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2.2 Zwischenfazit I: Konstrukte zur Erforschung von Lehrerprofessionalität/-professionalisierung

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Obwohl bis in die 2000er Jahre kaum empirische Forschung hinsichtlich der Frage vorlag, inwiefern die Qualität der Lehrkraft, ihre „Professionalität“, Auswirkungen auf Unterricht und die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler hat, ist dies besonders im Zuge der letzten zwanzig Jahre in verschiedenster Hinsicht bearbeitet worden. Die empirische Bildungsforschung interessiert hier, meist einem quantitativen Forschungsparadigma folgend, Professionswissen und -kompetenzen sowie ihre Modellierung, auch vor allem ihre Wirkung auf Seiten von Unterricht, d.h. auf Lernende, während eher mit einer qualitativen Brille in soziologischer, d.h. strukturtheoretischer oder berufsbiographischer Hinsicht der Erhebung von Anforderungen beruflicher Praxis bzw. der Frage, was professionelles Lehrer*innenhandeln überhaupt konstituiert, weiterhin stark explorativ nachgegangen wird. Die hier überblicksartig dargestellten Bestimmungsansätze von Lehrerprofessionalität schließen sich nicht in der Drastik aus, wie es die Kritik von Baumert und Kunter (2006) gegenüber der strukturtheoretischen Deutung nach Oevermann (1996, 2002) und Helsper (2001, 2004b, 2007) vermuten lässt. Nicht verwunderlich ist in dieser Gesamtschau, dass – zunächst rein oberflächlich betrachtet – die Zusammenfassung des berufsbiographischen Bestimmungsansatzes am kürzesten ausfällt, verknüpft er doch, insbesondere unter Einbezug der Bildungsgangtheorie und des Konzepts von Entwicklungsaufgaben (vgl. Trautmann 2005, Hericks 2006), wichtige Annahmen und Konstrukte, die in den beiden anderen Ansätzen bereits enthalten sind, und verbindet diese logisch, um schwerpunktmäßig die Bedeutung von Herausforderungen im Berufsverlauf explorativ greifbar zu machen. So lassen sich Bildungsgang und Entwicklungsaufgaben auch begreifen als ein Erkennen und Bearbeiten von Fällen, Krisen und Antinomien im eigenen Handeln (strukturtheoretisch), parallel dazu im „kompetenten Umgang“ mit ihresgleichen bzw. dem Kompetenz-/Wissenserwerb zur Bearbeitung derselben (kompetenztheoretisch) unter steter, reflexiver (und prospektiver) Berücksichtigung der eigenen (Vor-)Erfahrungen (berufsbiographisch). Wenn der kompetenzorientierte Bestimmungsansatz empirisch das „Wie“ professionellen Handelns erheben möchte, beschäftigt sich der strukturtheoretische Ansatz mit dem „Was“ von krisenhaften, schulischen Interaktionsprozessen, welche über den berufsbiographischen Ansatz relationiert und in einen Reflexionsprozess überführt werden können.

