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3.2 Zwischenfazit II: Spezifik von Fremdsprachenlehrerprofessionalität und ihrer Erforschung

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Es mag kaum überraschen, dass vor allem die Lücke bzw. die „gap“ zwischen Theorie und Praxis, „theory and practice“, auch die deutsche und internationale, fremdsprachendidaktische Forschung im Besonderen beschäftigt und damit allerdings zunächst wohl kaum als ein Spezifikum einer gewissen Fremdsprachenlehrerprofessionalität gesehen werden kann. Oder etwa doch? Besteht möglicherweise gerade in der, wie im Kontext des Professionswissens herausgearbeitet, geringen Strukturiertheit der Domäne Fremdsprachendidaktik eine besondere Problematik der Disziplin, dessen Charakteristik die Überwindung des Grabens zwischen Theorie und Praxis besonders erschwert und damit eine besondere Professionalisierungsbedürftigkeit der Lehrerinnen und Lehrer moderner Fremdsprachen impliziert wird? Ist hierin die Forderung nach einem „forschenden Habitus“ der Fremdsprachenlehrkraft begründet, die sich sonst in keinem anderen Fach der Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung (KMK 2017) zeigt oder ist dies lediglich eine Folge domänenspezifischer Tradition von Aktionsforschung und der Betonung einer zu fördernden und zu erreichenden Reflexionskompetenz? Zumindest wird nach der Sichtung des Forschungsüberblicks international bereits ein Bottom-up-Ansatz von Fremdsprachenlehrerbildung mittels Reflexion, Aktionsforschung und anwärterorientierter Lerngelegenheiten konzeptualisiert und umgesetzt (vgl. Crandall/Christison 2016). Wiederum ein Fragezeichen gesetzt werden müsste dann, übertragen auf die spezifisch deutsche Phasigkeit, wie diese Lerngelegenheiten abgesehen von einzelnen größeren beschriebenen Projekten wie E-LINGO (vgl. Legutke/Schocker-von Ditfurth 2008, Zibelius 2014, Benitt 2015) zielführend in der Fremdsprachenlehrerbildung integriert werden.

In der zusammenfassend historischen Betrachtung der Ausbildungsgegenstände bis in die 70er Jahre wird eine stark rezeptologische Prägung der Fremdsprachendidaktik offenbar, die teilweise bis heute nachwirkt (vgl. Kirchhoff 2017, Hallet/Königs 2013b). International galt in der Vergangenheit ein Absprechen autonomer Handlungs- und Lernoptionen der (werdenden) Fremdsprachenlehrpersonen: „Traditionally, the professional development of teachers has been thought of something that is done by others for or to teachers.“ (Johnson 2009: 25; Hervorhebung im Original) Parallel hierzu schlug sich unterrichtsgegenständlich ein stark kompetenzorientierter Ansatz mit Fokus auf Kommunikation als Folge der kommunikativen Wende nieder, was sich auf inhaltlicher Ebene in der Fremdsprachendidaktik als hoch einflussreiches Standardisierungsinstrument mit dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (vgl. Europarat 2001) zeigt. Für die Ausbildung von Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrern international bedeuteten diese Entwicklungen eine Abkehr von tendenziell formalistischen und durchstrukturierten Fremdsprachenlehrerbildungssystemen hin zu kooperativem wie eigenverantwortlicheren und selbstgesteuerten Professional development der Fremdsprachenlehrkräfte, „the recognition that teachers‘ informal social and professional networks, including their own classrooms, function as powerful sites for professional learning“ (Johnson 2009: 25; vgl. auch Borg 2011). Diese Sichtweise auf Professionalisierung ist dabei gewiss ebenfalls dem Umstand geschuldet, dass es in internationalen Kontexten und Tätigkeitsbereichen von Fremdsprachenlehrkräften, die in den vorliegenden Metaanalysen beispielsweise die Erwachsenenbildung mit einbeziehen, seltener die Möglichkeit zur direkten Weiterqualifizierung gibt bzw. diese Möglichkeiten nicht ohne einen gewissen Aufwand umsetzbar erscheinen. Darüber hinaus fand eine Vielzahl besonders der internationalen Forschungsprojekte z.B. zu Fremdsprachenlehrerkognitionen in Hochschulkontexten oder privaten Qualifizierungseinrichtungen statt, vernachlässigte aber häufig schulische Bildungssysteme auf der Ebene der Sekundarstufe(n) (vgl. Borg 2009: 168, Borg 2006).

