon ausgegangen wird, dass gerade implizites Wissen als handlungsleitend gilt (vgl. Mannheim 1964, Bohnsack 2017). Auch im Anschluss an Polany (2016) betont Neuweg (2004, 2014) wiederholt, dass Professionelle auf impliziter Ebene mehr wissen, ebenfalls routiniertes Handlungswissen entwickelt haben, als sie explizit zu formulieren im Stande wären (vgl. auch Shulman 1987). Er definiert innerhalb dreier Kategorien von Lernen, Wissen und Handeln drei Begriffe von Lehrerwissen (s. Abbildung 3; vgl. Neuweg 2014), von denen erstes gewissermaßen das (universitäre, fachliche, fachdidaktische und pädagogische) Ausbildungswissen darstellt, das „gelernt“ werden kann, gleichzeitig aber durch Erfahrungslernen geprägt ist und wird. Dieses Wissen wiederum formt sich im zweiten Wissenskonzept als mentale Struktur und „psychologisches Konstrukt“ (ebd.: 584): Hier formieren sich explizites und implizites Wissen, informiert und prägt sich gegenseitig, ist aber – wie angedeutet – insbesondere auf impliziter Ebene nicht direkt greifbar. Beide Wissensformen wiederum können sich im Handeln, „Wissen 3“ nach Neuweg (vgl. Abbildung 3), und hier in bestimmten Handlungsepisoden äußern, welche sich im Sinne eines Könnens zeigen, welches aber dann empirisch hingegen von außen mittels anderer Wissensbestände von Forschenden rekonstruiert und interpretiert wird.

Abb. 3:

Konzepte des „Lehrerwissens“ (Neuweg 2014: 585).

Lehrer*innenwissen ist folglich nicht nur ein komplexes Konstrukt, es ist zudem für Forschung nur schwer greifbar, was wiederum Lehrerbildung und Lehrerprofessionalisierung im Bereich des Herausarbeitens oder Förderns von Professionswissen vor Herausforderungen stellt: „Beim Lehrerwissen in diesem Sinne [Wissen 3; Anmerkung D.G.] handelt es sich aber nicht um das Wissen des Lehrers, sondern um das Wissen des Forschers, der die Logik des Handelns (!) von außen rekonstruiert.“ (ebd.: 585; Hervorhebung im Original) Für Neuweg ist dementsprechend das Theorie-Praxis-Problem die Differenz zwischen Wissen 1 und 3, gleichzeitig betont er, dass für alle drei Wissensformen aus inhaltlicher (lehrerbildender) wie empirischer Perspektive bislang nur unbefriedigende Ergebnisse vorliegen – trotz großer Erhebungen sowohl im qualitativen als auch im quantitativen Forschungsparadigma und ebenso besonders im Umgang mit der Wissenskonzeptbildung und definitorischer (Un-)Schärfe: „Die Lehrerwissensforschung umgeht das Problem bisweilen rhetorisch.“ (ebd.: 600) Hierdurch verschwimmen für Neuweg viel zu häufig die Grenzen zwischen Wissen, Kompetenz, Handeln und Können.

Außerdem gilt über verschiedene professionelle Wissensbestände und Kompetenzen auch: „Professionalität im Lehrerberuf meint mehr als das Erreichen eines bestimmten Niveaus an professioneller Handlungskompetenz.“ (Cramer 2012: 520) Aus diesem Grund werden innerhalb des kompetenztheoretischen Bestimmungsansatzes in der Regel ebenfalls lehrerpersönlichkeitsrelevante Aspekte herausgestellt, finden sich wieder z.B. in den Modellierungen von Baumert/Kunter (2006, 2011) sowie bei Helmke (2015) mitsamt Überzeugungen, Haltungen und Glaubenssätzen (Beliefs), welche wiederum Handeln beeinflussen (können).2 Diese wiederum werden – und das wird auch von Vertreterinnen und Vertretern innerhalb des kompetenztheoretischen Ansatzes geteilt – durch persönliche (berufs-)biographische Erfahrungen maßgeblich geprägt und leiten damit hier über zu einem weiteren, möglichen Bestimmungsansatz für Lehrerprofessionalität und -professionalisierung.

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