In dieser latent von Unsicherheit begleiteten Konstruiertheit von Lehrer*innenbildung, die zudem innerhalb von Institutionen (Universität, Studienseminar) sowie Schule stattfindet, mitsamt dem Versuch von Forschung, Kompetenzen und Wissen standardisier- und in Performanz messbar zu machen, wird unter der Rahmung der Berufsbiographie wiederholt das Konzept des Habitus in Bourdieu’scher Tradition bemüht, der die biographische, aber auch strukturtheoretische Komponente des Individuums mit den gesellschaftlich gewachsenen Handlungsdispositionen innerhalb verschiedener, institutionalisierter Felder, hier: diejenigen der Lehrperson, zu beschreiben versucht (vgl. z.B. die Beiträge in Kramer/Pallesen 2019). Habitūs treten als sozial und institutionell geprägte und übertragbare „strukturierte Strukturen“ (Bourdieu 1987: 98) hervor, die für die Professionellen Handlungsstrukturen bereithalten, gleichzeitig gestalten sie das Handeln der Person(en) als „strukturierende Strukturen“ (ebd.), jedoch „ohne bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung“ (ebd.: 99)1 und sind damit in soziale Felder, wie Bourdieu die Kontexte nennt, mit ihren je spezifischen Strukturen und Anforderungen eingebunden. Die Herausbildung eines Habitus über die individuelle Biographie und die sich daraus ergebende Handlungspraxis lässt sich – natürlich nicht ohne Einschränkungen – in seiner Auseinandersetzung mit normativen Setzungen innerhalb verschiedener Phasen beschreiben und bewerten (vgl. Bonnet/Hericks 2019). Auch kann das Konstrukt auf eine sozial wirksame Lehrerbildung, Lehrerprofessionalität und Lehrerprofessionalisierung übertragen werden, zumindest der explorativen Beschreibung von Lehrer*innenwissen und -handeln in Annäherung dienlich sein. Allerdings muss speziell aus der Perspektive der Beschreibung von Professionalisierungsprozessen hier insofern eingeschränkt werden, als dass Bourdieu selbst den Habitus als latent träge und nicht in vollem Maße mit einem Generierungsprinzip, d.h. von sich selbst heraus verändernd bzw. erneuernd konstruiert (vgl. Bourdieu 1992), sondern dass der Habitus eher durch eine Anpassung des Feldes verändert oder gebrochen werden kann.2 Dennoch ist das Konzept zur Beschreibung von Professionalität, wie oben angedeutet, dienlich. Im Hinblick auf Professionalisierungspotentiale wird es dann fruchtbar, wenn z.B. im bildungsgangtheoretischen Sinne Entwicklungsaufgaben konstruiert bzw. Entwicklungspotentiale innerhalb eines Habitus rekonstruierbar und Habitustransformationen über berufsbiographische Prozesse hinweg erkennbar werden (vgl. z.B. Hericks 2006).3 Für Bourdieu (1987) lassen sich diese Prozesse nicht kommunikativ im expliziten Reden darüber evozieren: Da sie „inkorporiert“ sind, müssen sie als „Praxis“ wahrgenommen und untersucht werden. Diese zeigt sich für ihn in bestimmten „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (ebd.: 101), welche für einen Habitus charakteristisch zeichnen oder sich innerhalb einer Gruppe von Akteur*innen ähnlicher Orientierungen oder Wertehaltungen auf einer entsprechenden Grundlage detailliert intraspezifisch unterscheiden. Wissenssoziologisch spielt hiermit auch implizites Wissen der Agierenden im Feld der Lehrerprofessionalität/-professionalisierung eine bedeutende Rolle zur Untersuchung entsprechender Entwicklungsprozesse, wie von Polany (2016) und Neuweg (2004, 2014) bereits konzeptuell aufgeworfen.

Auch wenn das Habituskonzept zur Beschreibung des individuellen oder kollektiven Umgangs mit und Entstehens von Handlungsdispositionen (angehender) Lehrerinnen und Lehrern eingängig erscheint, bleibt die Wirkung von Lehrerbildung auf der individuellen Ebene unspezifisch, denn:

Die individuelle Professionalisierung einer Lehrperson kann trotz einer ‚guten‘ Aus- und Weiterbildung misslingen, sie kann trotz einer ‚schlechten‘ Aus- und Weiterbildung gelingen. Jedenfalls vermag keine noch so plausible Zuordnung bestimmter Aufgaben und Funktionen zu einzelnen Phasen der Lehrerbildung die spätere Professionalisierung einer angehenden Lehrerin oder eines angehenden Lehrers zu garantieren. (Keller-Schneider/Hericks 2014: 401f.)

Dabei wirken verschiedene Sub-Systeme auf unterschiedlichen Ebenen und Levels in komplexer Weise für die Entwicklungsprozesse von Lehrerinnen und Lehrern, die Blömeke (2010) im Kontext der Mathematiklehrerbildung zusammengestellt hat (vgl. Abbildung 4), welche auch für Lehrpersonen anderer Fächer Relevanz haben dürften.