Benitt (2015) fasst die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Bereich der Fremdsprachenlehrerbildung (Foreign Language Teacher Education = FLTE), hier insbesondere unter Berücksichtigung internationaler Kontexte der Englischlehrerbildung, wie folgt zusammen:

 Educational models have developed from linear towards cyclic models, such as the reflective model of teacher education, which assumes that learning takes place in a dialogic manner.

 The distinction of pre-service (theoretical) and in-service (practical) teacher education has given way to a more holistic approach to conceptualising teacher education and teacher learning.

 Teaching and teacher education are considered socio-cultural activities. Experiential learning and the activity of teaching are considered central elements of FLTE.

 The teacher as well as her personal and professional learning and development has become a central subject of interest in educational research, acknowledging the important role of the teacher in the teaching and learning context.

 The mode of FLTE is slowly shifting from traditional lecture mode (one-way) to group mode (interactive), in which learning takes place through joint co-construction of knowledge. At the same time, FLTE is developing from traditional university education to blended-learning and online formats of teacher education. (ebd.: 43)

Während damit international eine Stärkung und Autonomieförderung auf der individuellen Ebene der Lehrkraft bzw. ihrer Kooperation mit anderen Kolleginnen und Kollegen stattgefunden hat, kritisiert Kurtz (2011), dass ihm in vielerlei deutschen Reformbemühungen vornehmlich der letzten beiden Jahrzehnte genau diese Subjektperspektive, die der (angehenden) Lehrerinnen und Lehrer, zu kurz gekommen sei. Von Seiten der Bildungspolitik und verschiedener Expertisen sei stärker das Unterrichtsgeschäft bzw. die Arbeitsausübung in den Fokus gerückt worden, seltener die Rolle und Bedürfnisse, die jede/r einzelne Lehramtskandidat*in im Rahmen der Ausbildung einnimmt und mitbringt. Dies scheint sich – vor allem beeinflusst durch die Neufokussierung international – auch in Deutschland mittlerweile zu verschieben bedingt durch Forschung zu Lehrerkognitionen, Beliefs und Subjektiven Theorien: „It shifted attention from what teachers should know to who they are, what they already know, and what they actually do when they teach.“ (Graves 2009: 117) D.h. ohne die Bewusstmachung und Reflexion vorhandener Wissensbestände auf Seiten der angehenden Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer besteht die Gefahr, dass das innerhalb von Lehrerbildungscurricula vermittelte Professionswissen nur wenig Anschluss in der Praxis findet und losgelöst ohne Anwendungsbezug gleichsam verpufft.

Im Kontext von Subjektiven Theorien, Beliefs bzw. Lehreridentitäten wird verschiedentlich herausgestellt, wie diese das Lehrer*innenhandeln beeinflussen (vgl. z.B. Borg 2006, Caspari 2014, Schart 2014), jedoch auch, wie stark sie z.B. durch eigene Schulerfahrungen oder Überzeugungen habituell geprägt sind, bezüglich verschiedenster Unterrichtsaspekte reflektiert werden müssen (z.B. Lortie 1975, Hochstetter 2011) und in einer gewissen Starrheit durch Lehrerbildung gleichsam nur schwer veränderbar bzw. optimierbar erscheinen (vgl. Crandall/Christison 2016). Kubanyiova (2016) stellt z.B. in ehrlicher und beeindruckender Weise dar, wie ein innovatives Weiterbildungskonzept für Lehrkräfte aktuellste (Unterrichts-)Forschung berücksichtigt, innovative Materialien vorbereitet und diese von aufgeschlossenen Lehrkräften bearbeitet werden, die Intervention dann aber zu keinerlei positiven Effekten im Fremdsprachenunterricht führt. Sie muss zugeben:

The naivety of such an objective [eine transformatorische Wirkung auf den Fremdsprachenunterricht durch die Lehrerbildungsmaßnahme; Anmerkung D.G.] and the predictability of this outcome in the context in which the programme was delivered are admittedly all too obvious in the light of the latest theorising about how language teachers learn. (ebd.: 1)

Gleichzeitig erkennt man bei der genauen Lektüre des Qualifizierungskonzepts, dass dieses in keiner Weise ungewöhnlich für entsprechende Maßnahmen im universitären oder Fortbildungsbereich ist.

