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3.1.3 Aktionsforschung und Interventionen

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Umfassendere, langfristige Prozesse von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung innerhalb der deutschen, phasigen Lehrerbildung wurden bislang kaum untersucht. Vielmehr sind es bestimmte Interventionen im Studium oder im Schuldienst, die auf ihre Wirkung auf Seiten der Lehramtsstudierenden oder der Lehrkräfte hin betrachtet werden. Häufig anschlussfähig an die Konstrukte Reflexion und Reflexivität kann im Bereich von Fremdsprachenlehrerprofessionalisierung als eine durchaus prominente Interventionsmaßnahme die Aktionsforschung (auch Handlungs- oder Lehrerforschung) gesehen werden, die sich nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern auch besonders international gemessen an der Zahl der Veröffentlichungen stark steigender Beliebtheit erfreut.1 Der Ansatz bezeichnet dabei zunächst einmal „eine Arbeitsrichtung …, die Lehrpersonen dazu animiert und dabei unterstützt, ihre Praxis zu erforschen und weiterzuentwickeln“ (Altrichter/Feindt 2014: 285), gleichsam die Förderung des in den Lehrerbildungsstandards für das Fachprofil Neue Fremdsprachen aufgeführten „forschenden Habitus“ (s.o.). Diese Haltung scheint insbesondere virulent durch die Neufokussierung auf die Rolle der Lehrperson im allgemeinpädagogischen – und wenn man so möchte Hattieschen – wie auch fachdidaktischen Sinne einer soziokulturellen Wende, Lehrer*innen dazu ermutigend „active users and producers of theory in their own right, for their own means, and as appropriate for their instructional contexts“ (Johnson 2006: 240) zu werden. Wie Borg (2013) im Anschluss an seine Beliefs-Forschung darstellt, kann er jedoch trotz der großen Befürwortung einer solchen Lehrerhaltung, kaum feststellen, dass Aktionsforschung (Teacher research) tatsächlich (auch international) kohärent und nachhaltig in Lehrer*innenbildung oder der Praxis eingesetzt wird:

Despite much theoretical advocacy as well as practical guidance in the form of research methods manuals for language teachers, it was clear from my reading and work in a range of international contexts that, for most teachers, teacher research remained a foreign concept, or at least and unfeasible one. (ebd.: 1)

Überzeugt vom Ansatz und gleichzeitig im Bewusstsein der Tendenz Aktionsforschungs-feindlicher, bildungspolitischer Rahmungen in den verschiedenen Kontexten, die er erlebt hat, präsentiert er neben einer Metaanalyse der vorliegenden empirischen Studien vier eigene Untersuchungen mit über 1.700 Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern. Obwohl in Teilen der Publikation die Grenze zwischen Aktions- und Unterrichtsforschung zu verwischen scheint – und nebenbei zudem wenig konkrete Ansätze von Aktionsforschung an sich in den Fokus gerückt werden – zielt die Arbeit in Borgscher Tradition tatsächlicher eher auf die Einstellungen der an Fremdsprachenlehrerbildung beteiligten Personen ab, inwiefern diese ihre Praxis beforschen bzw. Lehrkräfte hierzu ermutigen. Dabei sind die Gründe für Lehrpersonen, nicht aktionsforschend tätig zu werden, relativ offensichtlich: „a lack of time, a belief that doing research was not part of their job, and a lack of skills and knowledge” (ebd.: 212). Es wird offensichtlich, dass Borg eine sehr akademische Sichtweise auf Teacher research verfolgt, die nicht, wie häufig konzeptualisiert, mittels basaler, forschungsmethodischer Ansätze anhand des kleinen Klassensamples gewisse Effekte des Lehrer*innenhandelns messbar machen möchte, dass eine gewisse „forschende Haltung“ als zielführend für jegliche Unterrichtsplanung und -evaluation gesehen wird. Vielmehr geht es ihm (auch) um die Rezeption (und eigene Publikation) von Interventionsergebnissen in internationalen Journals, während in bestimmten internationalen Kontexten tatsächlich eine Dissemination von Praxisforschungsprojekten stattfindet, dies jedoch eher im Rahmen von kleineren Reflexionsgruppen innerhalb bspw. eines Kollegiums erfolgt.