Abb. 4:

Modelle der Wirksamkeit von Lehrerausbildung (Blömeke 2010: 34).

Es ist demnach davon auszugehen, dass die verschiedenen Levels und Ebenen ebenfalls habitusformenden Einfluss auf die Lehrerinnen und Lehrer haben, dass beispielsweise gesellschaftlich tradierte Statusbewertungen vom Lehrer*innenberuf ebenso bedeutsam sein können wie länderspezifische Vorgaben über Curricula und individuelle Persönlichkeitsmerkmale sowie (tradierte oder berufsbiographisch vorgeprägte) Glaubenssätze und Überzeugungen (Beliefs) über das Lehren und Lernen. Im hier vorzustellenden Forschungsprojekt werden auf der institutionellen Ebene und dort des unteren Levels I in Abbildung 4 die Lehrerausbildner*innen in den Blick genommen, die zunächst innerhalb des gesamten Schaubildes keine allzu große Rolle einzunehmen scheinen. Jedoch sind sie die einzigen tatsächlich als Personen benannten Einflussfaktoren innerhalb des Wirksamkeitsmodells von Lehrer(aus)bildung, alle weiteren Aspekte und Levels werden gefüllt durch Konstrukte wie Kompetenzen, Voraussetzungen oder Steuerungsmechanismen wie Curricula – letztlich allesamt „unbelebte“ Faktoren. Umso spannender dürfte also die Auseinandersetzung mit der Gruppe der Lehrerbildner*innen werden, wenn man gleichzeitig bedenkt, dass die zu betrachtenden Personen innerhalb der zweiten Phase tätig sind und damit – im Gegensatz zur universitären Phase – ausnahmslos auch tatsächlich Lehrerinnen und Lehrer sind oder über einen gewissen Zeitraum waren. Dies bedeutet, dass unmittelbar die individuelle Ebene von Kompetenzen, eigener Lernvoraussetzungen, Lehrerwartungen, kurz: des Habitus, wirksam wird und mittels des vorliegenden Projekts beschreibbar gemacht werden soll.

Damit verbunden sein kann auf dieser Ebene jedoch keine Wirksamkeitsforschung, was an dieser Stelle bereits ausdrücklich hervorgehoben werden soll, um keinen falschen Eindruck oder entsprechende Vorerwartungen zu erwecken. Vielmehr wird der Versuch unternommen, die Handlungspraxis von Lehrerbildner*innen im Vorbereitungsdienst angehender Fremdsprachenlehrkräfte, ihre Orientierungen, ihre Habitūs (wenn auch hier in diesem Kontext nicht angeknüpft an Entwicklungsaufgaben), in einem Feld explorativ beschreibbar werden zu lassen, um zunächst überhaupt Anhaltspunkte über die Ausbildungstätigkeit und ihre Position im Feld der zweiten Phase erhalten zu können. Da das vorliegende Projekt vorwiegend besondere Ausbildungskräfte (Fachleiterinnen/Fachleiter) von Referendarinnen und Referendare moderner Fremdsprachen in den Blick genommen hat, wird im Folgenden unter einer fachdidaktisch-spezifischen Perspektive auf die mutmaßlich angenommene Professionalisierungsbedürftigkeit von Fremdsprachenlehrkräften in ihrer Spezifik fokussiert, um die dort empirisch genutzten Konstrukte auch in Beziehung zu schulpädagogischer Professionsforschung zu setzen. Auf die Phasenspezifität des Vorbereitungsdienstes und daraus vorliegender Forschung wird im Anschluss eingegangen (vgl. Abbildung 1), um eine Klammer der institutionellen Rahmungen um die schulpädagogische, fremdsprachendidaktische, stärker auf das Individuum zielende Professionsforschung zu erhalten.

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