Bezogen auf die konkrete Fremdsprachenlehrer(fort)bildung sehen Legutke/Schart (2016) zwei Strömungen: „In Aus- und Fortbildungsprogrammen werden zwei gegensätzliche Herangehensweisen praktiziert, um das Generieren des reflektierten Handlungswissens zu fördern.“ (ebd.: 31) Das eine sei ein theoriegeleiteter, der andere ein problemorientierter Ansatz, wobei letzterer „sich aus den Erfahrungen der Teilnehmenden in der Unterrichtspraxis“ (ebd.) ergibt. Fraglich bleibt dabei, wie curricular oder ausbildungs-/fortbildungsdidaktisch verankertes Wissen in Prozessen der Fremdsprachenlehrerbildung nachhaltig integriert wird. Immer wieder wird hier in der Gesamtschau der einschlägigen Literatur und empirischen Forschung Reflexivität bzw. Reflexionskompetenz als Lösung genannt. Auch das von Elbaz (1983) geprägte dynamische und auf verschiedenen Ebenen (re-)konstruierbare Personal Practical Knowledge (PPK) zeigt sich als bedeutendes Konstrukt in den einschlägigen Publikationen, das vielfach in Ergänzung an eher inhalts- und curriculumsorientierten Professionswissensbeständen von Fremdsprachenlehrkräften angelegt wird und durch die Forschung im Bereich von Lehrerkognitionen eine zunehmend wichtigere Rolle insbesondere in qualitativen Forschungszugängen zu spielen scheint. Die Folgen mangelnder PPK: „At an extreme, teachers who cannot access their PPK could be portrayed as deficient“ (Golombek 2009: 159), was wiederum für eine Reflexion und Bewusstmachung auch dieser Wissensbestände in allen Tätigkeitsbereichen spricht.

Im Sinne eines Ausbildungscurriculums auf der Inhaltsebene ist es wiederum schwierig, in Wissens- und Kompetenztests überhaupt fremdsprachendidaktisches Wissen zu modellieren bzw. Skalenreliabilität herzustellen (vgl. Roters et al. 2011, Kirchhoff 2016/2017). Die Autorinnen nennen als mögliche Gründe beispielsweise den flächendeckend geringen Anteil fachdidaktischer Seminare im Lehramtsstudium, die hohe Stabilität subjektiver Theorien über die Schulzeit und selbst erlebten Fremdsprachenunterricht hinaus, die große Komplexität einzelner fachdidaktischer Konstrukte wie zum Beispiel jenes der interkulturellen, kommunikativen Kompetenz (vgl. Byram 1997) sowie eine fehlende Kanonisierung fremdsprachendidaktischer Schwerpunkte bei einer gleichzeitig hohen Diskursivität in der Disziplin an sich. Die oben dargestellten KMK-Anforderungen für die fremdsprachendidaktisch-inhaltliche Ausgestaltung der Lehrerbildung sind, wie erwähnt, entsprechend in ihrer Unspezifität wiederholt kritisiert worden. Die Zusammenstellung putativ relevanter Inhalte scheint damit eine besondere Herausforderung für eine Disziplin der Fremdsprachendidaktik und ihrer Lehrerbildung.1 Einzelne, auch empirisch hergeleitete Ansätze sind dennoch vorhanden. Richards (1998) schlägt im Wesentlichen sechs Wissensbasen vor: Theories of teaching, teaching skills, communication skills, subject matter knowledge, pedagogical reasoning and decision-making skills und contextual knowledge. Schocker-von Ditfurth (2001) formuliert einen „[deskriptiven] Beschreibungsrahmen für die Wissensbasis der fremdsprachlichen Lehrerausbildung als Interdependenz relevanter Wissensbereiche“ (ebd.: 63), zu denen sie Selbstkompetenz, Situationskompetenz, Sachkompetenz sowie Sprachkompetenz zählt. So könnten – mit Blick in einschlägige Einführungswerke der Fremdsprachendidaktiken – weitere Kategorien vorgeschlagen oder systematisch entwickelt werden, gleichwohl zeigt sich immer auch eine latent allgemeinpädagogische Perspektive („teaching skills“ bei Richards) oder persönlichkeitsbezogene Eigenschaften einer Lehrkraft („Selbstkompetenz“ bei Schocker-von Ditfurth), die sicherlich nicht als Spezifikum eines bestimmten Fremdsprachenlehrpersonenhabitus deklariert werden sollten. Dass gemeinhin seit der Shulman’schen Einteilung in den 80er Jahren fachdidaktisches Wissen als eine Art „Amalgam“ von pädagogischem Wissen und Fachwissen gilt (vgl. Schulman 1987), schlägt sich in diesen vagen Beschreibungsversuchen komplexer Gegenstände nieder. Inwiefern dann eine Theorie-Praxis-Problematik vorliegt, müsste innerhalb der Fremdsprachendidaktik möglicherweise noch diskutiert werden, wenn Radtke (1996) zu Recht anmerkt:

Aus revidierter Sicht ist die Vermittlung von Theorie und Praxis nicht länger ein Transferproblem, sondern ein Problem unterschiedlicher Wissensstrukturen, deren Transformation oder, grundsätzlich, deren Transformierbarkeit zur Debatte steht. (ebd.: 51; Hervorhebungen im Original)

Diese Komplexität des Fremdsprachenlehrer*innenhandelns, seine Reflexion und die Diffusität fremdsprachendidaktischen Wissens führen zu möglichen Annahmen über die Konstrukte Fremdsprachenlehrerprofessionalität und -professionalisierung, welche hier grob zusammengefasst werden sollen (s. Tabelle 2).

Auch wenn hier kein Fächervergleich vorgenommen wird, kann der Fremdsprachenlehrkraft eine besondere Professionalisierungsbedürftigkeit unterstellt werden (vgl. z.B. Schart 2014, Caspari 2016). Möglicherweise existiert, im Anschluss an die schulpädagogische Professionsforschung und Bourdieu, ein spezifischer Berufshabitus für Lehrerinnen und Lehrer, die moderne Fremdsprachen unterrichten, obwohl wir weiterhin sehr wenig über sie wissen.2 Fremdsprachenlehrerbildung (und ihre Erforschung) muss daher Strukturen und Lern- sowie Reflexionsgelegenheiten schaffen, um diese Professionalisierung zu begleiten. Nach dem Studium (vgl. hierzu auch König 2017) gilt insbesondere der Vorbereitungsdienst als qualifizierende Phase für die Tätigkeit als (Fremdsprachen-)Lehrkraft, weswegen diese im Folgenden näher beleuchtet werden soll.

Annahmen zu Fremdsprachenlehrerprofessionalität (Mögliche) Folgen für Fremdsprachenlehrerbildung (FSLB)
Die Fremdsprachendidaktik offenbart sich als gering strukturierte Wissensdomäne. FSLB muss eine Vorstrukturierung/Reduzierung relevanter Wissensbereiche vornehmen und diese vermitteln oder die Lehrperson muss diese selbst (reflexiv) erschließen.
Aufgrund der geringen Strukturiertheit mit gleichzeitiger Abhängigkeit von fachdidaktischem Wissen zeigt sich im Anforderungsbereich des fremdsprachlichen Unterricht(en)s eine besonders herausfordernde und antinomische Handlungspraxis. FSLB muss Lerngelegenheiten schaffen, in denen Wissensformen transformiert bzw. angewendet werden (z.B. im Sinne eines Aufbaus fachdidaktischen Wissens mittels einer Amalgamisierung von Fach- und pädagogischem Wissen).
Fremdsprachenlehrpersonen werden seitens ihrer Beliefs und Subjektiven Theorien bzgl. Fremdsprachenunterricht stark beeinflusst. FSLB muss Beliefs und Subjektive Theorien offenlegen und hinterfragen sowie (zunächst angeleitete) Reflexionsgelegenheiten schaffen.
Reflexion ist eines Schlüsselkonstrukte für professionelles Fremdsprachenlehrer*innenhandeln. FSLB muss Reflexion, Reflexivität/Reflexionskompetenz zum Gegenstand machen und fördern (z.B. in Form von Aktionsforschung) – möglicherweise unter Berücksichtigung aller Bestimmungsansätze von Terhart (2011).

Tab. 2:

Annahmen zu Fremdsprachenlehrerprofessionalität und ihre Konsequenzen für die Fremdsprachenlehrerbildung.

Zur Professionalität der Professionalisierenden

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