Während in der deutschen Fremdsprachenforschung bereits Marita Schocker-von Ditfurth (2001, s.o.) in ihrer Habilitationsschrift im Kontext des forschenden Lernens im Fachpraktikum2 angehender Fremdsprachenlehrkräfte zeigte, wie dieses Lernen auch das Selbstverständnis formen und es in Relation zu den Anforderungen eines kommunikativen Fremdsprachenunterrichts setzen kann, geht ein anderes Projekt, neben anderen von ihr initiiert, einen anderen, weil unmittelbar in der Praxis und bei Lehrkräften ansetzenden Weg: Der Studiengang E-LINGO – Didaktik des frühen Fremdsprachenlernens an der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat die (Weiter-)Qualifikation von Primarfremdsprachenlehrkräften zum Ziel und wurde durch Publikationen konzeptionell dargestellt (vgl. z.B. Legutke/Schocker-von Ditfurth 2008) sowie durch entsprechende Qualifikationsschriften (vgl. Zibelius 2014, Benitt 2015) begleitend erforscht. Mittels eines (berufsbegleitenden) Blended Learning-Formats qualifizieren sich hier (angehende) Lehrpersonen für den Grundschulunterricht in Englisch oder Französisch, sind also neben Präsenzveranstaltungen mittels Onlinetools miteinander verbunden und dokumentieren dort ihre Erkenntnisse und professionelle Entwicklung auch innerhalb verschiedener Aktionsforschungsprojekte (vgl. Schocker-von Ditfurth 2008). Zibelius (2014) zeigt forschungsmethodologisch der Grounded Theory folgend, wie die Studierenden einer E-LINGO-Kohorte mittels der verwendeten Onlineplattform kollaborieren, hier zunehmend in der Praxis generiertes (Erfahrungs-)Wissen austauschen, das der anderen Teilnehmenden kommentieren und hierdurch kollaboratives Lernen entsteht. Obwohl die Studie nicht explizit auf die Professionalisierungsprozesse der Teilnehmerinnen und Teilnehmer abzielt, sondern stärker das Potential der Onlinekollaboration und des Wissensaustauschs in den Vordergrund stellt, zeigt sich für die Autorin insbesondere im Vergleich zu vorliegenden Erkenntnissen zu kollaborativem Lernen realiter (ebd.: 233ff.), dass der tendenziell anonyme Austausch durchaus auf einer sehr persönlichen und professionell-reflektierten Ebene stattfinden kann und hier die Flexibilität des kollaborativen Onlinelernens, d.h. auch bspw. zeitversetztes Reagieren auf Beiträge Anderer, wertgeschätzt wird.

Professionstheoretisch geformt und ausgehend von den Konstrukten reflexiver Praxis, (Lehrer-)Wissensforschung sowie dem Novizen-Experten-Paradigma untersucht Benitt (2015) im Rahmen ihres Dissertationsprojekts, wie und unter welchen Umständen Aktionsforschung Lehrerprofessionalisierung bzw. Teacher learning, wie sie es vorsichtiger beschreibt, stattfinden kann. Die im Rahmen von E-LINGO von den Studierenden durchzuführenden, zu dokumentierenden und präsentierenden Aktionsforschungsprojekte untersucht sie anhand der Portfolios und Lerntagebücher von zwölf Teilnehmerinnen3 sowie Interviews mit diesen Praxisforschenden, um dann mittels der Dokumentarischen Methode vorrangig auf impliziter Wissensebene Themen und Dimensionen von Lehrer*innenlernen zu identifizieren, die Rückschlüsse und greifbare Antworten auf die Forschungsfrage zulassen können. Sie identifiziert acht kritische „Aha-Momente“ (ebd.: 154ff.), die das Potential sowohl der Aktionsforschung im Sinne von vertiefter und anwendungsbezogen-reflektierter Theorie sowie den kollaborativen Mehrwert der gemeinsamen Aushandlung und Bearbeitung der Projekte mit den Kommilitoninnen transparent macht und sich in drei Dimensionen extrapolieren lassen:

[The] cognitive dimension relates to a better understanding of theory and/or teaching methodology, the interpersonal dimension refers to learning incidents linked to cooperative learning formats, and the affective dimension comprises notions of professional confidence and self-perception. (Benitt 2017: 129-130)

Eine relativ geringe Rolle spielt in den einschlägigen Publikationen und Forschungsschwerpunkten die Sprachkompetenz der (angehenden) Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer. Auch in den oben bereits aufgeführten quantitativen Untersuchungen werden Sprachkompetenzmessungen oder -tests eher als beiläufige Kontrollvariable verwendet (wie in PKE; vgl. König et al. 2016), es wird eine Einschätzung auf Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (vgl. Europarat 2001) vorgenommen (wie in TEDS-LT; vgl. Roters et al. 2011) oder es wird gar keine Abfrage der Sprachkompetenz einbezogen (wie aus Gründen der Testpraktikabilität in FALKO-E; vgl. Kirchhoff 2016/2017).

Bezüglich einer Verbesserung der Sprachkompetenz werden dabei häufig Auslandsaufenthalte angehender Fremdsprachenlehrkräfte aufgrund immersiven Spracherlebens als wirksam angesehen, was gleichzeitig im Sinne eines interkulturellen Fremdverstehens der Zielkultur einen intellektuellen wie professionalisierenden Mehrwert für die Sprachstudierenden haben soll. Auch Appel (2000) hatte im Kontext des Erfahrungswissens von Fremdsprachenlehrkräften dem Auslandsaufenthalt einen gewissen Ertrag unterstellen können, Ehrenreich (2004) jedoch relativiert diese häufig angenommenen, sich vermeintlich quasi-automatisch einstellenden Effekte eines Auslandsaufenthaltes in einer explorativen Studie. Mittels eines berufsbiographischen Ansatzes erhebt sie querschnittsartig mittels Interviews den Ertrag des sogenannten Assistant-Jahres, den examinierte Lehramtskandidatinnen und -kandidaten in der Regel vor ihrem Eintritt in den deutschen Vorbereitungsdienst oder Schuldienst absolvieren. Es zeigt sich, dass dieser angenommene Ertrag im Sinne einer Weiterentwicklung von zahlreichen Faktoren auf personaler und situativer Ebene komplex abhängig ist, in der Regel bezogen auf das gezogene Sample sogar kaum an die eigene Lehrerbildung angebunden wird, sondern primär der persönlichen bzw. persönlichkeitsbildenden Weiterentwicklung ohne mittelbare Professionsrelevanz zugeschrieben wird. Die subjektiv eingeschätzte Entwicklung der Sprachkompetenz ist ebenfalls eher ernüchternd:

Die Diskrepanzen bei der Bewertung des fremdsprachlichen Fortschritts spiegeln die ausbildungsphasenspezifische Vorherrschaft unterschiedlicher Sprachbegriffe – akademische Schriftsprache an der Hochschule versus flexibles mündliches Sprachhandeln in Referendariat und Schule – wider. (ebd.: 436)

Dafür zeigt sich jedoch eine verstärkte zielkulturelle Wahrnehmung bzw. auch eine Übertragung der hier positiven Erfahrungen in Form von „‚begeisterter landeskundlicher Vermittlung‘ und als Engagement im Schüleraustausch“ (ebd.: 436). Ehrenreich kommt u.a. zu dem Schluss, dass das Assistant-Jahr stärker in und an Lehrerbildung ein- und angebunden und „als spezifischer Lernort“ (ebd.: 444; Hervorhebung im Original) wahrgenommen werden müsse, um tatsächlich im Hinblick auf berufsbiographisch-professionsrelevante und insbesondere fremdsprachendidaktisch relevante Entwicklungspotentiale wirksam(er) zu werden, während es bislang noch zu stark von der je individuellen Einsatzbereitschaft der Lehrkräfte und deren persönlichkeitsbezogenen Neigungen abhängig ist.4

Zur Professionalität der Professionalisierenden

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